Norbert Sommer
Pro(st) Papa!

Unter dem Stichwort „Papstbesuch” verspricht der Internet-Buchhändler „Amazon“: „Niedrige Preise, riesige Auswahl und kostenlose Lieferung ab nur 20 €.“ Im wirklichen Leben ist das aber ganz anders: beim kommenden Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. vom 22. bis 25. September werden die Preise steigen, können wir uns den Besucher nicht auswählen und von kostenloser Lieferung kann schon gar keine Rede sein.

Die Vorgeschichte dieser im November 2010 überraschend vom Vatikan bestätigten Visite ist lang. Gleich nach seiner Wahl 2005 wurde B16 von vielen Bischöfen zum Besuch in seiner Heimat (harmlose Umschreibung für „in mein Bistum“) eingeladen. Am leichtesten hatte es der Kölner Kardinal Joachim Meisner, konnte er doch darauf verweisen, dass Johannes Paul II. bereits seine Teilnahme am Weltjugendtag 2005 in Köln zugesagt hatte. 2006 galt der zweite Besuch dann ausschließlich Bayern und wurde als Privatvisite eingestuft.

Aber wo blieb der „Staatsbesuch“? Bild.de behauptete zuerst, es zu wissen. Am 3. April 2008 um 12.35 Uhr war dort zu lesen: „Jetzt ist es raus. Papst Benedikt XVI. kommt nächstes Jahr im April nach Deutschland!“ Angebliche Details der Reise und der Termin erwiesen sich bald als reines Wunschdenken – und nicht als Aprilscherz. Beim Jahresempfang des Bistums Erfurt am 29.10.2008 reagierte Bischof Joachim Wanke mit der Bemerkung, das Thema Papstbesuch habe in Thüringen bereits Redakteure wie Öffentlichkeit gleichermaßen elektrisiert. Zwar würde man den Papst gerne „bei uns im Bistum Erfurt“ begrüßen, aber bislang gebe es aus dem Vatikan „kein verbindliches Signal“. Bild.de versuchte ein Jahr später die peinliche Panne zu überspielen. Am 7.7.2009, 13.58 Uhr, berief man sich auf den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, den Freiburger Erzbischof: „Zollitsch rechnet fest mit Papstbesuch 2010.“ Wieder daneben.

Nächster Akt: Die in Freiburg erscheinende „Badische Zeitung“ greift am 1.11.2010 unter der Überschrift „Neue Anzeichen für Papstvisite in Freiburg“ einen Bericht der „Frankfurter Rundschau“ auf, allerdings mit dem Hinweis, laut Radio Vatikan sei dieser weder bestätigt noch dementiert worden. Als dann während des Konsistoriums anlässlich der Ernennung neuer Kardinäle am 19.11. simultan in Rom und Berlin der Besuchstermin bekannt gegeben wurde, zeigte sich das ganze Dilemma der Kirche im wiedervereinigten Deutschland: Während aus Berlin die Klage kam „Erzbistum befürchtet Flop bei Papstbesuch“, griff im Südwesten der Republik die Angst um sich: „Papst in Freiburg: Wohin mit all den Gläubigen?“ Von verhalten bis euphorisch dementsprechend die Verlautbarungen aus den anvisierten Besuchsorten Berlin, Erfurt und Freiburg.

Aber immer wieder gab es Rückschläge. Schließlich schrieb Armin Schwibach am 7.12 in einem kath.net- Bericht über den erfolgreichen Papst-Interviewer: „Seewald scheint genau zu wissen, dass Joseph Ratzinger am 19. April 2005 gestorben ist.“ Wie das? Was nun? Selbst der deutsche Verleger Herder dieses Bestsellers (inzwischen hat die Auflage weltweit die Millionengrenze überschritten...) schien davon nichts mitbekommen zu haben, sagte er doch noch Mitte Januar: „Das Faszinierende an Joseph Ratzinger ist, dass er ein ganz eigenständiger Denker ist. Er ist ein akribischer Wissenschaftler und ein Visionär, ein Vorausdenker. Daher scheitern alle Versuche, ihn in eine Schublade zu packen.“ Na, wer kommt denn auf so eine unbequeme Idee?

