Gut ein Jahr ist vergangen, seit am Berliner Canisius-Kolleg Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute öffentlich gemacht wurden. Es folgte ein Jahr, das die katholische Kirche in Deutschland in eine beispiellose Krise gestürzt hat. Das Bild, das sich heute zeigt, ist zwiespältig: Vieles ist begonnen worden, um den Opfern gerecht zu werden, Unrecht aufzuarbeiten und den Ursachen von Missbrauch, Verschweigen und Doppelmoral in den eigenen Reihen auf die Spur zu kommen. Bei vielen verantwortlichen Christinnen und Christen mit und ohne Amt ist nach anfänglichem Entsetzen die Einsicht gewachsen, dass tief greifende Reformen notwendig sind. Der Aufruf zu einem offenen Dialog über Macht- und Kommunikationsstrukturen, über die Gestalt des kirchlichen Amtes und die Beteiligung der Gläubigen an der Verantwortung, über Moral und Sexualität hat Erwartungen, aber auch Befürchtungen geweckt: Wird die vielleicht letzte Chance zu einem Aufbruch aus Lähmung und Resignation durch Aussitzen oder Kleinreden der Krise verspielt? Die Unruhe eines offenen Dialogs ohne Tabus ist nicht allen geheuer, schon gar nicht wenn ein Papstbesuch bevorsteht. Aber die Alternative: Grabesruhe, weil die letzten Hoffnungen zunichte gemacht wurden, kann es erst recht nicht sein.
Die tiefe Krise unserer Kirche fordert, auch jene Probleme anzusprechen, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar etwas mit dem Missbrauchsskandal und seiner jahrzehntelangen Vertuschung zu tun haben. Als Theologieprofessorinnen und -professoren dürfen wir nicht länger schweigen. Wir sehen uns in der Verantwortung, zu einem echten Neuanfang beizutragen: 2011 muss ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche werden. Im vergangenen Jahr sind so viele Christen wie nie zuvor aus der katholischen Kirche ausgezogen; sie haben der Kirchenleitung ihre Gefolgschaft gekündigt oder haben ihr Glaubensleben privatisiert, um es vor der Institution zu schützen. Die Kirche muss diese Zeichen verstehen und selbst aus verknöcherten Strukturen ausziehen, um neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.
Die Erneuerung kirchlicher Strukturen wird nicht in ängstlicher Abschottung von der Gesellschaft gelingen, sondern nur mit dem Mut zur Selbstkritik und zur Annahme kritischer Impulse – auch von außen. Das gehört zu den Lektionen des letzten Jahres: Die Missbrauchskrise wäre nicht so entschieden bearbeitet worden ohne die kritische Begleitung durch die Öffentlichkeit. Nur durch offene Kommunikation kann die Kirche Vertrauen zurückgewinnen. Nur wenn Selbst- und Fremdbild der Kirche nicht auseinanderklaffen, wird sie glaubwürdig sein. Wir wenden uns an alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen und sich dafür einzusetzen. Signale zu Aufbruch und Dialog, die einige Bischöfe während der letzten Monate in Reden, Predigten und Interviews gesetzt haben, greifen wir auf.
Die Kirche ist kein Selbstzweck. Sie hat den Auftrag, den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi allen Menschen zu verkünden. Das kann sie nur, wenn sie selbst ein Ort und eine glaubwürdige Zeugin der Freiheitsbotschaft des Evangeliums ist. Ihr Reden und Handeln, ihre Regeln und Strukturen – ihr ganzer Umgang mit den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche – stehen unter dem Anspruch, die Freiheit der Menschen als Geschöpfe Gottes anzuerkennen und zu fördern. Unbedingter Respekt vor jeder menschlichen Person, Achtung vor der Freiheit des Gewissens, Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, Solidarität mit den Armen und Bedrängten: Das sind theologisch grundlegende Maßstäbe, die sich aus der Verpflichtung der Kirche auf das Evangelium ergeben. Darin wird die Liebe zu Gott und zum Nächsten konkret.
Die Orientierung an der biblischen Freiheitsbotschaft schließt ein differenziertes Verhältnis zur modernen Gesellschaft ein: In mancher Hinsicht ist sie der Kirche voraus, wenn es um die Anerkennung von Freiheit, Mündigkeit und Verantwortung der Einzelnen geht; davon kann die Kirche lernen, wie schon das Zweite Vatikanische Konzil betont hat. In anderer Hinsicht ist Kritik aus dem Geist des Evangeliums an dieser Gesellschaft unabdingbar, etwa wo Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilt werden, wo wechselseitige Solidarität unter die Räder kommt oder die Würde des Menschen missachtet wird.
In jedem Fall aber gilt: Die Freiheitsbotschaft des Evangeliums bildet den Maßstab für eine glaubwürdige Kirche, für ihr Handeln und ihre Sozialgestalt. Die konkreten Herausforderungen, denen sich die Kirche stellen muss, sind keineswegs neu. Zukunftsweisende Reformen lassen sich trotzdem kaum erkennen. Der offene Dialog darüber muss in folgenden Handlungsfeldern geführt werden.
1. Strukturen der Beteiligung: In allen Feldern des kirchlichen Lebens ist die Beteiligung der Gläubigen ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Freiheitsbotschaft des Evangeliums. Gemäß dem alten Rechtsprinzip „Was alle angeht, soll von allen entschieden werden“ braucht es mehr synodale Strukturen auf allen Ebenen der Kirche. Die Gläubigen sind an der Bestellung wichtiger Amtsträger (Bischof, Pfarrer) zu beteiligen. Was vor Ort entschieden werden kann, soll dort entschieden werden. Entscheidungen müssen transparent sein.
2. Gemeinde: Christliche Gemeinden sollen Orte sein, an denen Menschen geistliche und materielle Güter miteinander teilen. Aber gegenwärtig erodiert das gemeindliche Leben. Unter dem Druck des Priestermangels werden immer größere Verwaltungseinheiten – „XXL-Pfarren“ – konstruiert, in denen Nähe und Zugehörigkeit kaum mehr erfahren werden können. Historische Identitäten und gewachsene soziale Netze werden aufgegeben. Priester werden „verheizt“ und brennen aus. Gläubige bleiben fern, wenn ihnen nicht zugetraut wird, Mitverantwortung zu übernehmen und sich in demokratischeren Strukturen an der Leitung ihrer Gemeinde zu beteiligen. Das kirchliche Amt muss dem Leben der Gemeinden dienen – nicht umgekehrt. Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt.
3. Rechtskultur: Die Anerkennung von Würde und Freiheit jedes Menschen zeigt sich gerade dann, wenn Konflikte fair und mit gegenseitigem Respekt ausgetragen werden. Kirchliches Recht verdient diesen Namen nur, wenn die Gläubigen ihre Rechte tatsächlich geltend machen können. Rechtsschutz und Rechtskultur in der Kirche müssen dringend verbessert werden; ein erster Schritt dazu ist der Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Gewissensfreiheit: Der Respekt vor dem individuellen Gewissen bedeutet, Vertrauen in die Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit der Menschen zu setzen. Diese Fähigkeit zu unterstützen, ist auch Aufgabe der Kirche; sie darf aber nicht in Bevormundung umschlagen. Damit ernst zu machen, betrifft besonders den Bereich persönlicher Lebensentscheidungen und individueller Lebensformen. Die kirchliche Hochschätzung der Ehe und der ehelosen Lebensform steht außer Frage. Aber sie gebietet nicht, Menschen auszuschließen, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratete Geschiedene verantwortlich leben.
