Erhard Bertel
Kirchenreform – Rolle rückwärts?

In der öffentlichen Auseinandersetzung um den richtigen Weg, den die katholische Kirche gehen sollte, um ihre desaströse Situation zum Besseren zu wenden, melden sich neben den Theologen, die das „Memorandum“ verfasst haben, auch Theologen zu Wort, die papsttreu und der Tradition verhaftet, Vorschläge zur Reform machen.
Zu ihnen gehört der Pastoraltheologe der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, Dr. Andreas Wollbold (Jahrgang 1960).

In zwei Veröffentlichungen aus letzter Zeit hat er auf seine Vorschläge aufmerksam gemacht, die wir unserer Leserschaft vorstellen möchten.

In einem Interview mit „Die Tagespost“ vom 29.01.2011 äußert er sich zum Zölibat:

"Der Zölibat ist der Schatz der Kirche". Abschaffung des Zölibats ist wie kirchliche Selbstaufgabe.

Auf die Frage: Erzwingt der Priestermangel die Aufgabe des priesterlichen Zölibats? antwortet Wollbold:

Nein, ganz im Gegenteil. Der pastorale Notstand der Gemeinden ist ein Glaubensnotstand, ein Notstand an gelebter Hingabe unter den Gläubigen. Und diesem Notstand kann man nur mit mehr Zölibat, das heißt mit mehr Gesinnung der Ganzhingabe begegnen, nicht durch Abschaffung dieses Zeichens der Hingabe.

Sie würden also sagen, es gibt hierzulande zunächst einen Gläubigenmangel und keinen Priestermangel?

In einem gewissen Sinne schon. Denn der Ruf etwa der CDU-Politiker zur Aufhebung des Zölibates im Blick auf möglichst viele Sonntagsmessen kommt einer Problemverdrängung gleich. Ein "Weiter so!" um jeden Preis hat schon ganz dicke Tomaten auf den Augen. Das ist ein Traditionalismus der 70er Jahre. Es ist uns nämlich in den letzten fünfzig Jahren nicht gelungen, die junge oder auch nur die mittlere Generation in der regelmäßigen Eucharistiefeier zu beheimaten.

Ganze Generationen und inzwischen auch ganze Milieus fallen in den Pfarreien weitgehend aus. Nicht zuletzt wegen der Mängel in der Katechese. Viele Menschen haben gar keine Sehnsucht nach der Eucharistie. Wir erkennen heute auch deutlicher als noch vor wenigen Jahrzehnten die unverkennbaren Schwächen der Liturgiereform selbst. Faktisch trug sie doch dazu bei, dass die Liturgie bloß als Veranstaltung von Menschen für Menschen wahrgenommen wird. Und da geht man eben nur hin, wenn es einem etwas bringt und wenn es einem passt.

Auf die Frage, ob nicht doch die „viri probati“ ein Weg seien, das Recht der Gemeinde auf die Eucharistiefeier zu ermöglichen, sagt Wollbold:

Es gibt nicht im eigentlichen Sinn ein Recht der Gemeinden auf die Eucharistie. Es gibt die Pflicht der Gläubigen, sonntags an der Messfeier teilzunehmen. Aber hier fangen ja die Probleme an. Selbst Gemeindeverbundene lassen die Messe oft leichtfertig ausfallen. Insofern ist es das Entscheidende, dass die Gläubigen verinnerlichen, dass die Kirche vom eucharistischen Opfer Christi lebt. Wenn wir das verstanden haben, dann kommt es nicht darauf an, ob der nächste Kirchturm in Sichtweite ist oder ob wir vielleicht ein paar Kilometer fahren müssen, um am Gottesdienst teilnehmen zu können. Das sollte uns die heilige Messe wert sein. Wenn man den Politiker-Brief liest, dann steht dahinter das Konzept von Gemeinde als Dreh- und Angelpunkt kirchlichen Lebens. Inwiefern ist denn diese Vorstellung eine katholische?

Noch einmal zum Zölibat befragt: Wie kann man dem mangelnden Verständnis auch vieler Kirchgänger gegenüber der priesterlichen Ehelosigkeit als geistlichem Verweiszeichen denn begegnen?

