Zu modern, zu feministisch: Im vorigen Jahr begann eine auf drei Jahre angelegte Überprüfung aller katholischen Frauenorden in den USA. Im nächsten Jahr sollen die Ergebnisse dann nach Rom übermittelt werden - veröffentlicht werden sie allerdings nicht. "Erstens arbeiten viele Nonnen nicht mehr in formalen Kirchenstrukturen. Sie sind in der Gerechtigkeits- und Friedensarbeit tätig, fördern das Umweltbewusstsein oder arbeiten direkt mit den Armen. Dann bemühen sich auch einige stark um Kirchenreformen, kämpfen für die Priesterweihe von Frauen und für Schwulen- und Lesbenrechte. Schließlich gibt es Berichte, dass der Vatikan beunruhigt sei, dass die Mehrheit der Nonnen keine Tracht trägt und manche allein, zu zweit oder zu dritt leben."
So fasst Maureen Fiedler vom Orden der Loretto-Schwestern die Gründe zusammen, die offensichtlich - trotz gegenteiliger Behauptung aus Rom - zu der umfangreichen Überprüfung der US-Frauenorden durch den Vatikan geführt haben. Die amerikanischen Nonnen haben bereits seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Reformkurs vorangetrieben.
Meine erste Begegnung mit Ordensfrauen der USA, im Jahr 1982, war voller Überraschungen.
Wir hatten vereinbart, dass zwei Franziskanerinnen uns, einen Kameramann und
mich, am Flughafen von Las Vegas abholen und in ihr dortiges Kloster bringen
sollten. Doch keine Nonne war zu sehen. Wir warteten in der Halle. Schließlich
kamen zwei chic gekleidete Frauen auf uns zu und fragten, ob wir das Team vom
deutschen Fernsehen seien. Es waren die angekündigten Franziskanerinnen.
Sie fuhren uns zu ihrem Haus in einem Vorort der Stadt, das kein Kloster im
traditionellen Sinne, sondern ein ehemaliges Motel war. Im linken Teil wohnten
die Franziskaner, im rechten die Franziskanerinnen und in der Mitte waren die
Gemeinschaftsräume. Mittags fuhren wir mit ihnen nach "Sin City"
- wie sie es nannten - , also in die "Sündenstadt", denn in den
Glücksspiel-Tempeln dort konnte man preiswert essen. Am Rand dieser Welt
des Geldes und fadenscheinigen Glanzes arbeiteten die Franziskanerinnen in den
sozialen Brennpunkten der Stadt.
Außerdem nahmen sie an vorderster Stelle an wochenlangen friedlichen Demonstrationen gegen Atomversuche in der Wüste Nevada teil. Vorher hatte ich schon von amerikanischen Ordensfrauen gehört, die sich gegen den Vietnam-Krieg und gegen die Todesstrafe engagierten sowie offen mehr Rechte für Frauen in der Kirche, ja auch das Frauenpriestertum forderten.
Und nun die von Rom angeordnete Apostolische Visitation. 341 US-Frauenorden insgesamt - ausgenommen die kontemplativen Gemeinschaften hinter Klostermauern - sind ins Visier des Vatikans geraten. Der dort für die Orden zuständige Kardinal Franc Rode hatte das fragwürdige Unternehmen zunächst nur damit begründet, man wolle herausfinden, warum es immer weniger Nachwuchs, das heißt, Bewerberinnen, für das Ordensleben gibt und wie es um die Lebensqualität der Nonnen bestellt sei. Doch Schwester Sandra Schneiders, Theologie-Professorin in Berkeley, wies schon früh auf die wahren Hintergründe der Überprüfung hin:
"Niemand kann glauben, dass der Rückgang an Neueintritten in die Frauenorden ein solches 'Verbrechen' darstellt, das ein Untersuchungsverfahren dieses Umfangs rechtfertigt. Oder gar, dass dieses Verfahren zur Verbesserung der 'Lebensqualität' der Nonnen beiträgt. Der ursprüngliche 'Ankläger' ist eine kleine Gruppe extrem konservativer Ordensfrauen, die im September 2008 Kardinal Rode zu einer Konferenz über das 'geweihte Leben' eingeladen hatte. Dabei kamen keine anderen Stimmen zu Wort als die der Veranstalterinnen mit ihren Klagen über den Untergang des traditionellen Ordenslebens und der Forderung 'Überprüft sie!', also die Reformerinnen.
Der Kardinal hielt es nicht für nötig, andere zu befragen - weder die beschuldigten Ordensfrauen noch zum Beispiel die Bischöfe Kaliforniens, die öffentlich erklärt hatten, dass ihre Diözesen ohne die Ordensfrauen nicht das geworden wären, was sie sind, und nicht so gut funktionieren würden, wie sie es heute tun."