5. Versöhnung: Solidarität mit den „Sündern“ setzt voraus, die Sünde in den eigenen Reihen ernst zu nehmen. Selbstgerechter moralischer Rigorismus steht der Kirche nicht gut an. Die Kirche kann nicht Versöhnung mit Gott predigen, ohne selbst in ihrem eigenen Handeln die Voraussetzung zur Versöhnung mit denen zu schaffen, an denen sie schuldig geworden ist: durch Gewalt, durch die Vorenthaltung von Recht, durch die Verkehrung der biblischen Freiheitsbotschaft in eine rigorose Moral ohne Barmherzigkeit.
6. Gottesdienst: Die Liturgie lebt von der aktiven Teilnahme aller Gläubigen. Erfahrungen und Ausdrucksformen der Gegenwart müssen in ihr einen Platz haben. Der Gottesdienst darf nicht in Traditionalismus erstarren. Kulturelle Vielfalt bereichert das gottesdienstliche Leben und verträgt sich nicht mit Tendenzen zur zentralistischen Vereinheitlichung. Nur wenn die Feier des Glaubens konkrete Lebenssituationen aufnimmt, wird die kirchliche Botschaft die Menschen erreichen.
Der begonnene kirchliche Dialogprozess kann zu Befreiung und Aufbruch führen, wenn alle Beteiligten bereit sind, die drängenden Fragen anzugehen. Es gilt, im freien und fairen Austausch von Argumenten nach Lösungen zu suchen, die die Kirche aus ihrer lähmenden Selbstbeschäftigung herausführen. Dem Sturm des letzten Jahres darf keine Ruhe folgen! In der gegenwärtigen Lage könnte das nur Grabesruhe sein. Angst war noch nie ein guter Ratgeber in Zeiten der Krise. Christinnen und Christen sind vom Evangelium dazu aufgefordert, mit Mut in die Zukunft zu blicken und – auf Jesu Wort hin – wie Petrus übers Wasser zu gehen: „Warum habt ihr solche Angst? Ist euer Glaube so klein?“
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner: Dieses am 4. Februar 2011 im Internet veröffentlichte Memorandum von ursprünglich 144 Professorinnen und Professoren der katholischen Theologie im deutschsprachigen Raum wurde inzwischen von über 240 Theologen unterzeichnet (Stand Mitte Februar 2011); darunter auch der Mitherausgeber und Redakteur von imprimatur, Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig, Universität Saarbrücken.- Bemerkenswert ist, dass auch einige als konservativ geltende Theologen unterzeichnet haben, während andere, „Progressive“ , aus unterschiedlichen Gründen nicht unterschrieben haben: weil sie nicht gefragt wurden, weil ihnen das Memorandum nicht scharf genug oder in einzelnen Punkte ungenau formuliert schien (Hans Küng), oder weil ihnen die ‚Methode‘ nicht weiterführend erschien ( Paul Zulehner: „Die Zeit des Resolutionismus ist vorbei“ – siehe unten unter „Reaktionen“).
Interessant ist - wie bei vielen Texten - was nicht gesagt wird bzw. hier, wer stillschweigend nicht unterschrieben hat. Da fällt auf, dass z.B. von der theologischen Fakultät Trier nur ein einziger emeritierter Professor unterschrieben hat. Auch aus den neuen Bundesländern hat nur ein einziger unterschrieben, der an der TU Dresden lehrende Prof. Albert Franz. Insgesamt sind jedoch selbst die Initiatoren vom Erfolg ihres Memorandums überrascht und werten die in der Nichtunterzeichnung zum Ausdruck kommenden Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Theologenschaft als ‚normal‘. Sie verstehen ihre Initiative ja auch nur als einen „Funken“, der in dem vor Monaten von den Bischöfen angekündigten, aber nicht recht in Gang kommenden Dialog endlich „zünden“ soll: „2011 muss ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche werden“. Die bisherigen Reaktionen von Seiten etlicher Bischöfe stimmen eher skeptisch.
Reaktionen…
Das „Münsteraner Forum für Theologie und Kirche“ (MFThK) listet im Internet seitenweise Reaktionen auf das Theologen-Memorandum auf. Sie sind naturgemäß einerseits zustimmend, zumal wenn sie von Unterzeichnern stammen, die in der Tagespresse, im Radio und Fernsehen das Anliegen des Memorandums verdeutlichen, rechtfertigen oder sonstwie erklären. Einige dieser Stimmen werden nachfolgend auszugsweise dokumentiert.
Andererseits gibt es natürlich auch kritisch-ablehnende Stimmen. Das war und ist nicht anders zu erwarten. „Allerdings erschreckt mich die besserwisserische Aggressivität in manchen sich ‚kirchlich‘ verstehenden Medien, deren Kritik nicht selten unter der Gürtellinie angesiedelt ist“, sagte der Dresdner Theologe Albert Franz. Einige Kostproben von den ‚üblichen Verdächtigen‘- unter denen der Intimus des Papstes (Peter Seewald) respektive des Kölner Kardinals (Manfred Lütz) hervorragen -, wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten. Kommentare dazu erübrigen sich; das Niveau ihrer Argumente gegen das Memorandum ist „unappetitlich“ (K.Nientiedt), oder in den Worten von Christian Wessely:“ Inkompetent, aber wenigstens in schlechtem Stil“. Das gilt auch für eine Art Gegen-Memorandum, das unter dem - große Volksnähe verratenden - Titel „Petition Pro Ecclesia“ veröffentlicht wurde.
Obwohl sich das Memorandum an „alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen und sich dafür einzusetzen“, wendet, sind die Bischöfe die vorrangigen Adressaten. Ihre Reaktionen sollen deshalb auch zuerst dokumentiert werden. Ist die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz noch verhalten positiv, haben sich einige Bischöfe zum Teil recht massiv dagegen gewandt. Auch die bischöflichen „Argumente“ entlarven sich selbst. Man möchte manchem von ihnen nur zurufen: O si tacuisses…!
…von Bischöfen
Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz (04.02.2011)
Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Dr. Hans Langendörfer SJ, erklärt zum Memorandum „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“:
Mit ihrem Memorandum wollen zahlreiche Professorinnen und Professoren der Katholischen Theologie zum Gespräch über die Zukunft von Glauben und Kirche in Deutschland beitragen. Zu diesem Gespräch haben die deutschen Bischöfe eingeladen. Es benötigt anregende und weiterführende Einsichten und Überlegungen. Es ist ein gutes Signal, dass sich auch die Unterzeichner daran beteiligen wollen. Seit über zwanzig Jahren gibt es einen strukturierten Dialog der deutschen Bischöfe mit den Fachleuten der verschiedenen Fächer der Theologie. Er hat sich bewährt und ist für beide Seiten vorteilhaft.
Das Memorandum trägt im Wesentlichen häufig diskutierte Ideen nochmals zusammen. Insofern ist es nicht mehr als ein erster Schritt. In einer Reihe von Fragen steht das Memorandum in Spannung zu theologischen Überzeugungen und kirchlichen Festlegungen von hoher Verbindlichkeit. Die entsprechenden Themen verlangen dringend eine weitere Klärung. Man benötigt ja mehr als nur ein Entgegenkommen der Bischöfe, um den in der Tat schwierigen Herausforderungen der Kirche in Deutschland zu begegnen.
Die Kirche in Deutschland sucht mit neuer Lebendigkeit danach, wohin sie ihr Pilgerweg heute führt. Fehler und das Versagen der Vergangenheit sollen, genauso wie die Defizite und Reformerfordernisse der Gegenwart, besprochen und anerkannt werden. Sperrigen Themen ist dabei nicht zu entkommen. Angst ist in der Tat kein guter Ratgeber. Im Dialog dürfen akademische Weitsicht und intellektueller Scharfsinn, die eine besondere Chance der akademischen Theologie sind, nicht fehlen. Die kommende Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz will ihrerseits Vorschläge erarbeiten, die hoffentlich anregend und weiterführend sein werden.
Kardinal Joachim Meisner: „Wo leben die denn?“
Kardinal Meisner übt bei Kirche-in-Not-Veranstaltung in Köln scharfe Kritik an der Theologenerklärung und sieht die Erklärung als ein Beispiel für die Glaubensschwäche des Westens.
Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner sieht die Angst vor dem Islam in der Glaubensschwäche des Westens begründet. Als Beispiel für diese Schwäche verwies der Kardinal … auf das von 144 Theologen aus dem deutschsprachigen Raum unterzeichnete Memorandum vom 4. Februar mit Reformvorschlägen für die katholische Kirche.
Die Verfasser der Schrift fordern darin unter anderem, die Haltung gegenüber der Homosexualität zu ändern. Der Kardinal kritisierte, dass sich die Unterzeichner damit gegen das Naturrecht stellten: "Wo leben die denn?", fragte er rhetorisch. Um letztlich auch Andersgläubige mit dem Glauben anstecken zu können, müssten die Gläubigen im Einklang mit der Gott gegebenen natürlichen Ordnung "christoaktiv" aufgeladen sein.
Dann brauchen wir vor dem Islam keine Angst zu haben", betonte Kardinal Meisner mit Blick auf die unsichere Zukunft in den Ländern des Nahen Ostens.
(kath.net/KIN, Michaela Koller)
Bischof Genn, Münster: "Kann mich für Thema 'viri probati' nicht erwärmen"
Im Interview mit dem katholischen Online-Magazin kirchensite.de bewertet Bischof Genn am 11.02.2011 den Dialogprozess in der deutschen Kirche als "richtig und wichtig", hält aber die Memorandum-Vorschläge von mehr als 200 Hochschullehrern nicht für "den Weg, der die Bewältigung dieser Krise leistet". Er bekräftigte zugleich die "Verbindung zwischen priesterlichem Amt und eheloser Lebensform". Deshalb könne er sich für das Thema der "viri probati", also verheirateter Priester "nicht erwärmen".
Während das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, führende christliche Politiker und jüngst mehr als 200 Theologieprofessoren Themenlisten erstellt und Forderungen für den Dialogprozess benannt haben, steht der inhaltliche Rahmen der Bischöfe noch aus. Warum?
Genn: Ein fundiertes und zielführendes Gespräch bedarf intensiver Vorbereitung…. Ich empfinde im Augenblick, dass durch Initiativen wie das Memorandum der Hochschullehrer der Dialogprozess eher erschwert wird.
Die Hälfte der deutschen Theologieprofessoren hat in einem Memorandum Reformen in der Kirche angemahnt, darunter eine größere Zahl von Theologinnen und Theologen aus Münster, von der europaweit größten theologischen Fakultät. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Genn: Mit den Unterzeichnern des Memorandums weiß ich mich verbunden in der Sorge um die Situation der Kirche… Allerdings sehe ich in dem, was die Professorinnen und Professoren vorschlagen, nicht den Weg, der die Bewältigung dieser Krise leistet.
Wie bewerten Sie die Reform-Vorschläge der Professoren insgesamt?
Genn: Zwischen meiner Verantwortung als Bischof in der Kirche und der Verantwortung, die der Bischof von Münster den Lehrenden übertragen hat, sehe ich einen starken Dissens.
Was die unterschiedliche Bewertung angeht, stimmen Sie zumindest mit der im Memorandum beschriebenen Ausgangslage überein, wonach das Jahr 2011 "ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche" sein soll und ein "echter Neuanfang" empfohlen wird?
Genn: Die Autoren sprechen von einer "vielleicht letzten Chance zu einem Aufbruch" und benennen als Alternative "Grabesruhe, weil die letzten Hoffnungen zunichte gemacht wurden". Ich bin überzeugt davon, dass die Kirche sich ständig erneuern muss, ständig neu aufbrechen muss, um dem Evangelium Raum zu geben. Dies ist aber immer auch ein Werk der Gnade Gottes. Er ist für mich die letzte Hoffnung, die ich als Christ habe, und ich traue dem Wirken seines Geistes zu, dass er die Kirche auch durch diese schwere Krise führt.
Das Memorandum der Theologen thematisiert auch die Strukturveränderungen in den deutschen Diözesen ...
Genn: ... die ich wesentlich mitgestaltet habe, und über die man trefflich streiten kann. Ich sehe durchaus Möglichkeiten, darüber zu diskutieren, wie die konkrete Gestalt einer Gemeindeleitung im Zusammenspiel der unterschiedlichen Dienste und Ämter und in der Kooperation mit den vielen ehrenamtlichen Kräften aussehen kann.
Und die Gemeindeleitung?
Genn: Auch in Zukunft wird die Leitung einer Pfarrei mit dem priesterlichen Dienst verbunden bleiben.
Die Hochschullehrer fürchten riesige "XXL-Pfarreien", in denen Pfarrer "verheizt" werden und empfehlen deshalb auch verheiratete Priester, sogenannte "viri probati". Ein zukunftsweisender Weg?
Genn: Von der Verbindung zwischen priesterlichem Amt und eheloser Lebensform bin ich überzeugt. Ich könnte mich niemals zu einer anderen Form entscheiden – persönlich und kirchlich. Deshalb kann ich mich für das Thema der "viri probati" nicht erwärmen.
Das Memorandum fordert auch "Frauen im kirchlichen Amt". Wäre ein Diakonat der Frau ein nachdenkenswerter Reformschritt?
Genn: Papst Johannes Paul II. hat im Jahr 1994 lehramtlich festgehalten, dass die katholische Kirche vom Auftrag und der Weisung Jesu her nicht ermächtigt ist, das Sakrament der Weihe Frauen zu spenden. Dies ist für die kirchliche Lehrverkündigung und die damit Beauftragten verbindlich.
Die Hochschullehrer lenken den Blick ebenso auf die wiederverheirateten Geschiedenen. Ist das nicht der Ernstfall christlicher Barmherzigkeit?
Genn: Eine dornige und leidvolle Frage. Sie stellt für jeden Seelsorger, also auch für die Bischöfe, eine immense Herausforderung dar. Man kann nicht – wie das Memorandum – pauschal davon sprechen, die Kirche schließe solche Menschen aus. Die Frage der fehlenden Möglichkeit, zu den Sakramenten hinzuzutreten, ist ein Teil, wenn auch ein wichtiger Teil der Gesamtsorge, der weiter zu bedenken ist.
Was erhoffen Sie sich vom bevorstehenden Besuch Papst Benedikts XVI. in seinem Heimatland für den Dialogprozess in der deutschen Kirche?
Genn: Vom Papstbesuch erhoffe ich mir Ermutigung und Stärkung in unserem Glauben, um miteinander den Weg der Kirche in die Zukunft zu gehen.
Bischof Ackermann, Trier: „Wir wollen keine ,Basta-Politik‘“
Über den Weg der Kirche in die Zukunft gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen. „Paulinus“-Chefredakteur Bruno Sonnen hat sich in der Ausgabe 8/2011 (20.2.) mit Bischof Dr. Stephan Ackermann darüber unterhalten.
Sind die Vorstöße eher hinderlich oder eher förderlich für den Dialogprozess?
Das lässt sich nach meiner Meinung noch nicht sagen. Wichtig für den weiteren Fortgang der Gespräche wird es sein, dass wir Formen des direkten Dialogs, der direkten Kommunikation finden. Bisher ist es ja so, dass von den verschiedenen Seiten Stellungnahmen in die Medien gegeben werden. Das ist aber keine direkte Kommunikation. Wenn es dabei bliebe, wäre das sehr hinderlich. Man muss den Dialogprozess so strukturieren, dass es keine ungute Polarisierung gibt. Es wird sicher dazu kommen, dass wir sachlich kontrovers miteinander sprechen, auch streiten, aber es ist wichtig, dass das in einer respektvollen Haltung geschieht und man nicht von vornherein dem Gegenüber die Katholizität abspricht… Es muss Raum geben für das Gespräch, ohne dass der Bischof immer sofort amtlich Stellung bezieht. Wir wollen ja keine „Basta-Politik“.
