Die Fetzen flogen, die Attacken eskalierten, und von einem Klimawandel in der Kirche ist bis jetzt nur wenig zu spüren. So wies Papst Benedikt XVI. am Palmsonntag innerkirchliche und weltliche Kritik mit dem Satz zurück, dass der Glaube an Jesus Christus einem die Stärke gebe, sich „nicht vom belanglosen Geschwätz der vorherrschenden Meinung einschüchtern zu lassen“. Am Ostersonntag dann griff Kardinaldekan Angelo Sodano diese Aussage von B16 auf, als er ihn beim weltweit im Fernsehen übertragenen Gottesdienst und Segen „Urbi et Orbi“ öffentlich gegen das „Geschwätz des Augenblicks“ verteidigte. Wieder einmal wurden die Medien pauschal verurteilt, Missstände – hier besonders den Missbrauchsskandal – hochgespielt und damit das Image der Kirche beschädigt zu haben.
Schnell bekam der Papst Unterstützung aus einschlägig bekannten Kreisen. Guido Horst schwang die publizistische Keule in einem Kommentar in „Die Tagespost“ (29.4.): „Wer seinem Ärger über die Verbrechen an Kindern Luft machen will, sollte nicht aus der katholischen Kirche, sondern aus der säkularen Gesellschaft austreten, in der ja vor allem die ungeborenen Kinder völlig schutzlos geworden sind. Doch der Mechanismus ist interessant: An die Kirche, und hier immer wieder an den Papst, wird von den säkularen Medien eine Forderung oder Erwartung herangetragen, und wenn diese Erwartung nicht erfüllt wird, erfolgt die mediale Hinrichtung...Den Medien, so scheint es, geht es derzeit nicht mehr um die objektive Berichterstattung. Man jagt lieber Papst und Kirche durch das Dorf und will damit den Erwartungen der Leser und Zuschauer entsprechen.“
Aber G. Horst prangert auch andere an: „Es wäre zu wünschen, dass zumindest katholische Nachrichtenagenturen, die sich aus Kirchensteuermitteln finanzieren, hier mehr Aufklärungsarbeit leisten würden, anstatt den ganzen Mist, der täglich über Kirche geschrieben und gesendet wird, ein zweites Mal über die Pipelines der Nachrichtenagentur zu drücken. Das Spiel, das die säkularen Medien mit der Kirche treiben, kann und darf diese nicht mehr mitspielen... Der säkularen Medienwelt wie ein Erfüllungsgehilfe und Nachrichtenbeschaffer hinterherzulaufen, das macht keinen Sinn und verunsichert vor allem die einfachen Gläubigen.“ Kirche müsse mehr „Betroffenheitsresistenz“ zeigen, schließlich sei sie zwar in dieser, aber nicht von dieser Welt.
In die gleiche Kerbe schlug der Freiburger Pastoraltheologe Hubert Windisch in einem kath.net – Kommentar (17.4.). Darin hieß es u.a.: „Wenig souverän wurde von allen Beteiligten auf die anschwellende öffentliche Hysterie reagiert. Um die Unterscheidung der Geister war man nicht mehr bemüht. Um Stil schon gar nicht... Kann man sagen: Der Mob hat gesiegt? Eine Kampagne ist an ihr Ziel gekommen? Die Bischöfe sind Getriebene, Treibjagdgetriebene.“ Forderungen nach „Abschaffung des Zölibatsgesetzes, Zulassung der Frauen zur Priesterweihe und positive Bewertung der Homosexualität“ bezeichnet er als „Reformkalauer“, die eher Zerfallsbeschleuniger als Zerfallsverhinderer des kirchlichen Systems seien: „Die Kirche soll ins Boot der Zeit, um allem und jedem Weihwasser zu geben. Der Altar sei des Thrones Untertan. Man sagt dafür gerne, die Kirche müsse modern sein bzw. endlich werden, und meint eigentlich nur die Unterwerfung der Kirche unter die Zeitläufe.“
Massiv auch die Anschuldigungen aus Regensburg. Bischof Gerhard Ludwig Müller sprach in einer Predigt von „missbrauchter Pressefreiheit“ und von einer „Diffamierungs-Lizenz, mit der man scheinbar legal all diejenigen Personen und Glaubengemeinschaften ihrer Würde beraubt, die sich dem totalitären Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus und der Diktatur des Relativismus nicht fügen“. Auf der offiziellen Website des Bistums war zudem von „krimineller Energie“ bestimmter Journalisten sowie von „antikatholischer Propaganda“ und einer „primitiven Manipulation und gezielten Volksverdummung“ die Rede.
