Am späten Vormittag des 15. September 2010, einem Mittwoch, kamen im Landratsamt von Bad Salzungen eine Handvoll Journalisten lokaler Medien zu einem Pressegespräch zusammen. Eingeladen hatte der Landrat des Wartburgkreises Reinhard Krebs (CDU). Die Medienvertreter sollten informiert werden über die Veranstaltungen der bevorstehenden Interkulturellen Woche. Ein Routinetermin. Das Besondere war lediglich: In diesem Jahr sollte der traditionelle Zentrale Festakt des Landes Thüringen zur Interkulturellen Woche, ein alljährlicher ausländerpolitischer Akzent, im Kurhaus von Bad Salzungen stattfinden – seit Jahren verantwortet und je an verschiedenen Orten organisiert vom Thüringer Ausländerbeauftragten Eckehard Peters. Dieser sollte denn auch die Medienvertreter über die Veranstaltung unterrichten – den Ablauf, die Redner, die Gäste, das Thema - und für Fragen zur Verfügung stehen über Ziele der Veranstaltung, die integrationspolitischen Hintergründe, die Lage der Ausländer in Thüringen. Peters fehlte. Bald sprach sich herum: Seine Vorgesetzte, die Thüringer Sozialministerin Heike Taubert (SPD), hatte ihm kurzfristig die Fahrt von Erfurt nach Bad Salzungen untersagt. Peters selbst hatte noch die Pressereferentin des Bad Salzunger Landratsamtes von der überraschenden Verfügung der Ministerin in Kenntnis setzen können: die Teilnahme des Ausländerbeauftragten an der Pressekonferenz sei angesichts „der aktuellen Vorfälle“ nicht angezeigt. Was war passiert?
Einige Wochen zuvor hatten Landtagsabgeordnete, Rektoren Thüringer Hochschulen, Leiter von Volkshochschulen, Thüringer Bildungswerke und politische Stiftungen, katholische und evangelische Studentengemeinden, Präsidenten verschiedener Landesämter und Institute, Kirchengemeinden, Gymnasien, Bibliotheken und Kultureinrichtungen vom Ausländerbeauftragten Post bekommen. Es war nicht das erste mal, dass der Thüringer Ausländerbeauftragte potentiell interessierten Personen und öffentlichen Institutionen Informationsmittel zuleitete. Öfter handelte es sich dabei um einzelne Broschüren der von ihm herausgegebenen Schriftenreihe mit Vortragstexten verschiedener Autoren zu ausländer- und integrationspolitischen Themen. Die Absicht der Postsendungen stets leicht erkennbar: Anregung zur Reflexion und Diskussion eben dieser Themen – Staatsangehörigkeitsfragen, Antidiskriminierungsgesetzgebung, Entwicklungen im Ausländerrecht, Besonderheiten einzelner Immigrantengruppen: Armenier, Kurden und immer auch mal ein Text zur Rolle des Islams im Integrationsprozess. Verbreitung von Druckschriften als eine bei aufgeschlossenen, lese- und reflexionsbereiten Bürgern immer noch akzeptierte Methode der Öffentlichkeitsarbeit! Diesmal befand sich in der Versandtasche ein 168 Seiten starkes, broschiertes Buch: „Good Bye Mohammed“ von Norbert G. Pressburg.
Islamgeschichte neu geschrieben
In einem Begleitschreiben erläuterte der Ausländerbeauftragte, was es mit dem Buch auf sich hat. Muslimische Überlieferungen zur Entstehung des Korans und zur islamischen Frühgeschichte würden, schrieb Peters, in jüngster Zeit verstärkt einer wissenschaftlichen Kritik unterzogen. In die gängigen Islamdarstellungen seien deren Ergebnisse allerdings noch kaum eingegangen. Erstmals in „Good Bye Mohammed“ würden neuere religions- und sprachwissenschaftliche, archäologische, numismatische und theologiegeschichtliche Forschungsergebnisse nicht wie bisher in schwer zugänglicher Wissenschaftsliteratur dargestellt, sondern, für interessierte Laien aufbereitet, leicht lesbar beschrieben. Dabei entstehe ein Geschichtsbild, das erheblich von den traditionellen Überlieferungen der Muslime abweicht: Der Ursprung des Korans sei nicht auf der arabischen Halbinsel zu suchen, sondern im Osten Irans; unverständliche Koranverse würden sinnvoll, wenn man sie nicht als arabische, sondern als aramäische Texte liest, und den Propheten Mohammed dürfe man wahrscheinlich nicht als historische Gestalt ansehen, sondern als ein Produkt narrativer Theologie.
