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Norbert Scholl: Religiös ohne Gott
Klaus Martin Girardet, Der Kaiser und sein Gott
Crime Time: Zoe Ferraris: Die letzte Suret


Paul M. Müller
Norbert Scholl: Religiös ohne Gott
Warum wir heute anders glauben
Lambert Schneider Verlag, Darmstadt 2010, 174 Seiten

Gott ist tot - es lebe die Religiosität. Zwei Drittel der Deutschen, rund 50 Millionen, sind Mitglieder der katholischen oder
evangelischen Kirche. Scholl vergleicht die hohe Zahl der Kirchen-Christen in Deutschland mit der Mitgliederzahl des „nächsthöheren Vereins“, des Deutschen Sportbundes, mit 25 Millionen. Der Vergleich lässt aufhorchen, aufatmen nicht. Scholl legt nach und verweist auf die leeren Kirchenbänke, den Rückgang der Taufen und die vielen Kirchenaustritte in den letzten Jahren. Aber immer noch bezeichnen sich in der Umfrage der Bertelsmann Stiftung von 2007 50 Millionen der Deutschen als „religiös“. Jeder fünfte stuft sich sogar als hochreligiös ein, etwa 10 Millionen. Der Autor deutet diese Zahlen in ihrer „merkwürdigen Diskrepanz“ zwischen dem Rückgang der „praktizierenden“ Christen und einer weit verbreiteten Religiosität ohne dezidiert christliches Gottesverständnis. Diese Diskrepanz wird zum eigentlichen Anlass seines Buches: Er will „den Ursachen dafür nachspüren“.

Seine Ursachenforschung stellt Scholl unter den weiten Horizont der Stichwörter „Religion“ und „Religiosität“. Eine erste, ethymologisch-begriffliche Klärung von Religion und Religiosität, erweist sich dabei (bekanntermaßen) als nicht zureichend. Scholl erweitert und vertieft das Verständnis des Phänomens Religion mit Hilfe einiger „Beschreibungsversuche“ von Friedrich Schleiermacher (1768-1834) bis hin zu Paul Tillich (1886-1965). Er fasst diese unterschiedlichen Deutungen von Religion mit einem Zitat von Heinrich Fries zusammen: „Religion umfasst und erfasst den ganzen Menschen mit all seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Religion ist keine Randerscheinung des menschlichen Lebens, wenn auch nicht zu verkennen ist, dass an den vielfachen Grenzsituationen des menschlichen Daseins…die religiöse Grundverfassung sich intensivieren oder aus der zeitweiligen Verdeckung oder Verkümmerung hervortreten kann“. (21)

Im Anschluss an diese Suche nach dem Wesen der Religion konkretisiert Scholl seine Ausgangfrage nach der Diskrepanz zwischen „leeren Kirchenbänken“ und immer noch verbreiteter Religiosität noch genauer. Er bezweifelt vor allem, dass die tradierten sprachlichen Ausdrucksformen, die die etablierten Kirchen anbieten, dem heutigen gesellschaftlichen Sprachempfinden noch gerecht werden. Die Kirchensprache ist weithin antiquiert, sie ist im heutigen gesellschaftlichen Umfeld zu einer Sondersprache geworden. Warum werden die Kirchen immer leerer, obwohl zwei Drittel der Deutschen sich als religiös bezeichnen? Der kirchlichen Sprache fehlt es weithin an Überraschungspotential und Signalwirkung. Zudem mangelt es auch dem kirchlichen Ritual mit seinem unverständlichen Zeremoniell an symbolischer Aussagekraft.

Als grotesken Beleg eines antiquierten Weltbildes der Kirche zitiert der Autor eine heute noch gültige, geradezu „clownesk“ wirkende Kleiderordnung für Prälaten von Pius X. aus dem Jahr 1905: „Die Prälaten Erster Klasse können bei den heiligen Handlungen die Prälatenkleidung (nämlich die Strümpfe, das Kollar, die Soutane, das seidene, links herabhängende Zingulum mit zwei ebenfalls seidenen Troddeln, den Mantel oder die Mantelletta über dem Rochett) in violetter Farbe tragen; dazu das schwarze Birett mit einer amarantroten Quaste; der Hut hat auch schwarz und von einem seidenen Band eingefasst zu sein, das mit einer Borte im selben rot verziert ist. Von derselben Farbe und ebenfalls aus Seide haben auch die Knopflöcher, die Knöpfe, die kleine Litze, die den Hals und die Kanten der Soutane wie des Mäntelchens schmückt, das Futter dieser beiden Kleidungsstücke sowie die Ärmelaufschläge, selbst die des Rochetts, zu sein“. (27) (Es darf gelacht werden.) Welche religiösen Vorstellungen vom kirchlichen Dienstamt verbergen sich wohl unter diesen Kleidern?