Dem hielt der Leiter des Berliner Canisius –Kollegs, Jesuitenpater Klaus Mertes, der mit seinen Aussagen über frühere Missbrauchsfälle in dieser Schule die Lawine der Enthüllungen über Missbrauch in katholischen Einrichtungen ausgelöst hatte, (in: “Die Zeit“) entgegen, diejenigen, die sich jetzt wegen der Anklagen der Medien selbst als Opfer darstellten, diskreditierten die gesamte Kirche. Die römische Kurie sei ein „Raumschiff“, das den Bodenkontakt zu verlieren drohe. Dem Papst wünschte er, dass er „in der Kritik an der Kirche auch mehr an Liebe zur Kirche entdecken kann“. Leider sei B16 „schwerhörig“ dafür, dass Gott auch durch die säkulare Welt zur Kirche spreche.
Gegenüber dem neuen belgischen Botschafter beim „Heiligen Stuhl“ erklärte der „Heilige Vater“ Ende April, die Kirche habe das Recht, öffentlich zu Wort zu kommen. Doch der Zusatz, die Kirche respektiere die Freiheit aller, anderer Meinung zu sein, und möchte dabei auch, dass ihr Recht auf Meinungsfreiheit geachtet werde, erwies sich wieder einmal als reine Worthülse, wie z.B. die Reaktion auf kritische Anmerkungen des Wiener Kardinals Christoph Schönborn zeigte. Dieser hatte – so die Internet-Ausgabe der italienischen Zeitung „Il Giornale“ - bei einem „informellen Treffen“ mit österreichischen Medienvertretern dem früheren vatikanischen Staatssekretär Angelo Sodano vorgeworfen, während seiner Amtszeit die Ermittlungen gegen den ehemaligen Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer wegen Missbrauchs behindert und jetzt die Opfer sexuellen Missbrauchs durch sein Gerede vom „Geschwätz des Augenblicks“ beleidigt zu haben. Kurienkardinal Jose Saraiva Martins, der frühere Präfekt der Heiligsprechungs-Kongregation, übte daraufhin über die italienische Website „Pontifex“ seinerseits Kritik an Schönborns Stellungnahme. Sie sei “nicht opportun“ und erweise in der geäußerten Form „der Kirche keinen guten Dienst“, habe Schönborn doch „über die Medien“ den Eindruck einer „von Polemik zerrissenen Kirche erweckt“. Mit seinem „dermaßen gewaltsamen Angriff über die Zeitungen“ bringe Schönborn „Papst und Kirche in Schwierigkeiten. Dabei hätte er doch andere Mittel wählen können, etwa das einer „brüderlichen Zurechtweisung“. Österreichs katholische Nachrichtenagentur „kathpress“ bekam in diesem Zusammenhang zu spüren, welchen Wert man in Rom der Meinungsfreiheit in der Kirche wirklich beimisst: Weil die Agentur Schönborns Kritik an Sodano verbreitet hatte, musste sie die entsprechende Meldung „auf diskreten Rat des vatikanischen Presseamtes“ - wie von gut Informierten in Rom zu hören war - von ihrer Website entfernen. Damit nicht genug:
Am 28. Juni wollte Kardinal Schönborn in Rom – wie es nachher in einer offiziellen Mitteilung dieses vatikanischen Pressesaals hieß – „den genauen Sinn seiner jüngsten Erklärungen bezüglich einiger Aspekte der gegenwärtigen kirchlichen Disziplin erläutern“. Nach Hinzuziehung des früheren und des jetzigen vatikanischen Staatssekretärs seien „einige sehr verbreitete Missverständnisse geklärt und gelöst“ worden, die „zum Teil von einigen Aussagen des Kardinals Christoph Schönborn herrührten, der sein Bedauern über die gegebenen Interpretationen zum Ausdruck gebracht“ habe. Konkret und massiv dann der rügende Hinweis, B 16 habe daran erinnert, dass allein dem Papst die Kompetenz in der Kirche zukomme, wenn es Anklagen gegen einen Kardinal gebe: „Die anderen Instanzen können - immer mit dem geschuldeten Respekt für die Personen - eine Beratungsfunktion ausüben.“ Nur einen Tag später wurde B 16 noch deutlicher, als er in der Predigt zum Fest Peter und Paul davon sprach, die größte Gefahr für die Kirche bestehe nicht in einer Verfolgung von außen, sondern in einer „Verunreinigung“ des Glaubens und des christlichen Lebens. Diese schwäche die prophetische Kraft der Kirche und trübe ihre „Schönheit“. Rechtgläubigkeit und Freiheit der Kirche seien ohne die Gemeinschaft mit dem Papst nicht möglich. Das Papstamt garantiere die Übereinstimmung mit der Wahrheit und der authentischen Tradition. Auf diese Weise schütze es die Gläubigen vor Irrtümern in Fragen des Glaubens und der Moral. Hatte B16 Ende Juni schon wieder vergessen, was er zwei Monate zuvor erklärte? : Die Kirche respektiert die Freiheit aller, anderer Meinung zu sein, und möchte dabei auch, dass ihr Recht auf Meinungsfreiheit geachtet wird.
