Volker Popp
Die Herkunft des islamischen Glaubensbekenntnisses (Schahâda) aus dem spätantiken Christentum

Mit dem Begriff Schahâda wird im Arabischen ganz allgemein eine Zeugenaussage bezeichnet. Heute hat sich die Bedeutung des Terminus verengt auf die Bezeichnung des islamischen Glaubensbekenntnisses. Dieses besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil lautet: „Es gibt keinen Gott außer Gott (Allâh)“. Der zweite Teil: „muhammad(un) / Muhammad ist der Gesandte Gottes“.
Nach gängiger Meinung fasst diese Formel in knapper und eindeutiger Weise das Bekenntnis zum islamischen Monotheismus und zur Bedeutung Mohammeds zusammen; in der Schia wird sie ergänzt durch die Erweiterung „Und Ali ist der Freund Gottes“. Die Schahâda kommt in vielen wichtigen Gebeten und Riten vor. Ihre ernsthafte Aussprache ist das entscheidende Element einer Konversion zum Islam.

Die Schahâda als Ergebnis einer west-östlichen Fusion

Wie im Folgenden dargelegt wird, war der erste Teil dieser Formel aber schon „vor dem Islam“ weithin im östlichen und westlichen Christentum verbreitet. Sie ist angestoßen durch den ersten Satz des alttestamentlichen „Schema Israel“ (Höre Israel) im Buch Deuteronomium (6,4): „Höre Israel! Der Herr ist unser Gott, der Herr allein“. Dieses Bekenntnis blieb auch im Christentum zentrales Bekenntnis, trotz späterer trinitarischer Entwicklungen. Auch im Koran (Sure 112) wird es aufgegriffen.

Auch der zweite Teil der Schahâda ist christlicher Provenienz – aus apokalyptisch geprägten Strömungen, und im persisch-christlichen Raum findet sich auch schon die vollständige Schahâda.

Die Entwicklung der heutigen Formel über verschiedene Zwischenstufen lässt sich jetzt dank der Erschließung patristischer Texte und mittels archäologischer Funde darstellen. Diese Entwicklung ist mit Hilfe von Belegen in verschiedenen Sprachen der spätantiken Welt nachzuvollziehen.

1. Die Bezeugung des griechischen Textes des ersten Teils des islamischen Glaubensbekenntnisses aus apokryphen Schriften

Für den ersten Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses kennen wir nun auch die vorislamisch-griechische, -lateinische, -mittelpersische und -aramäische Fassung.

Die früheste bisher nachweisbare Erwähnung des griechischen Textes findet sich in den sog. Pseudoklementinen. Es handelt sich um Schriften, welche dem Verfasser des Ersten Klemensbriefs (fälschlich als Bischof von Rom behauptet) untergeschoben wurden. Es handelt sich um die pseudoklementinischen Homilien (erste Hälfte 4. Jahrhundert), die in griechischer Sprache vorliegen, und zum anderen um die pseudoklementinischen Recognitiones („Wiedererkennungen“, Mitte 4. Jahrhundert), die nur noch in einer lateinischen Übersetzung des Rufinus erhalten sind. Beide benutzten wahrscheinlich eine (nicht erhaltene) Grundschrift aus dem 2. Jahrhundert. Eine Herkunft aus Syrien wird unterstellt.

Im romanhaften Teil der Schriften findet sich die Schilderung einer fiktiven Diskussion zwischen dem Apostel Petrus und dem frühchristlichen Gnostiker Simon Magus, der schon in der Apostelgeschichte (Kapitel 8) erwähnt ist. Der Apostel Petrus vertritt in den Pseudoklementinen theologische Standpunkte, welche heute als judenchristlich gelten. Ich teile diese Einschätzung nicht und sehe stattdessen hier eine frühe christliche Theologie, welche später als judenchristlich diffamiert wurde, da sie ein Christentum in einer „hebräischen Fassung“ betrifft.

