Burkard Porzelt
Lebensglaube – Gottesglaube – Jugendarbeit
Religionspädagogische Schlaglichter[1]

1. Kommunikation des Glaubens – eine erste Annäherung

Den Glauben zu kommunizieren – ihn mitzuteilen – ist so einfach nicht. Glaubenskommunikation ist keineswegs selbstverständlich, weil Glauben ein Geschehen ist, das den Menschen zuinnerst betrifft und berührt.

In existenziellem Sinne lässt sich Glauben verstehen als Akt, vermittels dessen Menschen ihr Leben in einem Grund verankern. Das lateinische Verb ‘credo – ich glaube’ – bedeutet ursprünglich: „‘Ich hänge mein Herz an.’ “[2] Woran wir unser Herz hängen, worin wir unser Leben verankern, worauf wir letztlich hoffen und vertrauen, woraus wir Kraft und Sinn schöpfen, das können wir nur bedingt in Worte, in Gedanken, geschweige denn in Theorien fassen. Als Vollzug der menschlichen Existenz ist ‘Glaube’ somit ebenso eingeschränkt mitteilbar wie Sehnsucht, wie Liebe, wie Leid.

Mit Paul Tillich gesprochen zielt der existenzielle Vollzug des Glaubens auf ein „‘letztes Anliegen’“[3] , auf einen „ultimate concern“[4] . Gegenstand solchen Glaubens ist das, was uns je „unbedingt angeht“[5] . Was jedoch konkrete Menschen zuinnerst betrifft, was sie unbedingt angeht, woran sie ihr Herz hängen, das kann höchst unterschiedlich sein.

‘Glauben’ in grundsätzlichem Sinne einer aktiven Lebensverankerung ist somit keineswegs automatisch auf Göttliches oder auf GOTT bezogen. Die Möglichkeiten, nicht religiös zu glauben, also jenseits des Gottesglaubens sein Leben auf ein Energiezentrum hin auszurichten, sind gerade in unserer Kultur und Gesellschaft schier grenzenlos. Die Palette nicht religiöser Kraftquellen für das eigene Leben reicht vom geliebten Partner bis hin zum Fußballclub, dessen nächstes Spiel ersehnt wird. Das intensive Erleben der Natur kann für das eigene Dasein ebenso Richtpunkt sein wie eine Gemeinschaft, die Geborgenheit schenkt, oder das ekstatische Eintauchen in Kunst, Musik oder Bewegung. Schönheit, Attraktivität und Fitness, berufliche Karriere und materieller Erfolg, Freundschaft, Mitmenschlichkeit oder politisches Engagement – ganz unterschiedliche Wertzentren können dem Leben Sinn, Halt und Ausrichtung geben.

Glauben im religiösen Sinne ist eine besondere Form, dem eigenen Leben Sinn, Halt und Ausrichtung zu geben. Wer religiös glaubt, setzt darauf, dass GOTT der Schlüssel unseres Daseins ist. Solcher Gottesglauben sprengt die Plausibilitäten dieser Welt. In der Ahnung oder Gewissheit, dass diese Welt nicht alles ist, hofft und vertraut der gottesgläubige Mensch darauf, dass das Leben aufgehoben ist in einem Geheimnis, welches die Welt trägt, sie umspannt und übersteigt[6].

GOTT als Fixpunkt solchen Hoffens und Vertrauens ist weder gedanklich noch begrifflich einholbar. Die grundsätzliche Schwierigkeit, existenziellen Lebensglauben[7] zu kommunizieren, verschärft sich somit beim Gottesglauben. Denn GOTT wäre nicht GOTT, ließe er sich einfangen durch menschliches Begreifen, Sprechen und Hören. GOTT ist, GOTT bleibt unverfügbar und unbegreiflich. Nichtsdestotrotz suchen Menschen je neu, sich jenem unverfügbaren und unbegreiflichen Geheimnis zu nähern, das sie GOTT nennen. Obgleich sich GOTT letztendlich der Kommunizierbarkeit entzieht, will er doch ausgedrückt und ausgesagt werden, damit er – GOTT – je neu durch konkrete Menschen entdeckt, erhofft und erkannt werden kann[8]. Und zwar als Grund, Horizont und Garant dieses Daseins und dieser Welt.