Die Missachtung dieses Prinzips erfuhr auch einer, für den der Papst nicht der alleinige „kompetente Anklagevertreter“ ist: Pfarrer Michael Broch. Heftige Kritik und massiven Druck bekam er zu spüren, nachdem er in einem Interview mit der „Leonberger Kreiszeitung“ (22.5.) die Meinung vertreten hatte, das System Kirche dürfe nicht von „ein paar zölibatären Männern beherrscht werden“: „Wer sind wir denn, mit einer völlig antiquierten Sexualmoral? Das Gefährliche an der katholischen Kirche ist das geschlossene System, die Männerwirtschaft. Das Priesteramt ist häufig für junge Neoklerikale interessant, die schon im Studium gerne mit dem römischen Kragen rumrennen würden... Wenn es so weitergeht, fährt Papst Benedikt die Kirche an die Wand.“ Ein Kardinal Ratzinger sei nie liberal gewesen und B16 komme „aus einer kirchlichen Bischofshierarchie heraus, deren Bunkermentalität auffällig ist“. Auf die Frage des Interviewers, ob er denn wegen dieser Äußerungen nicht „den langen Atem Roms“ fürchte, hatte Pfarrer Broch noch geantwortet, er sei doch loyal, auch wenn er motze. Und im übrigen habe er als Medienpfarrer mehr Freiheiten, denn die Bistümer Rottenburg, Freiburg und Mainz, für die er seit 1997 als Rundfunkbeauftragter beim Südwest-Rundfunk tätig ist, hätten Respekt vor der Pressefreiheit. Da er aber seit Anfang 2010 auch Geistlicher Direktor des von der Deutschen Bischofskonferenz getragenen „Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses“ ist, musste er am 10. Juni nach heftigen Attacken von verschiedenen Journalisten, die aus dem Institut hervorgegangen sind, und z.B. vom Internet-Portal kreuz.net „zu Kreuze kriechen“. Ausgerechnet bei einer Instituts-Veranstaltung zum Thema „Stimmungsmache oder Journalistenpflicht“ trat er - wohl kaum freiwillig - den Rückzug an, als er erklärte, es tue ihm „sehr leid, was diese missglückte Sache für Wellen geschlagen hat“. Er habe einen Fehler gemacht, weil er „den Text vor der Druckfreigabe nicht mehr kritisch gegengelesen“ habe...
Das alles nützte ihm nichts. Am 13. August veröffentlichte die Bischofskonferenz die Pressemeldung, dass Pfarrer Broch zum 15. August sein Amt als Geistlicher Direktor des Instituts aufgebe. Lapidar und in einer Mischung aus Andeutung und Erklärung heißt es darin weiter, den Geistlichen und erfahrenen Medienfachmann habe zu seiner Entscheidung der Umstand veranlasst, dass er nach dem Interview „das nötige Vertrauen zahlreicher Bischöfe verloren“ habe: „Der Text enthielt einige Bewertungen der kirchlichen Lage und zuspitzende Aussagen, die in der Bischofskonferenz für unvereinbar gelten mit der Verantwortung, die dem Geistlichen Direktor des ifp zufällt.“ Bezeichnend der Hinweis in der Pressemeldung auf eine Passage des Briefes, den der Vorsitzende der Bischofskonferenz an die journalistische Direktorin des Instituts richtete: „Zugleich brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass man die Beweggründe sowohl der Bischöfe als auch von Pfarrer Broch auch dann respektieren werde, wenn man sie persönlich nicht für schlüssig hält“.