Für eine weitere Irritation sorgte die „Rhein-Neckar-Zeitung“, als sie am 17.1. jammerte: „Es wird wohl nichts aus dem Papst-Besuch“. Das bezog sich aber zum Glück für alle Papst-Fans nur auf den - wie Erzbischof Robert Zollitsch beim Neujahrsempfang erklärte - „traditionsreichen Wallfahrtsort ‚Zum Heiligen Blut’ in Walldürn im Neckar-Odenwald-Kreis“, dessen Landrat den Papst im Herbst eingeladen und der sich noch am 14.1. zuversichtlich geäußert hatte: „Der Papst in Walldürn – das wäre ein unglaublich starker Impuls für die Basis. Die Zukunft der Kirche wird sich nämlich ganz sicher nicht an den Bischofssitzen entscheiden, sondern dort, wo die Menschen sind... Ich hoffe sehr, dass man das in Feiburg und Rom so erkennt.“ Er hoffte vergeblich, meinte der Erzbischof doch, die mit dem Vatikan und dem Bundespräsidialamt abzustimmende Reiseplanung konzentriere sich „aus organisatorischen Gründen stark auf Freiburg“: „Die Menschen sollen den Heiligen, nicht den eiligen Vater erleben.“

In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz hatte Zollitsch bereits im November erklärt: „Ich freue mich, dass der Heilige Vater die Einladung von Bundespräsident Christian Wulff und unserer Bischofskonferenz angenommen hat. Der Besuch des Heiligen Vaters in Deutschland wird ein bedeutender Moment im Leben unseres Landes und im Leben unserer Kirche sein. Ich bin der festen Überzeugung, dass von ihm für viele Menschen kraftvolle Impulse ausgehen werden.“ Sehr nüchtern im Vergleich zu Bischof Luigi–Negri von San Marino, der den für den 19.6. angekündigten Papstbesuch in dem Zwergstaat so begrüßte: „Meine Seele ist voller Ergriffenheit, Dankbarkeit und tiefem Verantwortungsbewusstsein; liebe Schwestern und Brüder, bereiten wir uns auf dieses Ereignis der Gnade vor, das uns von der Vorsehung angeboten wird, um im Glauben wachsen zu können.“

Geradezu unterkühlt fiel die erste Mitteilung der Pressestelle des Erzbistums Berlin vom 19.11. aus: „Im September 2011 wird Papst Benedikt mit einem offiziellen Besuch in Deutschland auch nach Berlin kommen. Das Erzbistum Berlin freut sich auf den Besuch des Papstes in der deutschen Hauptstadt.“ Zu erklären ist dies wohl nur damit, dass der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky zu diesem Zeitpunkt noch in Rom war und gegenüber Radio Vatikan zugeben musste: „Ich habe den Papst anlässlich meines Besuchs 2007 hier in Rom in aller Form eingeladen, nach Deutschland zu kommen. Das schien ihn nicht zu beeindrucken, weil er schon zweimal in Deutschland gewesen ist. Später ließ er mich wissen:’Wie soll ich der Öffentlichkeit klar machen, ein drittes Mal nach Deutschland zu reisen, wenn ich schon zweimal dort war?’ - Wie das wird, weiß ich nicht, denn ich bin auch ein wenig überrascht, dass das jetzt kommt, denn bisher war von Rom aus eher Zurückhaltung zu spüren, wenn ich auf den Besuch zu sprechen kam. Der Papst habe so viel vor, Deutschland sei noch nicht dran und Berlin ist noch nicht dran. Deswegen ist die Freude sehr groß... Aber wie gesagt, ich bin überrascht, dass dieser Besuch zustande kommt.“

„Was für ein Katholizismus erwartet den Papst, der ja ein bayerischer Katholik ist?“ wollte Radio Vatikan von ihm wissen. Sterzinsky antwortete: „Berlin ist keine christliche Stadt, es ist eine säkularisierte Stadt. Man ist da nicht unreligiös, aber nicht christlich. Und wenn christlich, dann will man das nicht in der kirchlichen Form haben und schon gar nicht katholisch. Deswegen wird er ein ganz anderes Milieu vorfinden. Aber man merkt natürlich auch, dass in Berlin sehr viel an Kräften zusammen kommt.“

Schnell wurde kolportiert, Berlin sei die politische Station der Reise, und deshalb werde es wahrscheinlich keine größere kirchliche Feier geben können. Außerdem ließen sich an normalen Arbeitstagen wohl kaum Menschenmassen mobilisieren. Schließlich sei beim Berlin-Besuch von Papst Johannes Paul II. 1996 das Olympia-Stadion auch nur wegen der vielen eigens angereisten Polen gefüllt gewesen. Man befürchte außerdem eine Wiederholung unschöner heftiger Anti-Papst-Demonstrationen, wurde damals doch z.B. das Papamobil mit Tomaten beworfen und kreuzten Nackte den Weg der päpstlichen „Käseglocke“.

