Bodo Bost
Konstantin, (k)ein Türke?

Die orthodoxen Christen waren nicht eingeladen, einen eigenen Beitrag zu „Istanbul – europäische Kulturhauptstadt 2010“ zu erbringen. Obwohl in dem seit 1972 geschlossenen Priesterseminar des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel eine Ausstellung im Rahmen des Kulturjahres stattfand, blieb die Wiedereröffnung des Seminars, eine von vielen erwartete Geste, mit dem das Kulturhauptstadtprojekt hätte Geschichte schreiben können, aus.

Als Luxemburg und seine Großregion 2007 Kulturhauptstadt Europas war, stand die große Konstantin-Ausstellung, die die Stadt Trier zur Erinnerung an ihren großen Sohn, Kaiser Konstantin, in drei Museen der Stadt organisiert hatte, im Mittelpunkt des Luxemburger Kulturhauptstadtjahres. Diese ein ganzes Jahr laufende Ausstellung allein zog mehr als die Hälfte aller Besucher des gesamten Kulturhauptstadtjahres an. „Luxembourg2007“ war ein guter Beweis, dass man mit Geschichte und auch mit Konstantin durchaus einem Kulturhauptstadtjahr sein Gepräge geben konnte. Umso gespannter durfte man jetzt sein, wie die Europäische Kulturhauptstadt 2010 Istanbul (Avrupa Kültür Baskent'i Istanbul2010), die immerhin von demselben Kaiser Konstantin gegründet worden war und noch bis 1930 Konstantinopel hieß, das Andenken ihres geschichtsträchtigen Stadtgründers pflegt. Die Gründung der neuen römischen Reichshauptstadt an der Stelle des griechischen Byzantion im Jahre 330 war wohl neben der Einführung des Christentums als bevorzugte Religion des römischen Reiches die größte Leistung Konstantins des Großen. Die zuerst „Nea Roma“ (Neues Rom) genannte Stadt wurde so mit Constantinus I. verbunden, dass man sie „Konstantinopel“ nannte. Heute erinnert an Kaiser Konstantin in Istanbul nur noch die 35 m hohe Kostantinsäule, die dem heutigen Stadtviertel Çemberlitas („die Säule mit den Ringen“) seinen Namen gab und zugleich das älteste Monument der Stadt ist. Die Reste der Säule sind heute mit eisernen Reifen umgeben.

Die Initiative für die Bewerbung als Kulturhauptstadt „ging von der türkischen Zivilgesellschaft aus, nicht vom Staat", wurde von den Veranstaltern des Kulturjahres betont. Die „Kulturhauptstadt 2010" sollte nach den Worten von Sekib Avdagic, dem Vorsitzenden der für die Ausrichtung des Kulturjahres verantwortlichen Agentur „keine Veranstaltung von Eliten" werden. „Leben und Arbeiten in Istanbul" hieß die Devise. Vorhandene Kulturgüter, auch die christlichen, mit denen das historische Konstantinopel reich gesegnet ist, wurden in die große Schau mit einbezogen. So wurden u.a. die archäologischen Stätten der Hagia Sophia restauriert, desgleichen die byzantinischen Stadtmauern. In der Kirche Hagia Irena, der Irenenkirche, die Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert als erste Kirche im damaligen Konstantinopel hatte erbauen lassen, die heute im ersten Hof des Topkapi-Palastes steht, wurde ein Hagia-Irene-Museum für Reliquien und Ikonen eröffnet. In dieser zu einem Museum umgewandelten ehemaligen Patriarchatskirche führte der estnische Komponist Arvo Pärts seine neueste Komposition „Das Klagen Adams“ auf, eine der musikalischen Höhepunkte des Istanbuler Kulturhauptstadtjahres.

Vertreter des Ökumenischen Patriarchats im Phanar in Istanbul verhehlten ihre Enttäuschung nicht, dass nur die bedeutsamen kulturell-religiösen Wahrzeichen der Orthodoxie, wie die Hagia Sophia und die Irenen-Kirche, als Dokumente der Vergangenheit, nicht aber die Glaubensgemeinschaft der noch in Istanbul lebenden Christen in das Kulturhauptstadt-Projekt einbezogen wurden. Die orthodoxen Christen Istanbuls, deren Anteil heute noch gerade einmal bei 0,2 % der Bevölkerung liegt, waren zwar nicht eingeladen, selbst eigene Beiträge zum Kulturhauptstadtjahr zu erbringen, dennoch waren sie Gegenstand von Ausstellungen, die andere über sie als sozusagen historische Objekte erbracht haben.