Einstieg in eine unausweichliche Debatte
Dem Ausländerbeauftragten war offensichtlich bewusst, das lässt sein Schreiben erkennen, dass die von Norbert G. Pressburg vorgestellten Analysen, insbesondere die Infragestellung der Historizität Mohammeds, bei der Mehrzahl der gläubigen Muslime auf erhebliche Abwehr stoßen werden. Er lässt aber keinen Zweifel an seiner Überzeugung, dass dem Islam in Europa die Auseinandersetzung mit solcher Art historischer Kritik nicht erspart bleiben dürfe, wenn dieser nicht in eine gefährlichen Sektenmentalität abdriften und zu einem Fremdkörper im Sinne eines dauerhaften Integrationsproblems werden wolle. Mit dem Buch wolle er, Peters, Thüringer Verantwortungsträger anregen, sich auf Diskussionen einzustellen, die früher oder später unausweichlich seien. „Good Bye Mohammed“ könne dafür als Einstiegshilfe dienen.
Aus einem Schreiben, das der Ausländerbeauftragte später einer Reihe integrationspolitisch interessierter Personen in Thüringen zukommen ließ, geht hervor, dass ihn die Bedeutung des Islams als Religion und politische Ideologie für die Integration muslimischer Einwanderer schon seit langem umtreibt: „Seit Ende der 1990er Jahre verfolge ich - meist in meiner Freizeit - die Untersuchungen, die mit den Verfahren der historischen Kritik die Quellen des Korans und die Geschichte des Islams untersuchen. Eine internationale Forschergruppe um den Saarbrücker Theologen und Religionswissenschaftler Karl Heinz Ohlig geht die Sache nach meiner Wahrnehmung am konsequentesten an. Sie arbeiten Schritt für Schritt heraus, warum nicht nur die Tradition der Muslime, sondern auch viele Aussagen des Mainstreams der deutschen Orientalistik nicht den historischen Tatsachen entsprechen können. Die Historizität Mohammeds wird immer fraglicher und der Koran ist natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern geht auf verschiedenste Einflüsse zurück und hat eine viel längere Entstehungsgeschichte, als es die Tradition der Muslime glauben machen will. Zwischen den Leuten des Saarbrücker Instituts, den traditionellen Muslimen und den deutschen Islamwissenschaftlern gibt es also Streit, der sich sowohl in wissenschaftlichen Publikationen spiegelt, aber auch in überregionalen Zeitungen ausgetragen wird. Es geht dabei nicht immer zimperlich zu. Für mich schält sich heraus, dass Ohlig und seine Leute die plausibelsten Lösungsvorschläge vorlegen und sowohl muslimische Autoren als auch Islamwissenschaftler oft nur Entrüstung äußern, auf Autorität insistieren und ihre Meinungsgegner zu verunglimpfen suchen. In 1974 ist Ähnliches einem gewissen Günter Lüling (Erlangen) widerfahren, den man wegen seiner Dissertation, in der er christliche liturgische Strophenlieder im Koran identifizierte, aus dem Wissenschaftsbetrieb regelrecht herausgemobbt hat. Selbst bei ungläubigen Orientalisten galt das Dogma, man habe keinen Grund anzunehmen, dass auch nur eine einzige Sure des Korans nicht von Mohammed sei (so der Koranübersetzer Rudi Paret). Und das Dogma siegte mitten im deutschen Universitätsbetrieb über die kritische Wissenschaft.“
Er sei zwar kein Wissenschaftler, räumt Peters ein, aber zwischen Sachargumenten und persönlichen Diskreditierungsversuchen könne er noch unterscheiden. Und die Sache spreche seiner Meinung nach für die neueren Forschungsergebnisse der Saarbrücker Gruppe. Dementsprechend habe er Prof. Ohlig im Dezember 2007 zu einem öffentlichen Vortrag eingeladen, der mit seinen Ausführungen „Zur Entstehung und Frühgeschichte des Islam“ in Erfurt auf erhebliches Interesse stieß. Später habe er den Vortragstext als Broschüre herausgebracht. Sie werde noch immer vom Büro des Ausländerbeauftragten angeboten. Wissenschaftliche Erkenntnisse, auch wenn sie noch umstritten sind, sollen den Weg in die Erwachsenenbildung finden.