Ein weiteres Kapitel des Buches befasst sich mit der modernen „Patchwork-Religion“. Die Grundthese dabei lautet: „Patchwork-Identity“ in der Gesellschaft zieht „Patchwork-Religion“ nach sich. Die heute verbreitete egozentrierte Selbstverwirklichungstendenz führt, frei von formalistischen Zwängen, zu individualistisch geprägten Vorstellungen vom „guten Leben“. In diesem Kontext stellt sich der einzelne aus vielerlei Angeboten auch sein, auf ihn zugeschnittenes religiöses Menu (Patchwork-Religion) zusammen. In diesem Prozess verliert das kirchlich institutionalisierte Credo naturgemäß an Bedeutung.

In einem weiteren Beitrag „Grunderfahrungen und Grundhaltungen“ fragt Scholl nach den Bedingungen des Religiösen. Ein Zitat von Rainer Maria Rilke deutet die Suchrichtung an: „Unser Auge müsste eine Spur schauender, unser Ohr empfangender sein, der Geschmack einer Frucht müsste uns vollständiger eingehen, wir müssten mehr Geruch aushalten, und im Berühren und Angerührtsein geistesgegenwärtiger und weniger vergesslich sein, um sofort aus unseren nächsten Erfahrungen Tröstungen aufzunehmen, die überzeugender wären, überwiegender, wahrer wären als alles Leid, das uns je erschüttern kann.“ (92) In seinen weiteren Überlegungen begibt sich der Autor auf „die Suche nach einem neuen Gottesbild“ und fasst noch einmal zusammen, was es heute und in Zukunft aus seiner Sicht heißt, „religiös zu sein“.

Norbert Scholl, emeritierter Professor für Katholische Theologie und Religionswissenschaft, so lässt sich die Intention seines Buches zusammenfassen, begibt sich von Anfang bis Ende auf die Suche nach der Möglichkeit von (christlicher) Religion in unserer Gesellschaft. Welche Formen von Religiosität sind heute zu beobachten? Woran glauben die Menschen? Wonach suchen sie? Was finden sie in der breiten Palette religiöser Strömungen in unserer Zivilisation? Warum fragen Menschen überhaupt nach dem „ganz anderen“? Aus welchen Quellen stellen sie sich ihre „Patchwork-Religion“ zusammen? Ist Gott bei näherem Hinsehen doch nicht so tot, wie tot gesagt?

Das Buch, Religiös ohne Gott, stellt die Gottesfrage mitten in einer säkularen Gesellschaft nicht nur mit analytischem Interesse. Scholl will dem kritischen Leser in das Dickicht der zahlreichen religiösen Strömungen eine Schneise schlagen, er will ihm einen zeitgemäßen Zugang zu einem vertretbaren Gottesglauben ermöglichen. Dabei ist es ihm wichtig, dass auch die christlichen Kirchen diesen Weg mitgehen und sich einer religiösen Sprache und Praxis bedienen, die Signale setzt, welche über sie hinaus weisen. Dazu kann das Buch insgesamt einen wertvollen Beitrag leisten.

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Karl-Heinz Ohlig
Die Bedeutung des Kaisers Konstantin für das Christentum
Klaus Martin Girardet, Der Kaiser und sein Gott
Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen (Millenium-Studien zur Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n.Chr., hg. von W. Brandes, A. Demant, H. Krasser, H. Leppin u. P. v. Möllendorf, Bd. 27), de Gruyter, Berlin, New York 2010, 231 Seiten

Das Buch ist in neun Kapitel unterteilt. Nach einleitenden Ausführungen zum Thema (Kapitel I) und zu den Voraussetzungen (Kapitel II), erarbeiten die folgenden Kapitel III bis V den Weg Konstantins zum Christentum, Kapitel VI geht auf die (kargen) Selbstzeugnisse des Kaisers ein, Kapitel VII analysiert die neue Religionspolitik, die Förderung des Christentums. Kapitel VIII diskutiert die vom Kaiser beeinflussten oder geleiteten Konzilien, Kapitel IX erörtert die „Christianisierung der Menschheit als politisches Ziel Konstantins“.

Die große Bedeutung des römischen Kaisers Konstantin (Regierungszeit 306 bis 337) für die Durchsetzung, zugleich auch tief greifende Veränderung des Christentums wurde schon von seinen Zeitgenossen erkannt und von der späteren Geschichtsschreibung gewürdigt. („Konstantinische Wende“). K.M. Girardet geht einen Schritt weiter: Zwar sei das Christentum nach dem Edikt des Kaisers Galerius aus dem Jahre 311 schon reichsweit „geduldet“ gewesen (was natürlich nicht schon sofort alle Repressionen beendete). Aber erst durch die „staatliche Förderung von Klerus und Kirche“ (19) seitens Konstantins sei es auf den Weg zunächst zur römischen Reichsreligion und dann zur Weltreligion gebracht worden (3); ohne Konstantin „wäre das Christentum im Stande einer sektenhaften religiösen Minderheit verblieben“ (19).

