Markus Groß, Karl-Heinz Ohlig
Zum Echo auf die Veröffentlichungen von Inârah in Presse und Fachwelt (III)

In den Heften 1 und 2/3 des jetzigen Jahrgangs wurden folgende Abschnitte“ publiziert: „1. Eine verweigerte fachliche Diskussion“, „2. Zur inneren Abschottung der gegenwärtigen Islamwissenschaft“, „3. Zum Projekt ,Corpus Coranicum’ und seinen Publikationen“, „3.1 Ziel und Methode des Projektes“, „3.2 Was über Inârah gesagt wird“, „3.3 Über die Unbefangenheit von wissenschaftlichen Einschätzungen“, „3.4 Die Pflicht zur Veröffentlichung von Ergebnissen“, „4. Angeblich ideologische Ziele und die Islamwissenschaften“.

5. Brücken bauen zur Islamischen Welt – Wie Erfolg versprechend ist Anbiederung?

In allen Pressemitteilungen und Interviews, die von Lehrstuhlinhabern und Projektleitern im Fach Islamwissenschaften veröffentlicht werden, ist offensichtlich, wie peinlich darauf geachtet wird, niemandes religiöse Gefühle zu verletzen, niemandem zu nahe zu treten und trotzdem ein Minimum an wissenschaftlicher Integrität zu wahren.

Menschen in solchen Funktionen sind sicherlich nicht zu beneiden. Wie Erfolg versprechend ist aber eine solche Strategie, an deren Anfang vielleicht die (nie ausgesprochene) Hoffnung, wenn auch nicht das Ziel steht, man müsse nur ganz vorsichtig einige ganz kleine Schritte in Richtung Rationalität machen, und die islamische Orthodoxie würde schon irgendwann von selber weitergehen und der Vernunft und Menschlichkeit zum Siege verhelfen (Gleichberechtigung der Frau, Abschaffung der Körperstrafen, Religionsfreiheit einschließlich des Rechtes auf Austritt, sexuelle Selbstbestimmung, laizistischer Staat).

Eine erste Antwort findet man schon bei den eben erwähnten Wissenschaftlern selbst[1] :

„MS.de: Ist das auch die Reaktion von Gelehrten aus der islamischen Welt?

[M. Marx]: Das wissen wir bisher nur begrenzt. Wir haben es ein bisschen getestet bei Vorträgen in islamischen Ländern wie der Türkei, Syrien, Iran und Marokko. Es gibt eine Menge Diskussionen, aber die Diskussion ist möglich und das ist ja ganz wichtig. Wir haben sehr viel Positives gehört, aber auch Kritik. Im Iran fand man beispielsweise die Dokumentation von Handschriften irgendwie unwichtig. Einige Leute dort fanden es befremdend und meinten, dass sei doch eigentlich etwas, was für die Muslime keine so große Rolle spiele.“ (Hervorhebung Verf.)

Also die eigentliche Arbeit des Projektes gerät mit einem Axiom in Konflikt – der primär mündlichen Überlieferung des Koran. An diesem Axiom führt wohl kaum ein Weg vorbei. Erwartet man hier allen Ernstes eine künftige Zusammenarbeit?

Aber auch renommierte und als besonders kritisch bekannte Presseorgane in Deutschland nehmen Rücksicht. So wurde ein bereits fertig gestellter Bericht zum damals gerade erschienenen Buch von Christoph Luxenberg überraschend nicht gedruckt, dafür aber erschien eine Ausgabe (DER SPIEGEL 23/2001) mit einem den Propheten unklar darstellenden Gemälde auf dem Deckblatt und dem Titel: „Wer war Mohammed – Das Geheimnis des Islam“. In der Einleitung steht unter anderem Folgendes:

„Darf man Allah und seinen Propheten abbilden? Die Mehrheit der Muslime sagt Nein: Gott gar nicht, Mohammed nur ohne ausgeprägte Gesichtszüge. Der SPIEGEL nimmt Rücksicht auf diese religiösen Empfindungen, das Titel-Motiv, von einem unbekannten persischen Künstler im 16. Jahrhundert gemalt, zeigt den Gottgesandten bei seinem Ritt auf einem mythischen Pferd gen Himmel nur in Umrissen.“ (Hervorhebung Verf.)