Zu der innerkirchlichen Auseinandersetzung wegen der durch Skandale ausgelösten Krise, d.h. zu dem von ihm diagnostizierten fehlenden „Zusammenfinden derer, die heute wie zwei Kirchen in der Kirche gegenüber stehen“, präsentierte der –offensichtlich als Hobby-Eheberater tätige österreichische Bischof Andreas Laun am 26. Mai in kath.net folgende Schlussfolgerung: „Ein Liebender, dem an der Braut nichts gefällt und der von ihr eine Schönheits-Operation nach der anderen verlangt, liebt sie nicht wirklich und ‚die beiden’ sollten besser nicht heiraten.“ Wie gut für den „Heiligen Vater“, der „Braut“, dass er Rückendeckung von anderen bekommt, von anderen geliebt und gelobt wird: „Er ist der modernste Pontifex, den es jemals gab, sein gelehrter Scharfsinn weltberühmt, seine Doktrin der Trennung von Kirche und Staat radikal, er ist ein Buddha auf dem Sessel Petri“ (Paul Badde im Februar 2010 in „Die Welt“). Und der österreichische Dogmatiker Karl Wallner sekundierte: „Der Papst ist der Garant der Unzerstörbarkeit der Kirche... Alles an der Kirche ist übernatürlich – auch der Papst ... Das Schiff der Kirche ist unsinkbar. Mit dem Papst als Vicarius Christi fährt sie sicher.“ Kath.net verbreitete dazu passend gleich zwei Anzeigen: Erstens die Aufforderung „JA! zur Kirche“ mit dem Verweis auf eine entsprechende Aktion bei Facebook und einem Zitat von John Henry Newman: “Herr, wir glauben und bekennen voll Zuversicht, dass du deiner Kirche Dauer verheißen hast, solange die Welt besteht. Darum haben wir keine Sorge und Angst um den Bestand und die Wohlfahrt deiner Kirche.“ Und für so manchen Papst-Fan war das zweite Angebot sicherlich verlockend: „Wohnen Sie Tür an Tür mit Papst Benedikt XVI. – Ihre Residenz im Vatikan unter deutscher Leitung.“ Dabei ist sowohl die Angabe über die räumliche Nähe als auch die Behauptung „im Vatikan“ schlichtweg falsch, eine Zumutung und Anmaßung.
Genauso anmaßend war die „BILD-online“ – Kolumne „Mein Leben mit dem Papst“ von Andreas Englisch, die allerdings seit einiger Zeit im Internet fehlt. Sang- und klanglos ist er verschwunden, dieser Italien-/Rom-/Vatikan- Korrespondent der Axel-Springer-Verlags-Zeitungen. Ausgerechnet er, den - so der Werbetext einer Autoren-Agentur - nichts mehr fesselt als „die magische Macht der Sprache, die rätselhafte Fähigkeit, Menschen in eine erzählte Welt entführen zu können“. Seine „Trennung“ von B16 (er hatte übrigens nach eigenen Angaben schon ein Leben mit JP2 geführt...) ist umso schmerzlicher, als uns nun wohl wichtige intime Papst-Details verborgen bleiben werden. So gab uns Englisch im Juli 2008 folgendes AbBILD seiner “rätselhaften Fähigkeit“: „Ich weiß, dass auf dem Schreibtisch des Papstes, der zurzeit in der Wohnung im Cathedral House des Kardinals von Sydney steht, ein Zettel mit folgender Telefonnummer liegt: Sie beginnt mit den Ziffern 02645... Mehr kann ich nicht verraten... Es ist die Telefonnummer von Steffi B. (81), Kusine von Papst Benedikt XVI.... Ein kleines Problem gibt es allerdings: Die katholisch erzogene Steffi Brzakovic (plötzlich gibt er den vollen Namen preis, der aber ohnehin kein Geheimnis mehr war, da die australische Presse schon vorher ausführlich darüber informiert hatte) schloss sich in den 70er Jahren den Zeugen Jehovas an.