Er hält die verbreitete These für falsch, Konstantin habe sich zur Förderung des Christentums entschlossen, weil er dieses als die kommende gesellschaftliche Kraft erkannt habe; die Lage des damaligen Christentums biete hierfür keine hinreichende Basis: Um das Jahr 300 sei das Christentum „eine kleine, im Westen (des Reichs, Verf.) kaum, im Osten etwas stärker vertretene Minderheit“ gewesen. „Schätzungen schwanken zwischen 20 und 5 Prozent, realistisch sind vielleicht ca. 5 bis 10 Prozent“ (13). Zudem sei die damalige innerkirchliche Situation aus politischer Sicht ‚ausgesprochen unattraktiv’ gewesen „in Gestalt von wechselseitigen Exkommunikationen, konkurrierenden Hierarchien, gewalttätigen Auseinandersetzungen“ (14); auch in Rom gab es nach mehrjähriger Sedisvakanz seit 308 zeitweise zwei Bischöfe, und wegen innerer Streitigkeiten kam es zu „Straßenkämpfen mit Todesopfern“ (15).

Der Grund für die Wende des Kaisers sei in seiner persönlichen Hinwendung zum Gott der Christen zu suchen, dessen Hilfe und Macht er auf seinem Weg immer wieder zu erfahren glaubte. Weil sein Vater Konstantius und seine Mutter Helena keine Christen waren – seine Mutter kam erst später durch ihren Sohn zum Christentum, ohne sich je taufen zu lassen –, muss es andere Ursachen für Konstantin gegeben haben. „Nein, es waren eminent religiöse Gründe, die ihn zur Abkehr vom Paganismus („Heidentum“, Verf.) bzw. vom solaren Henotheismus bewogen haben“: die von Konstantin gewonnene Überzeugung, „daß die traditionellen Götter keine Macht besaßen, womöglich gar nicht existierten ..., daß vielmehr die einzige politische und militärische Macht ... der Gott der Christen war“ (18).

Girardet stützt sich auf die Münzprägungen Konstantins und stellt fest, dass er sich etwa ab 307 von den Göttern seiner Mitkaiser ab- und dem sol invictus (dem unbesiegten Sonnengott), dessen Geburtsfest am 25. Dezember gefeiert wurde, als henotheistisch verehrtem Gott zuwendet. Im Jahr 310 scheint eine allmähliche Hinwendung zum Monotheismus, also zu dem personal gedachten Gott der Christen, angebahnt worden zu sein; jedenfalls war Konstantin „im Jahre 311/312 ... ein Christ“, im Herbst 311 brach er „unter dem Zeichen (des) Kreuzes und des Christogramms von Trier gegen Maxentius nach Rom auf“ (31).

Die Wende ist in drei (variantenreichen) zeitgenössischen Texten bezeugt: (1) In einer heidnischen Lobrede auf Konstantin aus dem Jahr 310, wonach der Kaiser auf dem Weg von Südgallien an den Rhein in einem heiligen Bezirk Gott gesehen habe – der Redner interpretiert („wie ich glaube“): den Gott Apollo. (2) Laktanz, Erzieher des ältesten Konstantinsohnes Crispus, berichtet von einem Traum Konstantins vor der Schlacht an der Milvischen Brücke (28.10.312), in dem er aufgefordert wurde, das himmlische Zeichen auf den Schilden der Soldaten anbringen zu lassen. (3) Der Kirchenhistoriker Eusebius von Cäsarea, der den Kaiser aber erst später kennengelernt hatte, referiert einen (angeblichen?) Bericht Konstantins über „die Wahrnehmung eines Lichtkreuzes mit einem Siegesversprechen am taghellen Himmel durch ihn und das Heer sowie über eine nächtliche Traumbegegnung mit Christus“ (31.32).

Auf der Suche nach einem historischen Kern orientiert sich Girardet an der ältesten Erzählung des heidnischen Redners und nimmt ein reales Ereignis als Grundlage an: Konstantin habe in einem Tempelbezirk – Girardet vermutet die weitläufige Anlage in Grand in den Vogesen – ein natürliches Lichtphänomen, einen Halo, gesehen, den es immer mal wieder gibt, auch von Girardet selbst schon beobachtet und fotografiert wurde. Dieses in der Antike immer als „Erscheinung eines Gottes oder einer himmlischen Botschaft“ (36) wahrgenommene Naturphänomen sei von dem heidnischen Redner ebenso heidnisch (Apollo), dann aber, spätestens ab 311, christlich interpretiert worden (Christus oder Christogramm).

Wenn das Ganze nicht nur auf einen Versuch Konstantins zurückgeht, seinen Kampf gegen seine Mitkaiser und sein Streben nach Alleinherrschaft als göttlichen Auftrag zu legitimieren, hätte es so gewesen sein können. Jedenfalls ist Girardet zuzustimmen, dass diese Wende recht früh, und nicht erst an der Milvischen Brücke, erfolgt ist. Das scheint auch durch die „einzig noch erhaltene ... Programmrede“ Konstantins (97), die Girardet mit guten Gründen auf den 16. April 314 in Trier verlegt (108-118), und weitere Indizien bestätigt zu werden.