Die bedeutsamste historische Ausstellung des Istanbuler Kulturjahres war die spektakuläre Ausstellung unter dem Titel „Bizantion‘dan Istanbul‘a“ („Von Byzanz nach Istanbul“) - 8000 Jahre einer Hauptstadt“, sie war bereits im letzten Jahre im Rahmen des französischen Kulturprogrammes „Saison de la Turquie", im Pariser Grand Palais gezeigt worden, bevor sie vom 5. Juni bis 26. September im Istanbuler Sakip Sabanci Museum in der Universität Sabanci gezeigt wurde. Die von dem tschechischen Designer Boris Micka gefertigte Ausstellung von rund 500 Exponaten aus verschiedenen türkischen und ausländischen Museen sollte, so Museums-Direktorin Dr. Nazan Ölçer, an die kosmopolitische Identität und die unterschiedlichen kulturellen Wurzeln der Stadt am Bosporus erinnern. Sie galt als inhaltlicher Schwerpunkt der europäischen Kulturhauptstadt Istanbul. Eröffnet wurde sie von Regierungschef Erdogan persönlich. Im Zentrum der Ausstellung standen die Perioden, als die Stadt Hauptstadt des römischen und später osmanischen Reiches war. Aber Kaiser Konstantin, der Gründer der Stadt, der sie zur römischen Hauptstadt gemacht hat, die später als „Nabel der Welt“ berühmt wurde, kam in dieser Ausstellung nur am Rande vor.

Der Eindruck, dass das gigantische Kulturhauptstadtprojekt Istanbul 2010 für die christliche Vergangenheit der Stadt eher eine Veranstaltung verpasster Chancen war, bewies auch die einzige Ausstellung die Ende September 2010 im Rahmen des Kulturjahres vom Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I. eröffnet wurde. Das Oberhaupt der 350 Mio orthodoxen Christen ist der einzige, der den alten Namen der einst nach Kaiser Konstantin benannten Stadt noch offiziell in seinem Titel führt. Viel bedeutender als die Kunstausstellung von 101 griechischen Künstlern unter dem Titel „Spuren von Konstantinopel“ war der Ort, an dem diese Ausstellung stattfand. Es war das orthodoxe Seminarkloster Chalki auf der größten der Istanbul vorgelagerten Prinzeninseln, welches vor mehr als drei Jahrzehnten unter einem fadenscheinigen Vorwand von der türkischen ‚Regierung geschlossen worden war. Dass überhaupt im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres in diesem immer noch geschlossenen Seminar eine Ausstellung gezeigt werden durfte und sogar ein christlicher Gottesdienst in der Klosterkirche gefeiert werden konnte, war sicher einer der wenigen von christlicher Warte aus gesehenen Hoffnungsschimmer des gesamten Kulturjahres. Der ökumenische Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel verband dann auch seine Ansprache bei der Ausstellungseröffnung in dem Seminar in dem er einst selbst studiert hatte, mit der Hoffnung, dass bald wieder orthodoxe Theologiestudenten in dieses Haus einziehen dürften. Dass diese Hoffnung von der türkischen Regierung noch während des Kulturjahres nicht erfüllt wurde, zeigt nur, wie wenig man in der Türkei historische Chancen zu nutzen versteht.

Gegenüber dieser verpassten Chance den heute in Istanbul lebenden orthodoxen Christen gegenüber ist die mit Konstantin verbundene verpasste Chance zweitrangig. Konstantin kann warten. Auch das Christentum, dem er zum Durchbruch als spätere Staatsreligion des römischen Reiches verholfen hatte, nahm er selbst 337 auf dem Totenbett im Palast in Anacirum, dem heutigen Dorf Hereke bei Ízmit, 60 km südöstlich von Istanbul, durch die Taufe an. Bestattet wurde Konstantin auf seinen Wunsch hin in der Apostelkirche in Konstantinopel, die er selbst hatte errichten lassen. Die Apostelkirche Hagios Apostolos war nach der erst später fertig gestellten Hagia Sophia die erste und bedeutendste unter den großen Kirchen des Oströmischen Reiches. Bei der Eroberung Konstantinopels durch die türkischen Osmanen 1453 verschwanden seine Reliquien. Sultan Mehmet II. ließ die Apostelkirche 1461 abreißen und gab den Auftrag, am selben Platz eine Moschee von vergleichbarer Schönheit und Großartigkeit zu errichten. Das Resultat war die Fatih-Moschee (Moschee des Eroberers). Dass Konstantins Grab dem muslimischen Eroberer der Stadt weichen musste, war nicht so sehr eine persönliche Abneigung gegenüber dem Stadtgründer von osmanischer Seite. Es sollte vielmehr den Machtanspruch der Muslime über dieses Zentrum des alten Christentums und der Welt untermauern. Der Islam als letzte der großen monotheistischen Religionen war auch angetreten, das Christentum als bis dahin letzte Offenbarungsreligion zu beerben. Allein die Tatsache, dass man in der osmanischen Türkei fast 500 Jahre lang den Namen des christlichen Stadtgründers im Stadtnamen beibehalten hat – die Stadt hieß offiziell bis 1930 Konstantinyye – zeigt, welchen Respekt man dem christlich-römischen Herrscher im einstigen Osmanischen Reich entgegenbrachte. Von diesem Respekt ließen sich die Macher von „Istanbul2010“ leider nicht inspirieren.


© imprimatur Januar 2011
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