Karl-Heinz Ohlig
Die Kritik eines Kardinals
Zum Memorandum der katholischen Theologen

Das Memorandum katholischer Theologen im deutschsprachigen Raum benennt Defizite der heutigen Katholischen Kirche und macht Vorschläge zur Korrektur. Dass so viele unterschrieben haben, ist ein Zeichen für den Ernst der Lage und die Sorge um die Zukunft des kirchlichen Lebens, nicht nur hierzulande.

Natürlich hätte wohl jeder Unterzeichnete das Memorandum ein wenig anders geschrieben oder auch weitere Themen angesprochen. Das ist immer so bei Textvorlagen. Da das Memorandum auch noch gelesen werden sollte, musste der Text kurz sein. Er konnte nicht alle Probleme aufgreifen, die es darüber hinaus auch noch gibt.
Deswegen ist die Reaktion von Walter Kardinal Kasper, die er in der FAZ vom 11.02.11 (S.9) geäußert hat, völlig unverständlich. Er ist von dem Memorandum „maßlos enttäuscht“, weil nicht die heutige „Gotteskrise“ in den Vordergrund gestellt wurde und die „Freiheit des Evangeliums“ – im Memorandum mehrmals genannt – nicht ernsthaft in die Argumentation eingegangen sei (wohl anders als in Rom?).

Wie Recht er hat. Es ließen sich noch weitere Problemkreise benennen, die ebenfalls die Rezeption des Christentums in der Moderne behindern und somit zur „Krise der Kirche“ beitragen, z.B. – um die Gotteskrise aufzugreifen – das naive mythische Reden etwa zur Trinitätslehre oder zum Gottsein Jesu, aber auch der päpstliche Primat und erst recht der Unfehlbarkeitsanspruch usw. usw. Hier wäre vieles zu reflektieren. Bis alles das ausdiskutiert und eine Verkündigungssprache gefunden ist, die dem Glauben an Gott und der Nachfolge Jesu – ohnehin schon nicht so ganz leicht – zusätzliche Hindernisse in den Weg legt, dürften Jahrhunderte vergehen, wenn dieses Ziel überhaupt erreichbar sein sollte.

Und viele der Theologen, die das Memorandum unterschrieben haben, beschäftigen sich durchaus schon immer mit diesen Problemen und haben dazu auch publiziert. Aber ist es richtig – und der Freiheit des Evangeliums nicht abträglich –, wenn sie hierfür mit Lehrzuchtverfahren überzogen werden oder bei Besetzungen von Lehrstühlen seitens Roms die Kandidaten penibel daraufhin überprüft werden, ob sie möglicherweise in diesem Sinn tätig werden könnten? Ist es da nicht nahe liegend und notwendig – wie im Memorandum geschehen – andere, mehr gremiale Strukturen der Kirche, eine neue Rechtskultur mit Rechtsschutz und eine Verwaltungsgerichtsbarkeit zu fordern?

Das löst zwar nicht die Gottesfrage, sie bleibt uns immer als das zentrale Problem erhalten. Aber es könnte unnötiger Ballast vermieden werden, der es oft beinahe unmöglich macht, diese Frage so aufzugreifen und zu diskutieren, dass die Solidarität mit allen Suchenden erkennbar wird und Überlegungen dazu nicht als Indoktrinationsversuche wahrgenommen werden, weil ein katholischer Theologe ja das oder jenes „sagen muss“.

Und der Freiheit des Evangeliums täte es nun wirklich gut, wenn sie in den kirchlichen Strukturen und im Umgang der Hierarchen mit ihren Untertanen ein wenig besser erkennbar wäre. Oder meint Kasper, sie sei am Besten nach dem Modell von (päpstlicher) Macht und Gehorsam realisiert? Oder soll diese Freiheit soweit theologisiert werden, dass sie keine empirischen Implikationen mehr hat und schadlos von einem römischen Kardinal ins Feld geführt werden kann?

