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43.
JAHRGANG
8 . Februar 2010
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INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT
VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) |
2010 / 1 |
AGP
Arbeitsgemeinschaft von Priester- und Solidaritätsgruppen
in Deutschland
40 Jahre für die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft
Der folgende Text sollte ursprünglich
nur eine „Lesehilfe“ für die noch geplante umfassendere Dokumentation
der Arbeit der AGP und ihrer Mitgliedsgruppen werden. Er ist dann in einem längeren
und intensiven Diskussionsprozess aus Anlass des 40-jährigen Bestehens
der AGP ausführlicher und „mehr“ geworden. In ihm spiegeln
sich nun die Erinnerungen und Reflexionen vieler wieder, die z.T. von Anfang
an die Arbeit der AGP begleitet und geprägt haben. So ist dieser Text eine
Visitenkarte: einerseits objektiv, weil er die wesentlichen Aspekte der AGP-Geschichte
aufzeigt, andererseits subjektiv, weil er bedacht und formuliert wurde von „Betroffenen“,
die sich innerhalb der AGP und in ihrem Bemühen um Reformen persönlich
eingebracht – und nicht selten belastende persönliche Konsequenzen
in Kauf genommen haben.
Darum verbinden wir die Veröffentlichung des Textes ausdrücklich mit
dem Dank an die Frauen und Männer, die das hier Geschilderte auf vielfältige
Weise mit Leben erfüllt haben.
Als 1968 und in den folgenden Jahren auf der Ebene der Bistümer Reformgruppen
entstanden, waren die konkreten Anlässe zur Gründung z.T. recht unterschiedlich,
verschieden auch die personelle Zusammensetzung der Gruppen. Manche hatten sich
als Priestergruppen formiert, in anderen waren von Anfang an Priester und Laien,
Männer und Frauen aus Gemeinden und Verbänden, vertreten.
Die Gruppen unterschieden sich aber nicht nur in ihrer Struktur voneinander,
recht divergierend konnten auch die persönlichen Erfahrungen mit der Kirche
und die Beweggründe für ein kirchenreformerisches Engagement bei den
einzelnen Mitgliedern sein. Dennoch kann man grundsätzliche Gemeinsamkeiten
und signifikante Linien der kirchlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen
ausmachen, die wesentlich zur Gründung der Reformgruppen und der AGP beigetragen
haben.
Als Arbeitsgemeinschaft bemühte sie sich darum, den Kontakt und Austausch
zwischen den Mitgliedsgruppen zu fördern, deren Arbeit zu koordinieren
und z.B. durch die Akzentuierung inhaltlicher Schwerpunkte zu inspirieren. Von
Anfang an spielten dabei die SOG-Papiere als Informationsdienst – und
mehr als das – eine wichtige Rolle. In den ersten Jahren wurde zwischen
den mindestens einmal jährlich stattfindenden Delegiertenkonferenzen die
Arbeit von einer Sprechergruppe und von einem Hauptausschuss geleistet, der
sich aus Mitgliedern der Gruppen zusammensetzte und sich mehrmals im Jahr traf.
In den letzten Jahren haben zwischen den jetzt Jahresversammlungen genannten
Zusammenkünften die AGP-Sprecher - z.T. in Absprache mit der AGP-Regionalkonferenz
NRW - die Arbeit übernommen und insbesondere durch die Herausgabe der SOG-Papiere
die Informations- und Kooperationsaufgabe erledigt.
Im Folgenden wird deutlich, dass man die Reformgruppen, ihre Ursprünge,
ihre Ziele und die Formen ihres kirchenkritischen Engagements, nicht unabhängig
von der damaligen Umbruchsituation in Kirche und Gesellschaft verstehen kann.
Die Kirche ist immer Kirche in einer bestimmten Gesellschaft, in gegenseitiger
Durchdringung und wechselseitiger Beeinflussung.
1. Gründung der AGP und ihre ursprünglichen
Ziele
Obwohl die AGP ein Zusammenschluss von nachkonziliaren Reformgruppen ist, haben
für sie – wie ja auch für das 2. Vatikanische Konzil selbst
– langfristige Erfahrungen und Entwicklungen eine Rolle gespielt.
1.1 Langfristige theologische und gesellschaftliche Erfahrungen und
Entwicklungen
- Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts bemühte sich die Liturgische
Bewegung um eine zeitgemäße Gestaltung des Gemeindegottesdienstes,
bei der die Landessprache und vor allem die aktive Beteiligung der Gemeinde
eine wichtige Rolle spielten. In neuen liturgischen Formen fanden ein vertieftes
theologisches Verständnis der Eucharistiefeier und eine veränderte
Bewertung der Bedeutung des Volkes Gottes ihren Ausdruck.
- Vor allem die biblische Theologie gewann an Bedeutung. Die wissenschaftliche
Exegese befreite sich trotz aller Widerstände immer mehr von der amtskirchlichen
Bevormundung.
- Die systematische Theologie folgte in ihren bedeutenden Repräsentanten
nicht mehr den Denkstrukturen der Neuscholastik.
- Es entstand und erstarkte ein ökumenisches Bewusstsein, das sich nicht
nur theologischer Erkenntnis verdankte, sondern auch der veränderten
konfessionellen Bevölkerungsstruktur und nicht zuletzt gemeinsamer Erfahrungen
von Christinnen und Christen in der Zeit des Nationalsozialismus und des 2.
Weltkrieges und in der Kriegsgefangenschaft.
- Schon vor dem Konzil machten viele wache Priester und Laien die bedrückende
Erfahrung einer überholten Theologie und einer dementsprechenden nicht
mehr zeitgemäßen Pastoral, in der die Fragen der Menschen nicht
beantwortet und Probleme eher geschaffen als gelöst wurden. So wurde
das Vorbild von überzeugenden Christinnen und Christen der vorangehenden
Generation, von Pionieren der Bibelbewegung, der liturgischen und der ökumenischen
Bewegung zum Ansporn dafür, diese neuen Entwicklungen fortzuführen.
- Das Versagen des Großteils der Hierarchie im 3. Reich und die mangelnde
Aufarbeitung des auch strukturell bedingten Fehlverhaltens veranlassten vor
allem viele, die die Zeit des Nationalsozialismus als junge Erwachsene miterlebt
hatten, sich für eine Kirche zu engagieren, die ihre Verantwortung in
Politik und Gesellschaft aus dem Geiste Jesu und nicht vornehmlich im Blick
auf eigene Interessen wahrnimmt.
- In der Nachkriegszeit gab es neben einem breiten Strom der politischen
Restauration auch im Katholizismus Vordenker einer politisch sensiblen Theologie,
z. B. Ernst Michel und Walter Dirks in „Werkhefte katholischer Laien“.
Die „Frankfurter Hefte“ boten ein besonderes Forum für neue
Ideen und Entwicklungen, ebenso wie Beiträge aus „Hochland“
oder später aus „kritischer katholizismus“. Auch die „Dokumente“,
die wertvolle Impulse vor allem aus der französischen Theologie vermittelten,
sollen nicht vergessen werden.
1.2 Johannes XXIII. und das Zweite Vatikanum
- Die Art der Ausübung seines Pontifikats und die Einberufung eines
Ökumenischen Konzils führten bei vielen Katholiken zur Hoffnung
auf eine menschenfreundliche, aus dem Glauben erneuerten Kirche und zu der
Bereitschaft, sich für entsprechende Reformprozesse einzusetzen.
- Insbesondere die Enzyklika „Pacem in terris“, in der der Papst
sich an „alle Menschen guten Willens“ wandte, machte die neue
Öffnung der Kirche zur Welt und ihre Verpflichtung zum Friedensdienst
zugunsten aller Menschen deutlich und nahm damit wichtige Aussagen der Konzilskonstitution
„Gaudium et spes“ vorweg. Auch der Begriff „Kirche der Armen“,
der vor allem in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und in der von
ihr inspirierten pastoralen Praxis eine große Rolle spielen sollte,
geht auf Johannes XXIII. zurück.
