Vollkommen gleich, ein „esse simile“
Als Faksimile kehrt das Sakramentar Heinrichs II. nach Bamberg zurück
Ansprache des Leiters des Faksimile Verlags, Armin Sinnwell, an Exzellenz Erzbischof Dr. Ludwig Schick 2. November 2011

Wenn es trotz hochentwickelter technischer Möglichkeiten dennoch 25 Jahre dauert, bis die Faksimilierung eines der größten und eindrucksvollsten Werke mittelalterlicher Buchkunst abgeschlossen ist, dann muss die Bewältigung dieser schwierigen Arbeit in würdigem Rahmen gefeiert werden. Mit der hier erstmals veröffentlichten Ansprache von Armin Sinnwell nehmen wir teil an der Hochstimmung einer kulturellen Veranstaltung, die geistreich und unterhaltsam zugleich jede kirchliche Steifheit überwindet. Das Sakramentar Heinrichs II. ist eine überaus prachtvolle Bilderhandschrift mit all jenen Texten, die während der Messe vom zelebrierenden Priester oder Bischof gebetet wurden. Knapp 800 Jahre war der Codex, der stilistisch auf das Kloster Sankt Emmeran in Regensburg verweist, einer der bedeutendsten Schätze des Bamberger Doms, bis er mit der Säkularisierung in die Münchener Hofbibliothek gelangte, Eine umfangreiche Sequenz von Bildern, darin ein Krönungs – und ein Thronbild Heinrichs II., dokumentieren das Herrschaftsverständnis des letzen Sachsenkaisers.

Im Jahre des Herrn 1007, vor über 1000 Jahren also, gründete Heinrich II. das Bistum Bamberg. Fünf Jahre zuvor war er – alles andere als leicht – zur Königswürde des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gelangt. Leicht war auch die Bistumsgründung nicht. Heinrich ging nie den bequemen Weg und manche Phase seines Lebens erinnert im übertragenen Sinne an die glühenden Pflugscharen, über die er seine Frau Kunigunde – der Legenda aurea gemäß – gehen hieß. Aber mit der Erreichung seiner Ziele konnte Heinrich wahrlich zufrieden sein:

Der Bayernherzog setzte sich als Deutscher König durch, er wurde Kaiser, und die Schlüsselpositionen des Reiches verstand er, in seinem Sinne zu besetzen. „Seine“ Stadt Bamberg gar avancierte zeitweilig zum caput orbis, zur Hauptstadt der Welt: Auf sieben Hügeln erbaut wie Rom, mit einem prächtigen Dom, in dem sogar ein Papst bestattet ist, mit bedeutenden Reliquien und Kunstschätzen gesegnet.

Das „Buch der Bücher“ hält für die Ur-Schöpfung die bekannte Formel parat: Et vidit Deus quod esset bonum – und Gott sah, dass es gut war. Vielleicht sah Heinrich das bezüglich seiner Schöpfung, Bamberg, demütig zwar, aber doch genau so.

Erlauben Sie mir nun ein kleines Gedankenspiel in pazifistischer Absicht: Käme Heinrich II., vielleicht dank eines Wurmloches in der gekrümmten Raumzeit, heute zufällig an der Jetztzeit vorbei: Was würde er sehen?

Natürlich: Bamberg, seine Stadt, schön wie je! Aber doch längst kein caput orbis mehr. Überflügelt unter anderem von der Stadt im Süden, civitas orbis cum corde genannt, Weltstadt mit Herz, die zu seinen Lebzeiten noch ein Nichts war; allenfalls, um mit dem Hl. Thomas von Aquin zu reden, ein esse intentionale. Dass sie nach Mönchen benannt wurde, dürfte dem frommen Mann gefallen. Aber dass Teile der Kunstschätze, darunter wundervolle Bücher, die er einst seiner Stadt, seinem Bistum, seinem Dom schenkte, dort verwahrt werden – würde er das gutheißen?

Gerade Mönche, die wichtigsten Träger der Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, waren nicht zimperlich, wenn es um „verreiste“ Bücher ging:

„Dem, der dieses Buch von seinem Eigentümer stiehlt oder sich ausborgt und nicht wieder bringt: Lass es sich in seiner Hand in eine Schlange verwandeln und ihn zerreißen. Lass ihn von Krämpfen geschüttelt werden und all seine Organe vernichtet sein. Lass ihn in Schmerzen sich krümmen und laut um Erbarmen flehen, und lass seine Qualen nicht versiegen, bis er geständig ist. Lass die Bücherwürmer an seinen Eingeweiden nagen, und wenn er sich zu seiner letzten Strafe auf den Weg macht, lass die Flammen der Hölle ihn auf ewig verzehren“ – so der berühmte Fluch auf Buchdiebe aus der Klosterbibliothek San Pedro in Barcelona.

Würde Heinrich einstimmen in diesen Fluch und ihn auf die Mönchstädter beziehen? Wem würde er die Bücher zusprechen?

Draufgängerisch, aber durchaus klug, würde er sicher nicht die Pflugscharprobe anwenden, denn diejenigen, die 1803 die Kisten packten, sind bereits vor Zeiten gestorben. Aber bibelfest, ja bibelsicher, wie Heinrich als Herrscher zeitlebens war und als Heiliger qua definitionem ist, würde er sich vielleicht des berühmten salomonischen Urteils besinnen, das Bertolt Brecht, Kind eines anderen von den Bayern eingemeindeten Stammes, in seinem Augsburger Kreidekreis sinnreich variiert hat.

