Als das Zölibat zur Debatte stand
"Eine Überprüfung kann stattfinden"

Namhafte Theologen stellten vor 40 Jahren den Zölibat zur Debatte - zu ihnen gehörte Joseph Ratzinger, aber auch der wohl einflussreichste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts, Karl Rahner. Die „Frankfurter Rundschau“ dokumentiert eine gekürzte Fassung aus dem gerade erschienenen Band der Werke Rahners.

Die Fragestellung der hier gemeinten Überprüfung geht dahin, ob die bisherige Weise, in der die priesterliche Existenz realisiert wird, in der lateinischen Kirche die einzige Lebensform sein könne und bleiben müsse. Die öfter vorgetragenen Einwände gegen eine solche Überprüfung sind bekannt: Es könne konkret nur eine Form des priesterlichen Lebens geben; im Falle der Zulassung anderer Lebensformen sei zu erwarten, dass der ehelose Priester aussterben würde. Wir verkennen diese Gründe nicht. Wer aber von vornherein deswegen eine solche Klärung für überflüssig hält, scheint uns wenig Glauben an die Kraft dieser Empfehlung des Evangeliums und an die Gnade Gottes zu haben, von der er dann an anderer Stelle wieder behauptet, sie - also nicht das bloße "Gesetz" - wirke diese Gnadengabe Christi.

Eine solche Überprüfung kann stattfinden. Es ist theologisch einfach nicht richtig, dass man in neuen geschichtlichen und gesellschaftlichen Situationen etwas nicht überprüfen und in diesem Sinne "diskutieren" könne, was einerseits ein menschliches Gesetz (Gebot der Ehelosigkeit) in der Kirche ist und was als eine anerkannte Wirklichkeit in den Ostkirchen als reale Übung besteht. Wenn gesagt würde, der oberste Hirte der Kirche verbiete eine solche "Diskussion" und er habe dafür mindestens psychologisch sehr gute und darum auch schwerwiegende Gründe (weil nämlich eine weitere Diskussion den faktischen Willen zum Zölibat in der Kirche untergrabe), so ist zu dieser Argumentation mindestens folgendes zu sagen: Die Bischöfe sind keine Beamten des Papstes oder lediglich Exekutoren des päpstlichen Willens, sondern als Kollegium selbst Träger höchster Entscheidungsgewalt in der Kirche. Als solches Kollegium sind sie auch mindestens anzuhörende Ratgeber des Papstes, selbst wenn ein solcher Rat ungern gehört würde. Wenn schon ein einfacher Untergebener Recht und Pflicht hat, sich zu fragen, ob er dem ihm Übergeordneten nicht in wichtigen Dingen ungefragt Bedenken und Warnungen vortragen dürfe und müsse, um wie viel mehr gilt dies auch für die Bischöfe in der katholischen Kirche, auch gegenüber dem Papst.

Solche Erwägungen im Sinne einer Überprüfung müssen angestellt werden. Es ist nicht wahr, dass in dieser Frage alles klar bzw. sicher sei und dass man nur mit Gottvertrauen und Mut an dem Bisherigen festhalten müsse. Es ist auch nicht so, dass das ganze Problem des Priestermangels im Zusammenhang dieser Überlegungen keine Rolle zu spielen habe. (...) Wenn ohne Modifizierung der Zölibatsgesetzgebung ein genügend großer Priesternachwuchs nicht zu gewinnen ist - und diese Frage ist auch für unser Land immer noch bedrohlich offen -, dann hat die Kirche einfach die Pflicht, eine gewisse Modifizierung vorzunehmen. Die Überzeugung, dass Gott auf jeden Fall genügend ehelose Priester durch seine Gnade zu allen Zeiten erwirken werde, ist eine gute und fromme Hoffnung, theologisch aber unbeweisbar, und kann in diesen Überlegungen nicht der einzige, ausschlaggebende Gesichtspunkt bleiben. (...)

Wir müssen auch - soweit wir unsere Theologiestudenten kennen - gestehen, sehr oft den Eindruck zu haben, dass die jetzige Regelung bei uns in einem nicht unerheblichen Ausmaß nicht bloß zu einer Schrumpfung der Zahl der Priesteramtskandidaten, sondern auch zu einer Senkung der Begabung, damit faktisch der Anforderungen und auch der Einsatzfähigkeit der künftig noch zur Verfügung stehenden Priester führt. Diejenigen, die ihrem Bischof versichern, sie hätten hinsichtlich der Übernahme des Zölibats keine Schwierigkeiten, haben dadurch noch längst nicht bewiesen, dass sie für die Weihe geeignet sind. Dabei bleibt auch die Frage noch offen, wie weit solche Erklärungen wirklich ohne innere Vorbehalte gegeben werden und von den Bischöfen ernst genommen werden können. Die wirkliche Lage ist in den meisten Konvikten und Seminaren höchst alarmierend.

(...) Das Problem ist auch von der Realisierbarkeit des ehelosen Lebens des heutigen jungen Priesters her zu bedenken (vgl. z.B. die Frage der häuslichen Versorgung - "Haushälterin"; die zunehmende Vereinsamung und der Verlust echter "Anerkennung" bei vielen Priestern inmitten vieler Gemeinden; die Unsicherheit des Priesterbildes; die Entscheidungsschwäche und psychische Labilität vieler junger Menschen, heute auch derer, die Priester werden wollen; die großen Schwierigkeiten für den durchschnittlichen Menschen, in der heutigen sexuell überreizten Gesellschaft ein "gesundes" eheloses Leben führen zu können usw.).

(...) Wir haben den deutschen Bischöfen keine Vorschriften zu machen. Wir haben aber das Recht und die Pflicht, in dieser notvollen Situation den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz auf Grund unseres Amtes als Theologen und unseres Auftrags als Konsultoren in aller Ehrfurcht vor ihrem hohen und verantwortungsvollen Amt zu sagen, dass sie in der Zölibatsfrage eine neue Initiative ergreifen müssen und weder durch die bisherige Praxis der Kirche noch durch die Erklärungen des Papstes allein sich davon dispensiert halten dürfen.

Das Memorandum

(Vor fast genau 40 Jahren, am 9. Februar 1970, wandten sich neun führende Theologieprofessoren in einem vertraulichen Memorandum an den Episkopat. Sie fordern eine Intervention der Bischöfe beim damaligen Papst Paul VI.

Das Ziel der Professoren: Sie schlugen vor, das Zölibatsgesetz ergebnisoffen zu überprüfen. Das ehelose Priestertum sei eine "echte und reale Möglichkeit", sie wollten das Zölibat "in keiner Weise" bekämpfen. Dennoch lassen sie es als Ziel erkennen, das Priesteramt für Verheiratete zu öffnen.

Joseph Ratzinger, der heutige Papst, gehört zu den Unterzeichnern, ebenso der Jesuit Karl Rahner, der wohl einflussreichste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts.

Die FR dokumentiert eine gekürzte Fassung aus dem gerade erschienenen Band 20, der "Sämtliche Werke" Rahners (Priesterliche Existenz. Beiträge zum Amt in der Kirche) mit freundlicher Genehmigung des Herder-Verlags, Freiburg. (jf))


© imprimatur Juli 2010
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