Lieber Joseph!
Aus Brasilien wirst Du selten Post bekommen. Ich schreibe Dir heute, weil Du wissen sollst, dass es in 11000 Kilometer Entfernung Leute gibt, die genauso denken und fühlen wie Du und die sich von niemandem das Maul verbieten lassen. Du bist mir von Anfang an sympathisch gewesen. Aus zwei Gründen: Erstens redest Du nie um den heißen Brei herum. Zweitens scheinst Du - genauso wie ich - Bier für ein Grundnahrungsmittel zu halten und fest an die friedensstiftende Wirkung des selbigen zu glauben. Viele Leute wollen das nicht wahrhaben und weigern sich konstant, Belege aus der Geschichte zu akzeptieren.
Erschreck bitte nicht, wenn ich mit Dir deshalb einen kurzen nachösterlichen
Sprung ins 8. Jahrhundert mache. Damals reiste ja bekanntlich Bonifatius durch
den Spessart hoch in meine nordhessische Heimat, um die "heidnischen"
Friesen (in Wirklichkeit keltische Vorfahren von mir!) zum christlichen Glauben
zu bekehren. Alles gut und schön. Nun weiß ich aber aus zuverlässiger
Quelle (Journalisten-Kollegen in München haben das rausgefunden!), dass
die bajuwarischen Begleiter des Angelsachsen ihrem Chef dringend empfahlen,
nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und sich erst mal auf ein Bierchen
mit den Friesenmenschen zusammenzusetzen - so wie Du das immer mit dem Sozialisten-Sepp
und Deinen anderen Kumpels tust. Bei Euren Stammtisch-Gesprächen geht es
zwar manchmal ganz schön heftig zur Sache,
aber ihr werft deshalb nicht gleich mit Bierkrügen aufeinander.
Von all dem wollte der Angelsachse nichts wissen. Stattdessen zog er seine Axt raus und schlug wild auf die heilige Eiche dieser einfachen Leute ein, schrie was von "Bekehrt Euch, Ihr Heidenpack!" und versuchte in seiner blinden Glaubenswut den Friesen klar zu machen, dass sie falschen Göttern dienen und dass es "außerhalb der Kirche kein Heil" gibt! Was dann geschah, lieber Joseph, sollte Deinem Namensvetter in Rom eine Warnung sein: sie schlugen dem Bonifatius so lange auf seinen Christen-Schädel, bis er den Geist aufgab. Mal ehrlich, hätte doch alles nicht sein müssen und war unterm Strich so unnötig wie ein Kropf! Stell Dir vor, die ganzen Umstände mit der Überführung des Leichnams. Dann der Heiligsprechungsprozess in Rom. Und schließlich die ganze Überzeugungsarbeit, die geleistet werden musste, bis alle Getauften und Ungetauften in den herkynischen Wäldern einverstanden waren, den Briten als "Apostel der Deutschen" zu verehren. Weißt Du, wie oft ich als schmächtiges Nachkriegs-Geschöpf bei den Prozessionen zum Bonifatiusgrab schwere Kirchenfahnen geschleppt habe?! Und meinst Du echt, dass sich unsere deutschen Bischöfe vor Freude krümmen, wenn sie jedes Jahr nach Fulda fahren müssen, um sich dort den Kopf darüber zu zerbrechen, was uns Christenmenschen wohl auf den Nägeln brennt?!
Du kannst es drehen wie Du willst, mein Freund: Spätestens seit jenen dramatischen Ereignissen in der Fritzlaer (?) Gegend hat unser christliches Abendland aufgehört, eine "gewaltfreie Zone" zu sein. Ich will in diesem Brief gar nicht über den religiösen Terror reden, den Karl der Große danach unter den armen Sachsen veranstaltete. Ich will auch nicht näher auf die Kreuzzüge eingehen oder auf Papst Julius II., den sie den "Blutrünstigen" nannten. Und ich möchte diesmal auch nicht über das unsägliche Leid sprechen, das die christlichen Eroberer über die Völker Südamerikas brachten, noch will ich jenes unglaubliche Dekret von Papst Paul III. kommentieren, in dem er offiziell erklärte, dass die Indianer dieses Subkontinents "auch Menschen" sind!