“ Schmerzlich vermissen werden wir in Zukunft auch Papst-Informationen des Zeugen Benedikts wie diese (nach dem Überbringen der Neujahrsgrüße der BILD- Redaktion an B16): „Ich spüre seinen gütigen Blick, fühle die warmen Hände. Es ist ein überwältigendes Gefühl, vor ihm zu knien, den Fischer- Ring zu küssen.“ Oder: „Der Papst nahm gestern seine erste von 14 Anti-Malaria-Tabletten. Ich auch.“ (Vor der ersten Afrika-Reise im März 2009 und nach der umstrittenen Exkommunikations-Aufhebung der vier Piusbruderschafts-Bischöfe, zu der dieser Rom-Korrespondent bezeichnenderweise schwieg) Geradezu harmlos dagegen die BILDung durch den Englisch-Ersatz: Ende Juni wurde gemeldet, B 16 erhalte jedes Jahr vom Münchner Restaurant „Zum Franziskaner“ Weißwürste. Gewöhnlich bekomme der Papst Croissants und Obst zum Frühstück. Der „Franziskaner“ –Chef aber erklärte: „Der Papst hat unsere Weißwürste schon gern gegessen, als er noch Kardinal war. Warum sollte er das jetzt nicht mehr tun?“
Die enge Beziehung des deutschen Papstes zu seinen offensichtlich bevorzugten deutschen Medienpartnern BILD und Herder-Verlag scheint sich jedenfalls weiter zu festigen, wurden doch hochrangige Vertreter von Verlag und Redaktion anlässlich des fünften Jahrestages der Papstwahl in Privat-Audienz empfangen. Mit dem Ende des Englisch-Kurses bleiben uns jedoch in Zukunft hoffentlich auch horrende Falschmeldungen wie die vom 4. April 2008 erspart, als eingeBILDetes als Faktum veröffentlicht wurde: „Papst kommt nach Berlin“. Das Ganze garniert mit detaillierten Angaben über Ankunftstag und -ort (Wochenende im April 2009) sowie Übernachtungsort und Programmschwerpunkte (u.a. ein Abstecher nach Erfurt). Alles erfunden, ein Wunschtraum des Verfassers – und wahrscheinlich ein Grund für den Verlust seines Jobs in Rom. Inzwischen hat übrigens der Kölner Kardinal Joachim Meisner dem Papst den Rat gegeben - den er mit Sicherheit gar nicht brauchte-, wegen der Stimmungslage in Deutschland keinen weiteren Besuch mehr hier zu machen. Damit spielte er wohl nicht nur auf die zunehmenden Kirchenaustritte im Gefolge der Missbrauchsfälle und auf die wachsende Empörung über das Verhalten und die Äußerungen zahlreicher Kirchenfürsten an, sondern auch auf die Tatsache, dass immer mehr Deutsche dem BILD-Titel von 2005 „Wir sind Papst“ eine Absage erteilen, entweder nach dem Motto „Wir wollen nicht länger Papst sein“ oder „Wir wollten sowieso nie Papst sein“.
Auch Bundesinnenminister Thomas de Maiziere meldete sich im April bei einem Empfang des Evangelischen Arbeitskreises der CDU zum Thema Kirche und Medien zu Wort: „Viele Äußerungen der Kirche unterscheiden sich in Sprachgebrauch und Begründung nicht von denen des ADAC, der Gewerkschaften oder des Schützenvereins.“ Dabei sei es doch in erster Linie deren Aufgabe, die christliche Botschaft zu verkündigen (weshalb sich Kirche wohl überhaupt nicht zu gesellschaftlichen und politischen Themen äußern sollte...). Dass Sprache bei dieser Verkündigung, aber auch bei kirchlichen Verlautbarungen insgesamt, eine wichtige Rolle spielt, dass Kirche sich gut „verkaufen“ muss, will sie heutzutage gehört und verstanden werden, ist eine Binsenwahrheit. Und deshalb kann man sich nur wundern z. B. über eine so gewundene Antwort wie die von Erzbischof Reinhard Marx (im Deutschlandfunk) auf die Frage, was er von der Zölibatsdiskussion halte, die der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick angeregt habe: „In einer solchen Phase noch weiter zu suggerieren oder das Vorurteil noch zu nähren, das ist ja irgendwie eine defiziente Lebensform oder bringt Leute hinein, die nicht ganz richtig sind – das fällt mir schwer... Das fehlte uns, glaube ich eigentlich, dass wir sehen, der Zölibat, die Ehelosigkeit des Priesters ist keine Einsamkeit, ist kein Junggesellendasein, sondern soll sich ja auch einfügen in ein Beziehungsgeflecht der Priester untereinander.“