Alles in allem: Wer den Gottesglaubens zu kommunizieren sucht, der zehrt vom paradoxen Optimismus, dass es notwendig ist und lohnt

2. Glaubenskommunikation in der Jugendarbeit: ‘Nicht primär, aber konstitutiv’

Wie steht es um die Kommunikation des Gottesglaubens in einer Jugendarbeit auf christlichem Fundament? Knapp gesprochen ist solche Kommunikation des Gottesglaubens für die kirchliche Jugendarbeit wohl konstitutiv, nicht aber primär. Was aber ist damit gemeint?

Das Handeln, in welchem sich Kirchen verwirklichen, lässt sich ausdifferenzieren in vier elementare Vollzüge. Nämlich in Leiturgia (betendes, lobendes, bittendes und dankendes Feiern), Koinonia (gemeinschaftsbildende Begegnung), Diakonia (uneigennütziges Helfen) sowie Martyria (ausdrückliche Kommunikation der christlichen Überlieferung). All diese vier Vollzüge sind zwingend notwendig, damit sich Kirchen als solche realisieren. Umgekehrt gesprochen: Würde einer der vier Grundakte ausgeblendet und entweder „das Beten und Danken“ oder „das Zusammenhalten in der Gemeinschaft“ oder die Aufmerksamkeit für die Anderen oder „die Auseinandersetzung mit der Botschaft“[9] ausfallen, so würde dies christliche Praxis ad absurdum führen.

So unerlässlich die vier genannten Vollzüge sind, können und sollen sie doch nicht an jedem Ort und zu jeder Zeit in gleicher Intensität gepflegt werden. Niemand würde etwa daran zweifeln, dass die Leiturgia im Mittelpunkt des christlichen Gottesdienstes steht. Oder dass sich kirchliche Krankenhäuser und Sozialstationen zuvörderst der Diakonia widmen. Nicht überall wird alles geleistet! Ebenso steht es auch mit der christlichen Jugendarbeit. Ihr Profil unterscheidet sich insbesondere von dem der Katechese und des (nur sehr eingeschränkt mit kirchlichen Kategorien beschreibbaren) Religionsunterrichts.

Im Zentrum der Jugendarbeit steht weder die gottesdienstliche Feier (Leiturgia) noch die ausdrückliche Glaubenskommunikation (Martyria). Als freiwilliger Ort gemeinschaftlicher Praxis von Jugendlichen für Jugendliche zielt die kirchliche Jugendarbeit zuallererst auf Diakonia und Koinonia. Eigenart, Größe, Grenze und Stärke der Jugendarbeit bestehen darin, ein Lebensort zu sein, an dem sich Jugendliche mit Gleichaltrigen zusammenfinden, um sozialen Rückhalt zu erfahren und ihre Freizeit schöpferisch zu gestalten. Die Schlüsselbegriffe „‘personales Angebot’“[10] und „‘reflektierte Gruppe’“[11] , die der Synodenbeschluss von 1975 geprägt hat, umschreiben dieses Profil mit ungebrochener Schlüssigkeit[12]. Auch wenn sich Jugendliche das von den Kirchen ermöglichte Biotop der Begegnung nicht primär aus pädagogischen Gründen zu eigen machen, erweist sich Jugendarbeit zudem als effizientes Feld des Lernens. Das freiwillige, gesellige und hochgradig selbstbestimmte Profil christlicher Jugendarbeit ist prädestiniert für identitätsbezogene Lernprozesse. Am Ernstfall des gemeinsamen Alltags kann hier erprobt werden, was es bedeutet, mit Anderen konstruktiv auszukommen, sich selbst etwas zuzutrauen und Verantwortung zu übernehmen[13].

