Werner Müller
Kirchenreformdiskussion in Deutschland – aus französischer Perspektive

Das Theologen-Memorandum “Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ im Februar, sowie die unterschiedlichen Stellungnahmen dazu (vgl. imprimatur 2+3/2011, 65 – 80), und das Wort der deutschen Bischöfe an die Gemeinden „Im Heute glauben“ bei ihrer Frühjahrsvollversammlung im März haben auch in Frankreich vielfach Beachtung gefunden, besonders bei reformorientierten Gruppen. So hat z.B. die Zeitschrift „Vagues d’Espérance“, das Mitteilungsblatt der Gruppe JONAS im Elsass, in ihrer Märzausgabe eine französische Übersetzung des Memorandums, mitsamt der zustimmenden Stellungnahme aus dem Klerus der Erzdiözese Freiburg i. Br., gebracht. Es finden sich auch zusammenfassende Wiedergaben und zustimmende Kommentare dazu, z.B. von Jean Rigal, einem emeritierten Theologie-Professor an der (privaten) katholisch-theologischen Fakultät in Toulouse. Er wünscht sich und der französischen Kirche ein ähnliches gemeinsames Wort der französischen Theologen („une parole collective, au service de l’Evangile, particulièrement dans le contexte de l’Eglise de France“).

Der unserer Zeitschrift freundschaftlich verbundene pensionierte Germanist Jean Courtois, Lyon, hat in Privatinitiative eine Übersetzung des Bischofsworts angefertigt und über das Internet im frankophonen Raum verbreitet. Er hat uns einige Reaktionen darauf zur Verfügung gestellt. Wir geben sie hier zusammengefasst wieder, weil eine ‚Außensicht‘ aus einem vergleichbaren, aber dennoch in verschiedener Hinsicht unterschiedlichen Kontext hilfreich sein kann. Eine stammt wiederum von Jean Rigal, Toulouse. Er begrüßt grundsätzlich den Willen zum Dialog der Bischöfe (das ist ja auch das Mindeste, was man erwarten darf!) und den relativ genauen Zeitrahmen, der für den Dialog vorgesehen ist (aus hiesiger Sicht erweckt der Zeitraum von vier Jahren eher den Eindruck, Entscheidungen hinausschieben zu wollen; ein Pfarrer aus dem Erzbistum Köln äußerte sich neulich im „Spiegel“ mit der Befürchtung: Die Dämme sind kurz vorm Brechen!). Positiv hält er auch fest, dass die Bischöfe von einer richtigen Zeitdiagnose („Säkularisierung“) ausgehen und die von den Theologen gestellten Fragen, wenn auch in abgemilderter Form, aufgreifen.

Er stellt aber auch skeptische Fragen: was das Verfahren betrifft (die Bischöfe behalten beim Dialog das Heft in der Hand; es ist keine Konsultation der Theologen vorgesehen. Kann so ein wirklicher Dialog zustande kommen?), zur inhaltlichen Struktur entlang der traditionellen Trias Martyria – Liturgia – Diakonia (Ist das nicht zu vage, allgemein? – Ist das nicht, so könnte man ergänzen, eine Vermeidungsstrategie der konkreten Probleme durch Ausweichen ins ganz Grundsätzliche?), zu den Grenzen für den Dialog, die nach dem Bischofswort durch die Offenbarung und die Lehre der Kirche gezogen sind („Welcher Manövrierraum bleibt da noch, etwa was die wiederverheirateten Geschiedenen betrifft?“) Ein letzter Einwand - dessen Bedeutung sich in der Kürze nicht genau erfassen lässt - sei wörtlich übersetzt wiedergegeben: „In der Absicht, die herkömmlichen Dialog- und Entscheidungsstrukturen anwenden zu wollen, riskiert man da nicht, sich in Prozeduren der Fortschreibung des Bisherigen, was per definitionem wenig innovativ ist, zu verfangen? Man sollte nicht ‚den Fisch ertränken‘! (d.h. wohl: den Dialogpartner durch Hinhalten ermüden) “.

Eine weitere Reaktion stammt von Christian Biot, der trotz seines hohen Alters immer noch in einer Pfarrgemeinde in der Erzdiözese Lyon tätig ist. Sie ist kurz und bündig: „Ich bin sehr enttäuscht von diesem Text! - Wann endlich werden die Bischöfe (und die Christen) aus ihrem Elfenbeinturm und ihren internen Debatten herauskommen und das Leben der ‚Welt draußen‘ teilen? Statt sich am Rand (au bord de la route) zu halten mit ihren immer abschätzigen Einschätzungen dieser Welt und der Menschen ‚ohne Gott‘? Es geht nicht darum, die internen Probleme der Kirchen zu negieren; sie betreffen die Glaubensrede (discours de la foi) und die organisatorische Struktur der (Glaubens)Institution und sind reale Probleme. Aber solange man keine grundlegend positive Sicht auf die Versuche der Menschen hat, (mehr) Mensch zu werden, sehe ich nicht, welche Frohe Botschaft man ihnen vermitteln könnte?“- Haben Kardinal Kasper und andere Kritiker des Theologen-Memorandums diesen Punkt gemeint, als sie ihm Oberflächlichkeit vorgeworfen haben, dass statt der Kirchenreformfragen die wirklichen existentiellen Fragen debattiert werden müssten? Aus dieser französischen Sicht ist die „Gotteskrise“ in der Tat eine Krise der kirchlichen Sprache (und Struktur) und lässt sich insofern von der Kirchenkrise nicht trennen.


© imprimatur Juni 2011
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