Es kann nicht nur am Wetter gelegen haben, dass der 2. Ökumenische Kirchentag (ÖKT) nicht die Hoffnung und Aufbruchstimmung verbreitet hat, die das für die derzeitige Situation eigentlich so passende Leitwort „Damit Ihr Hoffnung habt“ versprochen hat. Warum haben die aktuellen Krisen in Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft nicht die Rolle gespielt, die ein Treffen so vieler christlich motivierter und engagierter Menschen hatte erwarten lassen? Das Programm hätte vor sieben Jahren beim 1. ÖKT, fand so mancher, das gleiche sein können. Zu sehr ist auch dieser Kirchentag im „Weiter so“ gefangen geblieben, hat auch diesmal wieder als „Laufsteg für Politiker“ gedient. Der vom früheren Bundespräsidenten Roman Herzog bereits 1997 (!) angemahnte Ruck, den Kirche, Gesellschaft und Politik gleichermaßen so dringend nötig haben, war – von Ausnahmen abgesehen – nicht zu spüren. Aber der Wille zur Subversivität im Kirchenvolk ist deutlich stärker geworden ist.
Mühsame Vorbereitungen
Bis März 2006 hatte es gedauert, bis sich die zuständigen Gremien auf Ort und Zeit des 2. ÖKT einigen konnten, den kirchliche Reformgruppen schon während des 1. ÖKT 2003 in Berlin gefordert hatten. Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche, die beim 1. ÖKT sogar im Präsidium vertreten war, hat sich dann sehr frühzeitig um die Mitwirkung beim 2. ÖKT beworben. Doch erst nach langem, intensivem Drängen erhielt Wir sind Kirche einen Nachrückerplatz in einer der 60 Kommissionen, allerdings – Prinzip Radio Eriwan – in einer, die nichts mit den ureigenen Themen der KirchenVolksBewegung zu tun hatte. Auch andere Reformgruppen wie das ökumenische Netzwerk Initiative Kirche von unten, die Leserinitiative Publik sowie das evangelische Netzwerk Kirchenreform kritisieren zu Recht, dass Initiativen und Reformgruppen zu wenig an der Vorbereitung des Kirchentages beteiligt wurden und das Programm diesmal noch obrigkeitskirchlicher organisiert wurde. Und über eine ganz eigene Konfliktgeschichte mit der Kirchentagsleitung könnte das sozialpolitische Netzwerk ÖKT 2010 berichten, das den (von Wir sind Kirche mitunterzeichneten) Aufruf „Fair Teilen statt Sozial Spalten“ formulierte und in München mit dem Symbol des Kamels auftrat.
Während die Veranstalter in der Öffentlichkeit die große Zahl eingereichter Programmvorschläge als Erfolg herausstellten, versandten sie zur gleichen Zeit gerade an besonders engagierte Gruppen und Initiativen Absagen zuhauf mit der Begründung, dass „aufgrund der Vielzahl der Bewerbungen jede antragstellende Institution nur einmal berücksichtigt werden konnte“. Mit der gleichen Begründung wurde lange Zeit auch der von Wir sind Kirche in enger Abstimmung mit Prof. Hans Küng konzipierte „Spirituelle Dialog“ abgelehnt. Erst sehr spät nach direkter Intervention von Prof. Küng und unmittelbar vor einem Gespräch von Wir sind Kirche mit der ÖKT-Spitze wurde diese Veranstaltung ins Programm aufgenommen. Was dann zur Folge hatte, dass für diese Veranstaltung keine ausreichend große Halle mehr verfügbar war.