Und das hätte man sich wohl so vorzustellen:

Ein Vertreter der altehrwürdigen Bamberger Bürgerschaft würde den vorderen Buchdeckel mit der schönen Elfenbeintafel aus dem 10. Jh. ergreifen, ein Vertreter der jugendfrischen Münchner Kommunität den wunderschönen Rückdeckel im opus interrasile – die empfindsamen Restauratorinnen des Instituts für Buchrestaurierung in München müsste man jetzt freilich wegschicken, sie würden mit ihrem lauten Klagen den Ablauf stören – und nach gehöriger Einweisung und vorausgehendem Kommando versuchte nun jeder Kontrahent, dem Wortsinne von trahere gemäß, das Seinige ganz und gar auf seiner Seite zu ziehen. Und ich zweifle keine Sekunde daran, dass der Bamberger, ganz wie in der Vorlage, sogleich loslassen würde, um das geistige Heinrichskind nicht zu gefährden.

Und er täte wohl daran. Der Bamberger Spross, in Regensburg geboren, ist wohlbehütet, er spielt einträchtig mit dem Münchner Kindl und fühlt sich im Kreise seiner Regensburger, Reichenauer, Salzburger, ja auch der Nürnberger Vorväter, Vettern und Basen – der ganzen illustren Verwandtschaft eben – wohl und kehrt sogar hin und wieder nach Hause zurück – auch wenn solche Besuche stets von heftigen gewittrigen Entladungen und Unterschriftenaktionen begleitet werden.

Ubi bene, ibi patria? Würde Heinrich sich mit fürsorglicher Nachgiebigkeit auf der einen und nachhaltiger Sorgsamkeit auf der anderen Seite zufrieden geben? Müsste Bamberg leer ausgehen? Wäre der Liebende der Dumme?

In unserem Gedankenspiel gibt Heinrich nun den Münchner Büchereltern eine Idee ein, die Gotthold Ephraim Lessing vor rund 250 Jahren so beschrieb:

„Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten,
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden ...“

Sie kennen die Ringparabel aus „Nathan dem Weisen“. Sie liefert ein frühes literarisches Zeugnis dessen, was wir heute Faksimilierung nennen. Bei der Faksimilierung bemühen wir uns, mit natürlichen Mitteln zu bewirken, dass ein Objekt ganz ohne Wurmlöcher der Raumzeit zugleich an verschiedenen Orten sein kann, auch wenn es, zugegebenermaßen und ganz thomistisch, nur an einem Ort ein esse naturale sein kann, an anderen aber doch immerhin ein esse simile. Ein Faksimile eben!

Und in der Tat: Im Jahr 1985, also immerhin vor 25 Jahren, begannen die ersten Planungen für etwas, dessen Ergebnis wir hier und heute frisch vollendet vor uns liegen haben – die Faksimilierung des Sakramentars Heinrichs II. Sie macht es nicht nur möglich, das wertvolle, vom Zerfall bedrohte Original bestmöglich zu schonen – es muss nur noch zu seltenen Gelegenheiten den für seine Erhaltung so wichtigen Klimatresor verlassen –; sie erlaubt es auch, dass wir heute diesen schönen Akt des Nachvollzugs begehen können. Wie vor rund 1000 Jahren dem ersten Bischof von Bamberg, Eberhard, das strahlende Original überreicht wurde, so kann heute der Faksimile Verlag dem würdigen Nachfolger jenes Bischofs eine fast perfekte Nachbildung jenes Werkes schenken.

Das Exemplar, das wir heute überreichen, trägt die römische Nummer II. Das hat nicht nur damit etwas zu tun, dass wir heute den 2. November schreiben und damit, dass das Original ja für den zweiten Heinrich gemacht wurde. Es trägt auch dem Umstand Rechnung, dass das erste Exemplar jemand anderem gebührt. Ich spreche nicht vom bayerischen Ministerpräsidenten, sondern vom bayerischen Papst. Seine Heiligkeit, Benedikt XVI. wird die Nummer I am 17. Dezember von uns überreicht bekommen.

Ich habe die 25-jährige Faksimilierungsgeschichte erwähnt, ein Zeitraum, der einiger Quäntchen henrizischer Hartnäckigkeit und kunigund’scher Leidensfähigkeit bedurfte, um zu einem guten Ende zu gelangen. Nach vielfältigen, anfangs schier unlösbar erscheinenden Herausforderungen im Detail und ebenso vielen Problemlösungen, nach vielen Arbeitsstunden am Original und unzähligen Sitzungen mit Wissenschaftlern, Technikern, Handwerkern und Künstlern, nach Experimenten, Enttäuschungen und Entdeckungen sind wir heute einfach stolz auf das Ergebnis.

Es war alles andere als leicht, aber es hat sich gelohnt: Vidimus quod esset bonum.

Anmerkungen:

Die einmalige und vollständige Faksimilierung des Sakramentars Heinrichs II. erscheint in einer Auflage von 333 handnummerierten Exemplaren. Der Faksimileband umfasst insgesamt 718 Seiten im Originalformat von 295 x 242 mm. Die Blätter sind dem Original entsprechend randbeschnitten und wurden von Hand geheftet.

In einem Kommentarband geben namhafte Experten in anregenden und auch für den gebildeten Laien gut lesbaren Beiträgen Aufschluss über die Geschichte, die Funktion und den künstlerischen Gehalt des Sakramentars Heinrichs II. Der Kommentarband enthält Beiträge von Brigitte Gullath, München, Martina Pippal, Wien, Stefan Weinfurter, Mainz, und Erich Renhart, Graz.

Weitere Informationen: Faksimile Verlag, Neumarkter Str. 20 81673 München. armin.sinnwell@faksimile.com


© imprimatur März 2011
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