Die Vorschläge, die jetzt gemacht wurden, sind ja nicht neu und wurden
früher schon diskutiert. Sie haben aber jetzt wieder viele und heftige
Reaktionen ausgelöst. Der Druck im Kessel scheint groß zu sein ...
Ich glaube schon, dass viele Gläubige in der aktuellen Situation einen
großen Druck empfinden. Den empfinde ich als Bischof auch. … Nicht
nur die Bischöfe und die Hauptamtlichen, sondern auch engagierte Katholikinnen
und Katholiken leiden sehr darunter, dass der Glaube einen immer geringeren
Stellenwert im privaten und öffentlichen Leben hat und die Kirchenbindung
Vieler schwindet.
[Rückfrage: Leiden Sie etwa an der „schwindenden Kirchenbindung vieler“ oder nicht vielleicht eher an der Kirche(nleitung)?]
Ich sehe in den angesprochenen Themen auch den etwas hilflosen Versuch, damit
irgendwie klar zu kommen. Von den Theologen hätte ich aber erwartet, dass
sie nicht einfach alles noch einmal zusammentragen, was da ist, sondern stärker
theologische Akzente setzen und in die Diskussion bringen.
Zu der Frage der „viri probati“: Sicher würde die Möglichkeit,
so genannte bewährte Männer zum priesterlichen Dienst zuzulassen,
uns personell eine gewisse Entlastung bringen. Ich glaube aber nicht, dass diese
Lösung eine grundlegend positive Veränderung für die eigentliche
Herausforderung bringen würde, vor der wir stehen, nämlich die Verlebendigung
des Glaubens. … Die lösen wir nicht dadurch, dass wir „viri
probati“ zum priesterlichen Dienst zulassen.
[In einem dpa-Interview vom 14.2.2011 war der Bischof an dieser Stelle noch etwas deutlicher: „Ich glaube nicht, dass mehr Menschen in die Kirche kommen, weil ein verheirateter Pfarrer die Messe hält.“ – Aha, darum geht es letztlich und eigentlich!]
Im Übrigen schmerzt mich wirklich, dass die Diskussion, so wie sie jetzt geführt wird, die zölibatäre Lebensweise zunehmend diskreditiert. … Dadurch werden der Dienst und die Lebensform wahrhaftig nicht attraktiver. Das ist auch für die Berufungspastoral verheerend.
[Im dpa-Interview: „Die Frage ist doch, wie helfen wir Bischöfe den Priestern unter schwierigen Bedingungen … den Zölibat gut gelingend zu leben.“ !!!]
Aber grundsätzlich sind alle diese Themen theologisch durchaus zu diskutieren?
Wie gesagt, es gibt natürlich Themen, bei denen es klare lehramtliche Festlegungen gibt. Wir diskutieren nicht im luftleeren Raum. Aber dass man kritisch die Dinge hinterfragt, das muss möglich sein. …
Das Stichwort Priestertum der Frau ist schon gefallen. Wie stehen Sie dazu?
Da gibt es durch Papst Johannes Paul II. eine klare amtliche Festlegung und Negativgrenzziehung. Über das Priestertum der Frau zu sprechen und zu sagen, da führen wir einen ergebnisoffenen Dialog, das wäre ein Trugschluss. [also, darüber ist nicht mehr zu diskutieren! Basta!]
Wie kann der Dialogprozess jetzt konstruktiv weitergehen?
Es ist wichtig, jetzt zügig [!] Formen zu finden, wie der Dialog gestaltet werden kann und die Themen festzulegen, die im Laufe der nächsten Jahre [!] im Dialogprozess behandelt werden sollen. ... Es ist auch klar, dass jetzt nicht in den nächsten Monaten bis zum Papstbesuch [!] alles abgehandelt wird. Das würde der Sache nicht gerecht. Wichtig ist: Wir wollen auch einen Weg der geistlichen Erneuerung gehen, nicht nur eine Art parlamentarischer Debatten führen. Den geistlichen Weg und das offene Wort in eine gute Balance zu bringen, das wird die Kunst bei der Gestaltung des Dialogprozesses sein.
Vgl. dazu auch die Glosse in dieser Ausgabe.
Weitere bischöfliche Stellungnahmen – die sich bezeichnenderweise hauptsächlich mit dem Thema Zölibat befassen - wären hier anzuführen. Statt ihre ausufernde und teilweise ausweichende Rhetorik hier weiter direkt zu zitieren, sei auf die Gegen-Kritik von Ferdinand Kerstiens verwiesen, der die bischöflichen Kritikpunkte aufgreift und widerlegt (siehe unten: „Ein Zwischenruf zur Kritik…“).
…von Initiatoren, Befürwortern, Unterstützern
"Tabus darf es nicht geben" - Interview des Osnabrücker Theologen Georg Steins, einer der Initiatoren des Memorandums, mit Steffen Zimmermann
katholisch.de: Herr Steins, wie ist es zu dem jetzt veröffentlichten Memorandum gekommen?
Steins: Das Memorandum ist das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses, der bereits im Umfeld des 2. Ökumenischen Kirchentages im vergangenen Mai in München begonnen hat. Anlass der Diskussionen war die krisenhafte Situation der katholischen Kirche nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals. Wir hatten das dringende Bedürfnis, der grassierenden Erosion der Kirchlichkeit und der virusartig sich ausbreitenden Enttäuschung und Lähmung in der Kirche etwas entgegenzusetzen. Das Papier will ausdrücklich keine Lösungen präsentieren, sondern den für dieses Jahr von der Kirche ausgerufenen Dialogprozess unterstützen.
katholisch.de: Wie hat man sich den Entstehungsprozess des Memorandums vorzustellen?
Steins: Am Anfang stand der Versuch, einen Anstoß für ein Umdenken in der Kirche zu Papier zu bringen. Obwohl Theologen es normalerweise ja nicht gewohnt sind, besonders griffig zu formulieren, war uns sehr schnell klar, dass wir hier die Herausforderungen einmal zuspitzen und bündeln sollten. Das Memorandum ist keine umfassende und abwägende Studie, sondern es soll bewusst einen Impuls setzen. Wir wollen erreichen, dass der begonnene, bislang jedoch sehr zaghafte Dialogprozess unterstützt und intensiviert wird.
katholisch.de: Sie sprechen den Dialogprozess an. Wie sollte dieser Prozess aus Ihrer Sicht gestaltet werden?
Steins: Wichtig wäre vor allem ein Signal, dass der Dialog offen und ehrlich geführt wird. Tabus darf es nicht geben!...
katholisch.de: Das Memorandum ist an einigen Stellen durchaus provokativ formuliert. Fürchten Sie nicht, dass Sie dem gerade erst beginnenden Dialogprozess damit schaden?
Steins: Nein, überhaupt nicht. Das Memorandum hat den Anspruch, Anfang und nicht Ende der Debatte zu sein. Wenn die Kirche es mit dem Dialog wirklich ernst meint, dann muss sie so etwas aushalten, ja wünschen.
Katholisch.de: Welche Reaktionen erwarten Sie von der Amtskirche?
Steins: Wir hoffen, dass die Bischöfe den Ball aufnehmen. Wir haben aber auch und besonders die engagierten Laien in den Gemeinden vor Ort im Blick, die von dem momentanen Zustand ihrer Kirche irritiert sind und sich Signale der Veränderung und des Aufbruchs wünschen. Diesen Menschen möchten wir zeigen, dass die Theologie verstanden hat, dass die Krise der Kirche nicht mit wenigen Korrekturen überwunden werden kann, sondern dass es jetzt eine gemeinsame und ernsthafte Anstrengung braucht.