Gerade die augenblicklichen Diskussionen bis tief in den säkularen Bereich hinein zeigen, dass der Zölibat sehr wohl als Zeichen verstanden wird. Als Zeichen des Widerspruchs, als Ärgernis, gewiss. Aber das ist mit dem Kreuz nicht anders. Wie dieses kann der Zölibat nur verstanden werden, wenn ein Mensch gläubig auf das Himmelreich ausgerichtet ist. Diese übernatürliche Sichtweise ist aber nicht nur in den weltlichen Medien, sondern auch bis weit in den institutionell verfassten Katholizismus hinein nicht mehr vorhanden. Das heißt, das mangelnde Verständnis für den Zölibat unter den Gläubigen ist ein Seismograph für die tiefe Glaubenskrise unserer Zeit.

Wieder angesprochen auf die „viri probati“, die zur Lösung des derzeitigen Problems hilfreich sein könnten:

Ganz und gar nicht. Das hieße, Quantität über Qualität zu stellen. Die Qualität, nämlich die spezifische Physiognomie gerade der katholischen Kirche, ist auf das engste mit dem Zölibat des Weltpriesters verbunden. Es ist eigenartig, dass bei vielen Wortmeldungen der letzten Zeit der Stand der wissenschaftlichen Zölibats-Forschung kaum beachtet wird. Wir wissen heute, dass der Zölibat des Weltpriesters, zumindest als Enthaltsamkeits-Zölibat, apostolischen Ursprungs ist und auf die Praxis und Weisung des Herrn selbst zurückgeht. Das ist keine Kleinigkeit….

Die römisch-katholische Kirche ist heute die einzige, die diese Tradition unversehrt bewahrt hat. Der Zölibat ist ihr Stolz, ist ihr spezifischer Schatz, den sie wie einen Augapfel hüten muss. Gerade mit diesem Schatz wird sie die Menschen immer wieder zu Gott erheben. Wenn die katholische Kirche diesen Schatz aufgeben würde, würde sie sich selber und sicher auch wesentliche Elemente des Amtspriestertums fast zwangsläufig mit aufgeben…..

Die amerikanischen Religionssoziologen Stark und Finke haben überzeugend den Zusammenhang zwischen dem nachkonziliar verflachten Priesterbild und dem Rückgang von Berufungen nachgewiesen. Das fängt mit äußeren Zeichen an: Dort, wo der Priester bewusst Zivilkleidung trägt, signalisiert er, dass er ein Mensch wie jeder andere sein will. Folgerichtig will man den Vorrang und die Unverzichtbarkeit dieser Berufung nicht mehr betonen und darum beten. Das hat lebenspraktisch zur Folge, dass man Priester, besonders Pfarrer, wie abhängige Angestellte einer bischöflichen Verwaltung behandelt, sodass sie den Eindruck haben müssen, ihre Lebenshingabe wird gar nicht wertgeschätzt. All das sind starke Signale, dass man trotz aller Lippenbekenntnisse zu unseren Priestern davon ausgehen muss: Das Priestertum gehört zu den Verlierern der nachkonziliaren Zeit.

In einem Eintrag in „kreuz.net“ heißt es:

„Der Mann weiß, wovon er spricht. Wollbold dürfte sich damit auskennen, dass die Gläubigen schon mal ins Auto steigen, um in einer anderen Pfarrei an der Eucharistiefeier teilzunehmen. Immerhin ist das in den ihm anvertrauten Pfarreien so der Fall, er hat die Anzahl der einheimischen Kirchenbesucher, die dort schon seit Generationen zur Kirche gehen, schlagartig mit seinem pastoralen Wirken gesenkt.
Die Abnahme der Gläubigen kennt er aus erster Hand. Besonders bei den tridentinischen Messen darf er mit einem Rückgang von 50 Gottesdienstbesuchern auf 5 rechnen.
Da hilft es wenig, dass ein paar fromme Pilger aus anderen Landkreisen zu ihm und seinen Originalmessen wallfahren.
So nimmt es auch nicht Wunder, dass er die Ortskirche verachtet, hat er sie doch in den letzten Jahren vor Ort segensreich geleert.“

Eine weitere Veröffentlichung erschien in „Academia – Zeitschrift des Cartellverbandes der katholischen deutschen Studentenverbindungen, 3/2010, 103. Jahrgang, 216-218“ zum Thema der Zulassung der „alten Liturgie“ durch Papst Benedikt XVI. Diese sei

Eine Sternstunde der katholischen Kirche.