In Leserbriefen an Berliner Zeitungen spiegelte sich das ganze Spektrum der Reaktionen wieder: „Außer dass wieder weite Teile Berlins abgesperrt sein werden, weil der Papst vom Normalo abgeschottet werden muss und sein ,Schutz’ den Steuerzahler Geld kostet (warum zahlt die Kirche sowas eigentlich nicht selber?), bringt ein Papstbesuch hier gar nichts. ,Papst go home’.“ – „Es ist ein erschütterndes Zeichen des Verfalls der demokratischen Sitten, dass anscheinend in der deutschen Hauptstadt nicht einmal mehr der Papst, der weltweit als Friedenssymbol gilt und auch in Deutschland Millionen von Menschen repräsentiert (zu denen ich übrigens nicht gehöre), vor Anpöbelungen sicher ist.“ – „Wir brauchen keinen Papst, er ist immer noch der Führer der ältesten Diktatur der Welt... Wo Papst Benedikt auftaucht, liegt immer der Geruch der Inquisition in der Luft.“ – „Ich halte es für eine Unterstellung, dass es der Kirche auf die Anzahl der Teilnehmer an einer Papstmesse ankomme... Die gleichen Bedenken gab es, als der Papst nach Großbritannien reiste – und die Reise war am Ende ein voller Erfolg.“

Die „Flop“ - Spekulation des Berliner „Tagesspiegel“ griff CDU-Fraktionschef Volker Kauder Mitte Dezember auf und an. Er sprach sich für einen großen öffentlichen Gottesdienst in Berlin aus. Die Kirche solle zu einer missionarischen Präsenz in Berlin stehen. Das Programm der Reise dürfe nicht den Eindruck einer Trennung von Staat und Kirche im Sinne von hier politisch und dort religiös erwecken. „Kirche darf sich nicht verstecken“ pflichteten ihm mehrere CDU/CSU-Abgeordnete bei. Als dann auch Kardinal Sterzinsky auf eine Begegnung von B16 mit den Berliner Katholiken drängte (schließlich wäre es ein „Flop“, wenn dies nicht zustande käme), schloss sich sofort Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) an: Er sei sich sicher, dass eine große liturgische Feier von vielen Menschen besucht werde. Die Erzdiözese solle „so mutig und selbstbewusst“ sein, dafür einzutreten. Er fügte hinzu, die Visite biete auch Gelegenheit, über „antiquierte Haltungen“ der Katholischen Kirche zu diskutieren. In der Lesart des reaktionären Internet-Portals „kreuz.net“ hieß das: „Der Berliner Homo- Bürgermeister Klaus Wowereit will eine große Freiluftmesse beim Papstbesuch... Der Homo-Unzüchtige spuckte erwartungsgemäß auf die Kirche Gottes.“ Dass sich schließlich der Berliner Diözesanrat für einen großen ökumenischen Papst –Vesper -Gottesdienst einsetzte mit Teilnehmern, „welcher Religion oder Weltanschauung sie auch angehören“, war für die Rechtskatholiken endgültig Verrat an der „wahren“ Katholischen Kirche.

