War es Galgenhumor oder eine Vision, als der „Rheinische Merkur“ im August eine Anzeigenkampagne in eigener Sache mit dem Slogan „In die Tiefe. Gehen Sie mit uns“ startete? Damals gab es bereits Gerüchte über ein baldiges Ende dieses zuletzt mit dem Motto „Politisch, Kompetent. Anders“ werbenden Blattes. Insofern kam das Ende der 1946 in Koblenz gegründeten „Wochenzeitung für Deutschland“ nicht überraschend. Die offizielle „Todesanzeige“ in Form einer Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz (21.9.) zu diesem einschneidenden Schritt fiel erwartungsgemäß knapp, verklausuliert und beschönigend aus: Die Gesellschafter (das sind 8 Bistümer und zu einem kleinen Teil die Bischofskonferenz) hätten eine Kooperation des „Rheinischen Merkur“ mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ beschlossen. Ziel sei es, „die Kernkompetenz des Rheinischen Merkur unter gewandelten Bedingungen des Medienmarktes weitestgehend zu sichern. Über vier Jahrzehnte hat die katholische Kirche mit dem Rheinischen Merkur trotz schwieriger Marktlage ein anerkanntes Printmedium unterhalten.“
Die Presse dagegen kommentierte den Vorgang überwiegend kritisch bis sarkastisch: - Halbes Aus (Stern) - Bestätigung: ,Rheinischer Merkur’ wird verkauft (evangelisch. de) – Bischöfe wollen ,Rheinischen Merkur’ entsorgen. Sterbehilfe durch Geldentzug? (Spiegel. online) – Der ,Rheinische Merkur’ wird ,eingeschläfert’. Eine christliche Stimme verstummt, sie war schon in den vergangenen Jahren immer schwächer geworden, selbst Notoperationen versprachen wenig Hoffnung... Es ist ein Tod auf Raten (kath.net) – Und doppeldeutig: Die Kirche will mit der Zeit gehen (Frankfurter Rundschau) – Die ,Zeit’ wird katholisch (taz)
Als „publizistischen Markenkern“ des „Rheinischen Merkur“, der bei der Kooperation mit der „Zeit“ fortgeführt werden solle, nennt die Bischofkonferenz die „Debatte rund um das Thema Religion und gesellschaftliche Diskurse aus der Sicht eines christlichen Menschenbildes“. Auch Chefredakteur Michael Rutz sprach von dem ursprünglichen Auftrag, „eine christliche Wochenzeitung zu machen aus christlichem Menschenbild heraus“, und erwähnte den späteren Zusatz „im Geiste der gleichberechtigten Zusammenarbeit beider Konfessionen“. Die Zeitung habe „in die Gesellschaft hineingewirkt“ und sei ein „Forum, wo die wesentlichen Debatten auch stattfinden“, gewesen.. Er fügte hinzu, das neue Konzept sei aber „das Ende des selbständigen ,Rheinischen Merkurs’“. Stattdessen solle die „Rheinischer Merkur. Christ und Welt“ betitelte Beilage zur „Zeit“ „gewissermaßen ein Schatzkästlein geistiger und geistlicher Inhalte rund um das Thema der Religionen, der Kulturauseinandersetzungen, auch der gesellschaftspolitischen Debatten“ sein.
