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Anpassung und Widerstand
Der Sündenfall der Kirche


Johannes Schmitt
Anpassung und Widerstand
Katholische Kirche und nationalsozialistischer Staat im Bistum Trier (1933-1945)

Bis heute ist das Verhältnis der katholischen Kirche zur nationalsozialistischen Bewegung und mehr noch zum nationalsozialistischen Staat ambivalent beurteilt.

Noch wohl weitgehend ungebrochen, allerdings schon brüchig geworden ist eine unmittelbar nach Kriegsende ausgebildete, gleichsam „apologetische“ Richtung: Diese sah in der katholischen Kirche das eigentlich einzige monolithische „Bollwerk“ gegen die Tyrannei und den Terror des NS, das, sich treu geblieben, seine Identität
über die „Katastrophe“ hinaus bewahrt habe. Als Höhepunkte diese „Widerstandes“ galten dann die klare und entschlossene Enzyklika „Mit brennender Sorge“ und die mutigen Predigten des „Löwen von Münster“, des Bischofs Graf von Galen, gegen die Euthanasie.

Aber heute hat sich, durch viele Einzeluntersuchungen untermauert, eine eher „kritische“ Richtung und Meinung angebahnt, die das Verhältnis der katholischen Kirche zum NS zwiespältig, weil zwischen „Anpassung“ und „Widerstand“ gewissermaßen oszillierend, wertend beschreibt. Betont wird dabei, dass der deutsche Episkopat sehr schnell die gegenüber dem NS vor 1933 formulierte Ablehnung aufgegeben und auf eine Bejahung der neuen Hitler-Regierung eingeschwenkt sei, wohl dabei durch das Angebot eines Konkordates gelockt, das dann auch, im Juli abgeschlossen, eine „Brücke“ zum NS-Staat zu bauen schien. Aber mit der Aushöhlung des Konkordates – Hitler rückte von der Garantie der Weiterexistenz aller nicht rein religiösen katholischen Vereine und Verbände ab – eröffneten Staat und Kirche den so genannten „Kirchenkampf“. Die Nationalsozialisten suchten die Kirche aus der Öffentlichkeit gewissermaßen in die „Sakristei“ zurückzudrängen und zu verbannen. Viele Priester leisteten dagegen Widerstand, wurden bestraft oder in KZs verbracht, fanden allerdings kaum Rückhalt bei ihren Kirchenoberen. Die Bischöfe beschränkten ihren Protest auf nur wenige Hirtenbriefe und auf Eingaben, die in der Öffentlichkeit so gut wie nicht bekannt geworden sind. Kein öffentlicher Protest, weder vom Papst noch den deutschen Bischöfen, wurde laut, als die europäischen Juden verfolgt und sechs Millionen überwiegend in den KZs und Vernichtungslagern getötet wurden. Auch schwiegen die Bischöfe, ja manche bekundeten sogar Zustimmung zum nationalsozialistischen Raub- und Rassekrieg.

Dass sich letztere Sicht oder Perspektive des Verhältnisses der katholischen Kirche zum NS-Staat sogar bis auf die Ebene eines Bistums gewissermaßen herunter brechen lässt, belegt augenfällig und evident die von Peter Brommer im Jahre 2009 edierte Quellensammlung:

Peter Brommer, Das Bistum Trier im Nationalsozialismus aus der Sicht von Partei und Staat (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 126), Mainz 2009.

Der Herausgeber hat 257 chronologisch geordnete Dokumente aus staatlichen Archiven gesammelt, allerdings eine immer noch lückenhafte Überlieferung, die indes durchaus als repräsentativ und exemplarisch gelten kann, aber kaum Spektakuläres bietet. Ein ausführliches Personen-, Orts- und Sachregister kann die Dokumentation erschließen. Den „Wert“ dieser überwiegend auf „den Berichterstattungen des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, der Regierungspräsidenten von Koblenz und Trier“, auch einzelner Landräte, schließlich „des SD Koblenz und der Stapo Koblenz und Trier“ aufruhenden Quellenedition beurteilt Peter Brommer als „sehr gut“, zudem die „unbedingte Zuverlässigkeit“ als durchaus beachtlich (S. 39).

Aber kaum geriet der seit 1922 in Trier amtierende Bischof Rudolf Bornewasser in den Lichtkegel dieser Berichterstattung, so dass seine bis heute umstrittene und kontrovers diskutierte Rolle bei der Heilig-Rock-Wallfahrt, schon in deutlichem Zusammenhang mit dem abgeschlossenen Konkordat, und seine Aktivitäten im Vorfeld der Saarabstimmung vom Januar 1935 weiter gewissermaßen „unaufgeklärt“ bleiben. Denn Bischof Bornewasser kann ohne Zweifel bis weit in das Jahr 1935 zu den Mitgliedern des deutschen Episkopats gezählt werden, die sich als „Brückenbauer“ zwischen dem NS-Staat und der katholischer Kirche verstanden und durchaus zu Zugeständnissen und Kompromissen mit dem Nationalsozialismus bereit und willens waren. Bis zu diesem Zeitpunkt vertraute auch Bischof Bornewasser noch darauf, dass der „Führer und Reichskanzler“ – wie der Bischof noch im März 1935 auf einer Kundgebung in Saarbrücken betonte und hervorhob – „die christliche Religion zur Grundlage des Volkstums machen“ wolle (S. 157).

