Benedikt XVI. hat den Basler Bischof Kurt Koch zum Präsidenten des päpstlichen Einheitsrates ernannt. Als Ökumene-Kardinal wird Koch eines der wichtigsten Ämter an der römischen Kurie innehaben. Gewiss eine Ehre für die kleine Schweiz, die mit dann vier Kardinälen eine ungewöhnlich hohe Dichte an Purpurträgern verzeichnet. Das aber besagt nichts über die Vitalität dieser Kirche. Sie ist vielmehr an einem Tiefpunkt angelangt, geschwächt an Haupt und Gliedern, theologisch, strukturell, personell.
Der letzte Intellektuelle
Fängt man beim Haupt an, wird man einer Bischofskonferenz ohne profilierte Stimmen und markante Köpfe gewahr. Mit Kurt Koch verlässt der letzte Intellektuelle dieses nationale Leitungsgremium. Sein Nachfolger an der Spitze der Bischöfe, Norbert Brunner, ist als einsilbig argumentierender Kirchenmann bekannt. Der Einsiedler Abt Martin Werlen hat seinem intellektuellen Anspruch zum Trotz Thomas Hürlimann und Volker Hesse von der Bühne des Welttheaters gewiesen. Positiv macht einzig der St. Galler Bischof Markus Büchel von sich reden, der sein Bistum väterlich leitet.
Die Hälfte der sechs Schweizer Bistümer ist in absehbarer Zeit neu zu besetzen: Neben Basel auch Freiburg, dessen Bischof Bernard Genoud schwer krank ist, und Lugano, wo Bischof Pier Giacomo Grampa nächstes Jahr altershalber zurücktritt. Doch die jüngsten Bischofsernennungen stimmen nicht zuversichtlich: Die Berufungen von Vitus Huonder und Marian Eleganti im Bistum Chur stehen nicht nur im Zeichen der Restauration, sondern auch des Obskurantismus. Ausgerechnet an der Spitze der urbanen Zürcher Kirche steht jetzt mit Eleganti ein Mann, der 15 Jahre in einer verbotenen Gemeinschaft im Untergrund verbrachte, die sich von Privatoffenbarungen ihres Gründers leiten ließ.
Kaum jemand hat vorausgeahnt, wie radikal sich die Großwetterlage innerhalb von nur 20 Jahren wandeln würde. Damals stiegen Klerus und Kantonalkirchen geeint im Widerstand gegen Wolfgang Haas auf die Barrikaden und drehten ihm den Geldhahn zu. Heute arrangieren sie sich mit noch viel konservativeren Bischöfen. Nach anfänglicher Kritik demonstrierte Zürichs staatkirchenrechtliche Exekutive, der Synodalrat, vorletzte Woche an einer gemeinsamen Medienkonferenz das vorzügliche Einvernehmen mit Eleganti.
Der Synodalrat dürfte sich mit seiner Harmoniebedürftigkeit das eigene Grab schaufeln. Mit Bischöfen wie Huonder und Eleganti kann die Kirche keinen Staat machen und nicht länger öffentlich-rechtliche Anerkennung beanspruchen. Eine neue Initiative zur Trennung von Kirche und Staat ist nur eine Frage der Zeit.
Den Wandel in der Kirche Schweiz verkörpert keiner deutlicher als Kurt
Koch selber. Als Reformpriester war er ein typischer Vertreter jener Theologengeneration,
die im Aufwind des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) auf die Öffnung
der Kirche und eine weitreichende Demokratisierung durch Bischofswahlrechte
oder das Frauenpriestertum setzten. Inzwischen haben Amt und Würde Bischof
Koch auf römische Generallinie gebracht.
Wo aber die Bischöfe unter Kuratel des römischen Lehramtes sind,
müsste aus den theologischen Fakultäten der Ruf nach Freiheit der
Theologie ertönen. Doch die Professoren verharren im Elfenbeinturm. Längst
sind die provokanten Theologenstimmen von Herbert Haag oder Franz Böckle
verstummt. Auch jene des Jesuiten Ludwig Kaufmann, dessen dem Konzil verpflichtete
Zeitschrift «Orientierung» symptomatischerweise auf Jahresbeginn
eingestellt wurde.
Der theologische Niedergang geht mit dem strukturellen Hand in Hand. Die Kirche
wird in ihren Spitzenämtern fast nur noch durch Greise oder Exoten aus
Afrika und Indien repräsentiert. Missbrauchskandale hin oder her: Der Zölibat
wird nicht fallen.
In der einst rebellischen Ortskirche Schweiz geht die Saat Josef Ratzingers auf. Hier haben die von ihm umworbenen antisemitischen Pius-Brüder ihr Mutterhaus (das Priesterseminar Ecône und ihr Generalhaus Schloss Schwandegg Menzingen). Hier zieht das Opus Dei die Fäden. Und hier vermeldet die Bewegung Pro Ecclesia alles Nichtrömische nach Rom. Mit Erfolg: Die Bischöfe haben sich von den kollektiven Bußfeiern distanziert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie das auch von der Laienpredigt tun.
Hans Küngs vor 20 Jahren erschienenes Buch «Verrat am Konzil» ist bereits veraltet. Das Konzil nämlich scheint schlicht vergessen. Der Verdacht ist berechtigt, dass sich die Schweizer Kirche ihren neuen Kardinal mit der Unterwerfung unter Benedikts Restauration verdient hat.
„Eine neue Initiative zur Trennung von Kirche und Staat ist nur eine Frage der Zeit.“
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