Ich hab mir vielmehr gedacht, lieber Joseph, dass es allerhöchste Zeit ist, jetzt wo so heftig über die scheußlichen Sexualverbrechen gegen Minderjährige in kirchlichen Einrichtungen debattiert wird, auch ein paar Takte zu den vielen anderen Formen der Gewalt zu sagen, die heutzutage in unserer römisch-katholischen Kirche praktiziert werden, ohne dass jemand laut aufschreit oder mal richtig auf den Tisch klopft! Ich denke in erster Linie an die systematische Unterdrückung der Gewissens- und Meinungsfreiheit in der Kirche. Ich beobachte, wie die Sprache und der Umgangston ganz allgemein sehr viel aggressiver geworden sind. Ich bin erschüttert über die bürokratische Kaltschnäuzigkeit, mit der in der Kirche Leute "aussortiert" und samt ihrer Talente und Lebenserfahrungen auf den "Müll" gekippt werden. Ich denke an das amtlich geförderte Denunziantentum, an den Telefonterror vatikanischer Stellen sowie an die Demütigungen und gezielten Herabsetzungen. An die unmenschlichen Lasten, die Menschen in der Kirche aufgebürdet werden. An den Amtsmissbrauch. An das skandalöse (zeitlos erscheinende) "Spiel der Kirchenführer mit der Angst". An das unglaubliche "Herunter- und Weginterpretieren von Geist und Buchstaben biblischer und konziliarer Texte. An die Tausenden von Priesterkindern, denen man ihren Vater "geraubt" hat. An die Maulkorberlasse und die gnadenlose Verfolgung der Propheten. An die systematische Ausgrenzung der Frauen. Lass mich einfach zu jedem der angeführten Punkte ein paar konkrete Beispiele nennen.
Unterdrückung der Gewissens- und Meinungsfreiheit
Du erinnerst Dich bestimmt noch gut, wie Reinhard Marx, als er bei Euch an Mosel und Saar Bischof war, vor seinen Besuchen in den Pfarreien mitteilen ließ, worüber gesprochen werden darf und worüber nicht?! Und macht Rom nicht jedes Mal das Gleiche, wenn sich brave Katholiken irgendwo zu regionalen Synoden treffen?! Aus dem Programm gestrichen werden auf Anordnung von "oben" der Zölibat, die Zulassung verheirateter Männer zum Priestertum, die ökumenische Mahlgemeinschaft, Diskussionen über Demokratie in der Kirche, das Thema Geburtenkontrolle, die Zulassung von Geschiedenen und Wiederverheirateten zu den Sakramenten etc - übrigens lauter Fragen, zu denen sich Joseph Ratzinger vor Jahren schon mal höchst fortschrittlich geäußert hat. Klar, dass unsereins gewaltig ins Schleudern gerät, wenn wir feststellen müssen, wie der einstige Chef der Glaubensbehörde und heutiger Papst jetzt nicht nur völlig entgegengesetzte Positionen einnimmt, sondern Dir und mir unter Androhung von Kirchenstrafen verbietet, über neuere "Ansätze" laut nachzudenken. So nach dem Motto: Was Sache ist, bestimmen wir! Wir dürfen nicht mehr sagen, was uns "schlaflose Nächte bereitet", dürfen keine Zweifel mehr artikulieren oder zwischendurch daran erinnern, dass selbst für den Hl. Paulus Erkennen nur "Stückwerk" war. Stattdessen werden wir mit "absoluten Wahrheiten" zugedeckt. Findest Du es nicht auch eine reichlich hinterhältige Taktik, "vatikanische Verlautbarungen" skrupellos dem lieben Gott in den Mund zu legen, nur damit wir einfachen Christen ehrfürchtig schweigen und unterwürfigst alle Fragen vergessen, die wir auf der Zunge hatten?! Wäre es nicht ehrlicher, so hab ich mir manchmal gedacht, jedes dieser Schreiben, die urbi et orbi verschickt werden, mit dem Satz zu beginnen: "Wir und der Heilige Geist haben beschlossen"?! Zumindest wüssten wir dann, dass auch die Mitglieder der Heiligsten Dreifaltigkeit nur zum "Abnicken" der Verlautbarungen in die vatikanische Machtzentrale gerufen werden!