- Verlauf und Ergebnisse des Konzils schienen die positiven Erwartungen vieler
Christinnen und Christen zu bestätigen: z. B. das selbstbewusste, kollegiale
Auftreten des Weltepiskopats der Kurie gegenüber; das dialogische Miteinander
von Bischöfen und Theologen; die Erklärungen des Konzils zur Liturgiereform,
zur Religionsfreiheit, zum Verhältnis zu den Juden, zur Ökumene,
zur Kirche als Volk Gottes und zur besonderen Verantwortung der Laien, zur
Öffnung der Kirche zur Welt von heute – der Wind schien wirklich
die alten Gemäuer der Kirche durchlüftet und der Geist Gottes neu
in ihr Wohnung genommen zu haben.
- Geradezu revolutionierend daran war: Die Kirche hatte die Hoffnungen der
neuzeitlichen Menschen als Schatz ihrer eigenen Überlieferung und als
Kernbestand ihres Glaubens erkannt. Dadurch wurde deutlich, dass sie sich
hier nicht länger nur als Lehrende, sondern zunächst als Lernende
verstand.
1.3 Die nachkonziliare Entwicklung
- Die Impulse des Konzils wurden auf vielfältige Weise aufgenommen:
in der Gestaltung des zugleich persönlichen und kirchlichen Glaubens;
in erneuerten Formen des gemeindlichen Lebens, v.a. in einer neuen Liturgie;
in Versuchen, den katholischen Glauben für unsere Zeit neu zu buchstabieren,
z.B. in der neugegründeten Zeitschrift „Concilium“, in der
universitären Theologie, aber auch für alle Gläubigen, wie
etwa im Holländischen Katechismus; in synodalen Strukturen gemeinsamer
Verantwortung von Amtsträgern und Laien, z.B. beim Niederländischen
Pastoralkonzil oder in diözesanen und gemeindlichen Räten.
- Die „Politische Theologie“ und vergleichbare Theologien entsprachen
nicht nur der konziliaren Hinwendung der Kirche zur Welt, sondern zogen die
späte und überfällige Konsequenz aus dem Versagen weiter Teile
der katholischen Kirche zur Nazizeit, indem sie u.a. die sich aus dem christlichen
Glauben notwendigerweise ergebende politische Verantwortung des Einzelnen
und der Kirche als Ganze aufzeigten: Eine vermeintlich a-politische Kirche
verleugnet einen wichtigen Bereich ihres Dienstes. Diese Theologie fand dann
in der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der BRD durch den Beschluss
„Unsere Hoffnung“ eine gleichsam offizielle Bestätigung.
- Die „Theologie der Befreiung“ in Lateinamerika und deren Umsetzung
in vielen Gemeinden, oft mit der Unterstützung durch die zuständigen
Bischöfe, führten die Bedeutung der Kirchen der „Dritten Welt“
vor Augen; ihre Option für die Armen machte deutlich, auf welcher Seite
der Platz der Kirche zu sein hat.
- Die Öffnung zur Welt schärfte den Blick für die ungerechten
Strukturen der Weltwirtschaft, für die Notwendigkeit des kirchlichen
Engagements zugunsten der Menschenrechte in der Welt, aber auch in den eigenen
Reihen. Die Sensibilität für die weltweiten sozialen Probleme fand
einen viele positiv überraschenden, aber in kirchlich und politisch konservativen
bzw. restaurativen Kreisen auch Widerstand hervorrufenden Ausdruck in der
Enzyklika „Populorum progressio“ Pauls VI.
- Aber es gab von Anfang an auch Widerstände gegen die skizzierten Entwicklungen
– und Konzilstexte schienen dafür die Argumente zu liefern. Um
möglichst allen Bischöfen die Zustimmung zu ermöglichen, enthielten
die Erklärungen manche Kompromissformel, die später für die
Begründung gegenteiliger Positionen genutzt wurden.
- Der offene Dialog zwischen Bischöfen und Theologen auf dem Konzil
wandelte sich vielerorts in misstrauisch-oberhirtliche Beobachtung theologischer
Entwicklungen; lehramtliche Verurteilungen und Betonung der päpstlichen
und bischöflichen Autorität griffen wieder um sich.
- Die im Konzil scheinbar entmachtete Kurie baute ihren Einfluss aus; zumeist,
um Reformen zu erschweren oder ganz zu verhindern. Statt einer Stärkung
der Ortskirchen und der Kollegialität setzte wieder ein Prozess der Zentralisierung
und einer nicht mehr für möglich gehaltenen „Papalisierung“
ein. Die Ernennung romfreundlicher Bischöfe gegen das Kirchenvolk unterstrich
diese antikonziliare Entwicklung.
- Ein besonders deutliches Signal der Restauration war 1968 die Enzyklika
„Humanae vitae“. Sie zementierte nicht nur eine überholte
Position katholischer Morallehre, sie war vor allem das unbrauchbare Mittel,
um die angeblich unfehlbare Tradition kirchlicher Lehre zu bekräftigen.
So wurde diese Enzyklika zum Fanal für den rapiden Verfall der päpstlichen
Autorität und zu einem wichtigen Auslöser für die Gründung
von Reformgruppen. Der Protest gegen die Enzyklika und das in ihr deutlich
werdende Autoritäts- und Lehramtsverständnis reichte bis weit in
alle kirchliche Kreise und wurde u.a. auf dem Essener Katholikentag 1968 unüberhörbar
artikuliert. Selbst die westdeutschen Bischöfe reagierten – um
Schadensbegrenzung bemüht – mit der Königsteiner Erklärung.
Sie konnten sich dann auch nicht mehr der immer entschiedener vorgetragenen
Forderung nach einer deutschen Synode zur Umsetzung der Konzilsbeschlüsse
entziehen.
- Engagierten Christinnen und Christen wurde immer klarer, dass ihr persönliches
Eintreten für die Erneuerung der Kirche nur erfolgreich sein kann, wenn
sie sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen. Dies war gerade für
kirchliche Mitarbeiter nicht zuletzt wichtig, um sich gegenüber kirchenamtlichen
Sanktionen der Solidarität eines größeren Personenkreises
zu vergewissern.
1.4 Die ursprünglichen Ziele
- Das Hauptziel der Reformgruppen und damit der AGP war es, die Impulse des
Zweiten Vatikanums aufzunehmen und im Geist dieses Konzils - letztlich im
Geist Jesu - in die Zukunft weiterzuführen. Das Konzil wurde also nicht
als Abschluss, sondern als Anfang einer offenen Entwicklung verstanden. Diese
Entwicklung der Kirche zu einer menschenfreundlicheren Gemeinschaft sollte
dadurch geöffnet werden für das Reich Gottes, das alles von Menschen
- also auch von der Kirche - Machbare überbieten wird. Aus der Verpflichtung
gegenüber dem so verstandenen Konzil ergaben sich die weiteren Einzelziele.
- Wenn die Erneuerung der Kirche wirklich tiefgreifend sein sollte, dann
musste sie aus einem erneuerten Glauben erfolgen. Es musste also eine Neuinterpretation
des Glaubens erfolgen, um auf die eigenen Fragen und die der Zeit-Genossen
eingehen und bei den Suchprozessen glaubwürdige und ernst zu nehmende
Partner sein zu können.
- In die kirchliche Verkündigung, in Predigt, Katechese, Religionsunterricht
und Erwachsenenbildung sollten die Erkenntnisse der neueren, vor allem aber
der biblischen Theologie eingebracht werden; zugleich waren sie in Einklang
zu bringen mit der - auch über sich selbst - aufgeklärten Vernunft..
- Die Texte und Riten in Gottesdiensten und bei der Sakramentenspendung sollten
ein sachgemäßes Glaubensverstehen ermöglichen und magische
Missverständnisse ausschließen. Vor allem die Buß-, Erstkommunion-
und Firmpraxis sowie Deutung und Vollzug der damals als „letzten Ölung“
bezeichneten Krankensalbung erschienen dringend erneuerungsbedürftig.
- Einheit des Glaubens und Pluralität der christlichen Lebensformen
sollten nicht länger als Gegensätze angesehen werden.
- Das Prinzip der Subsidiarität sollte auch in der Kirche und gegenüber
den Ortskirchen seine Anwendung finden – mit entsprechenden Konsequenzen:
weitgehende Eigenständigkeit von Bischofskonferenzen, verschiedene Kirchenordnungen,
Vielfalt liturgischer Wirklichkeit, synodale Mitbestimmungsgremien.
