79 Prozent der katholischen Pfarrer in Österreich sind für eine Abkehr von der Zölibatspflicht für Priester, 51 Prozent für die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe und 52 Prozent bekennen, dass sie in wichtigen Fragen anders denken als die Kirchenleitung.
Das sind einige der zentralen Ergebnisse einer neuen Umfrage unter Pfarrern in Österreich, die von der ORF-Religionsabteilung in Auftrag gegeben wurde. Mittels Telefoninterviews wurden 500 Pfarrer in ganz Österreich zu ihrer Lebens- und Arbeitssituation befragt. Gleichzeitig bilanzieren 69 Prozent, dass sie mit ihrem ehelosen Leben bisher in Summe recht glücklich waren.
Der Pastoraltheologe em. Prof. Paul Zulehner hat die Umfrage geleitet. Im Gespräch mit „Kathpress“ spricht er von zum Teil beträchtlichen Divergenzen zwischen Pfarrern und Kirchenleitung und sieht „extremen Handlungsbedarf“. Der „reiche Erfahrungsschatz“ der Pfarrer müsse für eine Reform der Kirche genützt werden. Andersfalls warnt Zulehner davor, dass der Kirchenleitung zunehmend die Gestaltungsmöglichkeiten entgleiten würden: „Eine Basisreform findet faktisch statt, in jenen Pfarrgemeinden mit aufgeschlossenen Pfarrern.“
Pfarrer denken anders
Mehr als die Hälfte aller befragten Pfarrer (52 Prozent) sagen, dass sie in wichtigen Fragen anders denken als die Kirchenleitung. Prof. Zulehner weist in diesem Zusammenhang etwa auf die Zulassung von Wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten oder ökumenische Fragen hin, aber auch auf die eigene Lebensgestaltung der Priester. 74 Prozent der Pfarrer beobachten zudem, dass die Vorstellungen der Kirchenleitung und des Kirchenvolks immer weiter auseinanderklaffen.
Verheiratete weihen
Auf dem Hintergrund des Priestermangels und der Sorge um ihre Kirche ist es nach Ansicht der befragten Pfarrer notwendig, eine Ausweitung des Personenpools, aus dem die katholische Kirche ihre Priester auswählt, ins Auge zu fassen: und dies nicht nur wegen der Überlastung der Priester, sondern auch, so Zulehner, um das Amt durch andere Lebenserfahrungen anzureichern: die Erfahrung einer beruflichten Tätigkeit, die Erfahrung einer Partnerschaft, die Erfahrung als Frau.
79 Prozent der befragten Pfarrer sind dafür, dass die katholische Kirche verheiratete Männer zu Priestern weiht. 62 Prozent vertreten die Ansicht, dass Priester heiraten und im Dienst bleiben können. Genauso viele sprechen sich dafür aus, dass die katholische Kirche laisierte Priester wieder in den Dienst nehmen soll. Diese Ausweitung wünschen auch jene Pfarrer, die auch dann weithin ehelos blieben, wenn sie heiraten könnten: Nur 13 Prozent würden wahrscheinlich und sechs Prozent sicher heiraten, wenn sie das Amt behalten könnten. Dieser Gruppe von Pfarrern gehe es nicht um die „Abschaffung des Zölibats“, sondern um einen Qualitätsgewinn für das Priesteramt, so Zulehner.
Ehelosigkeit: „Eigenständiger Weg“
67 Prozent der Pfarrer stimmen in Bezug auf ihr persönliches eheloses Leben der Aussage zu: „Ich habe einen eigenständigen Weg gefunden, den ich verantworten kann!“ Es sei aber nicht Aufgabe dieser Studie gewesen, näher zu erforschen, „was das im konkreten Lebensvollzug bedeutet“ bzw. welche Formen von Beziehungen damit gemeint sein könnten.
Protest nicht lautstark, sondern durch Leben
Prof. Zulehner meinte dazu, es werde vor allem in diesem Punkt deutlich, dass die Kirchenleitung zu einem Großteil den Zugriff auf die Lebensgestaltung der Pfarrer verloren habe. Er stelle auch die Tendenz fest, so der Pastoraltheologe, dass die Priester nicht mehr offen gegen die Position der Kirchenleitung protestieren, sondern ihren eigenen Weg selbstverantwortet gehen würden; und damit im Durchschnitt auch zufriedener seien als noch vor einigen Jahren.
73 Prozent der befragten ehelos lebenden Pfarrer sagen laut Studie, dass sie ihre Lebensform als ein ständiges Auf und Ab erleben würden. 69 Prozent bilanzieren, dass sie mit ihrem ehelosen Leben bisher in Summe recht glücklich waren.
Je mehr sich Pfarrer in ihrem ehelosen Leben glücklich fühlen, desto eher würden sie auch dann nicht heiraten, wenn ihnen diese Möglichkeit die Kirche bei Behalten des Amtes eröffnen würde, so die Studie. Die Unterschiede hinsichtlich der Bewertung des ehelosen Lebens zwischen Weltpriestern und Ordenspriestern sei marginal. Offenbar hänge das Gelingen weniger von der „Einstiegsentscheidung“ ab, sondern vom Verlauf und den im Laufe der Jahre gemachten Erfahrungen.