„Ich würde ihm wünschen, dass er vor dem Bundestag reden darf“. Mit dieser Aussage beim Interview von Radio Vatikan im November löste der Berliner Kardinal sowohl eine teils hitzige Debatte als auch Aktivitäten im politischen Berlin aus. Bundestagspräsident Norbert Lammers informierte bereits am 16.12. den Ältestenrat. „Ich freue mich, dass der Papst aus Anlass seines offiziellen Besuches meiner Einladung gefolgt ist, die ich 2006 schon aus Anlass des 50. Jahrestages der Römischen Verträge und der deutschen EU-Ratspräsidentschaft an ihn gerichtet habe.“ Er fügte hinzu, von den Partei- und Fraktionsführungen habe er Signale der Zustimmung für eine Papstrede erhalten. Dem widersprach sofort der Parlamentarische Geschäftsführer von „Bündnis 90/ Die Grünen“, Volker Beck: „Einvernehmen für die Einladung des Bundestags an den Papst, vor dem deutschen Parlament zu sprechen, gab es mit uns nicht.“ Im übrigen gebe es „sicher passendere Orte“ für eine Rede als den Bundestag, denn der Papst sei „nicht nur Staatsoberhaupt, sondern in allererster Linie Religionsführer“.

Er fügte hinzu, B16 sei homophob, d.h.: „Der Papst hält mich für ’objektiv ungeordnet’, so viel zur Toleranz des Papstes gegenüber Schwulen und Lesben.“ kreuz.net und die Piusbruderschaft fielen daraufhin über „die Bundestagsschwuchtel, Genosse Volker Beck von der Extremistenpartei ‚Grüne’ “ bzw. über „den grün lackierten Roten,... diesen Homo-Lobbyisten“ her. Dabei ging es ihnen kaum um eine Unterstützung des Papstes, sondern lediglich um die Fortsetzung ihrer seit längerer Zeit laufenden Kampagne gegen die Grünen insgesamt.

Als dann auch noch der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele ankündigte, den Plenarsaal bei einer Rede des Papstes zu verlassen, kam Kritik aus fast allen politischen Lagern: „Schlicht und ergreifend kleinkariert“ (Wolfgang Thierse/SPD) – „Die Grünen sind einfach nur gegen alles und jeden. Man kann nur hoffen, dass diese Dagegen-Partei über Weihnachten etwas zur Besinnung kommt“ (Hermann Gröhe/CDU) –„Skandalös und schäbig... Die Grünen wollen sich auf Kosten des Papstes in Szene setzen. Sie stoßen damit weltweit 1,2 Milliarden Katholiken vor den Kopf“ (Karl Freller/CSU). Dabei macht dieser bayerische Papst - wie die „Rheinische Post“ am 2.12. schrieb - „seinem Ruf als ‚grüner Papst’ alle Ehre“, würde er doch gerne in einem Papstmobil mit Elektroantrieb herumfahren (was bisher scheiterte, weil er es geschenkt haben möchte und weil es Sicherheitsbedenken gibt, da es nicht so schnell beschleunigt wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor...). Vielleicht pfiff die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast ja auch deshalb mit einem Machtwort die parteiinternen Kritiker zurück: „Der Papst ist eingeladen, das ist in Ordnung so... Da gehen wir hin – und zwar respektvoll.“ Allerdings müsste man dann auch Vertretern anderer Religionsgemeinschaften Rederecht im Bundestag einräumen. Wolfgang Thierse konterte: „Der Papst soll im Bundestag reden. Denn er ist ja nicht nur Oberhaupt des kleinen Vatikanstaates, sondern Oberhaupt der einzigen Weltkirche. Die anderen Religionsgemeinschaften haben keine entsprechende Institution und Person an ihrer Spitze.“ Von einem „Dilemma“ sprach in diesem Zusammenhang Bodo Ramelow, Fraktionschef der Partei „Die Linke“ in Thüringen. Um keine Religion zu bevorzugen, könne der Papst einfach nur „als Staatschef des Vatikans“ reden.

Linken–Fraktionsvize in Berlin, Dietmar Bartsch, meinte: „Wenn George Bush geredet hat, dann darf auch der Papst reden.“ Seine Fraktion werde B16 „die gebührende Achtung zuteil werden lassen, es dabei aber nicht übertreiben“. Wohl dosiert weitere Reaktionen der Linken. Ihr Religionsbeauftragter im Bundestag, Raju Sharma, begrüßte die angekündigte Rede. Man sehe den Besuch des Kirchenoberhaupts im Parlament „gelassen“: „Der Papst hat sicher interessante Dinge zu erzählen.“ Fraktionschef Gregor Gysi schließlich erklärte, er würde gerne von B16 in Berlin empfangen werden: „Dann könnte ich ein paar Minuten mit ihm streiten.“ Die Kirche trage eine Großverantwortung. Derzeit seien nur die Kirchen in der Lage, „einigermaßen allgemeinverbindliche Moralnormen zu formulieren“.

