„Wir, des großen Führers gezeichnet Verschworene“ – so dichtete und so verstand sich einst Luise Rinser als junge BDM-Führerin und Nazi-Ausbilderin von Lehrerinnen. Das ist jetzt in der zu ihrem 100. Geburtstag erschienenen Biographie des spanischen Philosophen José Sánchez de Murillo zu lesen. Neu ist diese Entlarvung der katholischen Dichterin als leidenschaftliche Hitleranhängerin allerdings nicht. Bereits in den siebziger Jahren hat man ihr diese euphorischen Hymnen auf den „Führer“ vorgehalten, die sie in der Blut- und Boden-Zeitschrift Herdfeuer veröffentlicht hatte. Doch sie erinnerte sich nicht mehr. Ihr Biograf, der zuletzt mit ihr befreundet war, legt dieses belastende Material offen, versucht sie aber gleichzeitig zu entlasten mit dem Verweis auf Hitlers dämonische Verführungskünste, der viele Deutsche erlegen seien: „Wie eine Schlange lauerte er seiner Beute auf und biss zu, wenn er ihrer sicher war.“ Hätte Luise Rinser, wäre sie 100 Jahre alt geworden, diese Entschuldigung gelten lassen können? Sie behauptete von sich, „keine hysterische Betschwester“ zu sein, nein, sie besitze „einen handfesten bayrischen Verstand“. Sollte sie bloß eine von der Hitlerschlange emotional verführte schwache Eva gewesen sein oder hat sie nicht doch die Hitlerbegeisterung durch ihr Sprachtalent mitgesteuert? „Kühl, hart und wissend ist dies wahre Geschlecht, /Nüchtern, und heiliger Trunkenheit voll. /Tod oder Leben, ein Rausch, gilt uns gleich - /Wir sind Deutschlands brennendes Blut!“ Hier geriet ihr die Sprache außer Kontrolle. Gilt das auch für ihr Handeln, als sie ihren jüdischen Schulleiter verriet? Andererseits war sie selbst bis zum Ende des Krieges eine Denunzierte und wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt und inhaftiert, weil sie ihrer Freundin nahegelegt hatte, ihrem Mann zur Desertion zu raten. Einem ihrer Bekannten, dem UFA Regisseur Karl Ritter, ein Freund Goebbels, gelang es, den Prozess bis Kriegsende zu verschleppen. (Gefängnis-Tagebuch, 1946)
„Revolutionärin und Nonne“
„Ein Leben in Widersprüchen“, so betitelt Sánchez de Murillo seine Biographie über Luise Rinser. Vielleicht ist damit das Grundmuster ihres Lebens wie auch aller Beurteilungen ihrer Person und ihres Werkes erfasst. Wollte sie nicht „Revolutionärin und Nonne sein“! Mit dem Ehrgeiz, ihre Kräfte als Frau auszuschöpfen, wurde sie eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur und, wie bei Heinrich Böll, erlangten ihre im katholischen Umfeld entstandenen Kurzgeschichten (Ein Bündel weißer Narzissen, 1956; darin Die rote Katze von 1948) und Romane weltweite Bedeutung. Eine geborene Erzählerin, urteilen die einen, Erbauungsliteratur und „furchtbarer Kitsch“ (Reich-Ranicki) die anderen. Sie selber versicherte, sie schreibe nie Literatur, sondern „immer persönliche Bekenntnisse“. Als selbstbewusste Frau rebellierte sie gegen die männlich eingeengte Rollenvorstellung. Sie hielt sich nicht an das Heiratsverbot für Lehrerinnen und machte sich auf die Suche nach einem neuen Frauenbild. In einem Roman entwirft sie den Typ der selbstbestimmten Frau (Mitte des Lebens, 1950) und nimmt ihn im nächsten wieder zurück, indem sie den Verzicht einer Frau auf ihre Selbständigkeit um der Karriere ihres Mannes willen als christliche Liebestat feiert (Abenteuer der Tugend, 1957). Ende der 60er Jahre griff sie zur Form des Essays, um sich in die neu aufbrechenden Probleme dieser Zeit mit eigenen Positionen einzumischen (auch mit Kolumnen in der Frauenzeitschrift Für Sie). Sie engagiert sich politisch für Frieden, Gerechtigkeit und die Rechte der Frau, wird grüne Kandidatin für das Bundespräsidentenamt. 1967 analysierte sie in ihrem Essay Zölibat und Frau das patriarchalisch bestimmte kirchliche Frauenbild.