Stefan Zweig hat die „Sternstunden der Menschheit“ beschrieben. Das sind Ereignisse, in denen Epoche gemacht wird. Eine solche Sternstunde der katholischen Kirche stellt der 7. Juli 2007 dar. An diesem Tag wurde das Apostolische Schreiben „Summorum Pontificum“ von Papst Benedikt XVI. der Kirche übergeben. Dieser Tag dürfte einmal zu den entscheidenden Daten der Kirchengeschichte des 21. Jahrhunderts gerechnet werden. Wie alles Große im Reich Gottes fängt es aber klein und unscheinbar an wie ein Senfkorn. Darum muss man schon genau hinschauen, um seine Bedeutung zu ermessen.
Das Wichtigste erklärt der Papst gleich zu Beginn: Das bis zum 2. Vatikanischen Konzil gebrauchte Messbuch war niemals abgeschafft. Diese Aussage überraschte selbst viele Freunde der alten Liturgie. War das nicht ihre leidvolle Erfahrung, dass das Alte über Jahrzehnte hinweg verboten und verdrängt gewesen war? In der Tat zeigt jedoch eine genaue Lektüre der Apostolischen Konstitution „Missale Romanum“ (1969) von Papst Paul VI.: Er wollte nur die rechtlichen Möglichkeiten für die Feier nach dem neuen Messbuch eröffnen, hat damit aber keineswegs auch das alte Messbuch für null und nichtig erklärt. „Hier ist die Kontinuität der Entwicklung durchaus ausgedrückt, die aber in der faktischen Einführung und Durchführung in der Kirche nicht zur Geltung gebracht wurde“, schreibt Joseph Ratzinger dazu in „Aus meinem Leben“. Genau dies aber war die allgemeine Meinung bis zum 7. Juli 2007: Das neue Messbuch hat das alte schlichtweg ersetzt.

Dabei handelt es sich um alles andere als juristische Spitzfindigkeiten. Benedikt XVI. unterscheidet dagegen klar: Es gibt den einen, unveränderlichen, vom Heiligen Geist der Kirche anvertrauten Ritus, und es gibt daneben den „usus“, den konkreten Gebrauch und die Verwirklichung dieses Ritus. Nur der „usus“ kann Gegenstand von Reformen und Anpassungen sein. Der Ritus selbst dagegen ist nicht von Menschen gemacht, sondern gottgegeben. Denn den wahren, wohlgefälligen und würdigen Gottesdienst kann nur Gott selbst offenbaren…..

Vor allem aber konnte ein Ideal der Liturgischen Bewegung kaum verwirklicht werden: „die Messe beten“. Selbst viele treue Kirchgänger sind zwar gewohnt mitzumachen, aber bis auf wenige Momente nach dem Kommunionempfang beten sie nicht eigentlich bei der Messe. Oder sie bemerken über einen Priester, den sie an einem Wallfahrtsort kniend gesehen haben: „Das ist ja schön, dass wir ihn auch einmal betend erlebt haben.“ Betet er denn nicht bei der Messe? Es gibt schon zu denken, dass vielerorts weder Priester noch Gläubige nach dem Ende der Feier betend in der Kirche verweilen. Es wirkt vielmehr wie nach einem Konzert. Wenn der Applaus verrauscht ist, geht man zu angeregter Unterhaltung über.

Mit solchen Anfragen ist zum ersten Mal seit dem Konzilsende der Zeitpunkt gegeben, an dem nüchtern über die Früchte der Liturgiereform nachgedacht werden muss. Welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollen, gehört zu den schwierigsten und wohl auch leidenschaftlichsten Zukunftsfragen der katholischen Kirche. Sie brauchen an dieser Stelle nicht diskutiert zu werden. Aber man versteht, warum „Summorum Pontificum“ auf ein so gewaltiges Echo gestoßen ist. Schon jetzt ist es ein Verdienst dieses Schreibens, dass Fragen wie die Zelebrationsrichtung erstmals offen diskutiert werden können, die zuvor weitgehend tabu waren…..

