Paul M. Müller
Alois Schifferle: Die Pius-Bruderschaft
Informationen – Positionen – Perspektiven

Kevelaer (Butzon und Bercker) 2009, 399 Seiten

Die Entscheidung von Papst Benedikt XVI., die Exkommunikation der vier illegal geweihten Bischöfe der Lefebvre-Bewegung St. Pius X. zurückzunehmen, erregt nach wie vor großes Unverständnis und sorgt für inner- und außerkirchliche Aufregung und Verunsicherung. Wo auch immer die Presse das Problem Kirche und Pius-Bruderschaft aufgreift, sind Leserzuschriften zu erwarten, die vor allem den zögerlichen und wenig eindeutigen Umgang des Vatikans mit der Bruderschaft kritisieren. Exemplarisch etwa ist folgende Zuschrift: „Die katholische Kirche versagt auch heute als moralische Instanz wenn sie Verhandlungen mit der Pius-Bruderschaft führt, solange diese in ihren Reihen einen unbelehrbaren Holokaust-Leugner duldet und sich nicht von den Williamsthesen öffentlich distanziert und ihn maßregelt“. (Der Spiegel 7/2010)

Was Papst Paul II. im „L´Osservatore Romano“1988 als Reaktion auf die schismatische Abkehr der Piusbrüder von der Kirche des 2. Vatikanischen Konzils schrieb, liest sich wie eine, den Piusbrüdern zu verdankende, dringend notwendige Rückorientierung der Kirche an ihrer Tradition. Man gewinnt den Eindruck, dass das Traditionsverständnis von Erzbischof Lefebvre, in unkritischer Weise zur Agenda katholischer Besinnung auf ihre Tradition hochstilisiert wird: „Der Ausgang, den die Bewegung Bischof Lefebvres nun wirklich genommen hat, kann und muss für alle katholischen Gläubigen ein Anlass zu einer gründlichen Besinnung über die eigene Treue zur Tradition sein, der Tradition, die unversehrt vorgelegt wird durch das ordentliche Lehramt, besonders durch die Konzilien, vom Konzil von Nizäa bis hin zum 2. Vatikanischen Konzil.“ (13) Bei dieser unkritischen Verwendung des Traditionsbegriffs der Pius-Bruderschaft durch den Papst bleibt unbeachtet, dass es sich um eine ideologisch überhöhte und reaktionäre Selbstdeutung von Tradition handelt, die sich in einem geschichtslosen Raum bewegt. Ohne jeden historisch-kritischen Bezug macht die Bruderschaft dieses Traditionsmodell zum Grund- und Auslegungsmodell ihrer Theologie und Pastoral. Insofern ist der theologische Grundansatz der Bruderschaft der kirchlichen Epoche des späten 19. Jahrhunderts sehr verwandt. Lefebvre will, so eine seiner Äußerungen, „das in Treue fortführen, was die Kirche schon seit jeher getan hat.“(32) Unterstützt von französischen kirchlichen und politischen Intellektuellen rechter Couleur, erblickt er in jeder Form von Liberalität und Modernität Feinde der Kirche. Er scheut Demokratie und Religionsfreiheit wie der Teufel das Weihwasser. Der Name der Lefebvre-Bewegung „Bruderschaft des hl. Pius X.“ ist Programm. Erinnert sei nur an die unversöhnliche Haltung Pius X. gegen alles moderne Denken: Modernismus als das „Sammelbecken aller Häresien“ und an den „Anti-Modernisteneid“, den ab 1910 alle Kleriker zu leisten verpflichtet waren.

Vor diesem Hintergrund beschreibt Alois Schifferle das Anliegen seines Buches folgendermaßen: „In einer Phase aufkommender kirchlicher Restauration, in der die Ergebnisse des letzten Konzils zurückgedrängt zu werden drohen, bedarf der Traditionalismus um Lefebvre einer genauen historischen, ideengeschichtlichen und gegenwartsbezogen angelegten Untersuchung. Die Tradition, der sich Lefebvre und die Traditionalisten verpflichtet wissen und sie ins Zentrum ihres Anliegens stellen, ist eigens zu untersuchen“. (19)

Im Rahmen dieses Konzepts referiert Schifferle im Teil A seines Buches „Leben, Werk, Programm und Kritik Lefebvres“. Er schildert die Entwicklung der „Priesterfraternität vom hl. Pius X.“, auf deren Leitung Lefebvre 1983 verzichtet und an Franz Schmidberger, Saarbrücken, weitergibt. Die Zahl der von Lefebvre geweihten traditionalistischen Priester erreicht, einschließlich der 1983 22 Neugeweihten, 140. Der Autor untersucht insbesondere das Traditionsverständnis Lefebvres u. a. unter den Aspekten der Religionsfreiheit und des Ökumenismus. Er befasst sich mit der Kritik Lefebvres an der Liturgiereform im Umfeld des 2. Vatikanischen Konzils und seinem Kirchenbild. Im Hauptteil B berichtet Schifferle über „Die innerkirchliche Reaktion auf Lefebvres Wirken“. Teil C behandelt die „Geistesgeschichtliche Herkunft des Traditionalismus“. In den Hauptteilen D und E geht er auf das „katholische Verständnis von Tradition im 2. Vatikanischen Konzil ein, indem er bedeutende katholische Theologen wie J. Ratzinger und K. Rahner zur Sprache bringt. Das Buch liefert im letzten Teil F den „Dialog mit der Pius-Bruderschaft seit der Wahl Josef Kardinal Ratzingers zum Papst Benedikt XVI.“, vom „Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 1.7.1988 mit der Exkommunikation von Lefebvre und der von ihm geweihten 4 Bischöfen Fellay, de Mallerais, Williamson und de Galarreta (255) bis hin zur „Erklärung der Rücknahme der Exkommunikation der 4 Bischöfe der 'Priesterbruderschaft Pius X. ' und zur Leugnung der Shoah durch Williamson“. Hinzu kommt ein Verzeichnis von „Pressestimmen in Auswahl“ zu Weihe, Exkommunikation, Aufhebung der Exkommunikation und zum Verhalten der Lefebvre-Bischöfe. Ein umfassendes Literaturverzeichnis schließt sich an.

Alois Schifferle, seit 1998 Professor für Pastoraltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, so lässt sich sein Buch zusammenfassen: fragt nach den Wurzeln der von Erzbischof Lefebvre gegründeten Pius-Bruderschaft. Er zeichnet die Entwicklung der Bewegung nach und befragt in kritischer Weise Kirchenbild, Traditionsvorstellung, Einstellungen zur Religionsfreiheit und zu anderen christlichen Kirchen und Religionen. Wichtige Originaldokumente ermöglichen dem Leser, sich ein fundiertes Urteil zu bilden. Schifferle bietet mit seinem Buch ein umfassendes Standardwerk für alle, die sich fundiert intensiv und extensiv über die Pius-Bruderschaft und den von ihnen hervorgerufenen innerkirchlichen Konflikt informieren wollen. Er liefert zudem die Hoffnung, dass auf den kirchlichen Konfliktfeldern der nach-konziliarischen Zeit die zarten Wurzeln der Reformansätze des Konzils nicht verdorren.


© imprimatur Juni 2010
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