Wie herausgearbeitet, ist christliche Jugendarbeit nicht primär ein Ort der ausdrücklichen Feier oder Kommunikation des Gottesglaubens. Auch und gerade weil dies so ist und nicht die ausdrückliche Bejahung des Glaubens, sondern solidarische Gemeinschaft den Zielhorizont bestimmt, bietet christliche Jugendarbeit weiten Raum für Jugendliche unterschiedlichster Prägung. Ähnlich wie im schulischen Religionsunterricht sind hier nicht nur überzeugte und engagierte Christ/innen willkommen. Sondern gleichermaßen unbedarfte und interessierte, gleichgültige oder unentschiedene, ja auch skeptische und den Glauben kritisierende Zeitgenoss/innen. Dass prinzipiell eine Schmerzgrenze erreicht sein könnte, insofern Jugendlicher dem Christentum mit aggressiver Ablehnung begegnen, sei nicht verschwiegen. In aller Regel verabschieden sich diese aber aus eigenen Stücken aus der christlichen Jugendarbeit.

Dass das koinonische wie diakonische Profil von Jugendarbeit, das ich skizziert habe, zumindest katholischerseits nicht nur Freunde hat, dass dieses Profil häufig verkannt, ungern gesehen oder gar abgelehnt wird, zeigt sich darin, dass mancher Druck ausgeübt wird, den ausdrücklichen Glaubensbezug dieses Handlungsfeldes zu forcieren[14]. Glaubensprofilierte Jugendpastoral scheint vielfach weit erwünschter als originäre Jugendarbeit mit offenen Türen. Wer aber Jugendarbeit zur Jugendpastoral verengen will, muss sich bewusst sein, dass damit Heranwachsenden ein einzigartiger Ort lebensförderlicher Gemeinschaft genommen würde und die Kirche eines der letzten Kontaktfelder zur Jugend preisgäbe. Einer repräsentativen Umfrage von 2004 zufolge erinnern sich jeweils um die 10% aller Jugendlichen, an Angeboten der evangelischen oder der katholischen Jugendarbeit partizipiert zu haben[15]. Bloße Jugendpastoral würde nur mehr einen Bruchteil davon ansprechen[16].

Inwiefern die Kommunikation des Gottesglaubens nicht primäre Aufgabe originärer Jugendarbeit ist, habe ich nun herausgestellt. Dass Jugendarbeit zuallererst ein Biotop lebensförderlicher Begegnung darstellt, bedeutet aber nun keineswegs, dass die Kommunikation des Gottesglaubens hier nichts zu suchen habe. Das Gegenteil ist der Fall. Und zwar nicht primär aus dem äußerlichen Grund, dass hier die christlichen Kirchen die Daumenschrauben anlegen könnten und man sich mit der Weltanschauung des Trägers nolens volens arrangieren müsse, um weiterhin in den Genuss von Räumen, von Personal und finanziellen Mitteln zu kommen. Sicherlich gibt es solche systemischen Zwänge. Für eine tragfähige (religions)pädagogische Legitimation allerdings taugen sie ganz und gar nicht. Nur wenn es gelingt, den Wert und die Fruchtbarkeit ausdrücklicher Glaubenskommunikation mit soliden inhaltlichen Argumenten zu untermauern, steht deren Konstitutivität für die christliche Jugendarbeit auf festen Füßen.

Aus christlicher Perspektive ist der Gottesglaube keine x-beliebige, verzichtbare Lebensdeutung. Das eigene Dasein religiös deuten zu können, sich nicht zufrieden zu geben mit innerweltlichen Plausibilitäten, sondern auszugreifen auf jenes „unverfügbare Geheimnis“[17] , das wir GOTT nennen, ist für Christen eine rundum lebensförderliche, den Menschen stärkende Daseinsoption. Nach Überzeugung der Christ/innen kann uns diese Lebensoption Rückgrat und Widerstandskraft, Gelassenheit und innere Weite, sie kann wahrhaftige Hoffnung schenken – inmitten der Aufgaben, Freuden, Nöte und Stürme dieser Welt. Die Lebensoption des Gottesglaubens auszublenden, sie zu tabuisieren, ist aus christlicher Perspektive undenkbar mit Blick auf die Jugendarbeit als Lebens und Lernort, der Jugendliche in ihrer Identitätsentwicklung fördern und stützen will. Die Kommunikation des Gottesglaubens vollzieht sich allerdings in der Jugendarbeit unter spezifischen Bedingungen, die zwar Grenzen, vor allem aber Chancen bergen.

