Reinhard
Olma
„Damit Ihr Hoffnung habt.“
Eindrücke vom 2. Ökumenischen Kirchentag
vom 12. bis 16. Mai 2010 in München
- Die christliche Botschaft bringt auch in Deutschland noch Menschen in Bewegung.
Bereits bei der Anreise zu den Zentren des Kirchentags war die große
Zahl selbstbewusster, fröhlicher Menschen mit den Schlüsselbändern
und Schals mit dem Kirchentagsmotto beeindruckend und wohltuend. Es gibt in
Deutschland also 150.000 Menschen, denen auch heute die Botschaft von Jesus
Christus wichtig ist, die dafür Zeit, Wege, Kosten und Engagement in
Kauf nehmen und die ihre Botschaften und Überzeugungen anderen mitteilen,
besser: mit anderen teilen wollen.
- Im Fokus: Die eigene Spiritualität.
Die Angebote für die Stärkung und den Ausdruck der eigenen Spiritualität
oder der Spiritualität der Gruppen standen im Vordergrund des Besucherinteresses.
Das Suchen nach dem persönlichen spirituellen Weg war besonders augenfällig
und korrespondierte mit Misstrauen gegenüber den Angeboten der Amtskirchen
und den Defiziten, die diese offensichtlich inzwischen haben.
- Diakonische und soziale Themen waren weniger beachtet.
Wenn man die Sorge um das eigene Seelenheil selbst in die Hand nehmen muss,
weil man es den Kirchen nicht mehr anvertrauen kann oder will, bleibt weniger
Zeit, sich um andere zu kümmern. So hätte man vielen Veranstaltungen
zu sozialen Fragen und zur dritten Welt mehr Zuspruch gewünscht.
- Ein Kirchentag der mündigen Christen
Das Selbstbewusstsein der Besucher, „Wir sind die Kirche“, war
überall zu spüren. Die Fragen, Kritiken und Forderungen wurden auf
den Punkt gebracht und weder Bischöfe, Pfarrer noch Theologen geschont.
Oder sie wurden einfach ignoriert und ihnen wurde nicht zugehört.
Relativ neu war der offene Aufruf zum „Ungehorsam“, zum bewussten
und zielgerichteten Verstoß gegen überfällige „Kirchengebote“
und Machtmissbrauch der Kirchenoberen.
Die Aufrufe zur kontinuierlichen Praxis „Abendmahlsgemeinschaft jetzt“,
zur Übernahme von Führungsverantwortung durch Laien in den Gemeinden,
zum zivilen Ungehorsam, zum befristeten Kirchenaustritt aus der „Körperschaft
des öffentlichen Rechts“ fanden breite Zustimmung. Hier konnte
man richtig Kraft und Mut tanken und die gut tuende Partnerschaft Gleichgesinnter
erleben. Die unmittelbar vor uns liegende Zeit wird besonders spannend.
- Die katholische Kirche in der tiefsten Krise seit dem Konzil
Obwohl Präsidium des Kirchentages und evangelische Amtskirche in anbiedernder
Weise auf alle Wünsche des traditionellen bis reaktionären Flügels
der Papstkirche eingegangen waren und die brennendsten ökumenischen Fragen
der Kirchentagsbesucher im offiziellen Programm kaum vorkamen, waren die Auftritte
der katholischen Amtsträger von Angst, seelischem Zwiespalt und Unsicherheit
geprägt.
Wenn der ansonsten eher kämpferische Erzbischof Marx bei einem Diskussionsforum
einräumte, „durchaus auch Christen auf deren Weg zu den Quellen
des Glaubens im Wege zu stehen“, dann kann man ihm zu dieser Einsicht
nur gratulieren; gleichzeitig ist sie aber ein Indiz für die derzeitige
Verunsicherung.
Dabei waren die schlimmen Vorfälle des sexuellen Missbrauchs Abhängiger
wichtiger, aber nicht dominierender Schwerpunkt der Kritik der Kirchentagsbesucher.