Diese Rücksichtnahme ist wohl eher ungewöhnlich - Schiiten kennen dieses Verbot ja wie gesagt nicht und das Verbot der Darstellung des Propheten kann ja wohl nur für Muslime selbst, nicht aber für Außenstehende gelten. Doch werden solche Freundlichkeiten denn auch in der islamischen Welt honoriert? Zunächst mag es so aussehen, hierfür soll ein Bericht von Stefan Wild über eine schon länger zurück liegende Reise die Indizien liefern[2] :

„So war es eine kleine Sensation, als den Bonner Orientalisten Stefan Wild, 70, eine Einladung nach Saudi-Arabien erreichte. Der Professor für Semitische Philologie und Islamwissenschaft an der Universität Bonn gilt als Koryphäe für die Geschichte der Offenbarung. In das streng abgeschottete "Herzland des Islam" schaffte es Wild im vergangenen Jahr zum ersten Mal.

Als einzigen Nicht-Muslim und somit stillen Stargast der Fachtagung ,Der edle Koran und die orientalistischen Studien’ hatte das ,König-Fahd-Zentrum für den Druck des edlen Koran’ den Professor nach Medina gebeten, in die zweite heilige Stadt im Königreich. Nur weil der Tagungsort außerhalb des heiligen Bezirks rund um das Grab des Propheten Mohammed lag, der allein Muslimen vorbehalten ist, konnte er überhaupt teilnehmen. (...) Auf dem Korankongress in Medina konnte der Islamwissenschaftler Wild immerhin ein wenig Misstrauen abbauen. Nach ,ganzen Kaskaden von aggressiven Beiträgen über die Orientalisten’ durfte er ein Referat über die ,Zusammenarbeit von Muslimen und Nicht-Muslimen bei der Koranforschung’ halten. Die Religionsgelehrten übernahmen die Forderung wortwörtlich - als Punkt 29 in der Abschlusserklärung. Für den Bonner Professor ,ein erstes Schrittchen - auf einem noch sehr weiten Weg’.“

Ob nach „Kaskaden von aggressiven Beiträgen“ die Aufnahme eines Sätzchens in eine Abschlusserklärung, die wohl kaum jemand liest, ein wirklicher Erfolg ist, mag dahingestellt bleiben. Aufschlussreich ist aber die detailliertere Beschreibung des Ereignisses durch Stefan Wild[3] selbst, die so interessant ist, dass sie hier mit nur wenigen Kürzungen zitiert wird:

„Ein erstes Gespräch mit etwa einem Dutzend Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats des Zentrums verläuft in freundlicher Atmosphäre. Wir diskutieren, ob das Wort „Allah“ in einer deutschen Koranübersetzung mit „Gott“ übersetzt werden oder ob das arabische Wort stehenbleiben solle. (...)

Als die Tagung beginnt, erwarte ich, mindestens einige „orientalistische“ Kollegen zu treffen. Zu meiner Enttäuschung bin ich der einzige nichtmuslimische Teilnehmer unter circa fünfzig Vortragenden. Es sind alles Muslime, alles Männer; „gemischte“ öffentliche Sitzungen mit Männern und Frauen sind unmöglich. Zu den Gebetszeiten wird die Tagung unterbrochen. „Orientalisten“ haben im Diskurs konservativer Gelehrter innerhalb und außerhalb Saudi-Arabiens einen schlechten Namen, sie galten und gelten als dem Islam feindlich gesinnt, waren Missionare oder Spione. Edward Saids These vom kolonialistischen Ursprung der Orientalistik in England und Frankreich ist insoweit willkommen. Auf zwei Gebieten werden die Theorien von Orientalisten für besonders gefährlich gehalten: auf dem Gebiet der Biographie des Propheten Mohammed und auf dem der Entstehung des Korans.