Entscheider im Hintergrund
Sicher, es ist eine nicht zu unterschätzende Leistung, ein nationales Fünf-Tage-Ereignis mit rund 3.000 Einzelveranstaltungen inhaltlich und organisatorisch gut vorzubereiten. Aber rechtfertigte dies das „Durchregieren“ des hauptamtlichen Stabes und des sogenannten Gemeinsamen Vorstands? Wer hat überhaupt entschieden, was ins Programm kam und was nicht? In allen offiziellen Publikationen hieß es, der 2.ÖKT würde vom Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) organisiert. Der ÖKT sei somit eine Veranstaltung der evangelischen und katholischen Laienorganisationen in Deutschland, nicht der evangelischen und der katholischen Kirche. Doch dem Gemeinsamen Vorstand, der das Programm letztendlich verantwortete, gehörten auch der Münchner Erzbischof Dr. Reinhard Marx und der bayerische Landesbischof Dr. Johannes Friedrich an. Die Bischöfe haben sich also keineswegs nur mit der nach außen propagierten Gastgeberrolle abgefunden, sondern an entscheidender Stelle das Programm mitgestaltet oder gar kontrolliert. So war zum Beispiel Prof. Hasenhüttl – von Marx als damaligem Trierer Bischof abgestraft, weil er 2003 in der Berliner Gethsemanekirche als katholischer Priester evangelische ChristInnen zur Kommunion eingeladen hatte – nicht einmal als Podiumsteilnehmer möglich, „wegen Marx“.
Das nur selten zusammengerufene Gemeinsame Präsidium des ÖKT diente vor allem dem Abnicken fertig ausgearbeiteter Konzepte. Das fing schon mit dem Leitwort an. Es soll auch peinliche Versuche aus dem Münchner Ordinariat gegeben haben, die katholischen Mitglieder in den Projektkommissionen gleichzuschalten. Eine ängstliche Selbstzensur, die so gar nicht zum Wahlspruch des gastgebenden Erzbischofs passt, der da lautet: „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“. Die Reformgruppen wurden diesmal mit besonders spitzen Fingern angefasst. Wegen ihrer Beteiligung, so hört man im Nachhinein, soll es sogar Anfragen aus dem Vatikan gegeben haben. Die Kontrolle in München scheint sich gelohnt zu haben, denn so wie es bisher aussieht, ist der Kardinalshut von Erzbischof Marx nicht in Gefahr.
Reformer im Aufwind
Wir sind Kirche war es von Anfang an wichtig, dass der 2. ÖKT nicht nur auf das gemeinsame Engagement in der Gesellschaft beschränkt, sondern auch die konkrete Ökumene gerade mit den Kirchen der Reformation spürbar voranbringen würde. Mit dem Podium „Menschendienst ist Gottesdienst“ thematisierte Wir sind Kirche den unverzichtbaren Zusammenhang von Diakonie und Liturgie. Die sehr pointierte Einführung hielt der katholische Sozialethiker Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, der kompetent und argumentationsstark an vielen Stellen dieses Kirchentags einen Gegenpol zur inzwischen eher weichgespülten Soziallehre beider Großkirchen bildete. Die Wir sind Kirche-Veranstaltung „Wider die Resignation in der Ökumene“ zeigte das Drängen der Konzilsgeneration nach weiteren Schritten in der Ökumene, machte aber auch deutlich, wie für die Jugend heute die Konfessionsgrenzen immer unwichtiger werden. Auch an anderen Veranstaltungen z.B. zum Platz der Frauen in der Kirche, zur Ökumenischen Ekklesiologie, zur sexualisierten Gewalt hinter Kirchenmauern und zum Thema „Kirche ohne Pfarrer?“ war Wir sind Kirche beteiligt.
Der „Abend der Begegnung“ war für Wir sind Kirche ein grandioser Auftakt, als die Bio-Brezen weggingen wie warme Semmeln und schon ein Großteil der mehr als 30.000 gelb-lila Programme reißenden Absatz fand. Der Hammelburger Initiative „Kirche in Bewegung“, die als Gast am Stand Unterschriften gegen den Pflichtzölibat sammelte, gingen die Listen aus. Der große Wir sind Kirche-Infostand mit den „Gesprächen am Jakobsbrunnen“ auf der Agora in Halle A6 des weitläufigen Messegeländes war an den drei Folgetagen nicht nur bei „Promis“ sondern zu jeder Stunde überfüllt. Dazu unzählige gute Gespräche und Begegnungen, die auch über den ÖKT hinaus der Vernetzung dienen.
Kernfrage Abendmahl
Das vom AK Ökumene der Reformgruppen vorbereitete Gedächtnismahl „Gebt ihr ihnen zu essen“ am Freitagabend in der Gottesdienstwerkstatt Maximiliankirche zeigte eine lebendige liturgische Alternative sowohl für „priesterlose“ als auch ökumenische Mahlfeiern in Anlehnung an die Brotvermehrung im Matthäus-Evangelium. Bei der Kirchentagsleitung muss die Angst vor unerlaubten ökumenischen Handlungen sehr groß gewesen sein, denn dieser Gottesdienst wurde erst nach langen Verhandlungen genehmigt; und alle Werkstattgottesdienste des ÖKT mussten versichern, dass keine eucharistischen Einsetzungsworte gesprochen würden. Die von Wir sind Kirche organisierte Menschenkette, bei der am Samstagabend – kurz vor den konfessionellen Gottesdiensten, auf denen die römisch-katholische Seite bestanden hatte – mehrere Tausend Menschen die beiden Bischofskirchen verbanden, und die vieltausendfach verteilten orange Bänder mit der Aufschrift „Gemeinsame Mahlfeier“ waren der sichtbarste Ausdruck für die ökumenische Ungeduld, wie auch Publik-Forum schrieb.
So sehr die Kirchenleitungen es immer wieder klein reden wollen, die Abendmahlsfrage bleibt auf dem Tisch. Davon konnte auch die auf 1000 Tischen medial inszenierte orthodoxe Brotsegnungsfeier „Artoklasia“ nicht ablenken, theologisch ist sie sogar ein Rückschritt. So löblich die Einbeziehung der Orthodoxen in diesen ÖKT auch sein mag, die Ökumene zwischen den beiden Großkirchen wird dadurch auf Dauer ganz sicher nicht einfacher. Aber zumindest haben die Kirchenleitungen gemerkt, dass sie das Kirchenvolk nicht mehr nur mit ökumenischen Wortgottesdiensten abspeisen können. Ökumene muss mehr sein als nur friedliche Koexistenz der Konfessionen. Gerade die Trennung am Tisch des Herrn schadet der Glaubwürdigkeit der Kirchen und ist für viele Menschen schon lange nicht mehr nachvollziehbar.
Eine Provokation besonderer Art war der katholische Bischofsgottesdienst am Sonntagmorgen vor dem ökumenischen Abschlussgottesdienst. Dies war ein klarer Verstoß gegen die interne Abmachung, nicht gegenüber den Regelungen von Berlin 2003 zurückzufallen, gegen den der evangelische Landesbischof Dr. Friedrich und die evangelische Seite nicht einmal protestiert haben. Das ist eine falsch verstandene ökumenische Sensibilität und ein Harmoniebedürfnis, das nicht weiter bringt. Und es besteht die Gefahr, dass die katholische Kirche mit Verweis auf Rom immer wieder die Partnerkirchen über den Verhandlungstisch zieht. Haben die Bischöfe und Bremser der Ökumene nicht den bemerkenswerten Artikel „Viel Zeit bleibt nicht.“ der evangelischen ÖKT-Generalsekretärin Ellen Ueberschär gelesen, in dem sie die großen und kleinen Kirchen auffordert, in der Ökumene endlich konkret zu werden? Denn sonst würden sie Gefahr laufen, von der Entwicklung überrollt und marginalisiert zu werden. Nicht die Ökumene des eigenen Profils, sondern nur eine Ökumene des gemeinsamen Profils kann dieser Gefahr vorbeugen, so Ueberschär. (Zeitzeichen – Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft“, Januar 2010)
Viele Podien – wenig Kontroversen – keine Visionen
Während die Erwartungen des „ersten Mals“ den Berliner ÖKT
noch zu einem vielbeachteten Ereignis machten, konnte der Münchner ÖKT
nach ohnehin sieben mageren Jahren in der Ökumene keine Visionen und nicht
einmal weiterführende Kontroversen bieten. Die insgesamt deutlich geringeren
Teilnehmendenzahlen zeigten auch keinen quantitativen „Mehrwert“,
sondern entsprachen ziemlich genau der Summe eines üblichen evangelischen
Kirchentages und eines Katholikentages.
Die räumliche Trennung zwischen Messegelände, Innenstadtkirchen und
dem Olympiapark für die Jugend sowie die an verschiedenen Orten untergebrachten
Zentren haben diesen ÖKT zu einer Ansammlung vieler kleiner Kirchentage
gemacht. So blieb alles auch inhaltlich schön separiert, denn wirklich
kontroverse Diskussionen gab es nicht und auf den großen Podien fehlten
die Positionen von Reformgruppen. Mit der Resonanz auf ihre zahlreichen eigenen
Angebote konnten die Reformgruppen allerdings mehr als zufrieden sein. Die Veranstaltungen
im regulären ÖKT-Programm und die, weil von der Kirchentagsleitung
abgelehnt, in eigener Regie durchgeführten Veranstaltungen ergaben zusammen
einen „ÖKT von unten“, auf dem auch Personen wie Prof. Gotthold
Hasenhüttl auftreten konnten. So zum Beispiel auf der Abschlussveranstaltung.
„Ökumene light? Was beim Kirchentag nicht auf der Agenda steht“, auf der Friedhelm Hengsbach deutlich das Schisma zwischen der Kirchenleitung und dem, was die Christen an der Basis wollen, benannte und zum Widerstand aufrief. Im Anschluss feierte dann, ebenfalls in der Technischen Hochschule und außerhalb des regulären ÖKT-Programms, Gotthold Hasenhüttl, gemeinsam mit dem pensionierten evangelischen Pastor Eberhard Braun und 400 Gläubigen einen eindrucksvollen ökumenischen Abendmahlsgottesdienst nach der Lima-Liturgie. Dem Religionsphilosoph und Publizisten Roland Ropers ist es zu verdanken, dass dies in letzter Minute doch noch möglich wurde.
Gegen die Resignation
Die Ermahnungen, Vertröstungen und Geduldsappelle der Kirchenleitungen, von den den ÖKT tragenden Laienorganisationen ZdK und DEKT bisher leider zu unkritisch übernommen, sind theologisch fragwürdig und enttäuschen das Kirchenvolk immer mehr. Umso dringlicher erwarten die Reformgruppen, dass sich ZdK und DEKT möglichst bald auf einen 3. ÖKT einigen, der spätestens im Lutherjahr 2017 stattfinden sollte. In der Zwischenzeit sollte es neben den bereits fest verplanten Katholikentagen und evangelischen Kirchentagen, die noch viel ökumenischer werden müssen, auch viele kleine lokale und regionale Ökumenetage geben, die von örtlichen Initiativen veranstaltet werden können. Die 2007 von der KirchenVolksBewegung formulierten sieben Thesen „Wider die Resignation in der Ökumene“ haben ihre Aktualität leider nicht verloren und zeigen konkrete Schritte auf. Auf Zustimmung bis ins ÖKT-Präsidium hinein stieß die gemeinsame Erklärung der Reformgruppen zum 2. ÖKT »Ökumene, die wir schon leben«, zu der Prof. Küng schrieb: „Es ist hocherfreulich, dass Ihre Reformbewegungen gemeinsam in der Öffentlichkeit auftreten. Ich bin voll und ganz einverstanden.“
In Zukunft sollten Kirchentage, ob ökumenisch oder konfessionell vor allem aber keine Bischofstage, sondern wieder wirkliche von den Laienorganisationen gestaltete und verantwortete Kirchenvolkstage sein, bei denen auch die Reformkräfte von Anfang an einbezogen werden. Dass die Vorbereitungsgremien des Evangelischen Kirchentags 2011 in Dresden bereits von sich aus an die Einbindung von Reformgruppen wie Wir sind Kirche gedacht haben, könnte ein Zeichen des Umdenkens und der Hoffnung sein.
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