Übrigens protestierten dieser Tage die Bischöfe im benachbarten Venezuela vehement gegen die staatlich verordnete Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Präsident Hugo Chavez. Mutig, dachte ich mir. Noch mutiger wäre es allerdings, wenn dieselben Bischöfe einmal gegen die Meinungsdiktatur in unserer Kirche zu Felde zögen! Grund hätten sie mehr als genug. Zumal sie nicht nur Täter, sondern auch Opfer sind.
Ist es nicht schrecklich mit ansehen zu müssen, wie ganze Bischofskonferenzen weltweit schon seit Jahren nicht mehr nach ihrer Meinung gefragt werden. (Viele wissen schon nicht mehr, wie das Wort Kollegialität geschrieben wird!) Da kommen Erklärungen aus Rom wie zum Beispiel jene Texte über die Rolle der Laien in der Kirche oder über die Eucharistie, ohne dass unten an der Basis mal nachgeforscht worden wäre, wie man dort über diese wichtigen Themen denkt.
Andererseits, lieber Joseph, ist es auch wieder unverständlich, wie die deutschen Bischöfe ihre Position in der Schwangerenkonfliktberatung (eine heilige Gewissensentscheidung!!) einfach über Bord werfen konnten, nur weil Joseph Ratzinger und dessen Vorgänger auf dem Stuhl Petri es so wollten. Mir hat man in der Kirche immer gelehrt, dass über unserem Gewissen nur Gott steht?! Für mich gibt es darum keinen brutaleren Eingriff in die Intimsphäre eines Menschen als sein Gewissen in "Geiselhaft" zu nehmen. Ein Gewaltakt der besonders perfiden Art! Es will einfach nicht in meinen Kopf, wieso die Bischöfe damals gegen diesen schamlosen Angriff auf ihre Gewissensfreiheit nicht geschlossen auf die Barrikaden gingen und öffentlich erklärten: Heiliger Vater, es reicht! Unser Gewissen stellen wir nicht kampflos zur Verfügung, noch werden wir uns für einen "faulen Frieden" instrumentalisieren lassen!
Wird die Meinungs- und Gewissensfreiheit jener, die sich dem Projekt "Donum Vitae" verpflichtet fühlen, nun aber nicht genauso mit Füßen getreten?! Musste Alois Glück, der neue Chef des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, auf Druck der Bischöfe (welche Ironie!) nicht von allen "Ämtern" bei "Donum Vitae" zurücktreten, um fürs Präsidentenamt im ZdK wählbar zu sein?! Bei all Deinem Insider-Wissen brauche ich Dir nicht groß erzählen, wie Hunderttausende von Kirchenbediensteten und Theologen ihre Meinungen unterdrücken müssen, um ihren Brotberuf in der Kirche (den sie lieben und dem sie sich mit großem Fleiß widmen!) nicht zu verlieren oder gar von einem völlig unberechenbaren Bischof die Ruhestandsgelder gekürzt zu bekommen!
Wie wenig die Meinung der Katholiken auf den Hinterhöfen der Weltkirche den Vatikan und seine Stoßtruppen interessiert, beweist die neue Nachrichtenagentur ZENIT. Auf ihrem Programmtitel steht: "Die Welt von Rom aus gesehen". Oder auf gut Deutsch: Eure Sichtweise in Brasilien und Deutschland interessiert uns nicht! Ein Qualitätsblatt wie die "Süddeutsche Zeitung" titelt da in seiner Werbung: "In München geboren, in der Welt zuhause". Welch ein Unterschied!