So auch das Buch von Norbert G. Pressburg, auf das der Ausländerbeauftragte nach seinen Angaben bereits im Frühjahr 2010 gestoßen war. Obwohl das Buch seiner Meinung nach einige Unzulänglichkeiten enthalte, was möglicherweise mit der fehlenden Lektorierung durch einen ausgewiesenen Sachbuchverlag zusammenhänge (das Buch erschien bei „books on demand“), hielt Peters das Buch für geeignet, einen Diskussionsprozess über den gegenwärtigen Zustand und mögliche Entwicklungen des Islams in Europa anzustoßen, sofern es gelinge, Verständnis für eine historische, aufklärende Sicht auf den Islam zu gewinnen. Seine These in einer von ihm selbst verfassten Buchbesprechung: „Wer es mit der Religion Islam und der Integration der Muslime gut meint, sollte sich die Auseinandersetzung mit den Kernaussagen Pressburgs nicht ersparen.“ Würden die maßgeblichen Muslime diese geistige Auseinandersetzung verweigern, stünde zu befürchten, dass der Islam sich vom Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft weiter entferne und mental zur Sekte werde. Das Gegenteil sei wünschenswert. Nicht zuletzt müsse ein künftig zu erwartenden islamischer Religionsunterricht anschlussfähig sein an die Auskünfte der historischen Kritik.
Tendenziöse Anfrage aus Fraktion DIE LINKE
In der 29. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 8. September 2010 stellten die Abgeordneten Katharina König und Martina Renner, beide von der Fraktion Die LINKE, mündliche Anfragen an die Landesregierung zur Verteilung des Buches durch den Ausländerbeauftragten. In einen wortgleichen Vorspann bezogen sich beide Abgeordnete auf die Rezension des Pressburg-Buches durch Julia Lauer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aus der sie nur einen einzigen Satz zitierten: „Pressburgs fragwürdiger Gebrauch arabischer Termini, eine bizarre Argumentationsstruktur und höhnische Äußerungen über Muslime lassen Zweifel an seiner Expertise und Intention aufkommen.“
Diese aus dem Zusammenhang gerissene Pauschalkritik der FAZ-Rezensentin verfehlte ihre suggestive Wirkung bei der Thüringer Sozialministerin Heike Taubert (SPD) nicht. Jedenfalls führte sie nicht zu einer kritischen, an Sachkriterien orientierten Nachprüfung, ob ein solches Urteil überhaupt gerechtfertigt sei. Im Kern wollten die Abgeordneten wissen, welche Auffassung die Landesregierung zu dem Buch „vor dem Hintergrund geäußerter inhaltlicher und politischer Kritik“ hätte. Mit „inhaltlicher und politischer Kritik“ war offenbar der zitierte Satz Julia Lauers gemeint (DIE LINKE hat die Autorität der großbürgerlichen FAZ entdeckt). Nach den Motiven der Frau Lauer für ihr Verdikt braucht man ja nicht zu fragen. Und was eine „bizarre Argumentationsstruktur“ sein soll, ist auch nicht wichtig zu wissen, Hauptsache es klingt irgendwie negativ!
