Norbert Scholl
Der Papst plant eine Neuevangelisierung – und wird damit scheitern
Der Plan und die ersten Schritte zur Durchführung

Ein „Motu proprio“ des Papstes

Im Oktober 2010 hat Papst Benedikt XVI. in einem von der Öffentlichkeit und auch von den kirchlichen Medien nahezu unbeachtet gebliebenen „Motu Proprio“ seinen Plan für eine „Neuevangelisierung“ bekannt gegeben. Die erscheint ihm notwendig, weil „eines der besonderen Merkmale unserer Zeit die Abkehr vom Glauben“ sei. Dadurch entstehe eine „innere Wüste“, in der sich der Mensch des „Fundamentes aller Dinge beraubt“ sehe. Als Therapie für diesen Zustand nennt Benedikt die „Verbreitung und Anwendung des päpstlichen Lehramtes“ und den „Gebrauch des Katechismus der Katholischen Kirche“. Ein weiteres Heilmittel sieht er darin, „die traditionelle christliche Volksfrömmigkeit und -religiosität lebendig zu erhalten.“ Zum Schluss betont er mit großem Nachdruck: „Wir wollen, dass Unsere durch dieses Motu Proprio gegebenen Bestimmungen jetzt und in Zukunft gültig und wirksam sein werden.

Ein neuer „Päpstlicher Rat“

Zur Förderung dieser Neuevangelisierung gründete Benedikt einen neuen „Päpstlichen Rat“, in den auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, und der Wiener Erzbischof, Kardinal Schönborn, berufen wurden.

Eine Welt-Bischofssynode zur Neuevangelisierung

Der Papst sieht in der Neuevangelisierung eine „große Herausforderung für die Gesamtkirche.“ Aus diesem Grund kam er zu dem Entschluss, die nächste Welt-Bischofssynode, die vom 7. bis 28. Oktober 2012 in Rom stattfinden soll, unter das Thema zu stellen: „Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens“. Die Synode soll alle Überlegungen aufgreifen, die bisher zum Thema gemacht wurden; sie soll „die aktuelle Situation der Ortskirchen studieren“ und dann – „in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., Bischof von Rom und Hirte der Gesamtkirche“ – „neue Möglichkeiten und Ausdrucksformen“ der Verkündigung umreißen.

Ein umfangreiches Papier zur Vorbereitung der Synode

Am 2. Februar 2011 sind die „Leitlinien“, die „Lineamenta“, für die Synode erschienen. Sie geben die Richtung vor für die Arbeit der Bischöfe während der Synode und enthalten eine Menge von Fragen zur Thematik, die die Bischöfe in ihren Heimatdiözesen beantworten und in die Diskussion während der Synode einbringen sollen. Die Neuevangelisierung, so wird klar herausgestellt, richtet sich vor allem an diejenigen „die sich in den Ländern mit alter christlicher Tradition von der Kirche entfernt haben.“ Damit das Vorhaben gelingen kann, „muss sich die Kirche durch das Handeln des Heiligen Geistes formen lassen.“ Sie „muss sich mit Fragestellungen, neuen Phänomenen, die es zu verstehen gilt, Praktiken, die korrigiert werden müssen, Wegen und Realitäten, denen auf neue Weise die Hoffnung des Evangeliums zu verkünden ist, auseinandersetzen.“

Die neue Evangelisierung, so betonten die Lineamenta, „ist keine Verdopplung der ersten, sie ist keine einfache Wiederholung, sondern der Mut, angesichts der gewandelten Voraussetzungen … neue Wege zu wagen.“ Der Text zitiert Papst Johannes Paul II.: „Die Kirche muss heute auf dem Gebiet der Evangelisierung einen großen Schritt nach vorne tun und in eine neue historische Etappe ihrer missionarischen Dynamik eintreten.“ Es ist erforderlich, „Formen des Dialogs zu schaffen, welche die tiefsten Erwartungen der Menschen und ihren Durst nach Gott auffangen. Jene Kühnheit erlaubt es, in diesen Zusammenhängen die Frage nach Gott zu stellen, die eigene Erfahrung der Suche mitzuteilen und über das Geschenk des Evangeliums Jesu Christi zu sprechen… Der Einsatz für den Frieden, die Entwicklung und die Befreiung der Völker; die Verbesserung der nationalen und weltweiten Regierungsformen; der Aufbau von möglichen Formen des gegenseitigen Hörens, des Zusammenlebens, des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen; der Schutz der Rechte der Menschen und der Völker, besonders der Minderheiten; die Förderung der Schwachen; der Schutz der Schöpfung und der Einsatz für die Zukunft unseres Planeten – all diese Themen und Sektoren sind mit dem Licht des Evangeliums zu erleuchten.“