In vielen Vorträgen wird dementsprechend eine Art Schwarzbuch der Orientalistik aufgemacht. Eine anlässlich der Tagung erscheinende Sonderzeitschrift hat als eine Schlagzeile: ,Der Haß auf die Siege der Muslime und auf die Verbreitung des Islams in der Welt stehen hinter den Zweifel säenden Angriffen der Orientalisten.’ Gelegentlich ist die Rede davon, daß es auch einige ,redliche’ oder ,objektive’ Orientalisten gebe. Manche Teilnehmer bemühen sich, im Vorspann zu ihren Ausführungen dem deutschen Teilnehmer diesen Bonus zu geben - das ist aber mehr ein Akt privater Freundlichkeit gegenüber dem auch sonst mit größter Höflichkeit behandelten deutschen Gast.

Methodisch ist das Haupthindernis, dass für die muslimischen Teilnehmer der Glaube an den unmittelbar göttlichen Ursprung des Korans verbietet, nach ,Quellen’ des Korans oder nach einer historischen Entwicklung des Textes zu suchen. Eine Formulierung wie ,Der Koran beansprucht, das Wort Gottes zu sein’ wird bereits als feindselig und ,unwissenschaftlich’ wahrgenommen. Ein Professor aus dem marokkanischen Fes kritisiert, die Orientalisten sprächen vom Koran und nicht, wie die Muslime, vom ,edlen Koran’; sie erforschten ehrfurchtslos den Koran wie ein beliebiges Kleidungsstück und nicht als das vom Himmel herabgesandte Buch Gottes.

Die meisten Teilnehmer sind Araber, viele von ihnen jüngere, noch weniger bekannte Kollegen. Weithin bekannte Persönlichkeiten wie Muhammad Mustafa al-Azami, Professor an der König-Saud-Universität in Riad und Träger des König-Faisal-Preises, sind nicht erschienen. In seinem 2003 erschienenen Buch ,The History of the Qur'anic Text’ hatte er über ,alle nichtmuslimischen Forscher’ geschrieben: ,Wenn sie nicht darauf aus wären, Muhammads Unehrlichkeit oder die Unechtheit des Korans zu beweisen, was würde sie hindern, sich zum Islam zu bekehren?’ Das hätte das Motto des Treffens sein können.“ (Hervorhebung Verf.)

An der Stelle sollte erwähnt werden, dass dieser Ausspruch von Muhammad Mustafa al-Azami dem Text von Stefan Wild als eine Art Leitspruch vorangestellt ist. Man mag sich nun fragen, ob denn wenigstens die wenigen „Dissidenten“ innerhalb des Islam zu einer solchen Konferenz eingeladen wurden. Hierzu schreibt Wild[4] (Hervorhebungen Verf.):

„Über Mohammed Arkoun, einen Islamwissenschaftler algerischer Abkunft an der Sorbonne, wird ein höchst kritischer Vortrag gehalten, aber niemandem war eingefallen, ihn einzuladen.

Nasr Hamid Abu Zaids Studie zur textlinguistischen Lesung des Koran, die ihm den Vorwurf der Ketzerei eintrug, ist zwar in saudischen Buchhandlungen zu finden - eine Einladung nach Saudi-Arabien wäre nicht vorstellbar.

Damit ist eine weitere Konstante dieses Treffens gegeben: Neben der Selbstvergewisserung dienen die Vorträge dem Ziel, muslimische Abweichler von der hochkonservativen saudischen Linie auszugrenzen, sie werden als „verwestlicht“ bezeichnet und in Wahrheit für viel gefährlicher gehalten als immer wieder kritisierte und ‚widerlegte’ Autoren wie Theodor Nöldeke (gestorben 1930) oder Ignaz Goldziher (gestorben 1921).“


Als weiteres Kuriosum erwähnt Stefan Wild Lehrstühle der „Orientalistik“ – wohl nicht der Orientalistik in dem Sinne der Wissenschaft vom Orient, sondern der Wissenschaft über das, was im Westen als Orientalistik betrieben wird:

„Wie ernst trotz allem die Studien von Nichtmuslimen zu islamischen Themen genommen werden, zeigt die Tatsache, daß es inzwischen an manchen saudischen Universitäten Lehrstühle zum Studium der ,Orientalistik’ gibt; es ist sogar geplant, eine ganze Fakultät zu diesem Zweck einzurichten. An der Tiba-Universität in Medina kann man seit 1984 in der soziologischen Abteilung im Fach ,Wissenschaft von der Orientalistik’ den Magistergrad und den Doktorgrad erwerben.“

