Pater Arthur Hervet: Meine Arbeit bei den Roma ist zu einem Kampf geworden
Interview vom 22. August 2010 in La Croix

Pater Arthur Hervet hat am Sonntag, 23. August 2010 bekannt gegeben, dass er die Medaille des Nationalen Verdienstordens (entspricht dem Bundesverdienstkreuz, J.M.) zurückgegeben hat, um sich von der Regierungspolitik den Roma gegenüber zu distanzieren.

La Croix: Sie haben sich entschieden, Ihre Medaille des Nationalen Verdienstordens dem Innenminister Brice Hortefeux zurückzugeben. Was erwarten Sie sich von dieser Geste?
P. Arthur Hervet: Diese Auszeichnung wurde mir vor vier Jahren von Brice Hortefeux verliehen, als er Minister für Einwanderung war. Ich hatte damals meinen Frachtkahn ,Je sers’ (ich diene, J.M.) in Conflans-Sainte-Honorine (Yvelines) aufgegeben. Der Nachrichtendienst der Polizei (eine Art Geheimdienst, J.M.) hatte mich in der Emmaus Gemeinschaft, in der ich seit kurzem lebte, darüber benachrichtigt. Zunächst lehnte ich diese Auszeichnung ab, aber auf den Rat mir Nahestehender hin habe ich sie schließlich angenommen mit der Überlegung, dass sie meiner Arbeit dienlich sein könnte. Heute ist die Rückgabe meiner Medaille des Verdienstordens eine Geste der Verzweiflung angesichts einer Lawine von unhaltbaren Entscheidungen, bei denen die Roma offiziell vom Präsidenten der Republik als Schuldige und Unruhestifter betrachtet werden.
Ich benutze meinen Nimbus, damit dies in die Medien kommt.

Woher rührt Ihr Einsatz für die Roma und das fahrende Volk?
Als Pfarrer der Binnenschiffer lebte ich 17 Jahre lang auf meinem Kapellen Schiff ‚je sers’. Da habe ich mich selbstverständlich mit den Menschen auf einem benachbarten Lagerplatz solidarisiert. An dem Tag als das Lager abgerissen wurde, haben einige Familien auf meinem Schiff Zuflucht gesucht. Von daher mein Einsatz. Als ich vor vier Jahren nach Lille kam, entdeckte ich die beklagenswerte Situation der Roma am Stadtrand. Da musste ich mich wieder einsetzen.

Worin besteht Ihre Arbeit bei ihnen?
Ich versuche dauernd, Lösungen zu finden. Ich miete öffentliche Toiletten an, um sie auf den Lagerplätzen aufzustellen. So was schein kaum von Bedeutung zu sein, aber das sind wichtige Dinge. Letzten Januar hat mich ein Priester von Villeneuve d’Ascq auf das Los von rund fünfzehn Familien, die auf der Straße standen, aufmerksam gemacht. Mit dem klammheimlichen Einverständnis der Stadtverwaltung von Ronchin (Departement Nord) haben wir sie in einem aufgegebenen Kindergarten untergebracht. Wir haben mit ihnen einen Pakt ausgehandelt: ihr bettelt nicht mehr, ihr schickt eure Kinder in die Schule und lernt Französisch. Einige Familien haben sich geweigert und sind weitergefahren, fünf von ihnen sind geblieben und alles verläuft glatt. Man kann also Lösungen finden.
Angesicht der Häufung von Ausweisungen komme ich heute nicht mehr mit. Notunterkünfte werden niedergerissen, Wohnwagen zerstört. Wir kaufen Zelte, damit die Kinder ein Dach über dem Kopf haben. Es wurde mir nicht erlaubt, Gartenhäuschen, die ich gekauft habe, aufzustellen, weil es sich um feste Aufbauten handele. Zu viele Menschen leben unter unmenschlichen Bedingungen. Meine Arbeit ist ein Kampf geworden.

Haben sich Christen mit Ihnen zusammengetan?
Natürlich bin ich nicht allein. Vereine stehen mir zur Seite. Gestern waren nach der Messe die Liga für Menschenrechte, ATD Vierte Welt (all together for dignity) und die Mrap (mouvement contre le racisme et pour l’amitié entre les peuples) anwesend. Das Schlimmste ist, dass man gezwungen ist, sich zurückzuhalten. Neulich besuchte der Erzbischof von Lille die Lager. Er half dabei, eine vertriebene Familie in einem Pfarrhaus zu beherbergen. Am folgenden Tag bekam ich Besuch vom Nachrichtendienst der Polizei, der über unsere Vorhaben Auskunft haben wollte. Wir werden hautnah überwacht.

Fühlen Sie sich von der Kirche unterstützt?
Dessen bin ich sicher und ich bin stolz darauf. Die Kirche beginnt aufzuwachen. Niemand glaubte an Unternehmen von dieser Tragweite. Die Kirche kann nicht unempfindlich bleiben. Der Vatikan, die Bischöfe reagieren.

Das Interview führte Marie Verdier.

Anmerkung: In einem Beitrag zur Internetzeitung rue89 vom 22. August 2010 hatte Pascal Riche berichtet, dass Pater Hervet in seiner Wut über Sarkozys brutale Ausweisungspolitik diesem den Tod gewünscht hatte. (Er habe sich gezwungen gesehen zu beten, “dass Herr Sarkozy einen (tödlichen, J.M.) Herzanfall bekomme“). Später sagte er: „Soweit bin ich schon, ich weiß, dass ich das nicht tun darf, aber ich sage, Herr, nur Du kannst etwas aufhalten“.

In dem gleichen Artikel schreibt Pascal Riche:
Anlässlich des Besuches eines Roma Lagers am Donnerstag wurde Monsignore Christophe Dufour, der Erzbischof von Aix-en-Provence und Arles Zeuge, wie „ein großes Polizeikommando anrückte“.

In einem Kommunique hat er sich zu diesem Ereignis überdeutlich geäußert: „Wohnwagen wurden zerstört. Ich mache den Polizeikräften, die Befehlen gehorchen, keine Vorwürfe. Aber ich verlange, dass man im Rahmen des französischen Gesetzes Personen und ihre Würde respektiert.
Das Gerede von der Sicherheit, das durchblicken lässt, dass es minderwertige Bevölkerungen gibt, muss zurückgewiesen werden. Diese Menschen, die europäische Bürger sind, leben fast alle friedlich hier, einige von ihnen seit vielen Jahren“.

In einem weiteren Artikel von rue89 vom 24. August 2010 macht Chloe Leprince darauf aufmerksam, dass Pater Arthur Hervet sich mit seiner Rückgabe der Medaille des Verdienstordens in guter Gesellschaft befindet.

Letzte Woche gab die national und international bekannt Anästhesistin Anne-Marie Gouvet ebenfalls aus Protest gegen die Ausweisungen der Roma ihre kürzlich angenommene Medaille zurück.

Mitte Juli hatte der Philosoph Jacques Bouveresse aus Protest gegen die Schulpolitik der Regierung die Annahme der Medaille verweigert.
Andere Verweigerer sind: Albert Camus, Pierre und Marie Curie, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Leo Ferre, Sänger, George Sand, Schriftstellerin, Marcel Ayme, Schriftsteller, Hector Berlioz, Komponist, Georges Brassens, Sänger und Maurice Ravel, Komponist.

Aus dem Französischen von Josef J. Martin


© imprimatur Dezember 2010
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