Ein dritter Kritikpunkt Walter Kaspers ist die Zölibatsfrage. Diese, so wirft er den Unterzeichnern des Memorandums vor, sei mittlerweile „international exegetisch und historisch mit Ergebnissen diskutiert worden, die es nicht mehr erlauben, die alten Argumente (gegen den Zölibat, Verf.) einfach zu wiederholen“; zudem hätten drei Weltbischofssynoden „für die Beibehaltung der priesterlichen Ehelosigkeit votiert“, so dass diese Entscheidungen anzuerkennen seien, auch „wenn man selbst eine andere Lösung bevorzugt hätte.“

Tatsächlich aber haben die internationalen Diskussionen leider nicht ein einziges exegetisch oder historisch oder kirchenpraktisch plausibles Argument hervorgebracht, mit dem die „alten Argumente“ für den Zölibat begründet werden könnten. Trotzdem werden sie immer neu, als wäre nichts geschehen und als fordere nicht zusätzlich die beschämende Realität in diesem Punkt, hier etwas zu ändern, mit „frommem“ Enthusiasmus wiederholt, so dass viele Theologen es mittlerweile für müßig halten, dagegen immer wieder mit denselben Überlegungen zu argumentieren. Es ist alles gesagt.

Und das Argument Kaspers, dass sich drei Bischofssynoden für die Beibehaltung des Zölibats ausgesprochen haben, würde nur zählen, wenn diese von den Katholiken als ihre Repräsentation angesehen würden. Gesetze, die nach öffentlicher Diskussion ein Parlament mit Mehrheit beschlossen hat, muss man akzeptieren, falls sie nicht – was juristisch überprüft werden kann – gegen Menschenrechte oder sonstige Verfassungsgrundsätze verstoßen. Wer aber hat die römischen Bischofssynoden legitimiert, wer gibt ihnen Thematik und Tagesordnung vor, wer diszipliniert ihre Teilnehmer, wenn sie eigene Vorstellungen zu äußern wagen, wer hat das alleinige Recht, ihre „Beschlüsse“ gültig zu machen? Gibt es die Möglichkeit eines Überprüfungsverfahrens? Und: werden sie überhaupt wahrgenommen?

Nun gilt ja Walter Kasper noch als relativ „liberaler Kardinal“. Wie sieht erst die Kritik seitens der (zahlreichen) Hardliner in Rom aus? Mit anderen Worten: das Memorandum hat nicht die geringste Chance, etwas in der Kirche zu verändern – das war vielen Unterzeichnern von vorneherein klar. Dennoch ist es wichtig, dass es geschrieben wurde und diskutiert wird. Es zeigt, dass es noch Reste von Eigenverantwortung gibt und nicht alle blind und stumm die Fehlentwicklungen akzeptieren. Vielleicht greifen künftige Zeiten einmal, wenn es dann nicht schon zu spät ist, auf solche Gedanken zurück.


Dazu eine weitere Stellungnahme:

Die (Fehl-) Einsichten eines Kardinals

In der Debatte über den Reformappell katholischer Theologieprofessoren an ihre Kirche haben drei Schüler von Kurienkardinal Walter Kasper ihrem früheren Lehrer widersprochen. Die von Kasper ausgemachte „Gotteskrise“ sitze „nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Zentrum der Kirche selbst“, heißt es in einem Papier der Theologen Hans Kessler, Eberhard Schockenhoff und Peter Walter. Es wurde von der „Frankfurter Rundschau“ veröffentlicht. In der katholischen Kirche habe sich „ein großer Problemstau ergeben, der sich durch Nicht-Befassen und fortgesetztes Totschweigen nicht auflösen lässt“, so die drei Theologen. Es könne kaum bestritten werden, „dass die Kirche nach innen keineswegs eine Freiheitskultur ausgeprägt hat, wie andere gesellschaftliche Systeme sich dies zumindest als Ideal voraussetzen“. Von „Zutrauen in die Freiheit der Einzelnen“ sei nur solange etwas zu spüren, „wie es nicht ans Eingemachte geht“. Kessler ist emeritierter Professor für systematische Theologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Der Moraltheologe Schockenhoff und der Dogmatiker Walter sind Professoren an der Universität Freiburg. (kna)


© imprimatur Juni 2011
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