Wir sind Kirche zum 5. Jahrestag der Wahl von Papst Benedikt
„Jetzt ist die Zeit für längst überfällige Reformen“


Die Internationale Bewegung Wir sind Kirche ruft alle Gläubigen auf, den Offenen Brief von Hans Küng an die Bischöfe in aller Welt zu unterstützen.

Die Internationale Bewegung Wir sind Kirche bedauert, dass der fünfte Jahrestag der Wahl von Papst Benedikt XVI. belastet ist mit der tiefsten Krise unserer Kirche seit der Reformation angesichts der weltweiten Missbrauchsskandale und ihrer jahrzehntelangen Vertuschung.

„Nicht in der wachsenden Säkularisierung, sondern in der Unfähigkeit des Papsttums, die ‚Zeichen der Zeit’ zu lesen, liegen die Ursachen für die tiefe Krise unserer Kirche“, erklärt Raquel Mallavibarrena aus Madrid/Spanien, derzeitige Vorsitzende der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche. „Die vielen Fälle sexualisierter Gewalt und ihre Verschleierung sind zurück zu führen auf die inhumane Auffassung von Sexualität und auf überholte patriarchale Machtstrukturen. Die weltweite Krise macht deutlich, dass die klerikal-hierarchische Kirchenstruktur nicht mehr länger als Grundlage der institutionellen Verfassung der Kirche und ihrer Autorität dienen kann.“

Wir sind Kirche würdigt die gegenwärtigen Bemühungen des Papstes zur Bekämpfung der Pädophilie in der Kirche. Die Tragödie Benedikts ist, dass er zu spät und zu zögerlich mit der schonungslosen Aufdeckung und Aufarbeitung der Skandale begonnen hat und dass er von der römischen Kurie sowie von zahlreichen Kardinälen und Bischöfen nicht hinreichend unterstützt wird. Benedikt muss jetzt die Früchte ernten, die er gesät hat. Als Präfekt der Glaubenskongregation forderte er 2001 alle Bischöfe dazu auf, sexuelle Straftaten gegen Minderjährige von Mitgliedern der Kirche möglichst geheim zu halten und allein die Kongregation darüber zu informieren.
Joseph Ratzinger, der seit fast drei Jahrzehnten die Verantwortung für die offizielle Gestalt der Glaubenslehre trägt, ist letztlich auch dafür verantwortlich, dass die Kirche in vielen Bereichen daran gescheitert ist, den Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Immer wieder nahm er die Anliegen, die ihm von Bischöfen, von Theologen und von vielen „Laien“ aus der ganzen Welt vorgelegt wurden, nicht ernst genug. Besonders der Theologie der Befreiung trat er mit Feindseligkeit entgegen. Die ersten fünf Jahre seines Pontifikats enthüllen mehr und mehr die grundlegende Schwäche des ganzen Systems der römisch-katholischen Kirche - ihre hierarchische Verfassung, ihre „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ von Priestern und „Laien“ sowie den römischen Zentralismus, der den Ortskirchen kaum eine Eigenverantwortung zugesteht.

Der deutliche Widerstand gegen alle Kriegshandlungen, wie ihn Johannes Paul II. prägte, wurde von Benedikt aufgegeben. Er begegnete dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, der für den völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak verantwortlich war, mit großer Freundlichkeit. Benedikt sollte zurückkehren zu einem energischen Widerstand gegen alle Staatsmänner, die im Krieg noch ein legitimes Mittel für die Auseinandersetzungen zwischen Völkern sehen. Er sollte sich deutlich für eine weltweite Abrüstung und gegen allen Waffenhandel aussprechen.