Mit dem „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“ (also den Kalendergeschichten des Johann Peter Hebel / 1760 – 1826) hatte der „Rheinische Merkur“ zwar nie etwas zu tun, aber als „Schatzkästlein des rheinischen Katholizismus“ schätzten ihn lange Zeit viele. So hat man das Blatt dann auch als „Wacht am Rhein“ bezeichnet, galt es doch von Adenauer-Zeiten an nicht nur als wichtige Stütze christdemokratischer Politik und christlich-europäischen Denkens, sondern auch als Speerspitze gegen Sozialdemokraten und Liberale. Gerne verwies man darauf, dass der „Rheinische Merkur“ Pflichtblatt an den Wertpapierbörsen in Düsseldorf und Frankfurt sei. Michael Rutz nennt rückblickend sein Blatt eine „konservative Zeitung“, denn: „Wer den Menschen in seiner ganzen Sozialität in den Mittelpunkt seines Denkens stellt, der kann Freiheit von Verantwortung nicht trennen – von Verantwortung für den Nächsten, für den Staat, vor Gott... Wer die Geschichte kennt, der weiß um die fatalen Folgen des Nationalismus, der wird die Errungenschaften christlich-europäischen Denkens bewahren müssen. Ihm wird, weil zukunftshoffend denkend, das Morgen nie egal sein.“
Welche zukunftshoffenden Pläne für das Morgen die deutschen Bischöfe haben, verraten sie am Ende ihrer Pressemeldung: „Die Auflösung der bisherigen Erscheinungsweise bedeutet nicht den Rückzug der Kirche aus der Publizistik oder aus dem gesellschaftlichen Diskurs. Die katholische Kirche wird für diesen Diskurs auf andere Medien setzen. Zur langfristigen Medienstrategie gehört dabei insbesondere ein Ausbau des bisherigen Internetengagements, weitere Investitionen in die Ausbildung junger Menschen beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses und die Stärkung unserer Katholischen Nachrichtenagentur.“
Ein Rückblick auf das zukunftshoffende Handeln in diesem Sektor in der Vergangenheit lässt allerdings Skepsis aufkommen. Da wurden neben dem „Rheinischen Merkur“ die Blätter „Feuereiter“ und „Mann in der Zeit“ gefördert und dann beerdigt. Da ließ man das Mut-machende, vom Konzil inspirierte Experiment „Publik“ 1971 nach nur drei Jahren platzen, um kurz darauf den „Rheinischen Merkur“ zu übernehmen, in dem1979 dann auch die evangelische Wochenzeitung „Christ und Welt“ aufging. 2002 übernahm der Merkur schließlich noch den Abonnentenstamm der eingestellten Zeitung „Die Woche“. Doch trotz allem blieb der „Rheinische Merkur“ ein riesiger Zuschussbetrieb. Jahr für Jahr wurden Millionen DM und € hineingepumpt, indirekt auch dadurch, dass die bischöflichen Träger des Unternehmens, und damit die Kirchensteuerzahler, künstlich die Auflage steigerten mittels kostenloser Massenverteilung z.B. in der Bundeswehr. Die wirkliche Abonnentenzahl und die Höhe der Auflage blieben bis zum Schluss geheimnisvoll und widersprüchlich. So wie jetzt der „Rheinische Merkur“ als „Zeit“ - Zugabe gerettet werden soll, unternahm die Evangelische Kirche im Jahr 2000 nach heftigen Diskussionen einen Reinkarnations - Versuch für das eingestellte „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ in Form von „Chrismon“, einer monatlichen Magazin-Beilage u.a. in der „Zeit“, FAZ und „Süddeutschen Zeitung“.
Der Beschluss der Bischöfe von 1971, „Publik“ den Garaus zu machen, wurde natürlich nicht mit Kritik am Inhalt und an der Richtung dieser Zeitung, sondern mit dem Hinweis auf die finanzielle Belastung begründet: „Angesichts der großen pastoralen und sozialen Aufgaben der Kirche in Deutschland und in der Welt“ – so musste auf ihr Geheiß hin in der letzten Ausgabe von „Publik“ geschrieben werden – könnten sie es nicht länger verantworten, dieses Presseorgan weiterhin mit den Millionen ihrer Gläubigen am Leben zu erhalten.. Als die Bischöfe nur zweieinhalb Jahre später begannen, Millionen in den „Rheinischen Merkur“ zu stecken, wurde endgültig klar, dass es dabei um eine kirchen- und nicht um eine finanzpolitische Entscheidung ging. Der „Spiegel“ meldete bereits damals (Nr.34/ 1974) seine Zweifel an: „Ob sich die Kirchen-Millionen für den ,Rheinischen Merkur’ lohnen werden, scheint freilich zweifelhaft. Denn seit Jahren wird das Wochenblatt wegen seiner sturen Verteufelung jeglicher Veränderungen des Hergebrachten in Staat und Gesellschaft – ob durch Mitbestimmung, Liberalisierung des Ehe- und Strafrechts oder durch die Ostpolitik – außerhalb rechter Akademiker-Zirkel kaum mehr ernst genommen.“ Hauptsache für viele Mitraträger schien aber zu sein, nach dem Abschuss der in ihren Augen zu liberalen und dazu noch der SPD allzu nahe stehenden Zeitung „Publik“ und nach dem erfolgreichen Start des von einer Leserinitiative gegründeten „Ersatzes“ mit Namen „Publik-Forum“, endlich genau ein solches angepasstes konservatives Blatt zu haben.