- Die Ausübung der verschiedenen Ämter sollte auf allen Ebenen
kollegial erfolgen und als Dienst verstanden werden – mit entsprechenden
Konsequenzen für demokratische Formen der Berufung, Amtsdauer, Gewaltenteilung.
- Das Recht aller Christinnen und Christen - natürlich auch der Priester
- auf freie Wahl ihrer Lebensform.
- Veränderung der Ehepastoral und der kirchenamtlichen Einstellung zu
den Geschiedenen, die wieder geheiratet haben, zur Sexualität und Empfängnisregelung.
- Anwendung der Menschenrechte auch auf die Kirche selbst – mit entsprechenden
Konsequenzen z.B. für Lehrbeanstandungsverfahren und bei kirchlichen
Gesetzen, etwa bei den Regelungen für konfessionsverschiedene Ehen oder
bei der Behandlung von Priestern, die heiraten oder aus dem Amt scheiden möchten.
- Solidarität mit den Priestern, die ihr Amt wegen des Verstoßes
gegen den Pflicht-Zölibat aufgeben mussten. Eine unserer Mitgliedsgruppen,
die 1984 gegründete „Vereinigung katholischer Priester und ihrer
Frauen“ (VkPF), nahm sich besonders dieses Problembereichs an und half
den Betroffenen u.a. beim Übergang in einen neuen Beruf.
- Die Überwindung jeder Diskriminierung von Frauen und ihre Zulassung
zu allen kirchlichen Ämtern. Die Formulierung einer Feministischen Theologie
als notwendiges Korrektiv einer bislang männlich dominierten und formulierten
theologisch-kirchlichen Lehre und Praxis war notwendige Voraussetzung für
die Begründung dieses Anliegens.
- Mutigere Schritte auf dem Gebiet der Ökumene, die durch entsprechenden
theologische Einsichten begründet und zunehmend gefordert sind.
- Solidarisierung mit Reformgruppen und engagierten Christinnen und Christen
in anderen Ländern, zunächst in Europa und Lateinamerika, und deren
Unterstützung vor allem dort, wo diktatorische Regime die Macht ausübten
und die Kirche in deren menschenfeindliche Unrechtspolitik verwickelt war,
z.B. in den „katholischen“ Ländern Spanien und Portugal unter
Franco bzw. Salazar.
- Kirchliche und gesellschaftliche Erneuerung hängen miteinander zusammen.
Darum gehörten die Humanisierung unserer Gesellschaft und eine weltweite
gerechte Wirtschaftsordnung zu den Forderungen und Zielen der AGP.
Es ist bemerkenswert, dass der Aktionskreis Halle, der unter wesentlich schwierigeren
politischen und kirchlichen Verhältnissen für Reformen eingetreten
ist und im nächsten Jahr auf 40 Jahre zurückschauen kann, nach eigenem
Bekunden seine wesentlichen Ziele Demokratisierung, Humanisierung und Neuinterpretation
des Glaubens von der AGP übernommen hat. Diese Gemeinsamkeit in Motiven
und Zielen - über die politischen Grenzen hinweg, aber nicht zuletzt durch
persönliche Kontakte aufrecht gehalten und gestärkt - konnte erst
nach 1989 offen bekundet werden. Sie ist aber sicher ein wichtiger Aspekt des
Eintretens für kirchliche und gesellschaftliche Reformen.
2. Zum gesellschaftlichen Umfeld der Gründungszeit
Die theologische Entwicklung, das Konzil mit seiner Aufbruchsstimmung und seinen
Reformen, das Niederländische Pastoralkonzil, der Streit um die Enzyklika
„Humanae vitae“, die sich entwickelnde Befreiungstheologie und auf
der anderen Seite die erkennbaren Tendenzen der kirchlichen Restauration reichen
alleine noch nicht aus, das Entstehen der Reformgruppen in der Kirche zu verstehen.
Dazu muss vielmehr das gesellschaftliche Umfeld der damaligen Zeit mitbedacht
werden, das durch vielfältige Umbrüche und Neuansätze gekennzeichnet
war. Einige Zusammenhänge werden hier als Beispiele – notgedrungen
kurzgefasst – genannt. Manche Entwicklungen werden in ihrer Ambivalenz
und in ihren irreführenden Annahmen heute durchaus kritischer gesehen als
von vielen damals Beteiligten.
2.1 Weltweite Zusammenhänge
- Die Unabhängigkeitsbestrebungen afrikanischer Völker, die sich
von der Vorherrschaft europäischer (christlicher) Staaten zu befreien
versuchten.
- Der verhängnisvolle Vietnamkrieg entlarvte die hegemoniale Politik
der USA. . Der Protest in den Vereinigten Staaten gegen diesen Krieg und die
ihn legitimierende Machtpolitik bewegte viele Gruppen auch in Europa zur Solidarisierung
und führte zu einer internationalen Friedensbewegung. Innerhalb dieser
Friedensbewegung war der Einfluss kommunistischer Gruppierungen besonders
groß. Dies forderte auch die Frage nach dem genuinen Friedensdienst
der Kirchen heraus.
- Persien (heute der Iran) mit seinem Schah, dem Verbündeten der USA,
wurde zum Symbol totalitärer Macht und ungerechten Reichtums und damit
zum Symbol der Unterdrückung.
- Der Prager Frühling und seine brutale Niederschlagung durch die Sowjetmacht
spaltete die westdeutsche Gesellschaft. Bestimmte linke Gruppen gerieten angesichts
der rücksichtslosen Anwendung militärischer Gewalt in Rechtfertigungsnotstand.
Darum präzisierten und betonten Pazifisten den Unterschied zwischen militärischer
Gewalt und polizeilichem (Selbst-) Schutz
- Die „rote Bibel“ von Mao wurde zum Kultobjekt und zum Leitstern
in der linken Szene.
- Fidel Castro, Che Guevara und der katholische Priester Camilo Torres avancierten
zu prophetischen Leitbildern des Widerstandes gegen die in ihren Auswirkungen
als diktatorisch erfahrene Politik der westlichen Demokratien und der mit
ihnen verbündeten Militärdiktaturen in der „Dritten Welt“.
2.2 Konflikte in der Bundesrepublik Deutschland
- Die weltumspannende Studentenbewegung, in der alle Widersprüche offen
und heftig ausgetragen wurden, zeigte auch die Brüchigkeit der überkommenen
Strukturen in der BRD: „Unter den Talaren steckt der Muff von tausend
Jahren.“ Diese „Analyse“ galt natürlich auch für
die Kirchen.
- Die Unterscheidung zwischen „Gewalt gegen Personen“ und „Gewalt
nur gegen Sachen“ und die Rechtfertigung der Letzteren einerseits und
die Position konsequenter Gewaltlosigkeit andererseits führten zu heftigen
Auseinandersetzungen in der Friedensbewegung.
- Die einseitige Bindung der Amtskirche, aber auch vieler katholischer Verbände
an die CDU/CSU stieß gerade bei politisch nachdenklichen Katholiken
auf Kritik und Ablehnung. Das Ende der Adenauer-Ära und die Bildung der
ersten Großen Koalition verstärkten diese Tendenz, die u.a. in
der Kritik an den Wahlhirtenbriefen , die bloße „Wahlhilfebriefe“
waren, zum Ausdruck kam.
- Alle Institutionen wurden in Frage gestellt, insbesondere auch die Kirchen.
Gerade die Großinstitutionen erschienen mehr an dem Erhalt ihrer Macht
interessiert als an ihrem Dienst für die Menschen. Darum entschied die
Antwort auf die folgende Frage über ihre Akzeptanz oder Ablehnung: Dienen
sie der Freiheit oder nicht vielmehr der „repressiven Toleranz“
(Marcuse), der Unterdrückung und Disziplinierung der Menschen?
- Das Verschweigen der Mitschuld von Eltern, aber auch von Universität
und Kirche an den Gräueln der Nazizeit, an der Judenvernichtung und an
dem von Anfang an ungerechten Krieg wurde in Deutschland zum Menetekel für
jede bloß formal legitimierte Autorität.
- Andererseits konnten Politiker neue Autorität gewinnen, wenn sie sich
offen auf den Dialog mit der jungen Generation einließen, deren Fragen
ernst nahmen und angemessen in ihre politischen Überlegungen und Entscheidungen
eingehen ließen.