Später gab der Auftraggeber der Visitation, also Kardinal Rode, zu, dass es um mehr als eine Ursachenforschung des Nachwuchsmangels gehe. Er sprach von einer "modernen Krise", weil die Ordensmitglieder eine säkulare Kultur übernommen und traditionelle religiöse Praktiken aufgegeben hätten. Anstatt eine Alternative zur herrschenden Leitkultur des Todes und der Gewalt darzustellen, seien durch die Anpassung der Orden an den Zeitgeist die "Quellen ausgetrocknet, die Jahrhunderte lang das geweihte und missionarische Leben in der Kirche genährt" hätten. Als weiteren Grund für die Krise nannte er schließlich noch den Feminismus, wörtlich einen "gewissen feministischen Geist".
Schwester Mary Clare Millea, die von ihm beauftragt wurde, die Apostolische
Visitation zu organisieren und zu leiten, hat es sicherlich nicht leicht, angesichts
solcher Voreingenommenheit des Kardinals die Betroffenen, das heißt die
Beschuldigten, zu besänftigen und zur Mitarbeit zu bewegen:
"Ich weiß nicht, warum ich für diese Aufgabe ausgesucht wurde.
Ich weiß nicht, was am Ende mit dem Ergebnis der Untersuchung geschieht.
Ich möchte, dass sich die Schwestern der unterschiedlichen Ordensgemeinschaften
äußern, das heißt nicht nur den Fragenkatalog beantworten,
sondern auch Zeugnis ablegen über all das, was sie Tag für Tag für
die Kirche leisten. Von vielen, die die Visitationen durchführen, habe
ich gehört, dass die anfänglichen Befürchtungen zahlreicher Kongregationen
verschwunden sind und dass das Hören auf die Geschichten, Hoffnungen und
Träume der Schwestern für sie selbst eine ganz besondere Erfahrung
war."
Im Grunde geht es um eine interne Auseinandersetzung über die Umsetzung des Konzils, über Tradition und Reform. Zwei Gruppen von Frauenordens-Gemeinschaften ringen miteinander. Da ist auf der einen Seite die schon 1959 vom Vatikan als offizielle Repräsentantin anerkannte "Leitungskonferenz der Ordensfrauen", der heute 95 Prozent aller amerikanischen Nonnen angehören, und auf der anderen Seite der konservative kleine, erst 1995 von Rom anerkannte sogenannte "Rat der Oberinnen von Ordensfrauen". Und von dieser kleinen Gruppe gingen die Attacken gegen die Mehrzahl der Reform-Nonnen aus. Schon vorher hatten einzelne Bischöfe darüber geklagt, dass Ordensfrauen in ihren Diözesen zu selbstständig handelten, den Gehorsam verweigerten und sich jeder Kontrolle entzögen. Die von ihnen deshalb verhängten Strafen reichten von Entlassung bis Exkommunikation.
Vielen Bischöfen und offensichtlich auch der römischen Glaubenskongregation ist es schließlich unheimlich, dass Ordensschwestern Theologie studiert haben und inzwischen anerkannte Professorinnen sind. Während sich die Visitation jetzt in der dritten Phase, also der Befragung vor Ort von rund einem Viertel der 341 Gemeinschaften befindet, überprüft die Glaubenskongregation zusätzlich die "Leitungskonferenz der Ordensfrauen" , weil deren Äußerungen zur Ökumene, zum Dialog mit den anderen Religionen, zu Homosexualität und Frauenpriestertum angeblich mit der kirchlichen Lehre kollidieren.
Manche sehen diese weitere Überprüfung als römische Reaktion auf den teilweise massiven Widerstand der Nonnen in der zweiten Visitations-Phase, also der Fragebogenaktion. Schließlich hatten viele Orden die Formulare bewusst nur unvollständig ausgefüllt, einige reagierten überhaupt nicht, manche schickten nur eine Kopie ihrer von Rom genehmigten Ordensregel zurück. Inzwischen ist der Widerstand allerdings etwas abgeflaut. Doch eine Nonne, die nicht namentlich genannt werden möchte, äußerte sich sicherlich im Sinne vieler Betroffener:
"Es bleibt ein unmögliches Vorgehen, ja ein Skandal, dass man ausgerechnet im vom Papst ausgerufenen Priesterjahr und nach Bekanntwerden der schlimmen Missbrauchsdelikte durch Priester sich die Ordensfrauen vornimmt und sie zur erneuten Reglementierung durch Priester und Bischöfe zwingen will. Wir sollen wieder unterwürfig sein, unser Selbstbewusstsein und unsere Selbstverwaltung aufgeben, gehorsam und möglichst theologisch ungebildet hinter Klostermauern leben. Das aber wird ihnen nicht gelingen. Wir haben einen solchen Rückhalt durch die Gläubigen, durch die Laien, die unseren Einsatz in Kirche und Gesellschaft zu schätzen wissen.
Durch die Visitation sind wir Ordensgemeinschaften noch näher zusammen gerückt, haben uns gegenseitig bestärkt, am eingeschlagenen Reformkurs festzuhalten. Bestärkt wurden wir auch durch Solidaritätsadressen von Ordensfrauen weltweit, die zum Ausdruck brachten, dass sie sich an unserem Kurs als Vorbild ausrichten wollen. Insofern bringt uns die Visitation nach anfänglichen Schwierigkeiten eher in eine bessere Position - egal was Rom mit dem Ergebnis machen wird."
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