Aber schon zu diesem Zeitpunkt war längst eröffnet, was man später den „Kirchenkampf“ nannte: Denn Hitler war nicht bereit, der katholischen Kirche eine Bestandsgarantie für ihre Vereine und Verbände zu geben, wie es sich die Kirche bei Abschluss des Konkordates erhofft hatte. Nur „religiöse“ Funktionen – und das war von Seiten der Behörden und Parteistellen sehr eng auszulegen – sollten zugelassen werden. Diese waren zudem weitestgehend aus der Öffentlichkeit verbannt und in die kirchlichen Räume verwiesen: Die katholische Kirche war gewissermaßen in die „Sakristei“ zurückgedrängt. Wallfahrten wurden nur sehr restriktiv genehmigt, im Krieg dann ganz verboten. Vielerorts waren nur noch bis zum Krieg die Fronleichnamsprozessionen Bekundungen und Demonstration des Religiösen in der Öffentlichkeit, so auch ein Protest gegen das totalitäre Regime, allerdings sehr oft von Parteispitzeln beobachtet und registriert.

Eine stattliche Anzahl von Priestern, denen das Konkordat jede Möglichkeit genommen hatte, sich „politisch“ gegen das Regime zu äußern, wurde – und dafür gibt es eine Fülle von Dokumenten – bespitzelt, denunziert, vor Gericht gestellt, verurteilt oder in ein KZ verbracht. Denn sie waren nicht bereit, sich anzupassen, übten Kritik in der Kirche, auch in der Öffentlichkeit oder im Religionsunterricht, verweigerten den Hitlergruß und ließen nicht, wie vorgeschrieben, die Glocken läuten und kirchliche Gebäude beflaggen.

Bei ihrem Diözesanbischof Bornewasser fanden sie kaum Unterstützung und Hilfe, und diesem wurde – so Peter Brommer – „nicht ganz zu Unrecht“ „vorgeworfen, sich nicht immer hinreichend genug vor seinen Klerus gestellt zu haben“ (S. 41). Auch die neue Dokumentensammlung kann den Bischof in dieser Hinsicht nicht entlasten.

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Paul M. Müller:
Der Sündenfall der Kirche
Michael Albus/Ludwig Brüggemann (Hg.)
Hände weg! Sexuelle Gewalt in der Kirche, 256 Seiten, Verlag Butzon und Bercker, Kevelaer 2011


Das Buch beleuchtet ein Thema, das über viele Jahre in der Kirche verdrängt und verschwiegen wurde, den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Personen, die im Dienst der Kirche stehen. Aber durch einen Brief wurde der Bann des Schweigens gebrochen. Im Januar 2010 trat der Jesuitenpater Klaus Mertes, zu dieser Zeit Rektor des Canisius-Kollegs, (Jesuitengymnasium in Berlin) mit einem mutigen Brief an die Öffentlichkeit. Er wandte sich an 600 ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs der 70er und 80er Jahre, nachdem Schüler dieser Jahrgänge wegen sexueller Übergriffe durch Lehrer des Kollegs bei ihm vorstellig geworden waren. Der Brief ist mit leichten Kürzungen in „Hände weg“ abgedruckt. U.a. schrieb Klaus Mertes an seine Ehemaligen: „Neben der Scham und der Erschütterung über das Ausmaß des Missbrauchs in jedem einzelnen Fall und in der - bisher sichtbaren - Anhäufung müssen wir uns seitens des Kollegs die Aufgabe stellen, wie wir es verhindern können, heute durch Wegschauen wieder mitschuldig zu werden… Das ist eine Herausforderung für die persönliche Zivilcourage jedes Einzelnen wie auch die Überprüfung der Strukturen“. (13)

Bei der Forderung von Klaus Mertes, kirchliche Strukturen, welche sexuelle Übergriffe begünstigen, zu überprüfen, setzt auch die Kernthese des Buches von Karl Albus und Ludwig Brüggemann an. Die einzelnen Beiträge können hinreichend belegen, wie sehr die sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche nicht nur ein abscheuliches Vergehen Einzelner ist, sondern auch ein Fehler des kirchlichen Systems. Die unterschiedlichen Ansätze der Beiträge führen in ihrer Analyse des sexuellen Missbrauchs in der Kirche zum gleichen Ergebnis. Aber auch die individuellen Voraussetzungen des Missbrauchs werden neben den kirchlich-strukturellen Bedingungen kritisch untersucht.

Engagiert und zugleich mit kritischer Distanz behandeln renommierte, zum Teil auch persönlich betroffene Autoren, das Problem des sexuellen Missbrauchs im Rahmen der Kirche. Die Einzelbeiträge behandeln Themenbereiche wie Macht und Missbrauch, Missbrauch und Rolle, Homophobie und Homosexualität, Priesterbild und Priesterausbildung und die katholische Sexuallehre. Mit 13 Einzelbeiträgen auf 239 Seiten wird das bedrückende Thema des sexuellen Missbrauchs umfassend abgehandelt und beleuchtet. Diese kritische Analyse des Problems der sexuellen Übergriffe im Raum der Kirche will den Leser aus der Situation der bloßen Betroffenheit herausführen und hinführen zu einer distanzierten Betrachtung des belastenden komplexen Themas.

In einem Anhang mit Anmerkungen und Literaturhinweisen, mit der Vorstellung der Autoren, mit Quellenangaben, Adressen, Informationen findet der Leser weitere sachliche Orientierung, der durch sexuelle Übergriffe Betroffene konkrete Hilfen. Der Band ist darüber hinaus bemüht, die befreiende Funktion der christlichen Botschaft besonders für solche, die die persönliche Erfahrung sexueller Gewalt in die Enge getrieben hat, fruchtbar werden zu lassen. Man kann nur hoffen, dass niemand sich vom Umschlagmotiv „Ehrenmänner“ (zwei finster blickende Kleriker) abschrecken lässt, das Buch in die Hand zu nehmen und zu lesen.

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© imprimatur Juni 2011


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