- Die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt nahm die Umbrüche
wahr und stellte ihre Arbeit unter das Motto: Mehr Demokratie wagen.
- Die neue Ostpolitik, vor allem gegenüber Polen, führte zwar zu
heftigem Parteienstreit und fand massiven Widerstand auf der kirchennahen,
sogenannten bürgerlichen Seite, konnte sich aber auch einer breiten Unterstützung
in der Bevölkerung gewiss sein. Sie gliederte sich ein in einen Versöhnungsprozess,
der von den Kirchen mitgetragen und z.B. vom Bensberger Kreis in einem Memorandum
in seiner Dringlichkeit begründet wurde.
Das Ziel der Protestbewegungen und gesellschaftlichen Entwicklungen war also
eine Demokratisierung der Gesellschaft, der Wirtschaft und all ihrer Einrichtungen,
eine Demokratisierung auch der Kirche. Entscheidungsprozesse sollten von den
Betroffenen ausgehen und nicht von höheren Instanzen über die Betroffenen
gefällt werden. All diese Impulse verdankten sich der Einsicht, dass nicht
der Einzelne etwas gegen die mächtigen Institutionen ausrichten kann, sondern
dass es der Solidarisierung bedarf, um etwas zu verändern. Es ging daher
auch nicht vornehmlich um das Versagen, um den guten oder bösen Willen
Einzelner, sondern um die Strukturen, die zwar an sich nötig sind, aber
oft unterdrücken und Veränderungen blockieren. Sollten also Veränderungen
zu Gunsten der Menschen herbeigeführt werden, so konnte dies nur von unten,
von den Betroffenen her und in neuen Strukturen geschehen.
Diese Erfahrungen machten viele Mitglieder der Katholischen Kirche auch in
der nachkonziliaren Entwicklung ihrer Kirche. In ihr gab es vergleichbare Tendenzen
und Entwicklungen. Einzelne Priester, einzelne Christinnen oder Christen fühlten
sich und waren machtlos gegenüber der Institution „Kirche“
mit ihren dogmatischen Festlegungen, den „theologischen“ Rechtfertigung
ihrer weitgehend autoritären Strukturen und Institutionen, die als „göttlichen
Rechts“ behauptet und verteidigt wurden. Deswegen bedurfte es der Solidarisierung
von Priestern und Laien zur Durchsetzung ihrer Perspektive und zum Schutz für
Einzelne, die mit der kirchlichen Hierarchie in Konflikt gerieten, weil sie
z.B. in der Pastoral ungewohnte - z.T. gegen geltendes Kirchenrecht verstoßende
- Wege gingen, zu denen sie sich von einer am Beispiel und an der Verkündigung
Jesu orientierten Theologie inspirieren ließen..
Diese Zeitgleichheit von innerkirchlichen Reformtendenzen im Sinne und in
der Folge einer im „Geist des Konzils“ erneuerten Theologie und
von Erkenntnissen, die im Ringen um die Freiheit in den weltweiten Institutionen
gewonnen wurden, führte zur Gründung vieler Reformgruppen in den einzelnen
Diözesen, die sich dann zur AGP, zur „Arbeitsgemeinschaft von Priester-
(seit 1971: und Solidaritäts-) gruppen“ zusammenschlossen.
3. Theologische Schwerpunkte und Einflüsse
Schon bei den langfristigen Entwicklungen, die zur Gründung der AGP führten
und bei der Auflistung ihrer ursprünglichen Ziele war von der Bedeutung
der Theologie die Rede. Diese soll hier wegen ihrer besonderen Rolle noch einmal
eigens aufgezeigt werden.
- Die Reformgruppen nahmen die anthropologische Wende der Theologie auf.
Der Mensch mit seinen Fragen, in seinem konkreten Leben stand im Vordergrund
des Interesses und der theologischen Reflexion und nicht eine theologische
Systematik mit ihren angeblich zeitlosen Wahrheiten. Gott und Menschen wurden
nicht als Konkurrenten verstanden, da Menschendienst und Gottesdienst eine
Einheit bilden. Wohl alle älteren Mitglieder der AGP-Gruppen denken in
diesem Kontext mit großer Dankbarkeit an Karl Rahner, durch den sie
entscheidende Impulse für ihren Glauben und ihre Arbeit empfangen haben.
Er selbst hielt Zeit seines Lebens Kontakt zu den Reformgruppen.
- Obwohl die Lektion der Nazizeit deutlich und bitter genug hätte sein
müssen, hatten für viele schließlich erst die politischen
Umbrüche der 60-er Jahre offenkundig gemacht, dass es keinen a-politischen
Glauben gibt, die Kirche sich nicht in ein Getto zurückziehen darf, sondern
die Lebenswelt der Menschen der bevorzugte Bewährungsort des Glaubens
ist. Die politische Theologie zieht die entsprechende Konsequenz: „Der
Weg unserer Hoffnung und unserer kirchlichen Erneuerung muss uns mitten durch
diese Lebenswelt führen…“ (Synodenbeschluss: Unsere Hoffnung).
Die Kreuzesreligion darf nicht zur Wohlstandsreligion verkommen.
- Der Kontakt zu den Kirchen der „Dritten Welt“ schärfte
den Blick für die Unmenschlichkeit diktatorischer Systeme - der neben
vielen anderen auch Bischof Oscar Romero zum Opfer fiel , für die unter
ihnen besonders leidenden Armen und für die enge wirtschaftlich-finanzielle
und politisch-ideologische Verflechtung der Unrechtsregime mit den Mächtigen
in den westlichen Demokratien, die den verlogenen Anspruch erhoben, eine Wertegemeinschaft
zu bilden bzw. zu repräsentieren.
- Zugleich fand eine verstärkte Wahrnehmung und Aufnahme der Impulse
der Befreiungstheologie statt, die daran erinnerte, dass die Armen und Kleinen
die Privilegierten Jesu waren. In der Begegnung mit dieser Theologie und ihren
Repräsentanten verstanden sich unsere Gruppen v.a. als Lernende. Der
Einfluss der Befreiungstheologie auf die durch uns vertretenen theologischen,
kirchenreformerischen und gesellschaftspolitischen Positionen einerseits und
auf die Initiativen für die verschiedenen Praxisfelder, v.a. in den Gemeinden,
andererseits ist unbestreitbar.
- Das Zweite Vatikanum verstand die Kirche wieder primär als Volk Gottes
und nicht als hierarchische Institution. Dies hatte auch wichtige Konsequenzen
für das Selbstverständnis von Gemeinden und Ortskirchen und ebenso
auf die Zielsetzung und Arbeit der AGP.
- So wurden die Gemeinden auch zu theologischen Orten. Erfahrungen und Begegnungen
in ihnen gewannen Bedeutung für das theologische Denken und eine dem
gemäße Pastoral. In ihren Gemeinden lernten vor allem die Seelsorger
die Wichtigkeit einer geschwisterlichen, den Menschen zugewandten Kirche,
denn dort erlebten sie, wie Menschen unter ungerechten, enttäuschenden
und verletzenden Regeln und Maßnahmen von Seiten kirchlicher Instanzen
litten.
- Ein weiteres Kennzeichen des theologischen Standorts der AGP ist das Interesse
und das Engagement für die Ökumene, denn jede Theologie muss ökumenisch
sein. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, haben die AGP-Gruppen
und ihre Mitglieder durch die Begegnung v.a. mit der evangelischen Theologie
– und hier insbesondere von den Ergebnissen der Exegese – gelernt
und die Aufbrüche der ökumenischen Bewegung und Theologie im katholischen
wie im evangelischen Raum aufgenommen. Hierdurch und nicht zuletzt durch die
Begegnung mit Christen, die in konfessionsverschiedenen Ehen leben, haben
sie neue Einsichten gewonnen und sind zu entsprechenden Reformforderungen
bewegt worden, die sie auch in der „Initiative Kirche von unten“
(IKvu) gemeinsam mit anderen Gruppen, etwa bei Kirchentagen, vertreten hat.
- Für die aufgezeigten Aufbrüche war ein Auszug aus den engen Grenzen
einer neuscholastischen Theologie unabdingbar. Viele Konflikte (z.B. von Karl
Rahner, Hans Küng und Eugen Drewermann), die sich mit der Amtskirche
ergaben, haben ihren Ursprung darin, dass diese weithin den fundamentalen
Paradigmenwechsel entweder nicht wahrnahm, nicht verstand oder nicht mit vollzog,
der zu Korrekturen und Neuansätzen auf allen Gebieten der Theologie führte.