Übertroffen wurde er noch vom Kölner Kardinal Joachim Meisner, der am 9. Juni in einem Vortrag beim Internationalen Priestertreffen in Rom u.a. sagte: „Gott wohnt überall. Die ganze Welt ist wie eine große Kirche Gottes, aber das Herz des Priesters ist wie ein Tabernakel in der Kirche. Dort wohnt Gott in geheimnisvoller und besonderer Weise.“ Außerdem ließ uns dieser Kardinal, der offensichtlich einen besonderen „Draht nach oben“ hat, wissen: „Beim Beichten hebt uns Christus auf göttliches Niveau... Wie kommt es, dass ein Sakrament, das so große Freude im Himmel hervorruft, so viel Abneigung auf Erden weckt?“
Da erklärte der Buchautor Michael Hesemann zwar bei der Demonstration „Deutschland pro Papa“ in Köln, wir sollten Gott dankbar sein für unseren Papst, „gerade weil es ihm gelingt, die Botschaft des Evangeliums in die Gegenwart zu übertragen, in einer Klarheit und Schönheit, die beeindruckt“. Doch unklar bleibt, wo eine solche Klarheit zu erkennen ist. So gab B16 mit dieser Aussage beim Angelus am 9. Mai eher Rätsel auf: „Das Herz Brasiliens ist die Eucharistie.“ Umständlich und für die Allgemeinheit kaum verständlich auch folgende Sätze aus seiner diesjährigen Botschaft zum katholischen Mediensonntag: „Wer kann besser als ein Mann Gottes durch die eigene Kompetenz im Bereich der neuen digitalen Medien eine Seelsorge entwickeln und in die Praxis umsetzen, die Gott in der Wirklichkeit von heute lebendig und aktuell macht und die religiöse Weisheit der Vergangenheit als Reichtum darstellt, aus dem man schöpfen sollte, um das Heute würdig zu leben und die Zukunft angemessen zu gestalten?“ „Weiße Väter wählen Schwarzen an die Spitze“ als Titel einer Meldung der Katholischen Nachrichtenagentur KNA kann man im Vergleich dazu vielleicht noch als schwarzen Humor oder als „lässliche (sprachliche) Sünde“ einstufen.
Etwas Gutes haben die Krise der Kirche und die enorme mediale Auseinandersetzung damit auf jeden Fall bewirkt, beginnen doch plötzlich Bischöfe, den Ernst der Lage zu sehen und Reformvorschläge zu Themen zu machen, die teilweise bisher als Tabu galten. Schweizer Bischöfe z.B. sprachen von einer „schwierigen und belastenden Zeit“, von einer „Krise, die sich darin äußert, dass sich zahlreiche Menschen von der Kirche und vielleicht sogar vom Glauben verabschieden “. Das müsse man analysieren und danach Reformen durchführen. Abt Martin Werlen vom Benediktiner-Kloster Einsiedeln gab sogar zu bedenken: „Wenn das so weitergeht mit der Kirche, können wir den Laden bald einmal schließen.“ Der Grazer Erzbischof Egon Kapellari sprach von „Spannungen innerhalb von Ortskirchen und deren Verbund mit der Weltkirche“, die man „weder wegreden“ noch „bald schon auflösen“ könne. Es sei auf beiden Seiten viel unterlassen worden, um die Argumente für oder gegen eine Position besser zu entfalten und bekannt zu machen. Die Kirche müsse sich weiter bewegen: „Wir brauchen neue Ideen und Wege, um das pastorale Netz zu erhalten und zu stärken.“ (kathpress, 11.5.).