Konstantin erweist sich in der Folge als Christ, obwohl er sich – damals nicht unüblich – erst auf dem Totenbett taufen ließ: „in der Spätantike war ... der größte Teil der Christen nicht getauft“, Ambrosius z.B. noch, als er 374 zum Bischof von Mailand gewählt wurde (107), und obwohl Konstantin mit seinem Christsein die damit verbundenen ethischen Maßstäbe offensichtlich nicht verinnerlicht hatte. „Sicher scheint mir, daß man mit der Ethik der Bergpredigt und mit ,sauberen Händen’ unter den Bedingungen der Zeit nicht zum (Allein-) Herrscher über ein Weltreich werden und mehr als 30 Jahre lang an der Macht bleiben konnte“ (52). Die Macht
aber des monotheistischen Gottes der Christen, dessen Stellung auch seiner eigenen als alleiniger Herrscher des Römischen Reichs entsprach, sah Konstantin immer neu in seinen Siegen und Erfolgen erwiesen.

Sein Christsein zeigte sich in der Folge in seiner Politik der Förderung und Privilegierung von Klerus und Kirchengemeinden, seinen Versuchen, die kirchlichen Streitigkeiten (Donatismus, Arianismus) zu schlichten und in seinem Anspruch, pontifex maximus der Christen (damals gab es noch kein Papsttum) oder episcopus episcoporum (Bischof der Bischöfe) zu sein. Er berief das Konzil von Nizäa im Jahre 325 in seinen Kaiserpalast ein, leitete es und „brachte die entscheidende, bei den Christen bis heute gültige theologische Formel der Wesensgleichheit zwischen Gott und Christus (homo-oúsios) zur erfolgreichen Abstimmung und verurteilte die ... Gegner ... zur Verbannung“ (144). Er wollte die kultische Einheit im Römischen Reich erreichen (so führte er z.B. den christlichen Sonntag, den dies dominicus [„Herrentag“], als verpflichtenden Ruhetag für alle Untertanen ein) und somit die ganze Ökumene christianisieren.

Das Buch bringt Licht in eine für das Christentum entscheidende Epoche. Wenn auch Fragen wie die nach einer möglichen Entwicklung des Christentums ohne Konstantin hypothetisch bleiben müssen, so wird die faktische historische Bedeutung der Wende, die Konstantin gebracht hat, anhand des gesamten verfügbaren Quellenmaterials differenziert und detailliert erarbeitet, für jeden interessierten Leser ein Gewinn.

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CrimeTime
Lutz Lemhöfer

Tod in der Wüste
Zoe Ferraris: Die letzte Sure

Dieses Buch ist mindestens von den Krimis, die ich kenne, der erste, der in Saudi-Arabien spielt. Also in einer Umwelt, die Westeuropäern ziemlich fremd ist. Deshalb läuft der Handlungsstrang dieses Krimis auch anders als sonst. Zwar gibt es eine Leiche, eine Ermittlung, und am Ende weiß man, wer’s gewesen ist. Aber sowohl der Tatort „Wüste“ als auch die Lebensumstände der beteiligten Akteure und die Rahmenbedingungen der Ermittlung wirken doch sehr exotisch. Diese Exotik wird aber sorgsam und empathisch dargestellt, weder verherrlicht noch denunziert. Die Autorin, die Amerikanerin Zoe Ferraris, hatte mit 19 Jahren einen saudi-palästinensischen Beduinen geheiratet und ein Jahr in Dschidda gelebt; dieser Erfahrungshintergrund ist positiv spürbar.

Worum geht es? Die sechzehnjährige Nouf-ash-Shrawi aus der Stadt Dschidda ist verschwunden: eine junge Frau, kurz vor der geplanten Hochzeit. Ihr Adoptivbruder Othman bittet seinen Freund, den Wüstenführer Nayir-ash-Sharqui, die Verschwundene zu suchen.

„Am Telefon war Othman derart verzweifelt, dass die Geschichte nur in verwirrenden Bruchstücken aus ihm herauskam. Seine Schwester sei verschwunden. Fortgelaufen. Vielleicht sei sie entführt worden. Weil die Familie wohlhabend war, sei es denkbar, dass jemand ein Lösegeld verlangte – aber Entführungen waren selten, und es war auch noch keine Lösegeldforderung eingegangen. Es war zwar erst ein Tag vergangen, aber das war lang genug. Nayir musste nachbohren, um zu erfahren, was eigentlich passiert war. Niemand wusste genau, seit wann sie weg war. Erst am Nachmittag hatten sie bemerkt, dass sie verschwunden war. Sie war zuletzt am Morgen gesehen worden, als sie ihrer Mutter sagte, sie wolle zum Einkaufszentrum, um ein Paar Schuhe einzutauschen. Doch im Laufe des Nachmittags entdeckte die Familie, dass noch mehr verschwunden war: ein Pick-up und der neue schwarze Umhang, den sie für ihre Hochzeitsreise gekauft hatte. Als dann im Stall auch noch ein Kamel fehlte, waren sie überzeugt, dass sie in die Wüste wollte.