Präfiguriert wird die Kommunikation des Gottesglaubens durch den freiwilligen, geselligen und alltäglichen Charakter der Jugendarbeit. Dieser bringt mit sich, dass in der Jugendarbeit die bloße Zahl der Glaubensworte im Vergleich zum Religionsunterricht oder zur Katechese verschwinden gering bleibt. Wo dann aber GOTT ins Gespräch kommt, wo sich Jugendliche tastend des Gottesglaubens vergewissern, da geschieht dies in der Jugendarbeit kaum fremdbestimmt, sondern freiwillig, kaum lebensfern, sondern in Tuchfühlung zum Gruppenleben, zum gemeinsamen Projekt, zum Zeltlager.

Anders gesprochen: Ausdrückliche Kommunikation des Gottesglaubens ereignet sich in der Jugendarbeit in aller Regel in sparsamen Dosen. Wo solche Kommunikation aber stattfindet, da ist sie nicht künstlich herausgerissen aus dem Alltag, sie ereignet sich mittendrin im prallen Leben. Wo sie stattfindet, da wird sie nicht – mehr oder weniger sublim – fremdgesteuert, der freiwillige Charakter der Jugendarbeit bietet hohe Gewähr, dass Jugendliche, wenn sie Zeugnissen des Gottglaubens begegnen und diese meditieren und diskutieren, dies wirklich aus freien Stücken tun.

Der Effekt, der aus solch selbstbestimmter und alltagsverorteter Kommunikation erwächst, erscheint mir höchst bedeutsam. Es gibt zahlreiche Belege, dass Erwachsene rückblickend ausgerechnet die – ach so lebensorientierte – Jugendarbeit als wichtigen oder gar entscheidenden Einfluss identifizieren, sich den Gottesglauben als wertvoll, bedeutsam und lebenstragend zu eigen gemacht zu haben[18].

Alles in allem: Die Vermutung liegt nahe, dass der Gottesglaube in der Jugendarbeit vergleichsweise selten kommuniziert wird. Wo solches jedoch geschieht, da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Kommunikation authentisch ist, dass offen, wahrhaftig und lebensnah gesprochen und gefeiert wird. Gotteskommunikation in sparsamer, aber authentischer Weise, das ist die besondere pastorale Chance der Jugendarbeit.

Doch bleibt das Risiko, dass das ausdrückliche Gotteszeugnis gar nicht durchdringt, dass es der Freiwilligkeit zum Opfer fällt. Oder aber dem Mangel an qualifizierten Erwachsenen, welche

Wenn die Kommunikation des Gottesglaubens konstitutiv ist für christliche Jugendarbeit, nicht aber primär, wird es wieder und wieder geschehen, dass Heranwachsende aus diesem Lebensort scheiden, ohne dort tiefergehend mit dem Gottesglauben in Berührung gekommen zu sein. Dies mindert zunächst einmal nicht den Wert der Jugendarbeit. Sofern Jugendliche durch dieses und in diesem Lebens und Lernfeld Entwicklungsschritte gemacht haben mit Anderen und mit sich selbst, hat christliche Jugendarbeit ihren koinonischen und diakonischen Anspruch zweifelsohne eingelöst. Sie ist ihrer primären Aufgabe nachgekommen, Menschen zu stützen und zu fördern auf ihrem Weg zu sozialer Kompetenz und individueller Mündigkeit. Entscheidendes ist erreicht worden. Punktum. Nichtsdestotrotz: Die konstitutive Möglichkeit, nach religiösem Grund zu greifen, Fenster zu öffnen hin zur Gottesverwurzelung, die bleibt notwendig.