Wie sehen aber die Zukunftsaussichten dieser Strategie aus. Auch hier lassen wir Stefan Wild zu Wort kommen:

„In den ,Empfehlungen’, die am letzten Tag verabschiedet werden, versteckt sich ein kurzer Satz, der trotz der Gesamtausrichtung des Symposions die Zusammenarbeit von muslimischen mit nichtmuslimischen Wissenschaftlern begrüßt. Ich nehme die Gelegenheit wahr, einem der Verantwortlichen vorzuschlagen, bei einer künftigen Veranstaltung dieser Art in größerer Anzahl nichtmuslimische Teilnehmer einzuladen, (...) Mein Gesprächspartner hält das nicht für unmöglich und vertröstet mich auf ein nächstes Mal. Als ich frage, ob denn auch Islamwissenschaftlerinnen dazu eingeladen werden könnten, lächelt er und sagte diplomatisch: ‚Vielleicht beim übernächsten Mal.’“

(Abschnitt 6 wird hier nicht wiedergegeben)

7. Fazit

Die bereits oben erwähnte Taktik des Totschweigens und des die Satisfaktionsfähigkeit Absprechens hatte bisher offensichtlich einen wenigstens zeitweiligen Erfolg: In keinem der erwähnten Interviews mit Inârah-Gegnern wurden diesen von Journalisten wirklich unbequeme Fragen gestellt, wie die etwa, wann denn endlich die eigenen Ergebnisse konkret veröffentlicht werden oder welche wirklich bahnbrechenden und das bisherige Bild verändernden Erkenntnisse zu erwarten seien – schließlich werden ja in Zeiten immer knapper werdender Kassen nicht unerhebliche Steuermittel für die in den besagten Projekten vorangetriebenen Forschungen eingesetzt.

Auch wurde noch keiner der Kritiker gezwungen, auf konkrete Punkte aus den Argumentationen kritischer Beiträge im Detail einzugehen.

So können wir nur hoffen, dass vielleicht irgendwann doch noch in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein Wandel eintritt und das Vermeiden der wissenschaftlichen Debatte als das gesehen wird, was es ist: Das feige Weglaufen vor dem Ringen um die Wahrheit.

Immerhin ist erfreulich, dass sich im Gefolge der kritischen Publikationen, die Inârah herausgegeben hat, weltweit immer mehr Forscher unseren Thesen und Methoden anschließen, sie durch eigene Beiträge erweitern, vertiefen, gelegentlich auch korrigieren. Langfristig scheinen die Märchenerzählungen der traditionellen Islamwissenschaft nicht mehr zu interessieren, sondern vielmehr Arbeiten, die historisch-kritisch und philologisch exakt vorgehen und somit in ihrer Argumentation nachprüfbar sind. Wenn man so will, könnte man Inârah als das zur Zeit größte internationale und interdisziplinäre islamwissenschaftliche Institut ansehen – wenn auch ohne Hilfskräfte, Sekretärinnen und Etat. Es scheint so, als ließe sich quellenbezogenes Wissen auf Dauer nicht durch Mythen, die ihre Zeit hinter sich haben, verdrängen.

(Schluss)


© imprimatur Juni 2011
Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und schon hat uns Ihre Post erreicht.

Zuerst Ihre Adresse (wir nehmen keine anonyme Post an!!):
Name:

Straße:

PLZ/Ort:

E-Mail-Adresse:

So und jetzt können Sie endlich Ihre Meinung loswerden:


[1]Das Corpus Coranicum Projekt - Interview mit dem Leiter Michael Marx 14.05.08: http://www.muslimische-stimmen.de/index.php
?id=20&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=182&tx_ttnews[backPid]=6
[2]„Jungfrauen oder Weintrauben“; Von Bednarz, Dieter und Steinvorth, Daniel: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-55034212.html; Zugriff 22.12.2007.
[3]„Drei Tage in Medina“, 30. November 2006, ursprünglich in Text: F.A.Z., 30.11.2006
http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~EC8CB571CBD4B41668F5DBD36B486BD37~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[4]Dieses und die folgenden Zitate in diesem Abschnitt sind dem erwähnten Bericht von Stefan Wild entnommen.