Buch im Giftschrank – Datei gelöscht
In der von Staatssekretär Dr. Hartmut Schubert (SPD) vorgetragenen Antwort wurde gleich zweimal betont, die Verbreitung des Buches durch den Ausländerbeauftragten sei nicht mit der Landesregierung abgestimmt gewesen. Die Landesregierung bewerte zwar keine Sachbücher, aber nach einer „kursorischen Prüfung des Buches“ mache sie sich die Einschätzung des Ausländerbeauftragten, der zufolge das Buch auch historisch interessierte Jugendliche ansprechen könnte, nicht zu eigen. Der Thüringer Landesregierung genügte der diffamierende Satz einer FAZ-Rezension, um dann doch über das Buch „nach kursorischer Prüfung“ - richtig gelesen hatte es offenbar niemand – eine „politische“ Meinung zu haben und gleich noch zu vermelden, dass dem Ausländerbeauftragten die weitere Verbreitung des Buches untersagt sei. Die nächste Ausländerbeauftragte werde „andere Akzente setzen“, heißt es laut Sitzungsprotokoll in der Antwortrede des Staatssekretärs. Tags zuvor war auf Anweisung der Sozialministerin die von Peters verfasste Besprechung des Pressburg-Buches von der Internetseite des Ausländerbeauftragten entfernt worden. Die Thüringer Eliten sollen offenbar das Buch nicht lesen und sie sollen auch keine differenzierten Meinungsäußerungen dazu zur Kenntnis nehmen. Es genügt ein diffamierender Satz aus der FAZ, um zu wissen, was man zu denken hat. Bei dieser Art Zensur fühlten sich manche Beobachter fatal an DDR-Verhältnisse erinnert.
Bereits seit dem 30. Juli 2010 stand fest, dass der Ausländerbeauftragte Peters als politischer Beamter Ende September abgelöst werden sollte. Gleichwohl versuchte das Thüringer Sozialministerium nunmehr einen Zusammenhang zwischen der Ablösung des Ausländerbeauftragten und dem Pressburg-Buch zu konstruieren. Dementsprechend erschienen in mehreren Tageszeitungen, darunter auch in der FAZ, Meldungen, in denen die bevorstehende Ablösung von Peters mit der „Verteilung eines islamkritischen Buches“ so verbunden wurden, dass der Buchversand als Grund für die Ablösung verstanden werden musste. Der Landesregierung hat das später eine Reihe kritischer Briefe aus der Bevölkerung eingetragen. Da jedoch über die bevorstehende Ablösung von Peters bereits im August öffentlich berichtet worden war, ließ sich diese nachträgliche Konstruktion nicht halten. Also dementierte sie der Sprecher des Sozialministeriums wieder, verlautbarte aber, die Affäre um das Buch „Good Bye Mohammed“ gebe „diesem Prozess nur mehr Dynamik“. Auch das erwies sich als Sprechblase! Die Versetzung des Ausländerbeauftragten in den einstweiligen Ruhestand erfolgte zum 31. September, dem ursprünglich vorgesehenen Termin und, wie zu vernehmen war, mit seinem Einverständnis. Offenbar wollte die SPD, deren Fraktionsvorsitzender laut Pressemeldungen noch nachtrat und dem Ausländerbeauftragten Überschreitung seiner Kompetenzen vorwarf, suggerieren, sie habe das Heft des Handelns in der Hand und löse den CDU-Ausländerbeauftragten nicht ab, um – wie es in Wirklichkeit der Fall ist – eigene Leute unterzubringen, sondern als Reaktion auf die Verbreitung eines nach Meinung der LINKEN politisch inkorrekten Buches. Symptomatisch dabei die völlige Ignoranz gegenüber dem Buchinhalt und der dem Buche zugrunde liegenden Forschungen. Ganz zu schweigen von einem Verständnis für das eigentliche Anliegen des Ausländerbeauftragten! Insider konnten wahrnehmen, dass im Ministerium die Angst aus allen Löchern kroch, man könnte in Zusammenhang gebracht werden mit Aussagen, die womöglich Muslimen missfallen: das Missverständnis, Integrationspolitik erschöpfe sich in Appeasement! Es mag der zeitgleich laufenden Sarrazzin-Debatte geschuldet sein, dass der SPD-Teil der Landesregierung so nervös war, dass man nicht einmal den Kotau vor den taktisch motivierten Anfragen der linken Opposition scheute und in Kauf nahm, als intellektuell dürftig und obendrein als staatlicher Buchzensor zu erscheinen – im Zeitalter von Google ziemlich altbacken.
(W. N.)
Literatur:
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