3. Lebens und Gottesglaube im spannenden wie spannungsreichen Gespräch

Real existierende Jugendarbeit lebt vom Engagement Jugendlicher, seien dies gleichaltrige Gruppenmitglieder oder altersnahe Verantwortliche. Erwachsene Pädagog/innen oder Theolog/innen spielen hier nicht die ‘erste Geige’, doch sind sie unerlässlich, um das Engagement der Jugendlichen zu stützen und zu bereichern. Wie aber können professionelle Erwachsene mithelfen, damit der Gottesglaube im Beziehungsgeschehen christlicher Jugendarbeit als fragwürdiges und befragenswertes Gegenüber des Lebensglaubens zur Geltung kommt? Vier elementare Vergewisserungen erscheinen dazu lohnend und hilfreich.

(1) Fähig zu sein, im Feld der Jugendarbeit Fenster der Gotteskommunikation zu öffnen, setzt zuallererst voraus, mit den Sprachen der Gottesüberlieferung vertraut zu sein. Der Plural ‘Sprachen’ ist nicht zufällig gewählt. Tatsächlich artikuliert sich die Gottesüberlieferung auf verschiedenartigen, aber gleichermaßen unerlässlichen Wegen. Als Ausdrucksgeschehen in der Zeit birgt der Gottesglaube unterschiedliche Ausdrucksgehalte und gestalten. Wer den Gottesglauben angemessen kommunizieren will, der sollte mit dieser unerlässlichen Vielsprachigkeit vertraut sein. Keineswegs ist sie bloß eine wechselnde Verpackung der gleichen Inhalte. Stets wandelt und verändert sich mit der Form des Sprechens auch der ausgesagte Inhalt. Wer anders spricht, sagt Anderes. Verschiedene Sprachen eröffnen somit unterschiedliche Blickwinkel auf das letztlich unverfügbare Geheimnis, das wir GOTT nennen.

(2) Hauptamtliche in der christlichen Jugendarbeit sind stets Grenzgänger. Einerseits sind sie vertraut mit der Gottesüberlieferung des christlichen Glaubens – und begegnen dieser mit einem Vertrauensvorschuss. Doch ist ihr persönlicher Lebensglaube, sind ihre ureigenen Deutungen der Welt und des Lebens alles andere als deckungsgleich mit jenen der jüdisch-christlichen Tradition. Das eigene Verhältnis zum überlieferten Gottesglauben ist spannungsreich und keineswegs bruchlos. Als Kinder heutiger Zeit und Kultur, als Subjekte mit ihrer besonderen Biographie sind professionelle Jugendarbeiter/innen nicht bloße Lautsprecher der christlichen Tradition. Stets neu stehen sie selbst vor der Herausforderung, sich gegenüber der christlichen Überlieferung zu verorten und ihren eigenen Lebensglauben mit dem tradierten Gottesglauben ins Gespräch zu bringen. Verschärft wird diese Herausforderung, insofern die katholische Kirche ihren durchaus strittigen Anspruch, die Gottesüberlieferung verbindlich auszulegen, als Arbeitgeberin mit Sanktionen durchzusetzen sucht. Wie stehe ich selbst zur Gottesüberlieferung? Wo trägt sie mich, wo trete ich zu ihr in Widerspruch? Es gilt, sich des eigenen Lebensglaubens bewusst zu werden in seiner Nähe und Ferne zur Gottesüberlieferung.

(3) Dass der Löwenanteil jener Jugendlichen, die sich in der christlichen Jugendarbeit engagieren, dies keineswegs aus religiösen Motiven tut, lag zwar seit Jahrzehnten auf der Hand. Inzwischen wurde diese Motivlage aber auch empirisch aufgewiesen[20]. Dass sich der Lebensglaube der Jugendlichen in aller Regel gravierend vom christlichen Gottesglauben unterscheidet und es für sie alles andere als selbstverständlich ist, sich bei der deutenden Bewältigung ihres eigenen Lebens der Gottessemantik zu bedienen, steht ebenfalls außer Frage[21]. Offenkundig erscheint schließlich, dass der Gottesglaube im Feld der Jugendarbeit nur kommunikabel werden kann, wenn wir zugleich den Lebensglauben von Jugendlichen wahr und ernstnehmen. Was aber wissen Hauptamtliche, die Fenster der Gotteskommunikation öffnen wollen, vom realen Lebensglauben heutiger Jugendlicher? In welcher Sprache, mit welchen Kategorien interpretieren Jugendliche ihr eigenes Leben? Und wie tun sie dies gerade da, wo sich das Leben aufgipfelt in intensiven Erfahrungen, die herausragen aus dem gewöhnlichen Alltag? Nur wer um die befremdliche Eigenart jugendlichen Lebensglaubens weiß, vermag den Gottesglauben lebensrelevant ins Gespräch zu bringen.