Jesus aus dem Blick einer Frau
Und dann erschien 1983 ihr vielbeachteter biblischer Roman Mirjam. Nicht theologisch argumentierend wollte sie das kirchliche Jesusbild korrigieren, sondern die Jesusgeschichte ganz neu erzählen aus der Sicht einer Frau, der Jüngerin und Auferstehungszeugin Maria Magdalena. Sie war zur Hure abgestempelt worden, um ihre Jüngerschaft wie die aller übrigen Frauen aus dem Gedächtnis zu tilgen. Nun darf sie aus vollem Herzen von ihrem geliebten Jesus erzählen. Das im Fischer-Verlag erschienene Buch wirkte auf uns katholische Frauen, die sich kirchlich nur als Zurückgesetzte erleben konnten, wie ein Befreiungsschlag. Ich durfte damals im Fernsehen der ARD als erste katholische Frau das „Wort zum Sonntag“ sprechen, in der Kirche musste ich schweigen, wie alle Frauen bis heute. Soeben wurde der Papst selig gesprochen, der den Ausschluss der Frau vom kirchlichen Amt zur dogmatisch festgelegten Rechtsnorm erklärt hat.
Fragen an die Mirjam-Autorin
Der Mirjam- Roman war wichtig in Bezug auf ein dynamischeres Frauenbild in der Kirche wie auch, um „abendländische Christen an ihre Jesusvergesslichkeit“ zu erinnern (so Franz Alt damals in Die Zeit). Heute aber, nach Erscheinen der neuen Biographie, erheben sich in mir Fragen, die bedacht werden wollen. Luise Rinser hat Maria von Magdala vom Ruf einer zweifelhaften Frau befreit und ist doch selber gegen Ende ihres Lebens in diesen Ruf geraten, insbesondere durch die Veröffentlichung ihrer Briefe an den Jesuiten Karl Rahner nach dessen Tod. In der Biographie erfährt man, dass sie zugleich eine Beziehung mit dem Benediktinerabt Johannes Maria Hoeck unterhielt und ihn in gleicher Weise bedrängte. Ihr Briefwechsel mit Ernst Jünger wird im Marbacher Archiv aufbewahrt. Ohne Frage war sie eine aufregende Frau mit einer Neigung zu starken Männern, die sie mit ihrer „Aura“ (so M. Kleeberg vor kurzem im Spiegel) zu gewinnen verstand Sie, die einst enthusiastische Hymnen auf den Führer schrieb, hat dem darin aufscheinendem Hang, sich der Führung mächtiger Männer auszuliefern, nie aufgegeben bis hin zur fragwürdigen Verehrung Ajatollah Chomeinis und des nordkoreanischen Diktators Kim II Sung, den sie als „väterliche Autorität“ empfand (Nordkoreanisches Reisetagebuch, 1982).
Nun glaubt ihr Biograph, das Ursprünglich-Katholische in ihr sei stärker gewesen als ihre Anfälligkeit für das Nazitum. Doch wäre durchaus zu fragen, ob nicht gerade das katholische Fluidum ihre Begeisterungsfähigkeit entfacht hat. Da ist die rauschhafte Sprache der Jesusverehrung und der totalen Hingabe an den Seelenführer. Jesus dir leb ich, /Jesus dir sterb ich, /Jesus dein bin ich /im Leben und im Tod. Dieses Lied, das mit den Worten endet: Führ uns, o Jesus, in deine Seligkeit, war ein zentrales Kultlied, bis es aus dem Gesangbuch gestrichen wurde. Auf der letzten Seite des Mirjam-Romans spricht Jesus: Hochreißen möchte ich den Menschen, bis in die Sphäre des Höchsten möchte ich ihn ziehen mit der Macht meiner Liebe. Dorthin muss er gelangen, denn von dorther stammt er. Mirjam, du wirst den Aufstieg leisten, die Menschheit wird ihn leisten, und du wirst bleiben, bis er geleistet ist und das Friedensreich sich gründet. Ist das nicht eine ideologisch austauschbare Sprache, die zur Verführung jedweder rauschhaften Fremdbestimmung benutzt werden kann. Mit der Braut Christi-Metapher wurden Frauen als Nonnen in einen emotionalen Hochraum erhoben, spirituell blieben sie aber von Priestern geführt und sind bis heute nicht in die religiöse Eigenständigkeit entlassen. Neigt nicht die katholische Kirche in ihrer Kultseligkeit zu einer rauschhaften Erlöserverehrung und Opferbegeisterung? Steuert sie nicht ihre Gläubigen in einen rauschhaften Papstkult, der den Menschen Jesus vergessen macht, der Frauen wie Männer in eine eigenständige Nachfolge gerufen hat.
Ist daher Luise Rinsers Neigung zur rauschhaften Sprache und zur fraulichen Unterwerfung unter männliche Führer nicht doch katholisch eingeübt? Diese Fragen stelle ich mir heute.
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