Offensichtlich wiederholt sich jetzt das Szenario. Erneut werden finanzielle Gründe für das Aus des traditionellen „Rheinischen Merkurs“ vorgeschoben. Dabei haben viele Bischöfe das Ende nur deshalb herbeigesehnt, gefordert und gefördert, weil sie die frühere „Linientreue“ vermissten. Besonders der Haupt-Sponsor, das Erzbistum Köln als größter Anteilsinhaber, d.h. dessen Kardinal Joachim Meisner, ging zunehmend auf Distanz zu der vermeintlich vom Schatzkästlein zum Schmutzkästlein und vom rheinischen Hausfreund zum rheinischen Hausfeind mutierten Wochenzeitung. Chefredakteur Michael Rutz gab in einem Interview zu, der Kardinal habe sich „hin und wieder gemeldet, aber das sind inhaltliche Fragen... Er hat uns nie eingeengt... Er hat uns seine Meinung gesagt gelegentlich, und das finde ich akzeptabel, das haben andere auch.... Also die inhaltlichen Kritiken haben wir gehabt, aber ich will es darauf nicht reduzieren.“ Andererseits bestätigen Insider, dass Kardinal Meisner, wenn er sich über den „Rheinischen Merkur“ geärgert hatte, auch andere vorschickte, um Kritik zu äußern über die Art der Behandlung bestimmter Themen: Schwangeren - Konflikt - Beratung, Margot Käßmann, Papst und Piusbrüder-Rehabilitierung, Missbrauch durch Priester, der „Fall Mixa“. Die früher für die Förderung der Wochenzeitung entscheidende Ausrichtung auf einen CDU-Kurs war für Meisner ohnehin schon lange kein Grund mehr, kritisiert er doch immer wieder „die Missachtung des C“ im Namen dieser Partei. Nein, solche Themen und Positionen wollte der Kardinal entweder nicht oder nicht so, wie geschehen, in „seinem“ doch so „großzügig“ finanzierten Blatt lesen. Also plädierte er für eine inhaltliche Umbesinnung und eine finanzielle Umwidmung. Die Trennung vom „Rheinischen Merkur“ will er offenbar durch verstärkte Unterstützung der Bistumspresse kompensieren, die er zu beeinflussen und zu kontrollieren weis. Ein Indiz dafür ist die kürzliche Berufung des Journalisten Martin Lohmann als Leiter des Kölner Bachem-Verlages, in dem auch die Kölner Kirchenzeitung erscheint. Lohmann war bis 1997 stellvertretender Chefredakteur des „Rheinischen Merkur“ und ist seit 2007 Kolumnist bei BILD sowie Gründer des „Arbeitskreises Engagierter Katholiken in der CDU“. Genau wie sein neuer Chef beschwört er das Alte: „Der Konservative ist der wirklich Fortschrittliche, weil er das Bewährte von gestern im Heute als Sprungbrett für das Morgen nutzt... Es geht um Sein, nicht um Schein... Wir fordern mehr ,C’ in der Union: Wenn Sie in der Apotheke Vitamin C verlangen und eine Tüte Mehl bekommen, sind Sie ja auch nicht zufrieden.“
Der ebenfalls zu den Gründern des konservativ-katholischen CDU-Arbeitskreises zählende Dominikaner Professor Wolfgang Ockenfels von der Universität Trier kritisierte inzwischen scharf den „Rheinischen Merkur“, für den er lange als Kolumnist tätig war: „Die Zeitung ist an ihrer eigenen Langeweile und Belanglosigkeit zugrundegegangen. Vor lauter Angst und Rücksichtnahme hat sie fast nur noch verwaschene Positionen gelten lassen. Aber dies teilt sie mit der heute noch vorherrschenden Mentalität des deutschen Verbands-Katholizismus.