Die Solidaritätsgruppen ließen sich jedoch immer wieder von den
Versuchen einer Neuformulierung, eines „aggiornamentos“ des Glaubens
inspirieren, ohne dabei eine kritische Prüfung zu vernachlässigen
oder die Grundsätze des christlichen Glaubens zur Disposition zu stellen.
- So war eine erneuerte Theologie einerseits einer der wichtigsten Gründe
für die Entstehung der AGP-Gruppen und für die Einforderung der
verschiedenen Reformen. Andererseits war es immer ein „Markenzeichen“
der AGP bzw. ihrer Reformforderungen, dass diese theologisch seriös begründet
waren und sich auf der Höhe der wissenschaftlichen Fachdiskussion befanden.
Dadurch wurde die Berechtigung ihrer Forderungen unterstrichen, beim „Gegenüber“
aber die Einsicht ermöglicht und die Ablehnung erschwert. Veränderung
als Selbstzweck war nie die Sache der AGP.
- Die genannten Aspekte verdeutlichen, dass Theorie und Praxis nicht als
Gegensätze verstanden wurden . Theologische Überlegungen waren der
Anstoß für eine begründete und somit verantwortbare Praxis,
welche ihrerseits neue theoretische Einsichten ermöglichte. Die Felder
des kirchenreformerischen und sozialen Engagements hatten insofern wegen ihrer
Eigenwertigkeit und -gesetzlichkeit Auswirkungen auf entsprechende theologische
Reflexionen.
4. Kritische Reflexion
Dass Ideen und Vorschläge gut begründet sind, garantiert nicht, dass
sie auch von anderen zur Kenntnis genommen oder gar umgesetzt werden. Das gilt
natürlich auch in der Kirche und in ihr insbesondere in Bezug auf die Initiativen
der Reformgruppen.
Zu einer kritischen Reflexion gehört aber auch der Widerspruch gegen
eine resignative „Legende des Scheiterns“. Erfolg oder Misserfolg
sind nicht einfach festzumachen daran, ob die bis heute gültigen und eingeforderten
„Reform-Standards“ auf der Ebene des kirchlichen Rechts und der
gesamtkirchlichen Praxis verwirklicht wurden: vor allem die Aufhebung des Pflicht-Zölibats;
die Ermutigung Geschiedener und Wiederverheirateter, die mit der Kirche leben
möchten, zum Empfang der Kommunion; die Akzeptanz der sogenannten „künstlichen“
Empfängnisverhütung; die Öffnung des Zugangs zu den kirchlichen
Ämtern für Frauen; das Mitentscheidungsrecht von Laien in kirchlichen
Gremien. Wäre die Erfüllung dieser Forderungen das alleinige Erfolgskriterium,
dann sähe das Fazit allerdings äußerst dürftig aus.
4.1 Positive Entwicklungen
- Trotz aller offiziellen Widerstände und gegen alle autoritativen Maßnahmen:
Die „Großwetterlage“ in der Kirche hat sich auf manchen
Gebieten zum Guten verändert. Dies wird gerade in den Krisen deutlich,
die von maßgeblichen Teilen der Amtskirche - gegenwärtig in exponierter
Weise durch Papst Benedikt XVI. - zu verantworten sind. Kritik und Widerstand
bis in die Reihen der Bischöfe zeigen, dass die Kirche keine ausschließliche
Einbahnstraße der Anordnungen von oben nach unten mehr ist.
- Dazu hat - neben der 68-er Bewegung - vor allem ein neues Selbstbewusstsein
der Laien beigetragen. Sie sind bereit und in der Lage, für ihre Gewissensentscheidungen
einzustehen und ihre Verantwortung nicht an die Hierarchie zu delegieren.
- Viele Katholikinnen und Katholiken lassen sich ihr Katholischsein nicht
„von oben“ oder anhand eines Katalogs von Lehrsätzen definieren.
In Offenheit gegenüber der Glaubenstradition der Gesamtkirche, im lebendigen
Dialog mit anderen Gläubigen und im Ernstnehmen eigener Erfahrungen finden
sie ihren Weg des Glaubens. Konsequenterweise werden darum in vielen Gemeinden
auch geschiedene Gemeindemitglieder, die in einer neuen Ehe leben, zum Empfang
der Kommunion eingeladen.
- Dieses eigenständige Glaubensbewusstsein von Christinnen und Christen,
ihr Aufstehen und Widerstehen in der Kirche im Bewusstsein ihrer von Gott
geschenkten Würde zeigen sich natürlich im Leben vieler Gemeinden.
Sie haben sich in ihrer Aufgeschlossenheit für die Kirchen der „Dritten
Welt“, in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für eine gerechtere
Welt, für die Bewahrung der Schöpfung und für die Sicherung
des Friedens als „offene Gemeinden“ erwiesen.
- In Ortsgemeinden ist auch die ökumenische Praxis oft weiter, als die
durch amtliche Vorschriften gezogenen engen Grenzen zulassen wollen. Ökumenisches
Miteinander bis hin zur eucharistischen Gastfreundschaft macht ernst mit der
Einheit im Glauben und der Mitgliedschaft in der einen Kirche Christi durch
die Taufe.
- Neues Glaubensverständnis drückt sich auch aus in einer größeren
Toleranz unterschiedlichen Lebensentwürfen gegenüber und in der
Akzeptanz unterschiedlicher politischer Optionen.
- Das vom Zweiten Vatikanum nachdrücklich in Erinnerung gebrachte allgemeine
Priestertum führt in manchen Gemeinden zu einer Zusammenarbeit von Klerus
und Laien auf Augenhöhe und zur Übernahme gemeinsamer Verantwortung.
- Diese Entwicklungen in den Gemeinden blieben nicht ohne Folgen für
das Verhalten zumindest einiger Bischöfe der Weltkirche. Diese sind -
bisher allerdings zu selten - nicht mehr bereit, widerspruchslos alles aus
Rom hinzunehmen und sich als willfährige Vollzugsbeamte zu verstehen
und zu verhalten, was ohnehin im Widerspruch zur offiziellen Lehre stünde.
Die kritische Reaktion der deutschen Bischofskonferenz auf die bedingungslose
Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Piusbruderschaft im Jahr
2009 durch Benedikt XVI. kann als Indiz dafür gewertet werden.
Natürlich sind die hier aufgezeigten Entwicklungen bei weitem nicht überall
und nicht in der wünschenswerten Eindeutigkeit vorzufinden; natürlich
sind sie nicht einfach auf die Arbeit der Reformgruppen zurückzuführen
oder gar durch diese in direkter Weise herbeigeführt. Dennoch sollte deren
Einfluss auf das Gesamt des nachkonziliaren Prozesses nicht ignoriert werden.
4.2 Beispiele konkreten Engagements der AGP-Gruppen für die kirchliche
Erneuerung
- Manche Mitgliedsgruppen – v.a. solche, in denen die Mitglieder größtenteils
zum Klerus zählten – hatten die Möglichkeit, in den offiziellen
Bistumsgremien hier und da Einfluss auf die Entscheidungen und damit auf die
Entwicklung in der Diözese zu nehmen – selbst wenn es manchmal
nur darum ging, das Schlimmste zu verhindern.
- Die AGP und ihre Gruppen haben sich schon sehr früh mit dem Problem
einer zeitgemäßen Pastoral beschäftigt. Die Gruppenmitglieder
haben sich in den Gemeinden um die Umsetzung der als notwendig erkannten Veränderungen
bemüht. Sie konnten dadurch an einigen der oben aufgeführten positiven
Entwicklungen mitwirken und haben vielfach einen den Glauben stärkenden
und Freiheitsräume eröffnenden Dienst geleistet.
- Einen direkten Einfluss auf das Glaubensverständnis und entsprechende
Einstellungen und Haltungen konnten die AGP-Mitglieder durch Predigten, Religionsunterricht,
Seminare, Gespräche etc. ausüben. Dabei nutzten sie die Gelegenheit,
um eine biblisch fundierte, vom Geist des Konzils inspirierte Theologie für
die Basis zu buchstabieren.