(4) Die Begegnung mit der vielsprachigen Gottesüberlieferung, die eigene Positionierung gegenüber dieser Tradition und die Erkundung jugendlichen Lebensglaubens münden in die Reflexion und Projektion konkreter Berufspraxis. Wie aber lassen sich im Alltag christlicher Jugendarbeit faktisch jugendpastorale Prozesse der ausdrücklichen Kommunikation von Gottes und Lebensglauben initiieren? In solcher Kommunikation treffen religiöse Überlieferung, junge Menschen und erwachsene Mitarbeiter/innen aufeinander. Jede dieser drei Parteien bringt andere Glaubensakzente ins Spiel. Spezifisch für die Jugendarbeit ist, dass zumeist konkrete Ereignisse, Fragen und Themen des Alltags den Anlass bieten, um Gottes und Lebensglauben ins Gespräch zu bringen. Nicht vorgefertigte Curricula oder Lehrpläne spuren den Weg der Kommunikation wie in Katechese oder Religionsunterricht. Sondern jene Geschehnisse und Begebenheiten, die Jugendlichen am Herzen liegen und auf den Nägeln brennen. Und die sie selbst mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht religiös codieren, sondern in anderen Worten und mit anderen Deutungsmustern als die Gottesüberlieferung. Was sind je angemessene Zeitpunkte, Orte und Wege, um Fenster zu öffnen zur Gottessemantik? Welche Fragen, Themen und Zeugnisse des Lebens und des Glaubens wären dringlich und chancenreich, damit zwischen Jugendlichen, ererbter Gottesüberlieferung und erwachsenen Professionellen ein fruchtbares Gespräch entstehen kann? Nicht abschließend beantwortbar, stehen diese Fragestellungen stets neu auf der Tagesordnung einer christlichen Jugendarbeit, die Selbstwerdung in Gemeinschaft ermöglichen will im Horizont einer Gotteszuversicht, die zu kommunizieren lohnt, ohne zwanghaft thematisiert werden zu müssen.