Aggressiver Umgangston
Kein Zweifel, lieber Freund, der Umgangston in unserer Kirche, die Sprache ganz allgemein sind in den letzten Jahren viel aggressiver geworden. Die Leute gehen verbal mit "Knüppeln" aufeinander los. Ein Bischof nennt den anderen einen "Karnevalisten" (halt jemand der "blöd" daher redet!). Gestandene Katholiken müssen sich von rotzfrechen Ordinariatssprechern als "theologische Tiefflieger" beschimpfen lassen. Von den Empfehlungen des 2. Vatikanischen Konzils, sich künftig wieder stärker an dem "großen Menschenfreund aus Nazareth" zu orientieren, ist kaum noch was übrig geblieben. Leute, die anderer Auffassung sind, werden mit Hohn überschüttet.
Schau Dir die Blogs der kirchlichen Fundamentalisten an oder die programmatischen (oft sogar sektiererisch geheimen) Schriften des Opus Dei, der Legionäre Christi, des Neokatechumenats. Pures Freund-Feind-Denken, vor der "Achse des Bösen" wird da gewarnt, und zum Teufel wird geschickt, wer nicht so denkt wie diese neue "Armada des Papstes"! Von den Piusbrüdern wollen wir gar nicht erst reden. Die schießen doch inzwischen aus allen Rohren (ermutigt durch die "väterliche Zuneigung" Benedikt XVI. ?!).
Lieber Joseph, nehmen wir mal an, ich marschiere bei Dir in die gute Stube rein und erkläre im Beisein Deiner Frau, Deiner Kinder und Deiner Enkel: Dieser "Saustall hier wird ausgemistet"! Würdest Du nicht aus allen Wolken fallen!? Dein erster Gedanke wäre vermutlich: Hausfriedensbruch! Mutter, ruf die Polizei! - Hier in Südamerika haben sich neu ernannte Bischöfe und päpstliche Abgesandte in mehreren Diözesen so eingeführt. Sie sagten: "Wir sind gekommen, um diesen Saustall hier auszumisten und dem Spuk des 2. Vatikanischen Konzils ein Ende zu setzen!" Ganze Katechisten-Teams wurden mit Flüchen entlassen. Ganze Priesterseminare und diözesane Bildungseinrichtungen wurden unter beleidigenden Kommentaren geschlossen. Für Zigtausende von Frauen, Männern, Jugendlichen und Kindern brach eine Welt zusammen, als die neuen Chefs eiskalt erklärten, dass die "Basisgemeinden eine Kommunisten-Schmiede" seien. Sonderbar, dass diese herabsetzende und verletzende Sprache erst so richtig "salonfähig" wurde, nachdem Kardinal Ratzinger 1985 - ebenso eiskalt - erklärt hatte, dass die Jahre seit dem Ende des 2. Vatikanischen Konzils "verlorene Jahre" waren!
Wir müssen leider feststellen, dass der Vatikan inzwischen selbst die Angehörigen anderer Weltreligionen, die Protestanten und die Vertreter außereuropäischer Kulturkreise offen beleidigt und herabsetzt. Sollten wir in der Kirche nicht längst gelernt haben, dass selbst "kleine Seitenhiebe" ungemein verletzend sein können?! Wenn Benedikt XVI. beim Ad-Limina-Besuch deutscher Bischöfe wörtlich vor der "Beliebigkeit der Lebensentwürfe" in der heutigen Gesellschaft warnt, ist das bereits eine Aggression! Kennst Du jemanden, der seine Lebensentwürfe dem Zufall überlässt? Und wenn die Entwürfe meines Nachbars anders sind als meine, heißt das ja noch lange nicht, dass sie "beliebig" sind!