© katholisch.de
Ein Zwischenruf zur Kritik am Professoren-Memorandum
Von Dr. Ferdinand Kerstiens, kath. Pfarrer, Marl (in: Münsteraner Forum für Theologie und Kirche 02/2011)
Das Memorandum der Theologieprofessorinnen und -professoren hat vielfältige Kritik erfahren. Einige markante Kritikpunkte möchte ich aufgreifen, da ich sie für unangemessen halte.
1. Hinter der Kirchenkrise verbirgt sich die Gotteskrise. Das haben die Theologen nicht bedacht. So Kardinal Walter Kasper und Professor Jürgen Manemann. Was die Kirchenkrise bedeutet, erfahre ich jeden Tag. Was aber heißt „Gotteskrise“? Eine Krise Gottes selbst? Das kann doch nicht gemeint sein. Das Wort „Gotteskrise“ ist also irreführend. Sicher gibt es eine Krise unseres Gottesbildes und des Glaubens an Gott, auch eine Krise des Glaubenswissens. Diese Krisen haben vielfältige Ursachen, soziologische, religionssoziologische und psychologische Gründe, die Erfahrung von Auschwitz und von vielfältigen Katastrophen,von der Ungerechtigkeit in unserer Welt, die so viele Menschen zu Opfern macht. Diese Krise ist durch eine bloße Kirchenreform nicht zu bewältigen. Dennoch: Verdunkelt nicht auch die selbstgemachte Kirchenkrise den Glauben an Gott? Die Kirche muss sich doch immer wieder fragen, wie sie jeweils heute die Kirche Jesu Christi sein kann. Nur wenn die Kirche die Menschenfreundlichkeit Gottes widerspiegelt, wenn sie glaubwürdig dem Leben und der Würde der Menschen dient und wie Jesus auf der Seite der Opfer steht, wenn sie sich nicht im internen Machtgerangel, in der Vertuschung der eigenen Fehler verliert, wenn sie sich nicht über die anderen Kirchen erhebt und ihnen das wahre Kirchesein aberkennt, dann steht sie dem Glauben an Gott, wie Jesus ihn gelebt hat, nicht im Wege. Den Glauben an Gott kann die Kirche nicht „machen“, aber sie kann ihm dienen oder auch ihm im Wege stehen. Die „Gotteskrise“ und die Kirchenkrise sind nicht identisch, hängen aber doch miteinander zusammen. Sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Deswegen scheint mir die Berufung auf die „Gotteskrise“ im Zusammenhang mit dem Memorandum ein Ablenkungsmanöver zu sein, um sich den akuten Fragen der selbstgemachten Kirchenkrise nicht zu stellen.
2. Den Kritikern wird vorgeworfen, es mangele ihnen an dem „sentire cum ecclesia“, dem „Mitfühlen und Mitdenken mit der Kirche“. So Bischof Josef Algermissen. Ich habe den Eindruck, dass Bischof Algermissen die „ecclesia“ mit der Hierarchie identifiziert. Sonst könnte er diesen Vorwurf nicht erheben. Die ecclesia ist jedoch nach dem Vatikanum II das wandernde Volk Gottes. So stelle ich fest, dass die Kritik der Theologen im wahrsten Sinn des Wortes ein „sentire cum ecclesia“ ist, ein Mitdenken und Mitfühlen mit den Sorgen des wandernden Gottesvolkes. Das erfahre ich täglich in der Seelsorge, gerade auch angesichts der XXL-Pfarreien, zu denen bereits fusionierte Gemeinden noch mal zwangsfusioniert werden, wie wir es jetzt in der Diözese Münster erleben. Ein „sentire cum ecclesia“ muss gerade die Sorgen der „Kleinen“ ernst nehmen, die Gott erwählt hat, um die Großen zu beschämen (vgl. 1 Kor 1). So aber rückt die Kirche in ihrer institutionellen Gestalt immer weiter von den Menschen weg und die Priester werden Leiter von mittelständischen Betrieben mit oft um die 200 Angestellten.
3. Das Zölibat der Weltpriester ist ein so kostbares Gut, dass es nicht aufgegeben werden darf. So Bischof Felix Genn und Kardinal Reinhard Marx. Die frei gewählte Ehelosigkeit ist sicher ein kostbares Zeichen der Liebe zu Gott und der Hingabe an den Dienst für die Menschen. Doch die Zwangsverbindung mit dem Priestertum ist geschichtlich geworden und kann und muss deswegen auch geschichtlich verändert werden, wenn sie dem Dienst an den Menschen, an den Gemeinden im Wege steht. Die Kirche kann es doch nicht verantworten, durch ihre Zulassungsbedingungen zum Priesteramt den Gemeinden die Feier der Eucharistie zu nehmen, die Jesus ihnen als Vermächtnis seiner Nähe hinterlassen hat. Denn es geht nicht um die Erreichbarkeit einer Eucharistie in so und so viel Autominuten, sondern um die Feier des Glaubens am Ort des Lebens der Gemeinde, zumal viele alte und fußkranke Menschen eine ferne Eucharistiefeier gar nicht erreichen können. Das gilt auch weltweit. Über die Hälfte der Gemeinden in der Welt kann nicht am Sonntag nach der Ordnung der Kirche Eucharistie feiern. Übrigens werden diese Gemeinden vorwiegend von Frauen geleitet, die auch mit ihren Gemeinden Gottesdienst feiern, aber keine Eucharistie feiern dürfen.
4. Die evangelische Kirche hätte ja viele der Forderungen
des Memorandums erfüllt, aber der gehe es noch schlechter. So Kardinal
Walter Kasper. Abgesehen von der
Überheblichkeit dieses Urteils ist das kein Argument gegen notwendige Änderungen
der eigenen Kirche, die sich aus dem Evangelium und den Zeichen der Zeit ergeben.
Dem sollte sich Kardinal Kasper stellen, sonst ist der Verweis auf die Situation
der evangelischen Kirche auch nur ein Ausweichmanöver. Dass das Memorandum
allerdings zu wenig die ökumenische Frage in den Blick nimmt, bleibt ein
Defizit. Ich möchte an die Rede von Professor Joseph Ratzinger 1966 über
den deutschen Katholizismus nach dem Konzil auf dem Katholikentag in Bamberg
erinnern. Darin heißt es: „Der christliche Glaube ist für den
Menschen aller Zeiten ein Skandal: dass der ewige Gott sich um uns Menschen
annimmt und uns kennt, dass der Unfassbare in dem Menschen Jesus fassbar geworden,
dass der Unsterbliche am Kreuz gelitten hat, dass uns Sterblichen Auferstehung
und ewiges Leben verheißen ist: Das zu glauben ist für den Menschen
eine aufregende Zumutung…. Aber wir müssen hinzufügen: dieser
primäre Skandal, der unaufhebbar ist, wenn man nicht das Christentum aufheben
will, ist in der Geschichte oft genug überdeckt worden von den sekundären
Skandalen der Verkünder des Glaubens, der durchaus nicht wesentlich ist
für das Christentum …. Sekundärer, selbstgemachter und so schuldhafter
Skandal ist es, wenn unter dem Vorwand, die Unabänderlichkeit des Glaubens
zu schützen, nur die eigene Gestrigkeit verteidigt wird: nicht der Glaube
selbst, der längst vor jenem gestern und seinen Formen war, sondern eben
die Form, die er sich einmal aus dem berechtigten Versuch heraus verschafft
hat, in seiner Zeit zeitgemäß zu sein, aber nun gestrig geworden
ist und keinerlei Ewigkeitsanspruch erheben darf. Sekundärer, selbstgemachter
und so schuldhafter Skandal ist es auch, wenn unter dem Vorwand, die Ganzheit
der Wahrheit zu sichern, Schulmeinungen verewigt werden, die sich einer Zeit
als selbstverständlich aufgedrängt haben, aber längst der Revision
und der neuen Rückfrage auf die eigentliche Forderung des Ursprünglichen
bedürften. Wer die Geschichte der Kirche durchgeht, wird viele solche sekundäre
Skandale finden – nicht jedes tapfer festgehaltene Non possumus war ein
Leiden für die unabänderlichen Grenzen der Wahrheit, so manches davon
war nur die Verranntheit in den Eigenwillen, der sich gerade dem Anruf Gottes
widersetzte, der aus den Händen schlug, was man ohne seinen Willen in die
Hand genommen hatte.“ (in: HK 20 (1966), S. 351) Das Memorandum der Theologinnen
und Theologen bezieht sich präzise auf die Überwindung der hier von
Professor Ratzinger genannten „sekundären, selbstgemachten und so
schuldhaften Skandale“. Nur so kann der Weg freigemacht werden für
das eigentlich Provozierende der Botschaft Jesu, für sein Kreuz und seine
Auferstehung, für sein unbedingtes Eintreten für die Würde und
das Leben, für das Heil eines jeden Einzelnen, vor allem der „Armen
und Bedrängten aller Art“ (GS 1) und für das Reich Gottes und
seinen Schalom, seine Gerechtigkeit, die ein menschenwürdiges Leben aller
ermöglichen und schon jetzt inmitten unserer zerrissenen Welt etwas von
seinem endgültigen Reich zum Vorschein bringen will. Das wird sie nie voll
erreichen. Sie ist immer mit Schuld beladen, in der Geschichte und in der Gegenwart.
