Die deutschen Kultur-/Schulminister plädieren in ihrer Mehrheit für einen islamischen Religionsunterricht an den hiesigen Schulen. Es bleibt ihnen wohl auch nichts anderes übrig. In den meisten Bundesländern gibt es einen staatlich eingerichteten evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Wenn es eine genügende Schülerzahl gibt, kann er auch für jüdische und – in manchen Ländern – auch für alevitische Kinder angeboten werden. Warum also sollte es für Muslime, deren Zahl in Deutschland mehr als vier Millionen Mitbürger umfasst, eine solche Möglichkeit nicht geben? Noch ganz abgesehen von der (wohl vergeblichen) Hoffnung, ihre Kinder damit aus den unkontrollierbaren und rückschrittlichen Koranschulen zu „befreien“.
Es hätte eine andere Perspektive geben können, aber diese wurde nicht wahrgenommen. Ein verpflichtender Unterricht für Religion / Ethik / Lebensfragen für alle Schüler hätte den rationalen und selbstverantworteten Umgang mit diesem Problemkreis ermöglichen können. In einem solchen Unterricht hätte selbstverständlich das Christentum, das die deutsche und europäische Kultur geprägt hat und immer noch prägt, im Vordergrund stehen, aber ebenso die weiteren hier entweder seit langer Zeit (Judentum) oder mittlerweile wichtigen Religionen (Islam) sowie konfessionslose Modelle vorgestellt und miteinander diskutiert werden müssen.
Voraussetzung eines solchen verbindlichen Unterrichts für alle wäre ein Verzicht der Kirchen auf den konfessionellen Religionsunterricht gewesen. Hierzu waren sie nicht bereit. Von Anfang der Diskussionen an unterstützten sie vielmehr das Recht der Muslime auf einen eigenen Religionsunterricht. Wahrscheinlich waren sie hierbei nicht von selbstloser Toleranz motiviert, sondern sahen in der Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts eine zusätzliche Garantie des eigenen konfessionellen Unterrichts; denn wer könnte diesen noch einmal bestreiten, wenn die Muslime eingebunden sind? Die Chance zur Vermeidung der Separierung von Schülern einer Klasse in verschiedene Grüppchen und Gruppen weltanschaulicher Art wurde vertan.
So wird es also zu einem islamischen Religionsunterricht kommen. Zwar ist der Weg dorthin keineswegs unproblematisch: den Ländern fehlt bei den Muslimen ein kirchenähnlicher Ansprechpartner, der die inhaltliche Aufsicht über den Religionsunterricht wahrnehmen könnte; der Islam ist in unterschiedliche Richtungen gespalten, die sich gegenseitig das Islam-Sein absprechen; die verschiedenen nationalen und kulturellen Hintergründe der Muslime in Deutschland erschweren zusätzlich ihre interne Meinungsbildung; die Aktivitäten des türkischen Religionsministeriums, das für „alle“ Türken – auch für die Kurden und Aleviten – sprechen will, sind eine zusätzliche Gefahr.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass an deutschen Schulen prinzipiell beamtete (oder angestellte) Lehrer tätig sind, die die Hochschulreife (in der Regel Abitur) besitzen und – bisher – wenigstens ein sechs- bis siebensemestriges Studium, in Zukunft wohl ein zehnsemestriges Masterstudium, durchlaufen und ein zweites Unterrichtsfach studiert haben. Wenn Islamlehrer als vollgültige Mitglieder der Kollegien anerkannt sein wollen, müssen sie die gleichen Voraussetzungen mitbringen, also – nach dem Abitur – ein akademisches Lehramtsstudium, in der Regel noch mit einem zweiten Unterrichtsfach.
Insofern blieb dem Wissenschaftsrat nichts anderes übrig, also die hierfür notwendige Einrichtung des universitären Fachs Islamische Religionslehre zu fordern. Dies ist aber ein Vorhaben, das nicht so einfach zu realisieren ist. Neu zu berufende Professoren sollten ihrerseits die gleichen fachwissenschaftlichen Voraussetzungen mitbringen wie in anderen Fächern: eine sehr gute Promotion (in was, bei wem, in welchem Land? in Islamwissenschaften oder in islamischer Religion?) sowie weitere herausragende wissenschaftliche Leistungen (in nicht wenigen Fakultäten eine Habilitation). Sollen „theologische“ Promotionen in der Türkei, die formal hier anerkannt werden, zureichen für eine wissenschaftliche Äquivalenz mit deutschen Promotionen? Wie sollen die Berufungskommissionen zusammengesetzt sein, die eine klagefeste Kompetenz zur Auswahl der Kandidaten haben? Und welche religiöse Instanz gibt, in Analogie zu den christlichen Kirchen, die erforderliche Zustimmung (oder Ablehnung) für die Berufung eines Kandidaten, der einen Listenplatz erringen konnte?
Und was geschieht mit den bisherigen islamwissenschaftlichen Lehrstühlen
an unseren Universitäten? Sollen sie bei der islamischen Lehrerausbildung
mitwirken
oder werden sie – zugunsten einer „kostenneutralen“ Einrichtung
der neuen Lehrstühle für islamischen Religionsunterricht – gestrichen?
Da sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr das Niveau der früheren Islamwissenschaften
erreichen konnten, wäre das nicht so schlimm. Aber damit wäre der
Weg verbaut, in Zukunft die Islamwissenschaft auf einem Niveau zu betreiben,
das den europäischen (oder westlichen) Standards entspricht.