Der Gnostiker Simon der Magier, obschon östlicher Herkunft, vertritt in manchen Abschnitten der Diskussion die hellenistische Theologie des Apostel Paulus. In den Homilien antwortet der fiktive Apostel Petrus im Streitgespräch folgendermaßen: „heis estin ho theos kai plen autou ouk estin theos“ (Gott ist Einer, und es ist kein Gott außer ihm)[1]. Die Recognitiones lassen Gott, wie Petrus zu Simon sagt, sprechen: „ego sum deus et non est alius praeter me“ (Ich bin Gott, und außer mir gibt es keinen anderen [Gott])[2] , und: „Dominus deus tuus deus unus est ..., et praeter ipsum alius non est“ (Dein Herr und Gott ist ein einziger Gott ..., und außer ihm gibt es keinen anderen)[3]. Zusätzlich zitiert Petrus auch noch das Schema Israel[4].

Diese Formel greift der Koran auf: „lâ ilâh(a) illa llâh(a) wahdah(u)“. Hier haben wir die vollständige Wiedergabe der obigen Formeln auf arabisch vor uns. Für den Gebrauch in der späteren Schahâda wird sie verkürzt.

Diese Formulierung erscheint im Koran ebenfalls im Zusammenhang einer Zurückweisung von Unterstellungen hinsichtlich der Einheit Gottes. „(...) lâ ilâh(a) illâ huwa“ (es ist kein Gott außer ihm) heißt es dort, wenn es um die Unterstellung der Existenz eines Sohnes oder einer weiblichen Gefährtin geht. Zur Verdeutlichung zitiere ich hier die Passage des Korantextes in der Übersetzung von Rudi Paret, Sure 6: 101-102: „(...) der Schöpfer von Himmel und Erde. Wie soll er zu Kindern kommen, wo er doch keine Gefährtin hatte und alles geschaffen hat? Er weiß über alles Bescheid. So ist Gott, euer Herr. Es gibt keinen Gott außer ihm. Dienet ihm! Er ist Sachwalter über alles“.

Münzlegenden als Bindeglied der Überlieferung („missing link“) in Nordafrika

Die lateinische Fassung des ersten Teils des islamischen Glaubensbekenntnisses findet sich als Münzlegende auf Kupfermünzen, welche auf das Ende des 7. Jahrhunderts datiert werden. Die in Nordafrika gefundenen Münzen tragen die Inschrift: „DEUS UNUS NON EST ALIUS“ (Gott ist ein einziger, es gibt keinen anderen). Diese Münzen gelten als Beleg für die angeblich großen islamischen Eroberungen zu dieser Zeit. Es ist leider noch niemand auf den Gedanken gekommen, dass sie möglicherweise eine lokale theologische Eigenständigkeit nach dem faktischen Ende der byzantinischen Herrschaft in Nordafrika widerspiegeln und auf das Fortleben frühchristlicher Vorstellungen hindeuten, welche sich nach Ende der byzantinischen Herrschaft wieder ungehindert artikulieren konnten.

2. Der Ruf nach dem Messias (muhammad(un) / Muhammad) als östliches Element

Der zweite Teil der Schahâda, zu verstehen als Ruf nach dem Messias, ist in einer vorislamischen Fassung nur als mittelpersische Münzinschrift bekannt. Er lautet: „MHMT patigama i yazd“ (MHMT ist der Bote / das Wort Gottes). Vom aramäischen Ideogram MHMT / Machmat (Der Gelobte, der Ersehnte) leitet sich das türkische mehmet und das arabische muhammad(un) her. Das aramäische MHMT bedeutet: „Der Gelobte, der Ersehnte“. Dies spricht dafür, dass die seit dem 4. Jahrhundert im Westen bekannte Formel eines strikt monotheistischen Gottesbegriffs später mit diesem östlichen Hinweis auf den erwarteten Messias verbunden wurde und dass der früheste bekannte Hinweis auf den zu lobenden Erwarteten aus dem mittelpersischen Sprachraum kommt. Das aramäische „patigama“ steht sowohl für den Boten wie für die „Botschaft“ / „das Wort“.