Aber wie sie jeweils mehr Kirche Jesu Christi werden kann, dazu bedarf es des
Dialogs in Augenhöhe, vielleicht auch des geschwisterlichen Streites, zwischen
den Gläubigen an der Basis, den Theologen und der Kirchenleitung. Die Botschaft
Jesu bleibt provozierend und sperrig. Aber gerade als solche ist sie heute wichtig
in einer globalisierten Welt der Macht und der freiwilligen oder erzwungenen
Anpassung. Dieser Botschaft hat die Kirche, haben die christlichen Kirchen miteinander
zu dienen.
Paul Zulehner: „Die Zeit des Resolutionismus ist vorbei.“
Man soll keine Resolutionen verabschieden, sondern sich von Resolutionen verabschieden. Diese Lektion haben jene, welche die jüngere Geschichte der katholischen Kirche vorbehaltlos analysieren, gelernt. Die Geschichte hat gezeigt, dass das Kirchenvolksbegehren (leider) ebenso „erfolglos“ geblieben ist wie die Pfarrer- oder die Laieninitiative. „Wir sind Kirche“ ist langsam ein Seniorenklub geworden, wie viele andere Reformgruppen in der katholischen Kirche auch. Auch das Memorandum wird ausgesessen werden. Gnadenlos. Es wird als Symptom des Verfalls der Kirche in Westeuropa gedeutet und abgelegt werden (so schon Kardinal Meisner). Ändern wird sich erst dann etwas in der Kirche, wenn die Theologen nicht Memoranden verfassen müssen, sondern mit ihren Ortsbischöfen mehr reden können (und umgekehrt) und wenn dann einige Bischöfe ihre Kollegialität organisieren und gemeinsam weltkirchliche Reformpolitik machen. Wenn zwanzig Bischöfe gemeinsam zum Papst gehen, hört er ihnen sehr wohl zu.
Übrigens stimmt es nicht, dass heute in unserer Kirche keine Reformen passieren. Aber sie ereignen sich still und lautlos. Öffentlichkeit suchen sie nicht: nicht die Gemeinden, in denen Geschiedene, die in einer neuen Partnerschaft leben, zu den Sakramenten zugelassen sind, nicht die Priester, die mit dem Zölibat einen für sich „verantwortbaren Weg“ probieren. Da und dort treffe ich auf eine gläubige Gemeinschaft, die Eucharistie auch dann feiert, wenn der Pfarrer nicht vorstehen kann. Sie nehmen dann jemand aus ihrer Mitte, der dann priesterlich handelt, ohne Priester zu werden: Tertullian berichtet, dass das um 209 in Karthago Gang und Gäbe war, wenn von der Leitung kein Ordinierter bereitgestellt werden konnte. Die Eucharistie durfte durch das Unvermögen der Leitung nicht behindert werden.
Greift eine Leitung zu lange Reformanliegen nicht auf, so erklärte es mir einmal der Soziologe Franz Xaver Kaufmann, dann geschehen die Reformen von allein. Die Leitung verliert allerdings dann die Möglichkeit zu gestalten. Das ist organisationsentwicklerisch und ekklesiologisch kein wünschenswerter Zustand. Denn gerade in Transformationskrisen und Reformzeiten braucht es eine gute Leitung: Aber eben eine, die mitreformiert und die nicht ihre Hauptaufgabe darin sieht, jede nur mögliche Reform zu unterbinden. Dabei kann getrost geglaubt werden, dass die Reformen, welche „im Volk“ laufen, durchaus am Evangelium ausgerichtet sind. …
Oft wird dann der Rat erteilt – wie kürzlich von Manfred Lütz in der FAZ – man könne doch protestantisch werden, dann wären alle Reformwünsche erfüllt. Ein solcher Ratschlag ist verletzend: Für die evangelische Schwesternkirche, weil man ihr ja bescheinigt, dass es ihr trotz Reformen nicht gut geht (was sie auch ohne diese Zurufe weiß). Es ist auch kränkend für jene, denen der Rat gegeben wird. Denn Reform-Katholiken wollen ihre eigene Kirche reformieren. Das fühlen sie als ihre gottgegebene Berufung. Sie machen in ihrer bewundernswerten Loyalität zu ihrer Kirche auch nur, was die katholische Theologie gebetsmühlenartig wiederholt: „Ecclesia semper reformanda“. Und das mit Blick zugleich auf das Evangelium wie auf die Zeichen der Zeit. Es ist beispielsweise unzulässig, dass Menschen einer modernen Kultur selbstverständlich in jenen Belangen, die sie betreffen, mitgestalten, in der katholischen Kirche hingegen geht das nicht. Dass dann, wenn die Betroffenen nicht (ausreichend und geordnet) befragt werden, nicht immer die besseren Bischöfe zustande kommen, davon kann die Kirche in Österreich ein langes und leidvolles Lied singen. Und die Befürchtungen für die nächsten Ernennungen sind nicht grundlos.
Dem Memorandum wird nachgesagt, es sei zu breit, zu wenig kantig, sondern schwammig, es packe zu viele bekannte Themen zusammen. Einige prominente Theologen hätten deshalb gern mitredigiert, andere sind beleidigt, weil sie nicht eingeladen worden sind… Das alles nimmt dem Memorandum nicht seine kirchenpolitische und pastorale Bedeutung. Manche, die bisher auf eigene Faust in den Gemeinden reformiert haben, bekommen Rückendeckung wenigstens durch die Theologie, die heute gesellschaftlich mehr Ansehen genießt als die Kirchenleitung. Hier eine Kostprobe: „… bewirken wird es nichts, allerdings bin ich (Pfarrgemeinderatsvorsitzender einer XXL-Pfarrei im Bistum Essen) den Wissenschaftler/innen sehr, sehr dankbar für diese Worte der "Rückenstärkung“. Insofern bewirkt das Memorandum bei mir (und ich denke auch bei vielen anderen) eine Bestärkung für meine Arbeit und ich weiß, dass wir "an der Basis" nicht alleine sind, sondern mit den Theolog/innen wichtige Bündnispartner/innen im Geist haben. Ich denke, sowieso, dass die Zukunft der Kirche sich in den Gemeinden und anderen Glaubensgemeinschaften entscheidet und die kirchliche Leitung irgendwann das nachvollziehen muss, was im Kirchenvolk schon lange geglaubt und gelebt wird. Dieses Nachvollziehen wird nicht schneller durch Memoranden kommen, aber für die Gemeinden ist es befreiend zu wissen, auf dem richtigen Weg zu sein.“
So sehr das Memorandum gute Nebenwirkungen haben wird, der Weg der Kirche in eine gute Zukunft wäre auch dann noch nicht offen, wären alle seine Forderungen erfüllt. Letztlich kreist das Memorandum um die (ur)alten „Irritationen“. Selbstverständlich gilt es diese zu beseitigen. Sie beschleunigen den Auszug sehr vieler aus unserer kirchlichen Gemeinschaft. … Sie wären auch bereit, drinnen zu sein, wenn die Kirche ihre Enge aufgäbe. Es ist wie bei einem zu engen Flussbett, so David Steindl-Rast: Das Wasser tritt dann nicht über das Ufer, wenn das Flussbett sich weitet: Genau das wäre der Kirche heute zu raten.