Von neuen Ideen sprachen auch andere, allerdings weniger konkret. So pries B16 (am 28.6.) den neu gegründeten „Päpstlichen Rat für die Verkündigung des Evangeliums“ als eine vatikanische Institution für die „Neuevangelisierung“, die „ ‚neu’ in der Suche nach neuen Wegen, die der Kraft des Heiligen Geistes entsprechen und angemessen sind für die Zeit und die Situation“ sein solle. Kardinal Joachim Meisner stellte am 9. Juni in Rom bedauernd fest: „Uns laufen die Menschen oft davon, sie drängen sich nicht mehr um uns, um mit uns in Berührung zu kommen. Im Gegenteil, sie laufen uns davon. Damit das nicht geschieht, müssen wir uns konkret fragen: Was berühren die Menschen denn, wenn sie mit mir in Berührung kommen? – Jesus Christus in seiner unermesslichen Liebe zu den Menschen, oder irgendwelche theologischen Privatmeinungen oder Gejammer über die Zustände in der Kirche und der Welt? Berühren sie bei uns Jesus Christus? Wenn das der Fall ist, dann kommen die Menschen.“ Seine Empfehlung deshalb: „Wir müssen wieder eine ‚Geh-hin-Kirche’ werden. Das geht nicht auf Befehl. Dazu bewegt uns der Heilige Geist.“ In einem Interview der „Welt am Sonntag“ (11.7.) beklagte er dann die „Wolke des Verdachts, unter die nun alle geraten“ seien: „Das ist eine wirklich teuflische Situation.“ Andererseits habe der Skandal die Gläubigen zusammenrücken lassen. Er habe noch nie eine so intensive Beteiligung an der Karwoche oder an Fronleichnam festgestellt. Es sei das Bewusstsein gewachsen: „Wir gehören nicht in die Gosse. Wir gehören in die Nähe des Herrn.“
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck verband (in einem KNA - Interview vom 23.6.) seine Situations-Beschreibung ebenfalls mit banalen Verbesserungsvorschlägen: „Wir befinden uns als katholische Kirche in einer postsäkularen, einer weltlichen Welt und müssen für unsere Überzeugung einstehen und kämpfen... Wir müssen an unserem Stil arbeiten, weil wir Teil der offenen Gesellschaft sind und teilhaben an offenen Diskussionen. Dazu braucht es u.a. auch so etwas wie eine ‚Eventisierung der Kirche, aber in einem guten Sinne des Wortes’... Ich sage den Pfarrern vor Ort immer: Feiert große und für viele zugängliche Pfarrfeste. Verkündigung heißt immer, die Menschen mit Herz und Verstand zu erreichen.“
Bei einem Treffen mit dem Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser äußerten Mitglieder einer Basisinitiative Anfang Mai allerdings die Befürchtung, dass die jetzige Missbrauchskrise „alle längst notwendigen Reformen in der Kirche in weite Ferne rücken lässt“. Sollte den Laien nicht mehr Kompetenz zukommen, drohe die Kirche langfristig zu einer „religiösen Minderheit“ in Österreich zu verkommen. Der Erzbischof versprach anschließend zumindest eine Besserung der „unglücklichen Situation“ der wiederverheirateten Geschiedenen in der Kirche. Auch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn plädierte für eine „neue Sichtweise“ in dieser Frage. Zudem sprach er von einem notwendigen Wandel einer „Pflicht-Moral“ hin zu einer „Moral des Glücks“: „Beim Thema Homosexualität etwa sollten wir stärker die Qualität einer Beziehung sehen, und über diese Qualität auch wertschätzend sprechen“ (kath.net 3.5.). Als er auch in der Zölibatsfrage Diskussionsbereitschaft zeigte, wurde er – gemäß der päpstlichen Geschwätz-Vorgabe - u.a. in der italienischen Zeitung „L’espresso“ beschimpft, er beuge sich dem Druck „progressiver“ Gruppen und schenke dem Druck der öffentlichen Meinung mehr Aufmerksamkeit als seiner Verpflichtung als Kardinal. Auf eine von dem Pastoraltheologen Paul Zulehner im Auftrag des österreichischen Senders ORF durchgeführten Umfrage unter Pfarrern zum Pflichtzölibat, d.h. auf die dabei bekundete überwiegende Ablehnung, reagierte Gregor Henckel- Donnersmarck, Abt von Heiligenkreuz in Österreich, Ende Juni mit einem scharfen Angriff in der Wiener Tageszeitung „Die Presse“: „Ich werde immer sagen, in dubio pro papa, im Zweifel für den Papst. Den Pfarrern fehlt das kirchliche Bewusstsein, die Einfügung auch im Gehorsam. Alle wollen das Beste für die Kirche und ich möchte nicht von Spaltung sprechen. Aber es sind nicht alle ausreichend kirchlich indoktriniert, ich sage das in vollem Bewusstsein, das heißt in die kirchliche Lehre liebevoll eingedrungen.“ Und - wie könnte es anders sein? - auch hier die Schuldzuweisung: „Es gibt eine kolossale Präsenz einer medialen Öffentlichkeit, die auch viele Priester in den Bann zieht.“