Ihr Verschwinden überraschte alle. ,Sie war doch glücklich’, sagte Othman. ,Sie stand kurz vor der Hochzeit.’
,Vielleicht ist sie nervös geworden?’, fragte Nayir behutsam.
,Nein, sie wollte diese Ehe.’
Falls zu der Geschichte noch mehr zu sagen war, behielt Othman es für sich. (S.10f)

Mehrere Trupps suchen an unterschiedlichen Stellen und finden schließlich die Leiche in einem Wadi, einem Tal. Sie sei ertrunken bei einem plötzlichen Regeneinbruch, heißt es. Es werden später in der Gerichtsmedizin aber auch Spuren gefunden, die auf eine Gewalttat hindeuten: Hautfetzen unter den Fingernägeln, eine Kopfwunde mit Holzsplittern wie von einem Schlag – alles etwas rätselhaft. Zudem kommt eine Peinlichkeit heraus: die Getötete war schwanger gewesen – wie gesagt, kurz vor der Hochzeit. All dies wirft mehr Fragen als Antworten auf. Die Familie hingegen, eine von ihrer Einbindung in die muslimische Wohlfahrtspflege selbst reich gewordene Großfamilie, will möglichst wenig Fragen aufwerfen; sie hilft finanziell nach, dass der aus der Hauptstadt Riad eingeflogene Gerichtsmediziner auf Tod durch Unfall erkennt. Nicht zufrieden ist damit seine weibliche Assistentin (die selbstverständlich nur hinzugezogen wird, weil es sich um eine weibliche Leiche handelt). Sie ist mit Othman, dem Bruder des Opfers, verlobt und will sein weiter gehendes Interesse an der Aufklärung unterstützen. Deshalb nimmt sie heimlich Gewebeproben u. ä., um sie genauer zu untersuchen – wohlgemerkt: ohne offiziellen Auftrag und nach Abschluss der offiziellen Obduktion. Die promovierte Biologin Katya Hiyazi ist neben dem Wüstenführer Nayir die zweite Protagonistin des Romans; zu den Personen später noch mehr.

Auffallend ist: Sowohl die Suche nach der Verschwundenen wie später die Untersuchung des Todesfalles geschieht nicht offiziell, durch die Polizei oder Justiz, alles ist Sache der Familie. Nur weil der Bruder Othman genauer wissen will, was passiert ist, ermitteln sein Freund und seine Verlobte weiter. Mit sehr ungeplanten Ergebnissen. Zunächst stellt sich heraus: Die reiche junge Frau auf dem Sprung in ein sorgloses Dasein als reiche Ehefrau – wenn auch eines jungen Mannes, dem sie nur ein einziges Mal unmittelbar begegnet ist -, sie hatte offenbar die Flucht aus dem goldenen Käfig vorbereitet. Und zwar ganz weit, nach Amerika. Nayir befragt dazu Noufs Fahrer Mohammed:

„Mohammeds Schultern begannen zu beben. ,Hören Sie. Da war dieser Kerl. Eric Scarsberry. Ich habe sie immer zu ihm gebracht. Sie wollte nach Amerika, und er wollte ihr helfen.’
Nayir richtete sich auf. ,Nach Amerika? Wie das?’
,Sie hat ihm eine Million Riyal gegeben. Er sollte sie in New York unterbringen, ihr eine Wohnung besorgen und eine Green Card. Ich weiß nichts weiter. Das hat sie immer gewollt. Sie wollte weg.’
Nayir starrte seinen Gastgeber an. Nouf wollte wirklich mit einem Amerikaner davonlaufen? Er war, trotz allem, überrascht. Wie war das möglich? Eine Frau durfte das Land nicht verlassen, wenn sie kein Ausreisevisum vorweisen konnte, das von ihrem Ehemann oder ihrem Vater unterschrieben war. Abu-Tashin hätte ihr garantiert nicht erlaubt, irgendwohin zu reisen. Sie hätte einen Ehemann gebraucht, aber das konnte kein Amerikaner sein. Es war muslimischen Frauen verboten, einen Ungläubigen zu heiraten.
,Wie wollte sie das anstellen?’, fragte Nayir.
,Während ihrer Hochzeitsreise. Sie wollte mit Qazi nach New York.’
,Das ist ihr Verlobter?’
,Ja. Sie wollte ihn dann im Hotel sitzenlassen und sich irgendwo mit Eric treffen.’
,Sie wollte Qazi heiraten und dann mit einem Amerikaner durchbrennen?’
Mohammed hörte auf zu zittern und vergrub das Gesicht in den Händen. Er murmelte etwas.
,Wie bitte?’
Er ließ die Hände fallen. ‚Ich weiß, ich bin schuld. Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen. Ich wusste, dass es unrecht war, aber sie wollte es so sehr …’
,Was wollte sie?’, Nayir hielt die Luft an.
,Sie … sie wollte in Amerika leben.’ Als er Nayirs entsetzten Blick sah, fuhr er fort mit seinen Erklärungen. ‚Sie hatte irgendwann eine Sendung im Fernsehen gesehen über eine Frau, die in Afrika das Leben wilder Hunde erforschte. Sie wollte genauso wie diese Frau sein, obwohl die Frau mit diesen Hunden zusammenlebte – mit Hunden! Sie war schmutzig. Sie war seit drei Monaten in Afrika, aber sie liebte das Leben, das sie dort führte. Ich glaube, das hat Nouf mehr als alles andere beeindruckt, dass diese Frau wie ein Hund leben konnte und dabei so glücklich war. Jedenfalls glücklicher als Nouf.’ Er schluckte laut. ‚Viele ihrer Schulfreundinnen sind schon mal in London oder New York gewesen. Es sind Kinder aus reichen Familien, genau wie Nouf, und die dürfen hin, wohin sie wollen. Aber Noufs Eltern hätten ihr nie erlaubt, das Land zu verlassen, vor allem nicht, um nach Amerika zu reisen! Sie wollte einfach nur die Schule beenden, dann Zoologie studieren und danach irgendwo in der Wildnis leben. Vielleicht in Afrika. Aber hier wäre das unmöglich gewesen, ihr Vater hätte es nicht erlaubt.“ (S. 141-143)