„Die unabgestimmte, das Prinzip der Kollegialität missachtende Entscheidung des Papstes, die Exkommunikation der vier Bischöfe der Piusbruderschaft aufzuheben, wurde als klares Zeichen der Relativierung des Zweiten Vatikanischen Konzils gedeutet und hat die Kirche bis heute weltweit erschüttert“, erklärt Pedro Freitas von Nos Somos Igreja in Portugal, der künftige Vorsitzende der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche. „Die extreme Zentralisierung der Macht und eine totale Missachtung des Grundsatzes der Subsidiarität in der Kirche, die die bisherige Amtszeit von Benedikt geprägt haben, haben alarmierende Konsequenzen. Sie sind wesentlich verantwortlich für die zunehmenden pastoralen Herausforderungen, mit denen die Ortskirchen zu kämpfen haben: die immer weiter zurückgehende Zahl von Berufungen für das traditionelle Priestertum und die Abwanderung des Kirchenvolkes.“

Die Internationale Bewegung Wir sind Kirche unterstützt nachdrücklich den offenen Brief von Hans Küng, der die Bischöfe auffordert, sich für Reformen einzusetzen. Wir sind Kirche ruft alle Gläubigen auf, mit Emails und Briefen an ihre Bischöfe und Nuntiaturen diesen offenen Brief von Hans Küng zu unterstützen. Die gegenwärtige Krise und die unzulänglichen Reaktionen der Kirchenleitung zeigen, wie dringlich die Strukturreformen im Geistes des Zweiten Vatikanischen Konzils sind, für die sich auch „Wir sind Kirche“ seit 15 Jahren einsetzt und die nicht mehr aufgeschoben werden dürfen. Jetzt ist die Zeit, diese Reformen anzugehen:

  1. Das Kirchenvolk muss an den Entscheidungen auf allen Ebenen unserer Kirche beteiligt werden, damit neue Wege beschritten werden, den pastoralen Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden zu können. Die Gläubigen sollten ein Mitspracherecht bei der Ernennung ihrer Bischöfen haben; ansonsten wird Rom weiterhin Bischöfe einsetzen, die sich mehr für die Institution einsetzen als für das Kirchenvolk.
  2. Die Frauenfeindlichkeit der Kirche muss beendet werden. Frauen müssen zu allen kirchlichen Ämtern, die zu Ämtern des Dienstes und nicht der Macht umgestaltet werden müssen, zugelassen werden.
  3. Die Zölibatsverpflichtung muss aufgehoben werden. Auch für Kleriker sollte die eheliche Liebe nicht länger ein Tabu sein.
  4. Die Ergebnisse der Humanwissenschaften zur Sexualmoral sollten endlich anerkannt werden. Der Primat des informierten Gewissens jedes einzelnen muss respektiert werden.

Das Evangelium sollte verkündet werden als Einladung für ein Leben in Fülle und nicht benützt werden zur Disziplinierung von Menschen durch Einschüchterung.

Die immer lauter werdende weltweite Kritik an seinem Pontifikat sollte Papst ?enedikt als Ausdruck der tiefen Besorgnis der Gläubigen um das Wohlergehen der ganzen Kirche verstehen. Denn sogar das Kirchenrecht sagt in Can. 212: „Den Gläubigen ist es unbenommen, ihre Anliegen, insbesondere die geistlichen, und ihre Wünsche den Hirten der Kirche zu eröffnen.“ (§ 2). „Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.“(§ 3).

Hintergrund:
Die 1996 in Rom gegründete Internationale Bewegung Wir sind Kirche ist in mehr als zwanzig Ländern auf allen Kontinenten vertreten und weltweit mit gleichgesinnten Reformgruppen vernetzt. Wir sind Kirche ist eine internationale Bewegung innerhalb der römisch-katholischen Kirche und setzt sich ein für eine Erneuerung auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Wir sind Kirche entstand 1995 in Österreich aus dem KirchenVolksBegehren, das nach dem Missbrauchskandal des damaligen Wiener Kardinals Hans-Hermann Groer durchgeführt wurde.

aus der TAZ vom 22.03.2010


© imprimatur Juli 2010
Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und schon hat uns Ihre Post erreicht.

Zuerst Ihre Adresse (wir nehmen keine anonyme Post an!!):
Name:

Straße:

PLZ/Ort:

E-Mail-Adresse:

So und jetzt können Sie endlich Ihre Meinung loswerden: