Pfingsten - vielleicht schon der ökumenische Kirchentag in München zu Christi Himmelfahrt - markiert in diesem Jahr einen gewissen Klimawandel in der kirchlichen Verkündigung. Die Missbrauchsdebatte als Herausforderung zu ständiger Entschuldigung und als Zeichen der Buße scheint wieder in den Hintergrund zu treten, und unter dem Stichwort „Glaubwürdigkeit“ versuchen die Bischöfe, die Krise zur Chance umzudeuten. Und doch staunt der Beobachter, wie die Argumentationsketten bei nicht wenigen gestrickt sind:
Eine Rolle rückwärts scheint für sie angesagt. Die Schuldigen sind ausgemacht: Verirrte Priesterseelen in der Kirche, die nun mehr oder weniger säuberlich aussortiert werden. Sie sind nicht zuletzt irre geworden am Werteverlust der Aufklärer der 68er – eine zweite Schuldzuweisung. Die Presse hat dieses Randphänomen genutzt, um der Kirche als Ganze kritisch einen Schlag zu versetzen. Und insgesamt ist die Gesellschaft schlecht und muss neu bekehrt werden. Dazu ist es notwendig, dass die Bischöfe – so meinen sie und predigen sie – die Bastionen neu besetzen und „das Steuer in die Hand nehmen“, auch wenn die Stürme toben. Sie sammeln die Heerscharen der Treuen um sich, schwören sie verteidigend ein auf den Gegenwind, mahnen Sie, ja dabei zu bleiben und auf sie zu hören. Sie versuchen mit Anschärfen bestimmter Tabus und Verbote, die Herde rein zu halten – und vergessen, dass je höher die Tabus desto größer die Gefahr der Verdunklung und die Kultur der Unehrlichkeit. Die Kritiker werden – so Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst bei der Bonifatiuswallfahrt in Fulda – in Verdacht genommen, da sie alles nur schlecht reden und nicht mit frohem Mut auf die glänzende Kirche (Heinz Josef Algermissen, Fulda) schauen, die vor ihnen liegt. Ein „Atem der Liebe soll“…
Was soll er eigentlich? Alles zudecken, alles mit rosaroter Brille beleuchten, stabilisieren, was schon immer richtig ist und die Bischöfe mit Beifall trösten? Glaubwürdigkeit in der Kirche wird es nicht mit solchen „Rollen rückwärts“ geben, sondern dann, wenn die Bischöfe mit den Priestern ihren richtigen Platz als Hirten finden: Hirten, die sich vor ihre Herde auf ein Podium stellen und diese bepredigen, habe ich – außer in der Kirche - nicht gesehen. Drei Plätze sehe ich, die einen Aufbruch nach vorne eröffnen:
Ich sehe die Hirten an der Spitze der Herde (sicher im Ausblick auf Christus zu), wo sie nicht nur ausgetretene sondern neue Wege ausmachen und der Herde vorangehen auf gute Weide. Also nicht gegenüber der Herde, sondern an der Spitze: Wo werden wir jetzt hingehen, wenn die bisherigen Wege Irrwege waren?
Ich sehe – und wünsche mir - die Hirten als solche, die hinter der Herde hergehen, auch um die Langsamen oder Verträumten mitzunehmen und, weil sie darauf vertrauen, dass die fette Weide genug Anreiz ist für die Herde, die richtigen Wege einzuschlagen.
Ich sehe schließlich die Hirten mitten in der Herde, mal sich einem, mal dem anderen zuwendend, mit guter Nähe zu ihnen und sich ihrer Meinung und ihrer Ahnung aussetzend, in ganz engem Kontakt mit ihnen. Dieser Ort wäre vermutlich der Ort, an dem die Verantwortlichen am meisten lernen wurden für die Kirche unserer Tage: Plötzlich wären nicht abzuurteilende Kritiker, sondern echt besorgte Menschen in ihrer Nähe, aber auch solche, die visionär Fragen stellen und Wünsche äußern:
Ich bin mir sicher, dass solche Nähe der Hirten in ihrem Volk – mit oder ohne Synode – wichtiger und zukunftsweisender sind als Durchhalteparolen und der Rückzug in die Festungen früherer Jahrhunderte. Vielleicht hilft die Initiative der Bischofskonferenz ein wenig, in diese Richtung zu schreiten, vor allem wenn sie sich mit dem ganzen Gottesvolk auf den Weg macht.
Prof. Dr. Richard Hartmann hat den Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik und ist Vorsitzender der Konferenz der deutschsprachigen katholischen Pastoraltheologinnen und –theologen e. V.
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