Eine geplante Flucht also, die aber aus dem Ruder gelaufen war. Wie? Warum? Wer war beteiligt? Wer war der Vater des ungeborenen Kindes? Wollte Nouf wegen des Kindes oder trotz des Kindes fliehen? All diesen Fragen gehen nur zwei Personen nach, kein offizieller Fahnder mit offiziellen Befugnissen: der Wüstenführer Nayir und die Gerichtsmedizinerin Katya. Beide gehören nicht zur Familie und auch nicht zur geschlossenen Gesellschaft der reichen saudischen Oberschicht; sie sind Außenseiter (wie ein bisschen auch ihr Auftraggeber Othman, ein „nur“ adoptiertes Familienmitglied). Beide stammen nicht aus Saudi-Arabien. Die Eltern des traditionell frommen, wie ein Ur-Beduine wirkenden Nayir stammten aus Palästina.

„Nachdem Nayirs Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen waren, als er fünf Jahre alt war, hatte Samir ihn großgezogen. Er war der Bruder von Nayirs Vater und das einzige Familienmitglied, das es sich leisten konnte, einen kleinen Jungen aufzunehmen. Samir hatte sich gegen den Widerstand der Behörden das Privileg erfochten, Nayir großziehen zu dürfen, weil er glaubte, dass er dem Jungen etwas zu bieten hatte. Die einzige andere Möglichkeit wäre gewesen, ihn zu Samirs Schwester, Aisha, nach Palästina zu schicken, die bereits sieben Kinder hatte, aber keinen Ehemann und kein Geld. Samir erinnerte Nayir gerne daran, dass Palästina ein schrecklicher Patz war, um ein Kind großzuziehen, und dass er, wäre er dort aufgewachsen, heute höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben wäre oder in einem israelischen Gefängnis säße.

Aber bei Samir aufzuwachsen, war nicht leicht gewesen. Er war Chemiker und Paläontologe, und in seinem Leben drehte sich alles um seine Arbeit. Er hatte für sich eine Nische gefunden, indem er mit Wissenschaftlern im ganzen Nahen Osten zusammenarbeitete, Artefakte analysierte und Archäologen an den neuesten Analysegeräten ausbildete. Nayir erinnerte sich an seine Kindheit als eine Serie von Ausgrabungen. Normalerweise dauerten sie mehrere Monate am Stück, und oft blieb er dem Unterricht fern, um Samir in die Wüste zu begleiten. Das Leben unter Forschern und ihren beduinischen Arbeitern hatte ihn zwar viel von dem gelehrt, was er über die Wüste wusste, doch war er auch einsam gewesen. Samir war immer zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt, und Nayir musste alleine zurechtkommen. Er wurde zum Einzelgänger, aber auch zum Abenteurer, und schon als Junge schlich er sich davon, um die Wüste zu erkunden.