Eine Rede von B16 im Bundestag sei eine „große Ehre“, meinte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke nannte sie „eine große Ehre für die deutsche Demokratie“: „Es ist ein Signal: Der Papst ist ein Mann, der auch in der Gemeinschaft der Staaten eine ganz eigene Rolle spielt. Er ist doch eine moralische Autorität, auf die viele schauen.“ Kardinal Reinhard Marx hofft, dass B16 in Berlin „eine große Rede“ hält: „Man wird ihm zuhören.“ Mehr könne die Kirche von einer offenen Gesellschaft nicht erwarten.

Doch worüber soll und wird der Papst eigentlich reden? Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, will sich da nicht festlegen: „Für die Politik ist der Papst ein willkommener Gesprächspartner. Es ist gut, wenn er im Bundestag spricht, er muss entscheiden, worüber.“ Die Sprecherin des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD, Kerstin Griese, jedoch wünscht sich „deutliche Worte zur Ökumene und zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche“. Bundestagspräsident Lammert hofft, dass er „etwas zu den geistigen Grundlagen einer modernen demokratischen Gesellschaft dieses Landes“ sagen und „einige Bemerkungen zur Ökumene“ machen wird, „denn dieses Thema ist eigentlich in keinem anderen Land der Welt historisch einschlägiger als in Deutschland“. Doch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, kritisierte grundsätzlich, dass B16 im Bundestag spricht – egal zu welchem Thema: „Die Kirche als staatliches Organ – das geht gegen unser Bekenntnis... Unser Verständnis des Amtes und der Kirche unterscheidet sich doch sehr von dem der Katholiken. Auch ich habe im Moment keine Idee, wie ich als Protestant einen positiven Zugang zum Papstamt und dem Anspruch, der damit verbunden ist, finden soll.“ Christian Bommarius beendete seinen Kommentar „Ausgerechnet der Papst“ in der „Frankfurter Rundschau“ (12.1.) mit dem Satz: „Die Einladung an Papst Benedikt XVI. (den er als „letzten absoluten Regenten Europas“ bezeichnet hatte), als 32. Gastredner im Plenum des Deutschen Bundestages zu sprechen, ist eine Ehre – nur für den Papst, nicht für das Parlament.“ Die Parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen einigten sich dennoch inzwischen darauf, die ursprünglich als „sitzungsfrei“ deklarierte Woche vom 19. bis 23. September als reguläre Sitzungswoche anzuberaumen.

Die Stationen Erfurt und Freiburg wurden durch diese Diskussion völlig in den Hintergrund verdrängt. Dabei nannte der Erfurter Bischof Joachim Wanke den Papstbesuch „ein besonderes Weihnachtsgeschenk für das Bistum“, mit dem „ein langgehegter Wunsch der katholischen Gläubigen in Erfüllung gegangen“ sei. Er wolle sich dafür einsetzen, dass B16 möglichst vielen Menschen begegnen könne, auch den Gläubigen im Eichsfeld. Wegen der Vielzahl der Termine könne der Papst nur Zeichen setzen. Deshalb stehe Erfurt für die neuen Bundesländer insgesamt: „Und ich denke, er wird auch gerade hier bei uns in Thüringen, wo Martin Luther gewirkt hat, ein gutes Wort zur Ökumene sagen.“

„Im Bischöflichen Ordinariat in Erfurt sind die sonst bedächtigen Herren schon aufgeregt“, schrieb die „Thüringer Allgemeine“ am 23.12. Zwar seien nur acht Prozent der Thüringer katholisch. Doch dieses Ereignis werde wohl nicht nur sie, sondern auch Protestanten, Konfessionslose und viele neugierige Touristen anlocken. Bärbel Grönegres, Chefin der Thüringer Tourismus GmbH, rechne mit einem riesigen Schub für die Tourismusbranche und sechsstelligen Besucherzahlen, also mindestens 100000 Gästen, anlässlich dieses „Jahrtausendereignisses“, das u.a. auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin beworben werden soll. Außerdem plane man ein besonderes Reiseangebot nach beendetem Papstbesuch unter dem Motto „Auf den Spuren des Papstes in Thüringen“ – und das soll offensichtlich nicht nur für Pfadfinder sein.