Der mittelpersische Hinweis auf den „Boten / das Wort“ kann nicht überraschen, da auch die heute gültige arabische Fassung erstmals im iranischen Raum auftritt. Das Vorkommen der Shâhada in ihrer endgültigen Gestalt in arabischer Sprache und geschrieben mit der arabischen Schrift, kann erstmals im iranischen Raum im Jahr 66/686 festgestellt werden. Sie findet sich als Randschrift auf einer Münze aus Bischapur. Bischapur ist ein Ort im Südiran. Der Prägeherr nennt sich APDLMLIK I APDULAAN. Sein Name ist noch nicht arabisch, unter Verwendung der arabischen Schrift, geschrieben, sondern mittelpersisch unter Verwendung einer aramäischen Schrift. Der Prägeherr ’Abd al-Malik bn ’Abdallâh soll nach dem islamischen Geschichtsmythos ein Häretiker, ein Kharijit, gewesen sein und doch findet sich auf seiner Münze die früheste Spur des späteren islamischen Glaubensbekenntnisses in der noch heute gebräuchlichen Fassung. Nur soviel zur Historizität des islamischen Geschichtsmythos.

Der Name des Prägeherrn deutet auf ein eschatologisches Programm hin. Als ’Abd (Knecht) ist er verbunden dem Malik (König). Er ist Knecht des Königs, welcher im Matthäusevangelium häufig erwähnt wird als Herr des Endgerichts. Matthäus 25, 31-34 spricht vom Kommen des Menschensohns (aramäisch mahdî) und wie sich die Völker (aramäisch emwâta) vor ihm versammeln, ganz wie in der zoroastrischen und koranischen Schilderung vom Ablauf des Endgerichts, und wie er die Schafe von den Böcken scheidet, streng dualistisch; denn er kennt nur Schwarz und Weiß. Der Herr des Endgerichts wird hier als König bezeichnet (vgl. Mt 25,46). Ihm dient der Träger des apokalyptischen Namens ’Abd al-Malik (Knecht des Königs).

3. Das Vorkommen der vollständigen arabischen Fassung des ersten Teils des islamischen Glaubensbekenntnisses in Palästina.

Gegen Ende des 7. Jahrhunderts findet man die Formel: „DEUS UNUS NON EST ALIUS“ in ihrer arabischen Fassung: „lâ ilâh(a) illa llâh(a) wahdah(u)“ als Münzinschrift auf Kupfermünzen in Palästina. Im Zusammenhang mit dieser Inschrift findet man auch Darstellungen eines Leuchters im Stil einer Menorah.

Diese westliche Fassung des ersten Teils des Glaubensbekenntnisses wurde in der arabischen Formel verkürzt zu: „lâ ilâh(a) illa llâh“ (Es gibt keinen Gott außer Gott). Die Wiedergabe von „Gott ist Einer“: „wahdah(u)“ (DEUS UNUS), fiel weg. Dann wurde die verkürzte Formel kombiniert mit der arabischen Fassung des ursprünglich mittelpersischen Textes mit dem Ruf nach dem Messias: „MHMT patigama i yazd“. In der arabischen Fassung lautet dies nun: „muhammad(un) / Muhammad rasûl allah“ („Gelobt sei der Apostel / Gesandte Gottes“ [Jesus] oder, nach der späteren islamischen Hermeneutik: „Mohamed ist der Gesandte Gottes“). Die Kombination der beiden Texte, die verkürzte Formel aus den Pseudoklementinen und der mittelpersische Ruf nach dem Messias, ließ die noch heute gebräuchliche Schahâda entstehen.

Abbildungen von Übergangstypen.

Abb. 1. Kupfermünze mit Darstellung eines fünfarmigen Leuchters. Umlaufend die arabische Fassung der Formel aus den Pseudoklementinen. Diese wird auf dem Revers in einem Rechteck wiederholt. Sammlung der Hebräischen Universität, Jerusalem.

Abb. 2.

Kupfermünze mit Darstellung des Leuchters. Auf dem Obvers umlaufend die arabische Wiedergabe des vollständigen Textes der Formel aus den Pseudoklementinen. Im Feld des Revers die arabische Wiedergabe der mittelpersischen Inschrift: „MAHMAT patigama i yazd“ als „muhammadun / Muhammad rasûl allâh“.


© imprimatur April 2010
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[1]Homilien 16, 7, 9, in: Die Pseudoklementinen, I. Homilien, hg. von Bernhard Rehm (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte [GCS], Bd. 42), Berlin 1969, 222.
[2]Recognitiones II 43, 1, in: Die Pseudoklementinen II. Rekognitonen in Rufins Übersetzung, hg. von Bernhard Rehm (GCS, Bd. 51), Berlin 1965, 77.
[3]Recognitiones II 44,3, in: ebd.
[4]Recognitiones II 44,3, in: ebd. 78.