Doch trotz seiner Unabhängigkeit, oder vielleicht gerade weil er zu viel davon hatte, war in seiner Kindheit eine heftige Sehnsucht nach einer Familie in ihm entstanden, eine Sehnsucht, die weit ins Erwachsenenalter hineinreichte und die, dessen war er sich sicher, nie befriedigt werden würde. Seine größte Angst war, dass er nie heiraten würde. Eltern arrangierten Ehen. Eltern hatten Brüder und Schwestern, die Kinder hatten, die verheiratet werden mussten. Sie organisierten die komplizierten Begegnungen, bei denen ein Mann seine zukünftige Braut, noch verschleiert, kennenlernen konnte – wenigstens durfte der Bräutigam ihre Finger und Füße betrachten (es sei denn, sie trug auch noch Handschuhe und Socken) und von diesen Körperteilen so viel wie möglich auf die Person schließen. (Den besten Eindruck ergab natürlich eine genaue Betrachtung des Gesichts ihres Bruders.) Samir konnte ihm nichts davon bieten – es gab keine Cousinen, die verheiratet werden mussten, zumindest keine in Saudi-Arabien -, und selbst wenn er eine Ehe für Nayir hätte arrangieren können, vertrat Samir die Auffassung, dass ein Mann erst etwas ‚Lebenserfahrung’ sammeln sollte, bevor er sich niederließ. (S. 104- S. 106)

Nayirs weiblicher Kompagnon, Katya Hijazi, die im Laufe des Romans die eigentlich voran treibende Ermittlerin wird und klammheimlich die Führungsrolle übernimmt, hat ebenfalls ausländische Wurzeln. Ihre Eltern stammten aus dem Libanon und hatten ihrer Tochter eine gründliche Ausbildung finanziert; nach dem Tod der Mutter und dem Renteneintritt des Vaters muss sie, was eigentlich untraditionell ist, Geld verdienen, um beider Auskommen zu sichern.

„Sie hatte an der König-Abdul-Aziz-Universität den Doktortitel in Molekularbiologie erworben, aber wie jede andere Frau in ihrem Studiengang – einem reinen Frauenzweig – hatte sie ihren Abschluss in dem bitteren Wissen gemacht, dass ihr herzlich wenig Zukunftschancen winkten, obwohl sie Enormes geleistet hatte. Es gab sehr wenige Stellen für Frauen, vor allem für gut ausgebildete Frauen. Es war Frauen nur gestattet, an Orten zu arbeiten, wo sie nicht mit Männern in Berührung kamen oder nur so selten, dass sie keine große Aufmerksamkeit auf sich zogen, und damit war ihr Einsatzbereich auf Mädchenschulen und Frauenkliniken beschränkt.“ (S. 163)
„Als das kriminaltechnische Labor der Stadt eine Abteilung für Frauen eröffnete, bewarb sie sich. Sie wurde sofort genommen, man war von ihren Qualifikationen beeindruckt. Die Aussicht, in einem Labor zu arbeiten, begeisterte sie, aber ihr graute davor, es ihrem Vater zu erzählen. Es hatte ihm schon nicht gefallen, dass sie unterrichtete, und das war in einer rein weiblichen Umgebung gewesen. Das kriminaltechnische Labor war zwar nach Geschlechtern getrennt, aber es Bestand doch die Möglichkeit, dass sie gelegentlich mit Männern in Berührung kam.

Sie hatte eine ungeheure Beklemmung verspürt, als sie ihm die Neuigkeit eröffnete. Sie saßen am Küchentisch, schlürften Tee und schälten Karotten. Der Kühlschrank war leer, der Herd funktionierte nicht, und sie waren beide niedergeschlagen. Als sie von dem Angebot erzählte, richtete er sich mit einem Ruck auf und kniff die Augen zusammen. ,Na komm, so arm sind wir auch wieder nicht’, sagte er.
Das hatte sie so tief getroffen, dass ihr nach Weinen zumute war. Eine Frau arbeiten zu lassen galt als ein Akt der Verzweiflung. Sie waren tief gesunken; jetzt waren sie bemitleidenswert. Doch ihre Enttäuschung war ihr offenbar anzusehen, denn Abu machte sofort einen Rückzieher.
,Moment’, sagte er. ,Ist das etwas, was du wirklich machen willst?’
Sie nickte, traute sich nicht zu sprechen.
,Dann …’, es machte ihm Mühe, es auszusprechen, ‚nimm doch die Arbeit an. Vorläufig.’ Er schenkte ihr ein trauriges Lächeln, als ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie wischte sie wütend weg. Es war ihr peinlich, vor ihrem Vater zu weinen. ,Wenn’s dir nicht gefällt’, fügte er hinzu, ,kannst du ja immer noch kündigen.’“ (S. 164f.)

Diese beiden ermitteln nun, und das ist kompliziert, weil ja Männer und Frauen, die nicht miteinander verheiratet sind, in der Öffentlichkeit nicht zusammen auftreten dürfen; sollte dies doch geschehen, könnte die Religionspolizei eingreifen, - die einzige Polizei, die im Roman eine Rolle spielt, wenn auch nur als Bedrohung. Die Gesellschaft ist fest segmentiert in die Welt der Frauen und die Welt der Männer; Nayir kann unmöglich die Schwestern des Opfers befragen, Katya unmöglich die Brüder. Und es bedarf ausgefeilter Logistik, Orte zu finden, an denen die beiden Ermittler ungestört von Dritten miteinander reden können. Die Suche und Beschreibung dieser Orte zählt zu den amüsantesten Passagen des Buches.