- Ein weiteres Feld, auf dem die AGP sich für eine nachhaltige Erneuerung
eingesetzt hat, war die Liturgie. Es ging v.a. darum - jenseits von modischer
Effekthascherei oder Banalisierung – überlebte Riten zu vermeiden
und eine liturgische Sprache zu entwickeln, die die Leiden und Hoffnungen
der Menschen zum Ausdruck brachte, verständlich war und dem Reflexionsstand
aufgeklärten Glaubens entsprach. Dies geschah u.a. in den weithin aufgenommenen
und in Gemeindegottesdiensten verwendeten liturgischen Texte von Alfred Schilling,
dem langjährigen Herausgeber der SOG-Papiere. Entsprechende Veröffentlichungen
wurden durch die AGP unterstützt oder von Einzelnen in lebendiger Liturgie
selbst entfaltet.
- Vor allem in den ersten Jahren erarbeiteten einzelne AGP-Gruppen oder Mitglieder
wichtige Texte, mit denen sie in der innerkirchlichen Diskussion Position
bezogen und versuchten, Entscheidungsprozesse zu beeinflussen, z.B. durch
Arbeitspapiere, die über die AG Synode in die Debatten der Gemeinsamen
Synode der Bistümer in der BRD eingingen. Die oft nach intensiver Arbeit
- in Auseinandersetzung und Klärung – entstandenen Publikationen
waren aber auch notwendig, um die eigene Überzeugung in der Öffentlichkeit
differenziert zu begründen und zu verdeutlichen und dadurch Menschen
für die angestrebten Reformziele zu gewinnen. Einen besonderen Akzent
setzten die „AGP-Editionen“, die sich jeweils einem Themenschwerpunkt
widmeten.
- Hier seien zwei Beispiele solcher aufklärenden Veröffentlichungen
genannt, die noch heute erscheinen: Zunächst die SOG-Papiere als Informationsdienst
der AGP, die allen Gruppen und ihren Mitgliedern zugehen und u.a. dem Erfahrungsaustausch
dienen sollen. Sie erscheinen auch als Einlage der Zeitschrift „imprimatur“.
Diese wurde ursprünglich vom Marienburger Kreis herausgegeben und erschien
dann lange unter der Federführung von Hermann Münzel. Das schon
damals tätige Redaktionsteam, dem weithin Theologen aus dem Bistum Trier
angehören, ist auch heute noch verantwortlich für die inhaltliche
Gestaltung und die Herausgabe.
Einige Mitgliedsgruppen geben eigene Informationsschriften heraus, in denen
sie sich kritisch mit Vorgängen im jeweiligen Bistum auseinandersetzen
und über eigene Initiativen berichten.
- Vielfältiges Engagement bei der Vorbereitung und Durchführung
der Synode der westdeutschen Bistümer, sowohl in der begleitenden AG-Synode
wie durch die Mitarbeit von Mitgliedern unserer Gruppen in der Synode selbst.
- Die AGP als ältester Zusammenschluss von nachkonziliaren Reformgruppen
und viele ihrer Mitglieder haben mitgeholfen, in den 80-er und 90-er Jahren
die „jüngeren“ Reformbewegungen „Initiative Kirche
von unten“ und „Wir sind Kirche“ aus der Taufe zu heben.
Mit diesen gibt es, z.T. auch durch Doppelmitgliedschaft von Einzelnen und
von Gruppen der AGP, bis heute eine Zusammenarbeit, insbesondere bei den Katholikentagen
von unten oder den ökumenischen Kirchentagen. Vielfach haben diese neuen
Gruppierungen auch den Forderungen der AGP neue Kraft und größere
Breitenwirkung verschafft.
- Einige AGP-Gruppen haben über viele Jahre und bis heute Kontakt zu
Personen und Gemeinden in der „Dritten Welt“ gehalten. Sie haben
Projekte einer befreienden und zukunftorientierten Pastoral in der Konsequenz
der „Option für die Armen“ unterstützt, und einzelne
Mitglieder haben auch durch persönliche Begegnungen so prägende
Erfahrungen gemacht, dass sie ihre Theologie und ihre Arbeit, z.B. in den
Gemeinden, verändert haben.
4.3 Defizite und Versäumnisse
Wenn die vergangenen 40 Jahre AGP-Arbeit nicht in einer verfälschenden
Legende des Scheiterns zusammengefasst werden können, dann gebieten Nüchternheit
und Ehrlichkeit aber auch festzustellen, dass keine reine Erfolgsgeschichte
zu erzählen ist. Darum sei nun der kritische Blick - wie es sich für
eine Gemeinschaft kritischer Christinnen und Christen gehört – auf
uns selbst und unsere Arbeit gerichtet.
Durch die offenen und selbstkritischen Fragen soll nicht der Eindruck erweckt
werden, als zweifelten die Mitglieder der AGP an der Richtigkeit und Notwendigkeit
ihres Reformengagements und der entsprechenden Forderungen. Noch weniger werden
die persönliche Lauterkeit einzelner Mitglieder und deren integre Absichten
beim Eintreten für eine Erneuerung der Kirche im Geist des Zweiten Vatikanums
in Frage gestellt. Die AGP sieht keinen Anlass - gleichsam alters“weise“
-, die Zuständigkeit und Verantwortung für die z.T. verhängnisvolle
nachkonziliare Entwicklung zu verschleiern, die weitgehende Dialogverweigerung
von Seiten der Oberkirche zu verschweigen oder gar die Seiten zu wechseln.
Gerade in diesem Selbstbewusstsein ist festzustellen:
- Obwohl nicht ohne Einfluss, hat die AGP-Arbeit keine Breitenwirkung erzielt.
Ihr geringer Bekanntheitsgrad - vor allem in den letzten Jahren - ist dafür
ein klares Indiz. Dies gilt auch für manche Mitgliedsgruppen.
- Erschwerend kam hinzu, dass in den Gruppen oft zu wenig Interesse an einer
Zusammenarbeit mit den Nachbargruppen und mit Gruppen ähnlicher Zielsetzung
in Kirche und Gesellschaft bestanden hat. Außerdem fehlte es häufig
an der Bereitschaft zur Mitarbeit in unserer Arbeitsgemeinschaft. So lag die
Hauptarbeit zumeist nur auf den Schultern weniger, die selbst unter hoher
beruflicher Belastung standen. Letztere war wohl vor allem für die Seelsorger,
die ihre vorrangige berufliche Verpflichtung in der Gemeindearbeit sahen,
ein Hauptgrund für ihr begrenztes Engagement in der AGP bzw. in den Gruppen.
- Bei den „großen Brocken“ der Reformforderungen erwies
sich das Engagement der Reformgruppen als Sisyphos-Arbeit. Die AGP hat zwar
gemeinsam mit anderen reformwilligen Kräften geholfen, dass sich die
Einstellung vieler Christinnen und Christen z.B. zum Zölibatsgesetz der
Westkirche, zur Ordination von Frauen und „viri probati“, zum
Umgang mit geschieden Wiederverheirateten und zur Ermöglichung eucharistischer
Gastfreundschaft verändert hat. Doch eine amtskirchliche Legitimierung
entsprechender Schritte ist aufs Ganze gesehen gegenwärtig noch nicht
einmal im Ansatz erfolgt.
- So viele Initiativen „von unten“ auch durchgeführt und
unterstützt wurden, weiterhin - und in den letzten Jahrzehnten sogar
verstärkt - wird die römisch-katholische Kirche zentralistisch von
oben dirigiert und bevormundet.
- Der Einfluss der AGP auf die Gemeinden erfolgte durch den individuellen
Einsatz einzelner Gruppenmitglieder. Eine systematische Arbeit in oder mit
den Gemeinden erfolgte nicht. Dies lag unter anderem daran, dass die AGP selbst
sich nicht als „Basisgemeinde“ verstanden hat. Entsprechende Initiativen
wurden bewusst nicht weiter verfolgt.
Nicht zuletzt angesichts dieser Punkte einer nüchternen Bilanz liegen
folgende Fragen nahe:
- Wurden die Bedenken und Argumente der „anderen Seite“ immer
ernst genug genommen, oder führte das Auftreten der Gegenseite zu Einseitigkeiten
und Überspitzungen, gelegentlich auch zu einem Freund-Feind-Denken, bei
dem nur noch eine Seite sich für wahrheitsfähig hielt?.