Talente auf den Müll
Ob Du mirs glaubst oder nicht, lieber Joseph: es gibt keine Institution in der Welt, wo hoch qualifizierte Leute so gnadenlos "aussortiert" werden wie in der katholischen Kirche. Mindestens 80.000 der heute noch lebenden Ex-Priester können das bestätigen. Nach groben Berechnungen haben edle Spender und Kirchensteuerzahler mindestens 5 Milliarden Euro für die Ausbildung selbiger aufgebracht. Dieses ganze Geld wird dann in einem "kirchenamtlichen Aufwasch" (nur weil diese Ex-Seelsorger nicht mehr ins Macht-Kalkül der vatikanischen Führungsmannschaft passen) samt all der kostbaren Lebenserfahrungen und Talente der "Laisierten" auf den Müll gekippt. Ich kenne in München einen ehemaligen Jesuiten, der zunächst mehrere Jahre in Deutschland und dann nochmal 6 Jahre in Rom nach allen Regeln des kirchlichen Karriere-Managements ausgebildet wurde und in den 70er Jahren einer der vielversprechendsten jungen Professoren war. Weißt Du, was der nun schon seit Jahren in seiner Pfarrei macht? Er bereitet Lektoren auf ihren sonntäglichen Dienst vor. In den Jahren vor seiner Laisierung glänzte er in einschlägigen Pastoral- und Homiletik-Zeitschriften mit seinen Aufsätzen! Wer sich ein bisschen Feingefühl bewahrt hat, wird schnell begreifen, dass da das Selbstwertgefühl und der Stolz von Tausenden ehemaliger enger Kirchenmitarbeiter zertrümmert wurden, wenn man ihnen knallhart auf den Kopf zusagte: "Für uns bist Du ab sofort eine Null!" Ich muss Dir gestehen, dass es mir sehr weh getan hat, wie der in Eurem Bistum arbeitende Theologe Gotthold Hasenhüttl (kurz vor seinem Goldenen Priesterjubiläum) abserviert wurde! Kein Wort des aufrichtigen Dankes an jemanden, der viele Menschen "im Glauben bestärkt" hat. Nur Kirchenrechts-Paragraphen werden da gegen den gebürtigen Österreicher ins Feld geführt. Selbst Jesus Christus (kirchenrechtlich gesehen ein "blutiger Laie" wie Du und ich!) hätte bei dieser Art von "Anklageschrift" heute absolut keine Chance. Er würde im Kirchen-Abseits landen - suspendiert, obwohl er - laut Ratzinger - die "sakramental-hierarchische Struktur der Kirche gestiftet" hat. Kommst Du da noch mit?!
Uns ist bekannt, dass derselbe Jesus über ein sagenhaftes Redetalent verfügte und in der Synagoge die Leute ein ums andere Mal in Staunen versetzte. Heute hätte er Predigtverbot in der von ihm gestifteten Kirche - nur weil er Laie ist. Innerhalb kürzester Zeit könnte ich Dir, lieber Freund, eine Liste von mindestens 100 Laienchristen aus meinem bescheidenen Bekanntenkreis zusammenstellen, die nicht nur ausgezeichnete Sprecher sind, sondern auch inhaltlich unheimlich viel drauf haben. Schätzungsweise die Hälfte von ihnen könnte außerdem über Themen predigen, von denen wenigstens 80 Prozent der Priester keinen "blassen Dunst" haben. Dennoch sind sie und ihre unbestreitbaren Talente auf der Kanzel nicht gefragt. Sie werden diskriminiert, weil sie Laien sind. Einmal mehr: Talente auf den Müll! Und der liebe Gott, der sich so verdammte Mühe mit uns gegeben hat? Der steht vermutlich - genauso wie wir - nur kopfschüttelnd daneben und fragt: Womit habe ich das verdient?!
Anonyme Denunzianten
Anonyme Briefe, mein lieber Freund, habe ich im Laufe meiner ganzen beruflichen Laufbahn grundsätzlich in den Papierkorb geworfen. Vor allem, wenn in solchen Briefen andere Leute angeschwärzt und denunziert wurden. Denunziation gehört nach meiner bescheidenen Meinung zu den hinterhältigsten Formen der Gewalt. Wenn römische Behörden uns Katholiken weltweit zur Bespitzelung von Theologen, Seelsorgern und von anderem kirchlichen Personal aufrufen, rufen sie zur Gewalt auf. Sie zerstören das Vertrauen in den Gemeinden und fördern ein Sektierertum, das sich dann krebsartig in die Pfarreien hineinfrisst und sie zerstört. Wer anklagt, soll seinen Namen nennen und soll schließlich vor allem im Beisein des Angeklagten seine Beschwerden inhaltlich begründen. Es muss ja gar nicht unbedingt "christlich" dabei zugehen (wir sind im Laufe der Jahre schon sehr bescheiden geworden!), sondern einfach nur "korrekt" und menschlich wie es das zivile Recht vorsieht!