Unter diesen Bedingungen ist es erstaunlich, dass die beiden wirklich etwas herauskriegen. Zum einen: Nouf hatte sich mit ihrem unbekannten Liebhaber in einem aufgegebenen früheren Zoogebäude getroffen. Und: diesen Liebhaber konnte sie unmöglich heiraten. War er, der zugleich geliebte und vom Verlassen Bedrohte, ein Mörder, wie es zwischenzeitlich scheint? Noufs Tagebuch klingt jedenfalls hinreichend dramatisch:

„Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Allwissenden.
Ich habe mich heute beinahe umgebracht, aber ich hatte zu große Angst, es zu tun. Ich hatte nicht den Mut, mein eigenes Blut zu sehen. Und so bin ich auf meinen Jet-Ski gestiegen und wie verrückt herumgefahren, ich fuhr und fuhr, bis das Benzin alle war und ich ganz allein mitten auf dem Meer war. Ich konnte die Küste noch sehen, aber es wurde schon dunkel, und ich dachte, ich würde durch Zufall sterben, weil mir klar wurde, dass ich eigentlich gar nicht sterben wollte, ich wollte nur weg.
Ich war so glücklich, als mir das klar wurde, und ich hatte eine solche Angst, dass ich sterben könnte, aus reiner Dummheit. Aber dann, wie ein Engelsbote, kam er mit dem Boot. Er kam mit dem Suchscheinwerfer und dem Signalhorn und mit noch jemandem, und er zog mich aus dem Wasser. Allah vergib mir, ich klammerte mich an ihn und weinte, und ich ließ erst wieder los, als er mich nach Hause brachte, Und ich habe ihn gar nicht gefragt, wie er mich überhaupt gefunden hat.
Allah, bitte verzeih mir, ich weiß, es ist unrecht, ihn zu lieben, ich weiß, es würde mich in Ketten legen und für den Rest meines Lebens unglücklich machen, aber mein ganzer Körper sehnt sich nach ihm. Ich muss immerzu an ihn denken. Ich erinnere mich an jede Kleinigkeit, die er macht. Wenn ich doch immerzu sein Lächeln sehen, seine Stimme hören könnte, so weich, so sicher und klug. Aber er handelt nicht. Das kann er nicht. Und ich kann es auch nicht. Das würde zu so viel Schmerz führen, zu so viel Gefahr für mich – und auch für ihn, das weiß ich. (S. 328/329)

Wird also der Geliebte zum Mörder? Oder jemand von der Familie, der diesen „amour fou“ beenden will? Das wird an dieser Stelle nicht verraten. Wohl aber, dass dieser Roman sehr viel sagt über religiöse und gesellschaftliche Normen in einer traditionellen Welt, die trotz Motorradfahren und Ölförderung zutiefst traditionell ist. Diese Tradition kann manchmal tragen, sie fordert aber auch Opfer. Das sieht am Schluss nicht nur die selbst von den Fesseln der Tradition eingeengte Katya, sondern der eigentlich zutiefst traditionell glaubende und empfindende Nayir.

„Etwas Großes zerbrach in seinem Innern, die Mauer, die die Kraft seines Glaubens trug, und es tat weh zu erkennen, dass er schwächer wurde, es tat weh, so viel Mitleid für Frauen wie Nouf zu empfinden, die sich in ihrem Leben gefangen fühlten, geknebelt durch die strengen Regeln der Sittsamkeit und Häuslichkeit, die für die Frauen des Propheten angemessen waren, aber nicht für die Frauen dieser Welt, beeinflusst durch fremde Werte, beseelt von dem Wunsch zu studieren, zu reisen und zu arbeiten, getrieben von dem Verlangen nach immer mehr Freizügigkeit und von immer neuen Bedürfnissen. Er versuchte zu verdrängen, dass die Welt zusammenbrach, aber sie würde zusammenbrechen, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte, nur zusehen, mit einem schmerzlichen, bitteren Gefühl von Verlust.“
(S. 400f.)

Die gefährlich einschnürende Geborgenheit religiöser Tradition ist ein Thema dieses Romans, mindestens so wie der Kriminalfall, und gerade das macht seinen Reiz aus. Wer diese Spur weiter verfolgen möchte, kann jetzt auch schon zum zweiten Arabien-Krimi von Zoe Ferraris greifen. In „Totenverse“ geht es unter anderem um die Authentizität des heute geltenden Koran, die durch ältere Handschriftenfunden in Frage gestellt werden könnte, und das bewährte Ermittlerpaar Katya und Nayir steht vor neuen Aufgaben.

Zoe Ferraris: Die letzte Sure. Goldmann-TB 2009
Zoe Ferraris, Totenverse. Pendo-Verlag 2010

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© imprimatur Januar 2011


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