© imprimatur Oktober 2010
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[1]Leicht modifizierte Fassung des Eröffnungsvortrages der Jugendpastoralen Studientage der Diözese Trier 2010.
[2]Wilfred Cantwell Smith nach James W. Fowler, Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn, Gütersloh 2000, 33.
[3]Paul Tillich, Wesen und Wandel des Glaubens, Berlin 1961, 10.
[4]Paul Tillich, Dynamics of Faith, in: ders., Writings on Religion = Religiöse Schriften, Berlin u.a. 1988, 231 290, 231 et passim.
[5]Tillich 1961 [Anm. 3], 9 et passim.
[6]Diese Umschreibung fasst Karl Rahners Axiom, der Mensch sei „auf das unumfassbare, unsagbare Geheimnis“ (Selbsterfahrung und Gotteserfahrung, in: ders., Schriften zur Theologie X, Zürich u.a. 1972, 133 144, 134) des „transzendentalen Grundes und Horizontes alles Seienden und Erkennenden“ (Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg/Br. u.a. 1976, 91) verwiesen, in knappester Weise zusammen.
[7]Das Konzept des ‘Lebensglaubens’ verdankt sich der weit gefassten faith-Vorstellung von Wilfred Cantwell Smith (vgl. Andreas Grünschloß, Religionswissenschaft als Welt-Theologie. Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik, Göttingen 1994, 188 194).
[8]Vgl. Burkard Porzelt, Grundlegung religiöses Lernen. Eine problemorientierte Einführung in die Religionspädagogik, Bad Heilbrunn/Obb. 2009, 85f.
[9]Rolf Zerfaß, Die kirchlichen Grundvollzüge – im Horizont der Gottesherrschaft, in: Konferenz der bayerischen Pastoraltheologen (Hg.), Das Handeln der Kirche in der Welt von heute. Ein pastoraltheologischer Grundriß, München 1994, 32 50, 34. Charakteristikum der Diakonia ist Zerfaß zufolge „die Aufmerksamkeit für die Armen“ (ebd.), was mir jedoch mit Blick auf die Umschreibung der Adressatenschaft verengend erscheint.
[10]Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Beschluß: Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendarbeit, in: Ludwig Bertsch u.a. (Hg.), Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg/Br. u.a. 1976, 288 311, 298.
[11]Ebd., 300.
[12]Vgl. insb. Werner Tzscheetzsch, Warum noch kirchliche Jugendarbeit? Kernthemen einer Theorie – ein Versuch, in: Religionspädagogische Beiträge 56/2006, 15 25.
[13]Vgl. die differenzierten empirischen Befunde in: Katrin Fauser / Arthur Fischer / Richard Münchmeier, Jugendliche als Akteure im Verband. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Evangelischen Jugend, Opladen – Farmington Hills 22008.
[14]Die inhaltlich verworrenen „Eckpunkte zum Verständnis der Jugendpastoral im BDKJ“, welche die BDKJ-Hauptversammlung im Jahre 2004 verabschiedet hat, müssen wohl gelesen werden als verzweifelter Versuch, diesem jugendpastoralen Legitimationsdruck zu begegnen, ohne die Verortung katholischer Jugendverbände in der Jugendarbeit preiszugeben. Politisch mag solches verständlich sein, in der Sache entstand ein konzeptloses Konzeptpapier, das kirchliche Jugendarbeit undifferenziert der „Verkündigung“ zuschlägt.
[15]Fauser / Fischer / Münchmeier 2008 [Anm. 13], 83 ermittelten bei 10 bis 20jährigen für die evangelische Jugendarbeit eine Reichweite von 10,1% und für die katholische Jugendarbeit eine Reichweite von 8,8%.
[16]Vgl. insb. ebd., 85.
[17]Karl Rahner, Gotteserfahrung heute, in: ders., Schriften zur Theologie IX, Einsiedeln u.a. 1970, 161 176, 171.
[18]Vgl. Porzelt 2009 [Anm. 8], 154f. Eine 2001 durchgeführte Befragung verdeutlicht, dass angehende Religionslehrer/innen, die in der Jugendarbeit aktiv waren, selbiger ausgesprochen hohe Relevanz für die eigene religiöse Entwicklung zumessen (vgl. Stefan Matern / Andrea Schäfer / Stefan Wachner, Die religiöse Sozialisation heutiger Religionsreferendar/innen. Ergebnisse aus Interviews und Befragung, in: Rudolf Englert / Burkard Porzelt / Annegret Reese / Elisa Stams (Hg.), Innenansichten des Referendariats. Wie erleben angehende Religionslehrer/innen an Grundschulen ihren Vorbereitungsdienst? Eine empirische Untersuchung zur Entwicklung (religions)pädagogischer Handlungskompetenz, Berlin 2006, 117 135, 122f.)
[19]Vgl. Rudolf Englert, Plädoyer für „religionspädagogische Pünktlichkeit“. Zum Verhältnis von Glaubensgeschichte, Lebensgeschichte und Bildungsprozeß, in: Kat.Bl. 113 (3/1988) 159 169, 164f.
[20]Vgl. die bestechenden Befunde in Michael N. Ebertz / Martin Fischer (Hg.), Spontan – spirituell – sozial. Eine explorative Studie zur kirchlichen Jugendarbeit in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Ostfildern 2006 sowie in Fauser / Fischer / Münchmeier 2008 [Anm. 13].
[21]Vgl. Burkard Porzelt, Jugendliche Intensiverfahrungen. Qualitativ-empirischer Zugang und religionspädagogische Relevanz, Graz 1999, 256 258.