Für mich ist es absolut unzulässig, wenn z.B. Ordensfrauen und Priester, die Lesben und Schwule seelsorglich betreuen und diese Ausgestoßenen genauso wie Jesus wieder "in die Mitte stellen" wollen, durch vatikanischen Telefonterror verunglimpft und (oft via Ordensobere und Bistumsleitung) zur Beendigung ihrer löblichen Tätigkeit gezwungen werden. Stehen der Papst und die Kirche über den allgemeinen Menschenrechten, in denen derartige Diskriminierungen von Minderheiten scharf verurteilt werden?
Ein anderes, sehr düsteres Kapitel von Gewalt muss an dieser Stelle genannt werden. Die Verleumdung und Ehrabschneidung - beide mit langer und ausgefeilter Tradition in der Kirche. Ein typischer Fall von Ehrabschneidung war und ist nach Auffassung von 34 bayerischen CSU-Landtagsabgeordneten die Erklärung des heutigen Erzbischofs von Bologna, Carlo Caffarra, dass nämlich diejenigen Mörder sind, die künstliche Verhütungsmittel benutzen. Der energische Protest der CSUler, 1989 schriftlich an den damaligen Chef der Glaubenskongregation gerichtet, blieb unbeantwortet. Ratzinger distanzierte sich nie von Caffarra. Im Gegenteil: er schlug sich auf die Seite des Kollegen, den er vor drei Jahren zum Kardinal ernannte. In einer öffentlichen Stellungnahme fragten da die Bayern: "Wie kann man einen Ehrabschneider (von Millionen von Ehepaaren!) zum Kardinal machen?!" Dass die Bayern bei dieser Frage ihren inzwischen zum Papst gewählten Landsmann nicht ins Spiel brachten, geschah wohl aus Respekt vor dem "hohen Amt". Ich, lieber Joseph, habe dagegen überhaupt keine Bedenken, an eine abscheuliche Gewalttätigkeit des damaligen Kardinal-Erzbischofs von München zu erinnern. In seiner Osterpredigt 1979 erklärte er, dass der in den Andenländern Südamerikas verbreitete, nachkonziliare Katechismus "Vamos caminando" zur Gewalt aufrufe. Obwohl Ratzinger wiederholt darauf hingewiesen wurde, dass er falsch zitiert habe (wo blieb da nur die Redlichkeit des Wissenschaftlers?) und seine Aussage eine schwere Verleumdung der einfachen Christen dieses Subkontinents darstelle, hat er nichts zurück genommen und sich auch nie für "sein falsches Zeugnis wider die fernen Nächsten" entschuldigt. Nur wer in jenen Jahren hier in Lateinamerika lebte, weiß wie sehr die Diktatoren damals für jeden "Freibrief" seitens hoher kirchlicher Würdenträger dankbar waren, um ihre Gewaltakte gegen unliebsame Pfarrer und Gemeindeführer zu rechtfertigen. Ich frage mich heute, ob die 6 Jesuiten in El Salvador (Ex-Kollegen des Theologen Jon Sobrino) sowie die beiden Haushälterinnen der Ordenspriester nicht noch am Leben wären, wenn sich der Vatikan schützend vor sie gestellt hätte. Traurig, aber wahr: Es ließen sich Tausende von Beispielen dafür anführen, wie Katholiken von Katholiken "ans Messer geliefert" bzw. durch gezielten Rufmord moralisch erledigt wurden. In den meisten Fällen wirst Du nie die Namen jener erfahren, die die Dreckarbeit für ihre vatikanischen Auftraggeber erledigt haben!