- Allerdings: Der Wahrheit nähert man sich nur im strittigen Gespräch.
Wenn man also nach der Wahrheit sucht oder bescheidener: nach den richtigen
Wegen, dann muss man alles daran setzen - soweit das im konkreten Fall möglich
ist -, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Wie halten
es die Reformgruppen also mit ihrer kirchlichen Loyalität angesichts
einer oft konzeptionslosen Institution, die es an Mut und Willen zur Kooperation
und Kommunikation fehlen lässt?
- Doch möglicherweise hat die AGP zu oft und zu lange auf die Zumutungen
kirchlicher Autoritäten reagiert und sich so unnötig an sie gebunden.
War sie in diesem Sinne gegen ihre entschiedene Absicht „autoritätsfixiert“?
- Selbst wo richtige Themen für eine Reform der Kirche aufgegriffen
wurden - wovon man in der AGP überzeugt ist -, sind damit nicht automatisch
auch schon die richtigen Lösungswege aufgezeigt. Auch für die AGP
gilt: Sie ist nicht unfehlbar und muss sich vor jeder Form des Dogmatismus
hüten. Außerdem: Selbst wenn es notwendig ist, seit langem vorgetragene
Forderungen hartnäckig zu wiederholen, bleibt die Frage, ob die AGP in
ihren Ideen kreativ und in ihrer Argumentation differenziert genug war, um
ihre Anliegen interessant zu halten, ihr Gegenüber zu überraschen
und ihre Erfolgsaussichten zu verbessern.
- Gerade weil die AGP-Gruppen zu Recht für sich in Anspruch nehmen,
ihre Vorschläge theologisch solide zu begründen, müssen sie
sich fragen, ob sie vornehmlich Argumente und Forderungen wiederholen, die
sich im Einklang mit den Standards eines allgemeinen Bewusstseins befinden,
oder ob sie ihre spezifischen Inspirationen aus der Hl. Schrift und einer
genuinen christlichen Tradition schöpfen.
- In der Gründungszeit der AGP war die zweifellos kritische und differenzierte
Bindung an die Gesamtkirche weithin selbstverständlich. Auch heute engagieren
sich viele Männer und Frauen aus den AGP-Gruppen in ihren Gemeinden und
arbeiten - wie erst recht die Priester - unter immer schwieriger werdenden
Bedingungen im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dennoch muss man feststellen:
Manche der in den Gruppen engagierten Christinnen und Christen fühlen
sich von wesentlichen Teilen dieser Kirche ignoriert und haben sich ihrerseits
- häufig nach leidvollen Erfahrungen - von der „real-existierenden“
Kirche verabschiedet und in einem selbstdefinierten Kirchesein eingerichtet.
Wird bei aller subjektiven Plausibilität der persönlichen Motive
und Entscheidungen durch solche Distanzierung der glaubwürdige Einsatz
für die Erneuerung der Kirche nicht erschwert?
- In der berechtigten Begeisterung für das Zweite Vatikanum und wegen
der weiterhin verpflichtenden Bindung an seinen Geist und seine Ergebnisse,
sind die AGP-Gruppen vielleicht zu sehr im engeren Sinn „nachkonziliar“
und in ihrem Argumentationsstil zu sehr dem der gesellschaftlichen und kirchlichen
68-er - Generation verhaftet geblieben. Haben sie deswegen bei aller Aufmerksamkeit
für neue Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft insgesamt nur wenig
Kontakt zur jüngeren Generation gefunden?
- Gerade Vertreter aufgeklärter Theologien und befreiender Reformen
müssen prüfen, ob ihr Lebensstil den von ihnen vertretenen Positionen
entspricht. Ihre Glaubwürdigkeit steht also immer mit auf dem Prüfstand.
Ist also z.B. eine Lebensform entstanden, die mit der Option für die
Armen im Einklang steht?
„Bekehrung und Reform“ war die Erklärung der AGP zu ihrem
25-jährigen Bestehen überschrieben. Diese als Aufforderung an die
Kirche und an die einzelnen Christinnen und Christen verstandene Überschrift
bleibt auch ein Appell an die AGP selbst: Auch sie darf sich nicht der Bekehrung
und der Reform entziehen.
5. AGP-Gruppen: Auf der Suche nach einer zeitgemäßen Spiritualität
„Kampf und Kontemplation“ mit diesen oder ähnlichen Formulierungen
haben die verschiedensten Reformbewegungen in der Geschichte der Kirche ihr
Programm oder besser: ihre innerste Leitlinie umschrieben. Ohne diese spannungsreiche
Einheit bliebe alles Bemühen um die Erneuerung der Kirche purer Aktionismus
und damit letztlich bedeutungslos. So wundert es nicht, dass auch für die
AGP-Gruppen die Suche nach einer erneuerten Spiritualität als innere Kraftquelle,
Kompass und Seismograph zum wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit gehörte.
- Obwohl bestimmte Formen der sogenannten Volksfrömmigkeit bewusst nicht
praktiziert wurden, ging es nicht in erster Linie um den Austausch von „frommen
Übungen“, nicht um das Denunzieren überkommener spiritueller
Ausdrucksformen, aber sicher auch nicht um das eklektische Sich-Bedienen auf
dem esoterischen Markt.
- Reformarbeit und Spiritualität wollten sich nicht nur theologisch,
sondern auch geistig inspirieren lassen durch den Willen und das Bemühen,
die Welt mit den Augen Jesu zu sehen. Seine Menschenfreundlichkeit ist Anlass
und Ansporn, die Geächteten zu bevorzugten Adressaten der Zuwendung zu
machen. Die Unterstützung der Option für die Armen in der lateinamerikanischen
Kirche, die kritische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus und den Götzen
Markt und Geld, die Kritik an einer nur ökonomisch interessierten und
dadurch sozial unsolidarischen und in ihren Folgen menschenverachtenden Globalisierung
und der Einsatz für eine gerechte Wirtschaftsordnung sind Beispiele für
Konsequenzen einer den Menschen zugewandten Spiritualität und einer zeitgemäßen
Auslegung des Evangeliums.
- Eine solche „jesuanisch - biblische“ Spiritualität kann
helfen, Enttäuschungen auszuhalten und den langen Atem zu bewahren, um
die kleinen Schritte der großen Hoffnung weitergehen zu können.
- Ein weiteres Merkmal der „AGP-Spiritualität“ war die mit
verschiedenen kirchlichen Reformbewegungen geteilte Überzeugung, dass
Glauben und Handeln, Theologie und Einsatz für eine gerechtere Welt,
Gottes- und Nächstenliebe, Gebet und Arbeit eine Einheit bilden.
- Gerade die Auseinandersetzungen um die richtigen Wege für den Gang
der Kirche sind häufig durch eine unangebrachte Aufgeregtheit und durch
gegenseitige Überbietung mit großen Worten und durch peinliche
Emphase gekennzeichnet. Die AGP hat versucht, durch Nüchternheit zu einer
geistigen Hygiene beizutragen, zu der eine innere Ruhe gehört, die nicht
der Begeisterung widerspricht, und eine Gelassenheit, die dem beherzten Einsatz
erst Kraft und Stetigkeit verleiht.
- Die spirituelle Unaufgeregtheit verdankt sich auch dem Bewusstsein vom
„eschatologischen Vorbehalt“, unter dem unsere gesamtes Tun steht:
Zwar ist alles daranzusetzen, dass das Reich Gottes nicht zu einer realitätsfernen
Utopie verblasst, sondern schon jetzt bei den Menschen ankommt. Aber dies
können sie nicht “aus sich“ endgültig bewerkstelligen.
Die Grenzen der Machbarkeit werden hier besonders deutlich - führen aber
nicht zur Resignation, sondern zur Dringlichkeit des „Schon-jetzt“,
zur Bescheidenheit des „Noch-nicht“ und vor allem - auf lange
Sicht - zum Vertrauen auf den „neuen Himmel und die neue Erde“,
wenn Gott selbst „alles in allem“ sein wird.