Der grüne Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon nennt die Papstvisite dort ebenfalls ein „Riesenereignis“, schließlich sei der Papst neben dem amerikanischen Präsidenten der berühmteste Mensch auf der Welt. Wie schon vorher die örtliche Presse wies auch er auf die besonderen Verbindungen von B16 in die Region hin. Die „Badische Zeitung“ hatte bereits am 1.11. spekuliert, der Papst komme nach Freiburg, weil der Vorsitzende der Bischofskonferenz dort residiere, aber auch weil sein Privatsekretär Georg Gänswein aus dem Schwarzwalddorf Riedern im Wald stamme und - kaum zu glauben - weil beide im Sommer 2010 „die Ehrenmütze der Freiburger Fasnetrufer in Empfang genommen haben – eine ungewöhnliche Geste“. Während das Erzbistum schon intensiv plant, einen Domkapitular zum Koordinator ernannte, im Internet das Informationsangebot erweitert und Ausschau hält nach geeigneten Plätzen für zwei Gottesdienste mit B16 (Zollitsch: „Es wird an den Priestern und allen Hauptamtlichen liegen, ob der Besuch mehr als ein ‚grandioses Highlight’ wird, bei dem wir die größte Messfeier erleben werden, die es je auf dem Boden der Erzdiözese gegeben hat, sorgte die „Badische Zeitung“ mit einem historischen Rückblick für Verunsicherung, als sie schrieb: „In der langen Geschichte Freiburgs hat noch nie ein Papst die Stadt besucht, jedenfalls kein amtierender: Denn in der Stadtchronik findet sich nur ein Eintrag über die Visite von Gegenpapst Johannes XXIII., der nach dem Konzil von Konstanz über Schaffhausen in den Breisgau geflüchtet war. Glück hat ihm das nicht gebracht: Der Gegenpapst wurde am 29. April 1415 auf Geheiß von Kaiser Sigismund in Freiburg festgenommen.“

Aus den bereits früher von B16 heimgesuchten und deshalb diesmal ausgesparten deutschen Regionen erhielt der Papst schon vor seinem dritten Abstecher nach Deutschland unverhoffte Gegenbesuche: Zunächst beehrte ihn eine Delegation der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag im Vatikan, um sich „entschlossen zu ihren christlichen Überzeugungen zu bekennen und diese als Grundlage ihrer politischen Entscheidungsfindung zu bekräftigen“. Weiter hieß es dazu, man sehe den bevorstehenden Deutschlandbesuch als ein klares Zeichen der Zuwendung des Papstes an die Menschen in Deutschland. Unschlagbar die Kölner: Das Festkomitee Kölner Karneval hatte Kardinal Joachim Meisner gebeten, sich einzusetzen für eine Audienz bei B16 für das „Dreigestirn“ (damit waren nicht die Heiligen Drei Könige gemeint, deren Gebeine ja im Kölner Dom beherbergt sein sollen, sondern die obersten Repräsentanten des Karnevals: Prinz, Bauer und Jungfrau). Meisner arrangierte alles für den 2. Februar, stellte aber eine Bedingung: „Ich mach das nur, wenn ich mitfahren kann.“

Kardinal Reinhard Marx hatte zuvor festgestellt, dass diesmal „Bayern nicht drin“ ist in der Planung. Für Empörung sorgte er aber mit dem Zusatz, möglicherweise sei dies „sein letzter Besuch bei uns“: „Ich finde es ziemlich deplaziert und taktlos, in der Öffentlichkeit von einem absehbaren Hinscheiden des Papstes zu reden“ –„Musste Marx in diesen Wein der Freude seinen bitteren Essig aus Deutschland beimengen?“ –„Es könnte sich der Verdacht aufdrängen, dass S.E.H.H. Kardinal Marx tief im Inneren seines karrieresüchtigen Herzens auf den hoffentlich noch lange nicht frei werdenden Papststuhl schielt.“ Dem Trierer Bischof Stephan Ackermann ist inzwischen wohl klar, dass B16 kaum der im vorigen Jahr ausgesprochenen Einladung zur Heilig-Rock-Wallfahrt 2012 folgen kann, schien er doch schon Bedenken wegen des dritten Deutschland-Besuchs zu haben.

