Die Glosse

Rauschheim, am Karfreitag 2010

Lieber Joseph,

jetzt ist es sicher, dass es eine Hölle gibt, und man weiß sogar, wo sich die höllischen Quälereien abspielen. Ein ehemaliger Klosterschüler schreibt in der Süddeutschen Zeitung: „Für mich war Ettal die Hölle“, das schöne scheinheilige Ettal! Ich konnt ihm das nachfühlen. Mich hats schon immer erregt, aber auch ein bisschen gegruselt, wenn ich als Kind mit meinen Eltern bei einer Besichtigung durch die Klosterpforte getreten bin, drinnen hab ich sofort nach der Hand meiner Mutter gegriffen. Dadrin ist eine andere Luft. Wenn dann noch so ein Pater in seiner dunklen Kutte vorbeigerauscht ist, hab ich mich noch stärker gegruselt und aufgepasst, dass nicht sein Schatten auf mich fällt.

Das war ein rätselhaftes Gefühl, wenn ich als Kind die Patres unter sich guckend vorbeischreiten gesehen hab. Meine Mutter hat mir immer verklickern gewollt, die Patres schreiten so bedächtig, weil sie ständig den Rosenkranz beten. Für sie war es nicht vorstellbar, dass da welche drunter wären, die wo in ihrem geneigten Kopf, eine Schandtat planen. Du musst Dir mal vorstellen, Joseph, in Ettal allein gab es im Lauf der Jahre cirka zehn von diesen Kuttenteufeln, die sich Opfer suchten, um denen dann eine Schwartung auf den bloßen Hintern zu verabreichen. Die wollten sich mit dem Versohlen ein Vergnügen, eine Lust verschaffen. Einer von den Geprügelten nennt diese Schwarterei „systematisch und brutalst“. Da fährt unsereinem der Schock in die Glieder! Von den anderen, den sexuellen Missgriffen sind ja die Zeitungen voll. Ehrlich, ich kann nicht mal Dir, meinem Kumpel gegenüber, über diese üblen Schweinereien reden. Vielleicht früher im Duschraum nach dem Fußballspiel wär das eventuell gegangen. Das ist zu starker Tobac!

Joseph, ich bin zwar Gewerkschafter, häng aber immer noch mehr an der Kirch, als wie Du denkst. Mir macht die bloße Vorstellung zu schaffen, dass ein Pater, der wo abends mit seinen teuflichen Übergriffen den ihm anvertrauten Buben die Hölle gemacht hat, denselben Buben dann am anderen Morgen die Messe liest. Vorher aber hätt der noch, um seine Todsünde loszuwerden, bei einem von seinen Komplizen flugs gebeichtet und hätt mit der Absolution von seiner Schuld den Altar würdig betreten. Frag mal Deinen Pater Gescheitle, ob unser Jesus einen solchen Kuhhandel mitmacht!

Überhaupt nichts darf davon in der Ohrenbeicht erledigt werden. Das käme womöglich dem Mixa und dem Müller nicht ganz unbequem, wenn die Spießgesellen untereinander und insgeheim sich die Lossprechung von ihrer Todsünd geben täten, und die Geschichte wär geritzt. Dieses über Jahre praktizierte Verfahren war der Kirche recht, weil es jedenfalls den Leumund der Kirch, wie man jetzt sieht, lange vor öffentlichem Schaden bewahrt hat.

Joseph, als Gewerkschafter stellt man sich automatisch auf die Seite der Ausgebeuteten. Stell Dir mal vor, an meinem Enkel Karsten tät sich so ein Paterteufel vergreifen! Da gerätst Du doch in Wut, einen solchen Kerl wolltest Du schnurstracks am Hals packen und ihm die Männlichkeit absäbeln. Wenn Du auf Oberhirten stößt, die wo bei der Sachlage trotzdem noch Ausweichmanöver anstellen, wie oben die zwei, also der Mixa und der Müller, könntest Du gradwegs aufs Standesamt rasen und denen die Kirchensteuer sperren. - Kann man das jetzt nicht sogar, ohne aus der Kirche total auszutreten? Weißt Du, Joseph, nachdem ich jetzt mein ganzes Leben lang brav meine Kirchensteuer berappt hab, möchte ich meine kirchliche Beerdigung nicht aufs Spiel setzen.

Joseph, mich hat das alles schwer irritiert. Die Klöster wurden von der Kirch selber zu einer Art Vorraum vom Himmel glorifiziert, und jetzt entlarvt sich Ettal als Hölle, und noch viele andere. Ich bin niedergeschmettert.

Heut Abend schmeckt mir nicht einmal meine Gute-Nacht-Flasche Paulaner. Leb wohl!

Dein Sepp

P.S.: Die Bischofskonferenz ist ein weltfremder Haufen, haben die doch statt eines neutralen Außenstehenden ihren Jüngsten zum Missbrauchsbeauftragten und Schlichter bestimmt. Bei dem sollen sich die von Priestern Maltraitierten beschweren. Der Bischof Ackermann ist harmlos. Aber der scheint mir aufs Reinwaschen eingestellt. Er hat gleich bei einem seiner ersten Interviews gesagt: „Es hilft keinem, wenn jetzt jeder die Kirche mit moralischen Appellen versieht“. Wenn ich mich erinnere: Meine Großmutter hatte 14 Geburten, weil die Kirch in Gestalt des Pastors sie moralisch dazu getrieben hat. „Geschlechtsverkehr ist nur zum Zwecke der Zeugung erlaubt“. Wer sich diesen kirchlichen Moralzwang unterworfen hat, dem war die schönste Freude im Leben genommen. Was denkt sich der Bischof, wenn er den Spieß einfach umdreht. Nachdem die Hirten der Kirch ewig und zwei Tage ihre Schafe moralisch unter Druck gesetzt haben, ist er hyperempfindlich gegen moralische Anforderungen durch die Gläubigen an die Kirch. Der Bischof meint wohl, die ließen sich das gefallen. So vergesslich sind die Gläubigen aber nicht! Jetzt kocht manches hoch! In den Augen der misshandelten Buben und Mädchen jedenfalls wird mit einem Bischof als Missbrauchsbeauftragtem der Bock zum Gärtner gemacht.


© imprimatur Juni 2010
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