Unmenschliche Lasten
Bibelfest wie Du bist, lieber Joseph, könntest Du sicher gleich eine ganze Reihe von Zitaten aus dem Alten und Neuen Testament anführen, wo das fast schon krankhafte Verhalten gegeißelt wird, sogenannten "Untertanen" schwere, unmenschliche Lasten aufzubürden, selbst aber keinen Finger zu krümmen. Ich lasse mich (argumentativ!) von niemandem davon abbringen, die ganzen seelsorglichen Strukturreformen, die gegenwärtig in den Bistümern durchgeführt werden, "teuflisch" zu nennen, weil sie eindeutig und auf eine völlig unverantwortliche Weise zu Lasten der Gemeindeseelsorger gehen. Die "armen Hunde" (entschuldige den Ausdruck, aber den versteht bei Euch in Trier und bei uns hier in Curitiba jeder!) wissen sowieso schon lange nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht, und kommen vor lauter Terminen kaum noch zur Besinnung. Selbst wenn sie solche "Typen" wie Don Camillo verkörpern wollten, um dem ideologischen Ortsrivalen zur Belustigung des Volkes gelegentlich eine "vor den Latz" zu knallen, würden sie vermutlich keine Zeit dazu haben. Joseph, diese ganze Reform ist ein einziger Akt der Gewalt und die "Rechtfertigung", dass sich die Zeiten geändert hätten, eine verdammte Lüge. Nichts hat sich an den Bedürfnissen der Menschen geändert. Die Menschen brauchen nach wie vor Seelsorger, die wenigstens zwei Tage in der Woche Zeit finden, um ihre Sonntagspredigt vorzubereiten (wo sie ja inzwischen als einzige "autorisierte Kommunikationsträger" zwischen Gott und den Menschen übrig geblieben sind!). Die Menschen brauchen Seelsorger, die im Dorf oder im Stadtviertel ihre Nachbarn sind und wissen, was dort "abgeht". Und die Menschen brauchen drittens Seelsorger, die mit ihnen durch Dick und Dünn gehen, die zuhören und Trost spenden können und die - nicht zu vergessen - auch noch Zeit "auf ein Bierchen" haben. Oder?! Du und Euer ganzes Team bei "imprimatur", Ihr seid ja bestens über die Persönlichkeits-Diagnosen des Priesternachwuchses der letzten Jahre informiert. Wenn es stimmt, dass die meisten dieser Jungens nicht mehr so belastbar sind, wie das die Generationen vor ihnen waren (aus vielen einleuchtenden Gründen), muss man ein weiteres großes Fragezeichen hinter diesen "Reform"-Kurs setzen. Wer auf Kosten anderer "reformiert" ohne dabei eigene Positionen (Nichtzulassung verheirateter Männer zum Priestertum!) zu überprüfen, muss sich fragen lassen, ob ihm das Wohl der Menschen in den Gemeinden wirklich am Herzen liegt! Ich wiederhole: ich habe ganz, ganz große Zweifel! Sei mir nicht böse, aber irgendwie erinnert mich diese ganze Geschichte an den irgendwie sehr zynischen Witz vom Irren, der immer wieder mit dem Kopf gegen die Betonwand rennt. Gefragt, warum er das macht, antwortet er: weil es so ein schönes Gefühl ist, wenn der Schmerz nachlässt! Sind wir echt schon so weit gekommen?
Ich glaube, es war in einer der "imprimatur"-Ausgaben der letzten Jahre, in der der ehemalige Generalobere der Karmeliter schilderte, welch "unmenschliche Lasten" die zuständigen vatikanischen Behörden den beschaulichen Frauenorden aufbürden - Regeln, von denen man meinen könnte, sie seien von ihren männlichen Autoren aus mittelalterlichen "Folter-Katalogen" abgeschrieben worden. Wann wird sich eine unabhängige Untersuchungskommission dieses Falles annehmen?
Herzlichst, Dein Horst Hohmann, Brasilien
(Horst Hohmann ist kirchlich engagierter Journalist. Im Ruhestand. Vor fünf Jahren mit seiner Familie von München nach Curititiba/Südbrasilien umgezogen - aber irgendwie doch in der ganzen Welt zuhause. Katholisch im besten Sinne des Wortes.)
(wird fortgesetzt)
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