Wie schwierig alle diese Fragen zu lösen sind, zeigt sich am Beispiel der von großen Hoffnungen begleiteten Einrichtung des ersten universitären Lehrstuhls für islamischen Religionsunterricht an einer deutschen Universität, an der Universität Münster im Jahre 2004. Berufen wurde Muhammad (vorher Sven) Kalisch, im Alter von 15 Jahren vom Protestantismus zum Islam konvertiert. Kalisch hatte ein deutsches Jurastudium abgeschlossen, promoviert und anschließend intensive Islamstudien betrieben. Er war eine hervorragende Wahl, wenn das Kriterium die wissenschaftliche Kompetenz sein soll, in seinem Fall verbunden mit einem engagierten Muslimsein.
Nun zeigt sich bei einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem frühen Islam, dass die Existenz des arabischen Propheten Mohammed ausgeschlossen werden muss oder zumindest sehr fraglich ist, natürlich ebenso die Rückführung des Koran auf seine Predigten. Analysen zu diesen Fragen anhand der noch verfügbaren zeitgenössischen Quellen werden seit einigen Jahren von einer Reihe von Forschern vorgetragen, die sich – weltweit – in „Inârah. Institut zur Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran“ zusammengeschlossen haben. Diesen Einsichten konnte sich auch Muhammad Kalisch nicht verschließen, er hat zu diesen Themenbereichen eine Reihe von wissenschaftlichen Beiträgen veröffentlicht.
Natürlich fällt es Religionen schwer, jahrhundertealte und lieb gewordene Überzeugungen in Frage zu stellen. Dies gilt besonders für den Islam, der nicht die sogn. Aufklärung durchlaufen hat, diese vielmehr für einen westlich-ungläubigen Angriff auf ihre Religion hält. So musste der Konflikt eskalieren.
Die Islamverbände liefen Sturm und erreichten, ausgerechnet bei dem zuständigen FDP-Minister, dass Muhammad Kalisch künftige muslimische Religionslehrer nicht mehr ausbilden darf. Obwohl es keine Verträge zwischen Staat und islamischer Religionsgemeinschaft gibt und obwohl diese Verbände keine „kirchenähnliche“ Organisation sind und unklar ist, welche und wie viele Muslime in Deutschland sie vertreten, wurde ihnen der Sache nach das Recht eingeräumt, Universitätsprofessoren die Lehrbefugnis zu entziehen. Die Studierenden wurden durch Alternativangebote versorgt, die nur das wiederholen, was „vorwissenschaftlich“ im Islam vertreten wird.
Nach jahrelangen Kämpfen hat Muhammed Kalisch die Konsequenzen gezogen, trat aus der Religionsgemeinschaft des Islam aus und hat wieder seinen früheren Vornamen angenommen. Jetzt gilt er den Muslimen als Apostat und ist an Leib und Leben gefährdet.
Abgesehen von der persönlichen Tragödie zeigen diese Ereignisse, welche Maßstäbe, Entwicklungen und Probleme die blauäugig beschlossene Einführung von Lehrstühlen für islamischen Religionsunterricht mit sich bringt. Über die Bereitschaft einiger Universitäten, hier mitzumachen, kann man nur staunen.
Diese Lehrstühle werden sich konfliktfrei nur halten lassen, wenn ihren Inhabern ein wissenschaftliches Denkverbot auferlegt wird, wenn irgendwelchen nicht legitimierten Dachverbänden bzw. ihren Funktionäre, von deren Qualitäten sich jeder Fernsehzuschauer ein Bild machen kann, Einfluss auf die Universitäten gegeben wird. Wie diese mit solchen „Fremdkörpern“ fertig werden sollen, ist unklar. Vielleicht hat der Wissenschaftsrat deswegen diese Lehrstühle mit den (ebenfalls universitär nicht ganz unproblematischen, Einrichtungen für Evangelische und Katholische Theologie, die aber wegen ihrer langen aufgeklärten Universitätstradition eher akzeptabel sind), assoziieren wollen – kein gutes Zeichen für die Einschätzung der Theologien durch den Wissenschaftsrat (eine Art „Schmuddelecke“ in den Universitäten).
Wie auch die Entwicklung weitergehen wird, der islamische Religionsunterricht wird kommen. Aber es werden viele Jahre vergehen, bis die ersten Islamlehrer eine universitäre Ausbildung in Deutschland abgeschlossen haben und zu den Schulen wechseln können. Das türkische Religionsministerium hat, laut türkischen Presseberichten, diese Situation blitzschnell erkannt und handelt: An der Universität Istanbul werden Lehrgänge für türkische Studierende mit deutschem (oder einem anderen europäischen) Abitur eingerichtet. Hier können sie im Schnellgang islamische Religionslehre studieren, mit einem Diplom, bald auch einem Doktorat, abschließen und den für den Religionsunterricht erforderlichen Titel „Imam“ erwerben. Da diese türkischen Diplome, wegen ihrer „Nähe“ zu Europa, hierzulande anerkannt werden, lässt sich absehen, wer bald in den deutschen Schulen das Fach Islamische Religionslehre unterrichten wird. Im Auftrag und unter Kontrolle der DITIB wird gewährleistet, dass alle Schüler das Richtige zum Islam lernen. Dadurch wird alles konterkariert, was mit der Einrichtung diese Fachs erreicht werden sollte.
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