Was erwartet der Papst von Deutschland, was erwartet Deutschland vom Papst? Kardinal Marx meint, er könne gute Impulse und Denkanstöße geben: „Und das kann Deutschland sicher nicht schaden. Erst recht in seinem Heimatland, wo er in seiner Muttersprache dann reden kann mit der ganzen Tradition im Kopf und mit seinem Wissen über die Situation in unserem Land.“ Wie man in Rom über die Lage der Kirche hier denkt, machte ein Kommentar des „Osservatore Romano“ (30.12.) deutlich, in dem das Ende des „Rheinischen Merkur“ als Teil einer umfassenden Krise der katholischen Kirche in Deutschland dargestellt wurde. Kurz zuvor hatte Peter Seewald auf die Frage, ob er in seinem Interview mit B16 auch angesprochen habe, dass besonders viele Deutsche sich so schwer mit ‚ihrem’ Papst tun, geantwortet: „Dem Papst ist diese Problematik besonders nahe. Ihm ist nicht verborgen, dass Deutschland in vielerlei Hinsicht ein gebrochenes Land ist mit der sprichwörtlich deutschen ‚Angst’ und Mutlosigkeit. Hohe Kirchenfunktionäre marschieren im Gleichschritt der antirömischen Blasmusik, auch wenn sie es eigentlich besser wissen müssten.“ Das entspricht folgender Passage aus dem Papst-Interview: „Dass es im katholischen Deutschland eine beträchtliche Schicht gibt, die sozusagen darauf wartet, auf den Papst einschlagen zu können, ist eine Tatsache und gehört zu der Gestalt des Katholizismus in unserer Zeit.“

Wie gut für B16, dass es auch andere deutsche Katholiken gibt! Allerdings scheint seine 2005 beim Weltjugendtag in Köln gegründete Unterstützer-Gruppe „Generation Benedikt“ in die Jahre gekommen zu sein. Sie vernachlässigt nämlich ihren Internet-Auftritt, wechselte die Führung und kündigte in ihrem Newsletter Nr. 43 anlässlich des Papstbesuchs nur an: „Wir wollen in der Berichterstattung dem Glauben vieler junger Katholiken ein Gesicht und eine Stimme geben. Anfang Februar wird deshalb ein Workshop mit erfahrenen Medientrainern stattfinden, bei dem Ihr Euch gezielt auf Fragen von Journalisten vorbereiten könnt. Besonders Kurz-Statements sollen trainiert werden.“

Der junge Verein „Deutschland pro Papa“ dagegen räumt der Visite ihres Idols „oberste Priorität“ ein: „Hier sind wir bereits im Vorlauf für bundesweite flächendeckende Aktionen, um so viele papsttreue Menschen wie nur möglich nach Berlin zu bekommen. Wir werden auch Transporte mit anbieten und gigantische Werbeaktionen starten“, sagte die Vereinsvorsitzende Sabine Betschmann im Gespräch mit kath.net (7.12.). Zuvor hatte sie begeistert von ihrem Zusammentreffen mit dem Papst nach einer Audienz in Rom gesprochen. B16 habe gesagt, er freue sich sehr über den Einsatz des Vereins: „Ich versprach ihm, dass wir alles täten, um das verfälschte Bild, das die Medien von uns deutschen Katholiken und vor allem seiner Person vermitteln, gerade zu rücken und richtig zu stellen. Der Heilige Vater zeigte sich darüber sehr gerührt: ‚Oh, das ist aber sehr nett’, sagte er mit seiner leisen, bescheidenen Stimme.“ Dann schwärmte sie davon, welche Liebe und Sanftmut, Demut und Bescheidenheit dieser Papst ausstrahle: „Dies ist kein von Menschen gewählter PAPA, nur vordergründig. Er ist erwählt, und das aus gutem Grund... Dieser Mann ist ein Jahrhunderttheologe, und ich schätze, dass man seine wahre Größe wohl erst nach seinem Heimgang erfassen kann. Durch ihn, den ‚einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn’, zeigt Gott uns Jesus, das Licht der Welt“ - Prost, Papa!


© imprimatur März 2011
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