Bitten um Messfeiern in der alten Form werden weiterhin mancherorts verschleppt oder verworfen, und ihre eigene Rechtgläubigkeit wird in Frage gestellt. Es ist schon paradox: Während in einer „langen Nacht der Kirchen“ das Haus Gottes zu Tango geöffnet wird, sitzt die liturgische Form vieler Jahrhunderte wie ein Bettler vor dem Portal. Dabei haben sich Befürchtungen weitgehend als unbegründet herausgestellt. Wie vom Heiligen Vater vorhergesehen, ist es fast nirgendwo „zu Unruhen oder gar zu Spaltungen in den Gemeinden“ gekommen. Widerstände gibt es interessanterweise am ehesten von Hauptamtlichen oder von Laiengremien, oft jedoch mit Hilfe von Unterstellungen und Vorverurteilungen. Auch wenn es nicht belegt werden kann, scheint der Eindruck nicht unbegründet, dass Polemik gegen die „alte“ Messe am ehesten von denen ausgeht, die selbst ein eher lockeres Verhältnis zur Eucharistie haben. So können die meisten von denen, die in den letzten Jahren die alte Liturgie entdeckt haben, die Wahrheit der Aussage Joseph Ratzingers von 1997 nur bestätigen: „Darum kann ich nur immer wieder mit Nachdruck sagen, dass diese ,Exkommunikation’ des alten Missale aufhören muss, auch gerade um der rechten Aneignung des neuen willen.“….

Die eigentliche Seele der Liturgie ist die Kontemplation. Sie will hören, aber auch schweigen; schauen, aber auch das Verborgene verehren; verstehen, sich aber auch vor dem Geheimnis verneigen. Denn nur aus dem Schweigen heraus kann von Gott gesprochen werden, nur aus der Demut des Nichtwissens kann der Glaube gelernt werden, nur aus dem Dunkel des Ganz-Anderen kann das Bild Gottes vor jeder Vermischung mit dem Weltlichen bewahrt werden. Diese Sprache der Kontemplation ist in der alten Liturgie auf vollendete Weise bewahrt worden. Je weiter die Messfeier voranschreitet, umso mehr taucht sie in Schweigen. Die lateinische Sprache schützt die Worte vor dem nur scheinbaren Verstehen. Das Verhüllen und Abdecken der heiligen Geräte, das Niederfallen und Berühren, das Sich-Zuwenden zu Gott und das Umwenden des Priesters zum Volk für das „Dominus vobiscum“, für Gebetseinladungen oder den Segen, sein kostbares Gewand und der Altaraufbau, dies und manches andere Zeichen bilden eine Art von Ikonostase, die das Geheimnis zugleich birgt und zeigt……

„Summorum Pontificum“ – eine Sternstunde der katholischen Kirche. Die mutige Tat Benedikts XVI. erweist sich schon heute als prophetisch….

Schon vor 35 Jahren hat Joseph Ratzinger diese Gefahr hellsichtig erkannt: „Wir haben kühn und siegessicher die Tür einer vergangenen Epoche zugemauert und was dahinter lag als aufgelöst und verschwunden erklärt. Es gibt in der konziliaren und nachkonziliaren Literatur unübersehbar das Genus der Verspottung, mit dem wir wie erwachsene Schüler von den veralteten Schulbüchern Abschied nehmen wollten. Aber inzwischen ist uns ein anderer Spott in die Ohren und in die Seele gedrungen, der mehr verspottet, als wir gemeint und gewollt hatten. Und langsam ist uns das Lachen vergangen; langsam haben wir gemerkt, dass hinter den verschlossenen Türen auch solches steckt, das unverloren bleiben muss, wenn wir nicht unsere Seele verlieren wollen.“

Gegen diese Gedanken von A. Wollbold möchten wir keine polemische Kommentierung setzen. Seine Gedanken sind sicher in unserer Kirchensituation nicht mehrheitsfähig. Diese Gedankenführung hilft aber verstehen, wie schwierig ein Dialog heute zu führen ist und zeigt gleichzeitig, dass wir in einer Kirchenspaltung leben, ob wir das so nennen oder nicht. Dies hat sicher auch eine Bedeutung im Hinblick auf den kommenden Papstbesuch in Deutschland. Auch dieser Besuch wird zeigen, wie schwierig die weitere Entwicklung der Kirche sein wird, wenn es ihr nicht gelingt, einen Dialog zu führen, der diesen Namen verdient.


© imprimatur Juni 2011
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