Mit besonderem Unverständnis reagierten die Christen auf den sowohl heimlichen
als auch öffentlichen Bruch der Konzilsbeschlüsse, der sich im derzeitigen
Papst personifiziert.
- Und die Ökumene?
Beachtlich, was auf der Agora an ökumenischen Projekten mit Engagement
und Begeisterung präsentiert wurde. Die Gruppen, Bewegungen, Paten- und
Partnerschaften überall im Land zeigen, dass der ökumenische Geist
in Deutschland lebt.
Das Präsidium des Kirchentags selbst hat das Thema Ökumene eher
handwarm verabreicht und kaum Akzente gesetzt. Auch das kam in den Foren und
Diskussionen zur Sprache.
Der katholischen Hierarchie wurde besonders der „Vereinnahmungsökumenismus“
(alle Christen unter das Dach der einzigen wahren Kirche) vorgehalten. Aber
auch der evangelischen Amtskirche scheint das vielfach gar nicht so unangenehm
zu sein, gibt es doch Raum für das Betonen der Unterschiede und der Eigenständigkeit.
Auch hier sind die Ängste um die Erhaltung der Ämter und der Macht
stärker ausgeprägt als früher. Natürlich wirkt das Argument
schwer, dass man mit einem Gegenüber, der einem den Kirchenstatus abspricht
– wie das Benedikt XVI. getan hat - in der Ökumene nicht weiter
kommen kann. Man kann sich dahinter aber auch ganz gut verstecken, wenn man
den Status quo beibehalten möchte.
- Zentrale Forderung: Abendmahlsgemeinschaft
Was Christen beim 1. Ökumenischen Kirchentag vor sieben Jahren bei der
gemeinsamen Abendmahlsfeier in der
evangelischen Gethsemaneh-Kirche in Berlin und einem zweiten Termin erlebten,
war für die unmittelbaren Teilnehmer Höhepunkt und Zentrum des damaligen
Kirchentags. Für viele war es das ergreifendste, spirituellste Erlebnis
ihres bisherigen Lebens überhaupt.
Auch beim 2. ÖKT fanden die wichtigsten ökumenischen Bekenntnisse
außerhalb des offiziellen Programms statt. Für uns waren das der
Abendmahlsgottesdienst am Samstagabend im völlig überfüllten
Hörsaal der TU München und die Menschenkette für das gemeinsame
Mahl, ebenfalls am Samstag. Die Forderung, endlich Jesu Einladung an alle
Menschen zur Mahlgemeinschaft auch heute wahr zu machen, war dort, aber auch
in ungezählten anderen Gesprächen und Diskussionen so vehement,
dass ein Dammbruch immer wahrscheinlicher wird.
Wir haben Prof. Dr. Gotthold Hasenhüttl und Pfarrer Eberhard Braun persönlich
gedankt, dass sie trotz erlittener Diskreditierung und Herabwürdigung
den Mut aufgebracht haben, den ergreifenden Gottesdienst nach dem Lima-Ritus
am Samstagabend zu feiern und sich von möglichen Folgen nicht abhalten
ließen. Beide sagten, sie hätten nach dem Erlebnis vor sieben Jahren
nicht anders handeln können.
Auch ohne diese Erlebnisse außerhalb seines Programms wäre der
2. Ökumenische Kirchentag für uns eindrucksvoll gewesen –
die Erfahrung und Erkenntnis, dass es zum Leben als ökumenische Christen
für uns keine Alternative gibt, wurde außerhalb des offiziellen
Programms gewonnen.
Ohne Abendmahlsgemeinschaft darf und wird es keinen ökumenischen Kirchentag
mehr geben. Für uns wird es ohne Abendmahlsgemeinschaft keinen Kirchentag
mehr geben.
© imprimatur Oktober 2010
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