Sehr prononciert betonen die Lineamenta: „Christsein und Kirche sind missionarisch oder sie sind nicht. Neue Evangelisierung ist daher ein Synonym für Mission.“ Die vielfach neu aufgebrochene Frage nach Gott verlangt es, „Formen und Instrumente zu suchen, um Reden von Gott erarbeiten zu können, welche in der Lage sind, die Erwartungen und die Befürchtungen der Menschen von heute aufzufangen.“ Die Lineamenta erinnern an die Worte Papst Pauls VI.: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind. […] Die Evangelisierung der Welt geschieht also vor allem durch das Verhalten, durch das Leben der Kirche, das heißt durch das gelebte Zeugnis der Treue zu Jesus, dem Herrn, durch das gelebte Zeugnis der Armut und inneren Loslösung und der Freiheit gegenüber den Mächten dieser Welt, kurz, der Heiligkeit.“ Die Lineamenta schließen mit dem Aufruf: „Gehen wir also die neue Evangelisierung mit Begeisterung an!“

Warum das Unternehmen scheitern wird

Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen, dass dem gesamten Unternehmen, so wie es jetzt geplant ist und durchgeführt werden soll, nicht der geringste Erfolg beschieden sein wird. Dafür sind mehrere Gründe ausschlaggebend:

Die im „Motu proprio“ genannten „Heilmittel“ sind ungeeignet

Der Papst nennt in seinem Motu proprio unter anderem den „Katechismus der Katholischen Kirche“, die „Verbreitung und Anwendung des päpstlichen Lehramtes“ und die Erhaltung der „traditionellen christlichen Volksfrömmigkeit und -religiosität“ als Mittel für das Gelingen der Neuevangelisierung. Doch dabei handelt es sich um denkbar ungeeignete Instrumente.

Der von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1993 herausgegebene „Katechismus der Katholischen Kirche“ stieß schon kurz nach seinem Erscheinen auf erheblichen Widerspruch aus allen Ecken der Kirche. Dem Buch wurde vorgeworfen, es handle sich hier um ein theologisch, exegetisch und didaktisch nicht mehr zeitgemäßes Werk, das auf die pure Wiederholung und Festschreibung der tradierten theologischen Begriffe abziele und das zu stark auf die Einhaltung einer formalen Rechtgläubigkeit angelegt sei. Er verlange, die Belehrungen und Weisungen des kirchlichen Lehramtes „willig anzunehmen“ und ihnen „Gehorsam des Willens und des Verstandes“ zu leisten. Der Katechismus habe Antworten auf Fragen gegeben, die von der Basis gar nicht (mehr) gestellt sind und die nicht zum Weiterdenken einladen, sondern zum Verharren im Altgewohnten. Er eröffne keine Horizonte, sondern verschließe sie eher durch dogmatische Grenzziehungen. Er wirke statisch, unbeweglich und bringe nichts in Bewegung. Es sei „ein Irrtum zu meinen, man könne Theologie in sich treiben und die Methode der Vermittlung nachträglich und unabhängig von den theologischen Inhalten entwickeln“ (Bischof Hemmerle).

Noch weit ungeeigneter für das Gelingen einer Neuevangelisierung dürfte die im Motu proprio genannte „Verbreitung und Anwendung des päpstlichen Lehramtes“ sein. Glaubt Benedikt XVI. wirklich, dass ein Papst, der für sein Amt die alleinige und uneingeschränkte Vollmacht zur Legislative, Judikative und Exekutive fordert, und dass ein päpstliches Lehramt, das in Sachen des Glaubens und der Moral als „unfehlbar“ zu gelten hat, in der heutigen Zeit von den potentiellen Adressaten der Neuevangelisierung auf Resonanz oder gar noch auf Akzeptanz stößt? Papst Paul VI. hatte immerhin so viel Mut, um einzugestehen, dass der Papst „das größte Hindernis auf dem Weg zum Ökumenismus ist.“

Und dass die Erhaltung der „traditionellen christlichen Volksfrömmigkeit und -religiosität“ ein wirksames Mittel für die Neu-Evangelisierung sein soll, erscheint wie ein Widerspruch in sich selbst. Wie kann die Erhaltung von etwas Altem gut sein für die Schaffung von Neuem?

Die Teilnehmer der Synode sind ausschließlich römisch-katholische Bischöfe

Noch steht es nicht fest, wer an der vom Papst für den Herbst 2012 einberufenen Welt-Bischofssynode teilnehmen wird. Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich sagen, dass es ausschließlich Bischöfe der römisch-katholischen Kirche sein werden. Wie aber kann eine Neuevangelisierung zum Erfolg führen, wenn die Vertreter der anderen christlichen Kirchen nicht eingeladen und in die Überlegungen einbezogen werden? Was soll das für eine Neuevangelisierung sein, wenn nur die eine Hälfte der von der Sache Jesu Begeisterten daran teilnehmen darf? Und bedeutet der damit indirekt erhobene Ausschließlichkeitsanspruch auf Neuevangelisierung nicht eine Brüskierung aller anderen christlichen Konfessionen? Sind sie etwa weniger für eine Neuevangelisierung geeignet? Werden sie nicht völlig zu Recht gegen eine solche Vereinnahmung des Evangeliums Sturm laufen? Hier bleibt die Ökumene auf der Strecke.