- Allerdings gilt auch: „Hoffen geschieht im Tun des nächsten
Schrittes“ (Karl Barth). Hoffen ist ein aktiver Prozess und nicht ein
bloß „frommes“, passives Abwarten. Nur Gott selbst kennt
die letzten Schritte zur Vollendung, und die Menschen werden letztlich sein
Reich als Geschenk empfangen. Im Glauben daran können und müssen
in offener Hoffnung vorbereitende Schritte gegangen werden, um so schon jetzt
etwas von dem kommenden Reich erfahrbar werden zu lassen.
- Die AGP-Gruppen haben in ihren Gottesdiensten, an Besinnungs- bzw. Orientierungstagen
oder während mehrtägiger Exerzitien Elemente der skizzierten Spiritualität
entfaltet und eingeübt. Bei diesen Anlässen wurden z.B. Eucharistiefeiern
nicht priesterzentriert, sondern im Bewusstsein der wesentlichen Einheit des
Volkes Gottes kommunikativer gestaltet und im Hören auf die biblische
Botschaft Texte in einer zeit- und sachgemäßen Sprache formuliert.
Nicht zuletzt aber waren Zeit und Welt, andere Mitmenschen und real Teilnehmende
„anwesend“ mit ihren Fragen, Zweifeln und Ratlosigkeiten, aber
auch mit ihrem Suchen, Glauben und Hoffen.
Der oft den Reformgruppen gegenüber erhobene Vorwurf, sie seien nur an
Debatten über äußerliche Strukturreformen interessiert und es
mangele ihnen an „wirklicher Geistlichkeit“ kann sich nur einem
doppelten Missverständnis verdanken: Einerseits dem Kurzschluss, nur traditionelle
Frömmigkeitsformen seien authentischer Ausdruck einer katholischen Spiritualität;
andererseits einem dualistischen, also nicht-christlichen Weltbild, nach dem
es bestimmte Bereiche des Heiligen getrennt von der profanen Welt gebe, in denen
allein christliche Frömmigkeit ihren Platz haben könne und dürfe.
Dagegen unterstreichen wir: Eine auf die Vergangenheit beschränkte, weltfremde
Spiritualität ist für uns kein Ausdruck eines zeitgemäßen
christlichen Glaubens.
6. Zukünftige Arbeit
Die Gruppen und ihre Mitglieder sind in die Jahre gekommen. Die Zeit des Aufbruchs
erscheint nach der Ansicht mancher vorüber zu sein. So ist der Blick in
die Zukunft naturgemäß schwierig und ungewiss. Von Weiterarbeit oder
Perspektiven und gar davon, diese programmatisch umsetzen zu wollen, kann man
also nur ganz bescheiden und zurückhaltend sprechen. Manches aber sollte
noch getan werden.
- Die (Kirchen-) Geschichtsschreibung berücksichtigt weithin nur die
„Sieger“, die Mächtigen, diejenigen, die angeblich den Lauf
der Geschichte bestimmt haben. So scheint es auch in Bezug auf die Wahrnehmung
der nachkonziliaren Zeit zu sein. Die Reformgruppen werden in der Kirchengeschichtsschreibung
der neueren Zeit höchstens am Rande erwähnt. Damit aber ihr Einfluss
in gebührender Weise wahrgenommen und auch in Zukunft noch festgestellt
und nachvollzogen werden kann, ist es nötig, dass wir selbst dafür
sorgen, authentische Spuren zu hinterlassen, damit unsere Arbeit sachgemäß
beurteilt werden kann und nicht in Vergessenheit gerät. Die AGP und ihre
Mitgliedsgruppen müssen also selbst ihre Arbeit dokumentieren. Eine umfangreiche,
keineswegs nostalgische, sondern unerlässliche Aufgabe. Wir müssen
unser Haus bestellen.
- In Veröffentlichungen der AGP und ihrer Mitgliedsgruppen liegt bereits
ein reichhaltiges Quellenmaterial bereit. In ihm wird durchaus erkennbar,
was das Profil der AGP ausmacht: ihre Geschichte, ihre Initiativen und Konflikte,
ihre Niederlagen und Erfolge - alles, was sie zu einem Teil der nachkonziliaren
Reformbewegung und Kirche gemacht hat. Diese Quellen zugänglich zu halten
oder zu machen und dafür zu sorgen, dass ihre Inhalte in den kirchenhistorischen
Diskurs einbezogen werden, bleibt notwendig.
- Im Blick auf die eigenen, in unterschiedlicher Weise schwächer werdenden
Kräfte, sollte angesichts dessen, was eigentlich noch alles anzupacken
wäre, jede Überforderung vermieden werden. In aller Gelassenheit
ist vielmehr das zu tun, was noch möglich erscheint: Treffen organisieren
und Freiräume eröffnen, in denen man offen miteinander reden, seine
persönlichen Zweifel, Fragen, Sorgen, Hoffnungen und tragenden Gründe
zur Sprache bringen kann; wo man sich gegenseitig ermutigt, auch die weiteren,
letzten Schritte im Glauben, mit Zuversicht und trotz allem in der Kirche
zu gehen.
- Die Gruppen und die AGP können auch weiterhin Orte sein, an denen
das Neue - in Theologie, Kirche und Welt - wahrgenommen wird, Denken und Handeln
beeinflusst. Dadurch kann deutlich werden: Es lohnt sich, geistig wach(-sam)
zu bleiben; es ist auch in der Kirche möglich, Kritik mit Solidarität
und Streit mit Bindung zu vereinbaren.
- Auch in Zukunft wird die AGP sich noch zu Wort melden. Solche Wortmeldungen
sind Zeichen und Ausdruck der Treue zum eigenen Weg und zu der auch weiterhin
für richtig und notwendig erachteten „Sache“.
- Die augenblickliche Debatte um die Bedeutung und die Gültigkeit des
Zweiten Vatikanums macht auf eindringliche Weise klar, dass jedes einzelne
Mitglied der Gruppen mithelfen muss, das Konzil nicht in Vergessenheit geraten
oder im Sinne einer restaurativen Theologie und Kirchenpolitik interpretieren
zu lassen. Die entsprechende Aufklärungsarbeit ist von einer bedrückenden
Aktualität und Dringlichkeit.
- So lange die Gruppen in dem aufgezeigten Rahmen ihre Arbeit als sinnvoll
erachten, so lange wird auch die AGP als Ort des Austausches und der Anregung
dienen können.
Der Blick auf Kirche und Welt lässt uns viele Probleme wahrnehmen, die
jetzt - und z.T. schon seit langem - aktuell sind und noch lange bleiben werden.
Auf der einen Seite eine lediglich technisch und ökonomisch interessierte
und dabei sozial unsolidarische Globalisierung; die u.a. durch Profitgier verursachte
Wirtschafts- und Finanzkrise; die immer bedrohlichere Ausmaße annehmende
Zerstörung der Umwelt; politisch und religiös motivierte Auseinandersetzungen
und Kriege, Flüchtlingsströme, Verletzungen der Menschenrechte und
die Ausbeutung der Armen. Auf der anderen Seite eröffnet der Blick auf
Kirche und Welt aber auch hoffnungsvolle, den Einsatz lohnende Perspektiven:
das notwendige Miteinander der Religionen und ihr möglicher Beitrag zum
Frieden; die evangeliumsgemäße Verkündigung der christlichen
Botschaft durch eine ökumenische Kirche; eine Solidarität, die jedem
Menschen Hoffnung für jetzt, aber auch über den Tod hinaus zu vermitteln
vermag; eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern, in ihrer inneren Glaubenskraft
und in ihren Strukturen.
All das braucht die Unterstützung, das Engagement, die solidarische und
zugleich kritische Begleitung von Christinnen und Christen und wahrscheinlich
auch neue Formen der „Institutionalisierung“. Vielleicht können
die AGP-Gruppen noch etwas zu ihrer Vorbereitung tun, noch einiges von ihren
Erfahrungen weiterreichen. Sie sind ihre Wege weithin gegangen; neue eröffnen
sich hoffentlich, auf denen andere dann gehen werden.
Die Frauen und Männer, die sich in der AGP und ihren Gruppen engagieren,
vertrauen für die Zukunft auf das Wirken des Geistes Gottes in Welt und
Kirche. Ihre Perspektive geht also über sie selbst hinaus, ermutigt sie
aber gerade deswegen zu dem, was jetzt noch in ihren Kräften steht.
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