Frauenpriestertum „pragmatisch“
51 Prozent der befragten Pfarrer sprechen sich dafür aus, Frauen zu Priesterinnen zu weihen. Die Pfarrer sehen darin einen Qualitätsgewinn für das Priesteramt als solches. 65 Prozent der Befragten würden es hilfreich finden, mit Kolleginnen im Priesteramt zusammenarbeiten zu können. Wie Prof. Zulehner erläutert, sei die Frauenordination für die Mehrheit der Pfarrer keine dogmatische Frage mehr sondern nur mehr eine rein kirchenpragmatische. Die Pfarrer würden es als positiv ansehen, „wenn Gott, der den Menschen als sein Ebenbild und als Mann und Frau erschaffen hat, auch im Priesteramt vollständiger abgebildet werden würde“.
Sexueller Missbrauch
Deutlich wird durch die Umfrage auch, dass die Pfarrer durch die Missbrauchsdebatte „stark irritiert“ sind. Auch wenn 65 Prozent meinen, das Thema sei medial viel zu sehr hochgespielt, sind 76 Prozent der Ansicht, dass sexueller Missbrauch für die Kirche ein größeres Problem als für andere Institutionen darstellt. 93 Prozent sind dafür, dass die Kirche dermaßen gute Lösungen erarbeiten soll, dass diese auch für andere Einrichtungen hilfreich sind. Zugleich meinen 80 Prozent, dass die Kirche die Debatte zum Anlass nehmen sollte, grundsätzlich über den kirchlichen Umgang mit Sexualität nachzudenken. 92 Prozent der befragten Pfarrer sind der Meinung, dass in der Priesterausbildung mehr Wert auf menschliche Reife zu legen wäre.
Die befragten Pfarrer stellen zudem der österreichischen Kirchenleitung mit Kardinal Christoph Schönborn an der Spitze (66 Prozent) ein weit besseres Krisenmanagement aus als der römischen (21 Prozent).
Hilflose Kirchenleitung
Deutlich wird aus der Studie auch, dass der steigende Priestermangel große Auswirkung auf die Arbeit der Pfarrer hat. 75 Prozent fühlen sich stark überlastet. Knapp die Hälfte der befragten Pfarrer (48 Prozent) erlebt die Kirchenleitung „hilflos“ bzw. „visionslos“, 25 Prozent sind nicht dieser Ansicht, 27 Prozent liegen im unentschiedenen Mittelfeld.
Gegen Pfarrzusammenlegungen
Die Pfarrer sind nicht grundsätzlich gegen neue größere pastorale Organisationsräume - sie schätzen größere Räume für bestimmte Aufgaben (79 Prozent); zugleich halten sie aber die lokale Gemeinde für unverzichtbar (91 Prozent). In den einzelnen lokalen Gemeinden sollte auch jeden Sonntag Eucharistie gefeiert werden können. Rund zwei Drittel der befragten Pfarrer meinen, dass sich durch die Bildung von größeren Pfarrverbänden die Kirche immer mehr von den Menschen entferne.
Seelsorger, nicht Manager
100 Prozent der befragten Pfarrer sagten, sie wollten als Pfarrer vor allem Seelsorger sein. Der Wandel im Berufsbild vom Seelsorger zum pastoralen Großraummanager wird von den Pfarrern nicht gesucht und gewünscht, sondern erlitten. Er gilt nicht als Gewinn, sondern als schwerwiegender Verlust, der demotiviert. Zulehner spricht von „dramatischem Ausbluten der Substanz der Pfarrerrolle“. Die Pfarrer würden eine „Entgeistlichung der Geistlichen“ befürchten.
Moderne Welt: Befürworter und Skeptiker
64 Prozent aller befragten Pfarrer sagen, die Kirche soll sich der modernen Welt mehr öffnen. Gleichzeitig zeigen sich aber 39 Prozent überzeugt, dass sich die Kirche von der modernen Welt deutlicher unterscheiden müsse.
Ein interessantes Detail: Je jünger ein befragter Pfarrer ist, desto größer ist im Schnitt seine Skepsis und Distanz zur modernen Kultur und zu Modernisierungsvorschlägen anderer Pfarrer. Vor allem die sogenannten „Spätberufenen“, also diejenigen, die nicht gleich nach der Matura ins Priesterseminar eingetreten sind, zählen zu den Modernitäts-Skeptikern. So lehnen beispielsweise 39 Prozent der bis 40-Jährigen, die befragt wurden, komplett ab, dass Frauen zu Priesterinnen geweiht werden sollen.
Unterschieden werden müsse aber zudem zwischen Lebensalter und Weihealter, heißt es in der Studie: Wer von allen befragten Pfarrern (also den alten wie den jungen zusammen) nach der Matura ins Priesterseminar oder in einen Orden eingetreten ist, ist deutlich weltoffener als jene, die als Spätberufene kommen.
Es könnte sein, dass über das Kriterium des Pflichtzölibats derzeit eine Auslese stattfindet, wonach vermehrt modernitätsskeptische Männer Zugang zum Priesteramt finden, so Zulehner. Weltoffenere würden hingegen in andere pastorale Berufsfelder wie Pastoralassistent oder Religionslehrer drängen.
Zulehner verwies in diesem Zusammenhang auch auf seine jüngste Studie zu den Pfarrgemeinderäten in Österreich, wonach diese überwiegend weltaufgeschlossen seien. Das könne in Zukunft zu Spannungen zwischen einem zunehmend konservativen Klerus und weltoffeneren Laienmitarbeitern in den Pfarren und anderen Institutionen führen, warnte der Pastoraltheologe. Auch das sei ein Grund, über eine Ausweitung der Zugangsbestimmungen zum Priesteramt nachzudenken.
In Österreich gibt es mehr als 4.000 Welt- und Ordenspriester. Befragt wurden ausschließlich Priester, die in der Pfarrseelsorge in den gut 3.000 Pfarren tätig sind.
Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und
schon hat uns Ihre Post erreicht.