Es wäre auch zu fragen, ob zu einer Synode, bei der es um missionarisches Handeln geht, nicht wenigstens einige Beobachter aus anderen Welt-Religionen eingeladen werden sollten, um von vornherein allem Verdacht den Boden zu entziehen, es gehe bei der Neuevangelisierung letztlich um eine Wiederbelebung kirchlicher (bzw. römisch-katholischer) Missionstätigkeit im alten Stil.

Auf die Teilnahme von Fachleuten und Experten, die „Laien“ sind, wird verzichtet

Die Lineamenta nennen verschiedene Szenarien, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind - soziale, kulturelle, wirtschaftliche, wissenschaftliche, politische und religiöse. Sie sollen nach den Vorstellungen der Lineamenta in ihrer Bedeutung genauer bestimmt und analysiert werden, „damit sie zu Orten der Bezeugung und Verkündigung des Evangeliums umgeformt werden können.“ Völlig zu Recht erwähnen die Lineamenta, dass angesichts dieser Veränderungen eine „gewisse Unsicherheit und Angst besteht, vergleichbar mit Umbrüchen, die unsere Identität und unseren Glauben von den Grundlagen her in Frage stellen.“ Hier „können die Christen im Bereich ihrer Kenntnisse und ihrer Erfahrungen arbeiten, mit den anderen Menschen ins Gespräch kommen, herausfinden, was sie der Welt als Gabe anbieten können, was sie mitteilen können, was sie übernehmen können, um diese Hoffnung immer besser zum Ausdruck zu bringen, und welchen Elementen gegenüber Widerstand angebracht ist. Die neuen Szenarien, mit denen uns auseinanderzusetzen wir aufgerufen sind, erfordern es, eine kritische Sicht der Lebensstile, der Strukturen des Denkens und der Werte, der in der Kommunikation gebräuchlichen Sprache zu entwickeln. Eine Kritik, die gleichzeitig eine Selbstkritik des modernen Christentums darstellt, das immer neu lernen muss, sich ausgehend von den eigenen Wurzeln selbst zu verstehen.“

Angesichts dieser Situation fragt man sich, ob wohl für die Synode auch „Laien“ eingeladen werden, die als Fachleute für die verschiedenen Szenarien wichtige Hinweise für die Neuevangelisierung liefern könnten. Niemand kann es den Bischöfen verübeln, wenn sie sich nicht in allen der genannten Szenarien auskennen. Wohl aber ist es unverständlich, wenn sie auf die Kompetenz und das Wissen von Experten nur deswegen glauben verzichten zu können, weil sie „Laien“ oder gar außerdem noch Frauen sind.

Was den Plan und seine Durchführung vielleicht doch noch zum Erfolg führen könnte

Der Plan des Papstes zu einer Neuevangelisierung „in den Ländern mit alter christlicher Tradition“ ist sicher zu begrüßen. Auch seine Idee, dass sich die nächste Welt-Bischofssynode mit diesem Thema befassen soll. Die dafür zur Vorbereitung erstellten Lineamenta enthalten wichtige und weiterführende Gedanken. Aber wenn das ganze wichtige Unternehmen so durchgeführt werden soll, wie es jetzt geplant ist, wird es nicht zu dem gewünschten und erhofften Erfolg führen.

Um eine wirkliche Neu-Evangelisierung doch noch gelingen zu lassen, ist es erforderlich, sich ernsthaft auf die Wurzeln des Christentums, auf das Evangelium, zu besinnen und zu fragen, wie die dort enthaltenen Vorgaben und Maßgaben in die heutige Zeit zu übersetzen sind und welcher Ballast, der sich im Lauf der Jahrhunderte angesammelt hat, abzuwerfen ist. Wie muss die Gestalt der Kirche, wie muss das kirchliche Amt, wie muss die Verkündigung der Botschaft Jesu, wie muss christliches Leben heute aussehen?

Wie steht es doch in den Lineamenta? „Die neue Evangelisierung ist eine Haltung, ein mutiger Stil. Sie erfordert die Fähigkeit, neu anzufangen, Grenzen zu überschreiten, die Horizonte zu erweitern. Die neue Evangelisierung ist das Gegenteil der Selbstgenügsamkeit, des Sich-zurück-Ziehens auf sich selbst, der Mentalität des status quo und einer pastoralen Konzeption, die es für ausreichend erachtet, dass alles so weiterläuft, wie man es bisher gemacht hat. Das ,business as usual’ reicht heute nicht mehr.“


© imprimatur Juni 2011
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