So wichtig also die Abmilderung der Irritationen ist: Entscheidend für die Zukunft des Glaubens und der Kirche im Land wird sein, ob es den Kirchen (das hier gilt auch für die evangelische Kirche) gelingt, die Bindungskräfte bei modernen Zeitgenossinnen zu stärken. Und das geht nur, wenn die Kirche wahrhaft „Gottes Volk“ ist, in dem es möglich ist, miteinander eine Gotteserfahrung aus erster Hand zu machen… Es ist zudem eine Kirche, welche sich nicht vor der Moderne fürchtet, sondern diese regelrecht „umarmt“, so Benedikt XVI. unlängst in seinem Interview „Licht der Welt“ (76). Die Kirche muss ihre Tiefe erneuern, dann kann sie in ihren Strukturen genau so flexibel werden, wie die Reformer es wünschen. Es ist daher nicht angebracht, den Reformern vorzuwerfen, sie würden lediglich die Kirchenkrise im Blick haben, nicht aber die Gotteskrise, um die es „eigentlich“ gehe, weshalb man nichts an der Kirche ändern müsse. Aber stimmt es nicht auch, dass gerade deshalb, weil es eine Gottesschwäche der Kirche gibt, diese die längst fälligen Reformen „gottfeige“ verweigert? Würde die Kirche selbst Gott mehr Raum geben, sie könnte sich mutiger reformieren. Die Gotteskrise der Kirche verhindert also letztlich auch ihre eigene Reform. … Die Kirche wäre dann frei, ihr Kerngeschäft zu betreiben, nämlich: Mit den Menschen in Gott einzutauchen, um bei den Armen aufzutauchen. Nur eine solche Kirche ist reformfähig und hat Zukunft.
Kein Angriff auf die Kirche
Katholische Religionslehrer solidarisieren sich mit dem Aufruf „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“, in dem sich Wissenschaftler für Kirchenreformen aussprechen. Im Internet haben bislang rund 280 Religionslehrer den Appell unterzeichnet. Sie verweisen darauf, dass sie die Forderung nach einer sich erneuernden Kirche auch deshalb mit Nachdruck stellten, da sie als Religionslehrer über den Schulunterricht „bei weitem am meisten Christen, nämlich täglich mehrere Millionen erreichen, viel mehr als Bischöfe und Pfarrer in immer weniger besuchten Gottesdiensten“. Zugleich verwahren sich die Religionslehrer gegen den Vorwurf, das Memorandum der Theologieprofessoren sei ein Angriff auf die Kirche. Vielmehr handle es sich um eine Reaktion auf die von der Bischofskonferenz selbst angestoßene Dialoginitiative. (kna)
… der Kritiker
„Rebellion im Altersheim“
08. Februar 2011, Kath.net-Interview mit Peter Seewald:
Herr Seewald, wie finden Sie die Zölibatsdiskussion mit dem Memorandum der Theologen?
Seewald: Wir ringen alle um den richtigen Weg. Die Kirche kann nicht bleiben, wie sie ist. Es geht um Reinigung, um eine Renaissance der Werte, um ein deutlicheres Profil, um die Positionierung der Kirche in der Moderne – letztlich um die Aufgabe, das Angebot des Christentums in dieser dramatischen Lage deutlicher zu machen und damit Menschen zu retten. Das Memorandum jedoch geht in die andere Richtung.
Warum?
Seewald: Hier ist eine konzertierte Aktion neoliberaler Kräfte am Werk, die einen Umbau forcieren, der die katholische Kirche ihres Wesens und damit ihres Geistes und ihrer Kraft berauben würde. Am Ende steht dann eine Allerweltskirche, in der nicht Gott, nicht das Evangelium, sondern das autonome Gemeindemitglied das Maß aller Dinge ist, dirigiert von den Hohenpriestern des Zeitgeistes.
Die Initiatoren des Memorandums sagen, sie hätten damit einen Nerv getroffen?
Seewald: Das kann man wohl sagen. Den Nerv von Millionen von Gläubigen, die diese Diskussion, die wir unzählige Jahre geduldig ertragen haben, endlich satt haben. Man wolle „die Kirche aus ihrer lähmenden Selbstbeschäftigung herausführen“, heißt es mit Krokodilstränen in den Augen. Absolut irre. Es sind genau diese Gruppierungen, die die Selbstbeschäftigung geradezu zu einer Manie ausgebildet haben und damit seit 25 Jahren verhindern, dass sich die Kirche in Deutschland der wirklichen Probleme annimmt. Ich staune über die Unredlichkeit der Diskussion, die schiefen Argumente, das Ausmaß der Demagogie, die hier betrieben wird. Diese Kampagne hat aber möglicherweise auch einen Mobilisierungs- und Solidarisierungseffekt der Kirchentreuen, mit dem die Initiatoren nicht gerechnet haben. Wer Wind sät, kann Sturm ernten.
Wer steckt hinter dem Memorandum?
Seewald: Es ist kein Aufstand der Jungen, sondern eine Rebellion im Altenheim. Das theologische Establishment paart sich mit so charismatischen und integren Politikern wie Althaus und Schavan. Als Frontmann ein Parlamentspräsident Lammert, der den Papst zu sich einlädt, um ihm dann die Mitra über die Ohren zu ziehen. Was für ein schäbiges Spiel. Nicht zu vergessen jene Agitatoren, die längst ihre Lehrerlaubnis verloren, weil sie Jahr und Tag nichts unversucht ließen, aus dem Sohn Gottes einen Räuberhauptmann zu machen. Hier sind die wahren Gestrigen. Sie führen nicht in die Zukunft, und sie haben auch selbst keine Zukunft. Sie werden weder grünen, noch jemals blühen. Sie können Funktionäre hinter sich versammeln, aber niemals größere Massen begeistern, schon gar keine Jugendlichen. Als morsche Äste können sie freilich noch Schaden anrichten, wenn sie vom Baum herunterfallen.
Sie regen sich ganz schön auf.
Peter Seewald: Es ist wirklich ein schäbiges Spiel. …
Es soll an dieser Stelle auch nicht weitergeführt werden, das schäbige Spiel des Herrn Seewald. Prof. Dr. Christian Wessely hat eine ausführliche Analyse und Punkt-für-Punkt-Widerlegung dazu verfasst, nachlesbar unter http:// www.theologie-und-kirche.de.)
Gegenmemorandum: „Petition Pro Ecclesia“
Für die Kirche und den Glauben in unserem Land haben wir, die Unterzeichner, diese Petition verfasst. Wir legen sie vor, um zu bekräftigen, dass der Glaube an den Dreifaltigen Gott, wie ihn uns die Apostel und ihre Nachfolger überliefert haben, lebendig ist.
Nachdem sich einige Spitzenpolitiker der CDU vor wenigen Wochen mit einem Offenen Brief an die Bischöfe gewandt haben, haben nun über 200 Theologieprofessoren ein Memorandum mit ähnlichen und noch weiter gehenden Forderungen unterzeichnet.