“ Als bekannt wurde, dass die „Zeit“ den Zuschlag bekommen solle, meldete sich der Geschäftsführer der in Berlin erscheinenden konservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ mit dem Angebot an die Bischofskonferenz, den „Rheinischen Merkur“ zu übernehmen: „Der Verlust eines vor Jahren noch dezidiert christlich-konservativen Titels ist beklagenswert genug. Die quasi Auslieferung der Leser, die zu einem Teil noch glaubten, ein konservativ- katholisches Blatt abonniert zu haben, an eine Wochenzeitung, die aus ihrer Gegnerschaft gegenüber der Kirche selten ein Hehl gemacht hat, ist jedoch ein Skandal.“ Sofort sprang ihm Ockenfels bei, er wünsche sich, dass die „Junge Freiheit“ jetzt mehr Leser des „Rheinischen Merkur“ an sich binde: „In der ,Jungen Freiheit’ kommen – für mich erstaunlich – so viele profilierte Autoren zu Wort, die eine gewisse Nähe zu katholischen Positionen erkennen lassen, dass die Lektüre dieses Blattes immer sehr anregend ist. Gerade für Intellektuelle, die gegen den Zeitgeist argumentieren.“ Die „Zeit“ dagegen sei ein „Sammelsurium der Konfusion auf hohem intellektuellem Niveau“. In diesem „Strom der Beliebigkeit“ könne eine freie und zugleich konservative Presse nicht mitschwimmen: „Besonders dann nicht, wenn sie sich zum Erbe der deutschen und europäischen Kultur bekennt.“
Die Zusammenarbeit des auf eine sechsseitige Beilage reduzierten „Rheinischen Merkur“ mit der „Zeit“, die – so Ockenfels - „ihre vorgeschobene Liberalität immer wieder zu antikatholischen Ausfällen missbraucht“, hat auf beiden Seiten zu Irritationen geführt. Die Bischofskonferenz erklärte, die „Zeit“ sei „ein journalistisch erstrangiger Partner“, andere verwiesen geradezu hilflos darauf, dass „Zeit“–Chefredakteur Giovanni di Lorenzo immerhin katholisch sei. Für kreuz.net aber steht fest: „Die deutschen Bischöfe paktieren mit dem Feind.“ Michael Rutz musste zugeben, dass nicht wenige Leser Zweifel geäußert haben, ob das Zusammengehen eines konservativen und liberalen Blattes klappen könne. Unter der geheimnisvollen Überschrift „Es bleibt, was sich verändert“, nahm dann di Lorenzo selbst im „Rheinischen Merkur“ Stellung zu dem geplanten Experiment. Er habe sich für die Kooperation eingesetzt, schließlich stünden „beide Blätter für große, prägende Traditionslinien der Bundesrepublik“. Vorsorglich aber warnt er die bisherigen Abonnenten des „Rheinischen Merkur“ (und nur diese erhalten demnächst die Beilage zur „Zeit“, was lange Zeit verschleiert wurde und das Argument der Bischöfe entkräftet, auf diese Weise könne „Interesse gerade bei jüngeren Leserschichten“ für die Themen des neuen Produkts der „Zeit“ geweckt werden) würden künftig auch „auf Meinungen und Standpunkte stoßen, die Ihnen nicht behagen oder die Sie nur teilweise unterstützen können. Bitte glauben Sie mir: das geht mir als Chefredakteur manchmal genauso“.
Von seiner Stammleserschaft bekam er aber auch kritische Reaktionen zur geplanten Mischehe: - Die Beweggründe der Übernahme sind mir gänzlich unklar. Vielleicht sind sie es der Redaktion auch – Oh Schreck! Zuerst die neue seltsame Seite „Glauben und Zweifeln“, jetzt auch noch eine katholische Beilage. Muss ich mir Sorgen machen? – Eine katholische Wochenzeitschrift als unabhängig zu betrachten, köstlich. Einfach köstlich, Herr di Lorenzo! – Ist das nach „Chrismon“ der nächste Schritt zur feindlichen Übernahme der Zeit durch die Kirchen? -. Fragen über Fragen. Eine ungewisse Zukunft eines lange gehätschelten, geförderten und wegen seiner politischen Ausrichtung immer wieder herausfordernden Printmediums.. Ob der „Rheinische Merkur“ auf die alte Weisheit vertrauen kann: „Kommt Zeit, kommt Rat“?
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