Im SPIEGEL (Nr.19/2010) hatte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode zuvor “ein neues Miteinander in der Kirche: von Priestern und Laien, von Männern und Frauen“ gefordert. Die Kirche brauche jetzt „ein Klima der Offenheit“, damit sie „nicht zu einem geschlossenen System wird, das sich nur noch um sich selbst dreht“. Im überfälligen Dialog zwischen Glauben und Wissenschaft solle es um eine „sich neu an der Lebenswelt der Menschen orientierenden Moral und Ethik“ gehen. (In der „Frankfurter Rundschau“-21.7.- ergänzte er: „Das Desaster, das wir im Missbrauchsskandal erlebt haben, sollte in der Tat dazu führen, die Frage der Macht und der Teilung von Macht in der Kirche radikal zu bedenken.“ Eine geschlossene Männergesellschaft begünstige „Abnormitäten“). Noch zwei weitere Bischöfe äußerten sich im SPIEGEL: Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke sprach sich dabei für „eine mutige und angstfreie Klärung der offenen Fragen“ aus. Und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick verlangte, dass die Kirche insgesamt „offener“ werden müsse. Konkret will er eine Lockerung des Pflichtzölibats sowie mehr Verantwortung für Laien („mehr in Entscheidungsgremien mitwirken“), besonders für Frauen („auch in unseren Leitungsgremien“). Fazit von Alexander Kissler, Kulturjournalist der „Süddeutschen Zeitung“ und neuer Vorzeige-Journalist der konservativen deutschen Katholiken, zu diesen Äußerungen (laut kreuz.net am 6. Juni in einem Vortrag bei der Wallfahrt der Vereinigung „Pro Sancta Ecclesia“ in Altötting): “Der Beichtvater der deutschen Bischöfe ist bekanntlich das Magazin SPIEGEL.“ Auch andere kirchliche Rechtsaußen fallen seitdem besonders im Internet über die Bischöfe her, die einen Ausweg aus der Krise suchen, Fehler eingestehen und Reformvorschläge machen: „Warum jammern die mediengeilen Bischöfe gerade jetzt? Weil ihnen die Zeitungen vormachen, dass Jammern gerade in ist“, hieß es da z.B. (30.5.).
Ganz anders sieht dies die Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“, die ihren Kritik-Preis „Verschlossne Auster“ in diesem Jahr an die Katholische Kirche in Deutschland mit der Begründung verliehen hat: „Die Deutschen Bischöfe geben bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nur die Tatsachen zu, die sich nicht mehr leugnen lassen. Die katholische Kirche respektiert den Anspruch der Öffentlichkeit auf frühzeitige und vollständige Information nicht und widerspricht damit ihren eigenen Werte-Postulaten nach Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit.“ In der Laudatio auf den „Informationsblockierer des Jahres“ sprach Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik der „Süddeutschen Zeitung“, davon, es handele sich um „eine Kirche, deren Selbstmitleid größer ist als das Mitleid mit den Opfern. Es gibt eine Kirche, die glaubt, sie habe lediglich ein Problem mit angeblich missliebigen Medien. Dieser Kirche widme ich diesen Negativ-Preis“ (der übrigens stellvertretend für sie von Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, entgegengenommen wurde – immerhin!). Bei der Gelegenheit erinnerte Prantl daran, dass Papst Pius XI. 1923 Franz von Sales zum Patron der Journalisten gekürt habe. Er fügte hinzu: „Franz von Sales konnte das, was die katholische Kirche heute nicht mehr kann: er war glaubwürdig, er kannte die richtigen Worte; er hatte die Sprache, um Gehör und Glauben zu finden.“
„Ein Journalist kann auch ein Heiliger sein. Das hat der Vatikan entschieden.“ Diese überraschende, für einen ganzen Berufszweig mit eigenem Schutzpatron so positiv klingende und Hoffnung weckende Internet-Meldung von Radio Vatikan (26.5.) erwies sich leider schnell als irreführend, weil eine solche kirchenoffizielle Anerkennung offensichtlich doch an zu viele Bedingungen geknüpft ist. Im konkreten Fall der Seligsprechung des ersten Journalisten überhaupt, nämlich eines Spaniers, hatte der zuständige Postulator schließlich die „Entscheidung“ so begründet: „Er war ein Laie mit einer großen Begeisterung für die Eucharistie, voller Marienfrömmigkeit und einer treuen Ehrfurcht der Kirche gegenüber“. Na dann...
In der nächsten Ausgabe von Imprimatur folgt die Fortsetzung mit dem Schwerpunkt „Neue Medien als Mutmacher für die Kirche?“
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