Wir wollen darauf ebenfalls öffentlich antworten und mit dieser Petition an unsere Bischöfe dem verzerrten Bild von der Kirche in der Öffentlichkeit entgegentreten.
Diese Forderungen an die Bischöfe fügen der Kirche großen Schaden zu. Gläubige werden verunsichert, getäuscht und in die Irre geführt. Diesem unredlichen Verhalten von Theologen und Politikern treten wir entgegen, indem wir uns deutlich und vernehmbar an die Seite unserer Bischöfe stellen und unsere Einheit mit dem Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., bekunden.
Darum richten wir an Sie, liebe Bischöfe, die folgenden Bitten:
Treten Sie bitte diesen Forderungen von Politikern, Theologieprofessoren, Pressevertretern und anderen mit aller Entschiedenheit entgegen. Die Katholiken, die sich in ihrem Alltag fortwährend mit solchen Anwürfen konfrontiert sehen, brauchen den sicht- und hörbaren Beistand ihrer Hirten.
Bitte geben Sie den Priestern und Priesteramtskandidaten ein deutliches Signal der Unterstützung, dass der Zölibat, die Lebensform, auf die sie sich vorbereiten oder die sie gewählt haben, kein altmodisches Auslaufmodell, sondern die dem Priester angemessene Lebensform ist. Gerade jetzt, in dieser schweren Zeit, brauchen die Priester den Rückhalt ihrer Bischöfe.
Stellen Sie bitte als Hirten sicher, dass Forschung und Lehre an den Theologischen Fakultäten und Instituten bei allem Respekt vor der notwendigen Freiheit der Wissenschaft im Einklang mit der Lehre der Kirche erfolgt. Wir brauchen Dozenten und Professoren, die den Glauben intellektuell redlich untermauern und unserer säkularisierten Gesellschaft auch im wissenschaftlichen Diskurs an den Universitäten etwas zu sagen haben.
Zeigen Sie sich bitte auch für die Studentinnen und Studenten in allen Bereichen der Theologie (Priesteramtskandidaten, Lehramtsanwärter, angehende Pastoral- und Gemeindereferenten) verantwortlich. Geben Sie ihnen durch Bestellung geeigneter Seelsorger ein deutliches Signal, dass ein Theologiestudium nur mit der Kirche – niemals aber gegen die Kirche – sinnvoll sein kann.
Halten Sie bitte die Liturgie in Ihrem Bistum im Blick. Sorgen Sie dafür, dass liturgische Experimente beendet werden. Wir Gläubigen haben ein Recht auf eine Liturgie, wie sie in den Riten der Kirche festgelegt ist. Der Priester ist nicht Herr der Liturgie, sondern ihr Diener. Liturgie ist Ausdruck der Einheit der Kirche. Wer die Einheit des Betens der Kirche aufkündigt, bringt die Einheit der Kirche selbst in Gefahr.
Geben Sie bitte ein deutliches Bekenntnis zu Ehe und Familie im Sinne der Kirche. Bei allem Respekt vor der Entscheidung des Einzelnen, andere Lebensformen zu wählen, soll aber in der Gesellschaft deutlich werden, dass die christliche Ehe ein Sakrament ist. Gleichgeschlechtliche und nichteheliche Partnerschaften können der Ehe niemals gleichgestellt sein.
Der angekündigte Dialog darf kein Dialog zwischen den obersten Etagen von Elfenbeintürmen sein. Es ist eine gute Sache, miteinander zu reden. Doch die Grundfeste der Kirche dürfen im Dialog nicht zur Disposition gestellt werden.
Wir legen Ihnen diese Bitten vor und sind der festen Überzeugung, bei Ihnen, wie der Volksmund sagt, offene Türen einzurennen. Dennoch haben wir diese Bitten an Sie formuliert, um unsere Solidarität mit Ihnen, den Priestern in unseren Gemeinden und gläubigen Katholiken im Land deutlich zu machen. Es ist nicht unsere Absicht, Unerfüllbares zu verlangen. Die Wirklichkeit, die das Leben der Kirche in unserem Land prägt, ist auch uns sehr wohl bewusst. Nehmen Sie diese Petition als Ausdruck unserer Sorge entgegen. Wir versichern Sie unseres Gebetes für Ihr schweres Hirtenamt in dieser Zeit.
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner: über 500, darunter ca. 250 Priester und etliche korporative Unterzeichner (Stand Mitte Februar); ironischerweise steht an erster Stelle Peter W. aus Geseke, dem Herkunftsort von Kardinal Reinhard Marx.
Kardinal Walter Kasper „Kommen wir zur Sache“.
In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ reagiert der frühere Leiter des Päpstlichen Ökumene-Rates auf das Memorandum Radio Vatikan veröffentlichte Kernsätze seines Beitrags:
„Kein vernünftiger Mensch, kein wacher Christ wird bestreiten, dass die katholische Kirche in Deutschland einen Aufbruch bitter nötig hat“, so Kasper. „Niemand kann auch ernsthaft bestreiten, dass den Lehrerinnen und Lehrern der Theologie in dieser Situation eine besondere Verantwortung zukommt. Als einer, der selbst fast dreißig Jahre lang im akademischen Dienst tätig war, muss ich aber offen sagen, dass mich das Memorandum maßlos enttäuscht hat... weil ich mir von Theologen mehr erwartet hätte, nämlich einen substantiellen theologischen Beitrag.“
Er frage sich, wie man als Theologe von der gegenwärtigen Lage reden könne, „ohne die Gotteskrise zu nennen“, so der Kardinal. Stattdessen bleibe das Memorandum „in einer von ihm selbst zu Recht kritisierten Selbstbeschäftigung“ stecken. „Glauben die Unterzeichner im Ernst, dass die Kirchenverfassung heute eine existentielle Frage der Menschen ist“, fragt Kasper. Aus seiner Sicht sei die Kirchenkrise doch eher „eine Folge der Gotteskrise“. Die Forderungen des Memorandums seien „längst bekannt und von vielen anderen Gruppierungen schon fast bis zum Überdruss gesagt“. Doch Kirchen, die Frauen ordinierten und auch andere Forderungen des Reformpapiers umgesetzt hätten, steckten doch „gerade deswegen in einer viel tieferen Krise als die katholische Kirche in Deutschland“.
Der Zölibat sei „nicht erst heute ein heißes Eisen“: „Die Frage ist international exegetisch wie historisch mit Ergebnissen diskutiert worden, die es seriöserweise nicht mehr erlauben, die alten Argumente einfach zu wiederholen“. Nicht weniger als drei Weltbischofssynoden hätten „jeweils mit überwältigender Mehrheit für die Beibehaltung der priesterlichen Ehelosigkeit votiert“. Wenn man eine andere innerkirchliche Rechtskultur verlange, so Kasper, „dann gehört dazu auch, dass man Entscheidungen auch dann anerkennt, wenn man selbst eine andere Lösung bevorzugt hätte“. Und nur „ein hoffnungs- und zukunftsloser und damit falscher Konservativismus“ könne meinen, „bisherige Pfarreistrukturen mit „viri probati“ künstlich am Leben halten zu können“. Der frühere Leiter des vatikanischen Einheitsrates empfiehlt den deutschen Theologen „mehr Phantasie und einen Blick über den Tellerrand hinaus“. Es gebe in Deutschland nicht nur eine „Zölibatskrise“, sondern wegen der „Gotteskrise“ vor allem eine „Gläubigen- und Gemeindekrise“. Dass die Zahl der Kirchgänger in Deutschland immer mehr zurückgehe, müsse „aufrütteln“: „Radikal kann ich nur die Lösung nennen, die an dieser „radix“, an dieser Wurzel, ansetzt, statt oberflächlich an der Stellschraube Zölibat zu drehen.“
(faz 11.02.2011 sk)
Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und
schon hat uns Ihre Post erreicht.