Joachim Frank
„Selig sind….“

Papst Benedikt XVI. ist ein Mann des regungslosen Übergangs. Mit der Seligsprechung seines Vorgängers Johannes Paul II. bleibt er strikt auf der Linie des konservativen Klerus.

So einzigartig wie die 27-jährige Amtszeit Johannes Pauls II. ist auch die Verwertungskette des Pontifikats. Gerade an seinem Ende und darüber hinaus: Niemals zuvor haben Krankheit und Tod eines Papstes eine derartige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gefunden. All jene, die damals – wahlweise hoffnungsfroh oder besorgt – über eine „Renaissance des Religiösen“ räsonierten, konnten sich hierfür mit Leichtigkeit auf „JoPa Superstar“ beziehen. Unter PR-Gesichtspunkten war sein Sterben für den Vatikan ein Geschenk des Himmels. Denn in der letzten Lebensphase verkörperte Johannes Paul II., zuvor häufig umstritten, vor aller Welt das biblische Motiv vom „Schmerzensmann“: Geduldig trägt er sein Leid und gibt damit ein Zeugnis für Gottvertrauen und Glaubenstiefe. Gegen solche Authentizität ist kein Kraut gewachsen; theologische oder kirchenpolitische Kritik am rigiden Regiment des Wojtyla-Papstes, seiner engen Morallehre, seinen verfehlten Personalentscheidungen – sie mussten als unpassend, pietätlos und verkopft erscheinen angesichts der Gebrechlichkeit des gebeugten alten Mannes im Vatikan.

Natürlich hat diese spezielle Form der päpstlichen Unfehlbarkeit nicht auf Dauer vorgehalten. Mit zeitlichem Abstand werden Licht- und Schattenseiten im Pontifikat Johannes Pauls II. wieder deutlich benannt und diskutiert. Aber mit der Seligsprechung seines Vorgängers setzt Benedikt XVI. auf ein Revival jener Frühlingseuphorie vom April 2005. Er drückt die Replay-Taste an der großen katholischen Jukebox: „Spiel’s noch einmal, Ben!“

Die Absicht ist klar. Benedikt, der als Führungspersönlichkeit immer etwas gehemmt, zurückgenommen und leicht anämisch wirkt, will in seiner Außenwirkung an dem partizipieren, was eine der größten Stärken seines Vorgängers war: dem Sinn für starke Symbole. Johannes Paul war in dieser Hinsicht ausgesprochen kreativ und erfinderisch. Bis über die Schmerzgrenze des Establishments in der römischen Kurie hinaus konnte er um einprägsamer Bilder und sprechender Gesten willen aus festgelegten Schemata ausbrechen. Bestes Beispiel dafür sind die Friedensgebete von Assisi mit ihrem interreligiösen Umarmungshabitus oder auch das große „Mea culpa“ der katholischen Kirche zu den Millenniumsfeierlichkeiten des Jahres 2000. Solche Aktionen ließen theologisch strenge Vertreter des römischen Wahrheits- und Absolutheitsanspruchs wie Joseph Ratzinger regelmäßig nach Luft schnappen. Der unbeugsame Wille ihres Herrn in Weiß aber zwang sie stets auf Linie.

Ratzinger dagegen bleibt als Papst mit den Artikulationen eigener Macht strikt im Formenkanon. Aus seinem Amtsverständnis heraus ist das geradezu ein Qualitätsmerkmal: keine Experimente! Eine Seligsprechung gehört zum Repertoire, ist aber immerhin spektakulärer als eine Predigt oder ein Vortrag, mit denen sich Benedikt im Zweifel wohler fühlt als auf einem Event für Hunderttausende. Mit der Seligsprechung Johannes Pauls II. gibt er denen Zucker, die sich als Katholiken weniger an die Empfehlung des Völker-Apostels Paulus („der Glaube kommt vom Hören“) halten, sondern lieber etwas zum Anschauen und Anfassen haben wollen. Zum Grab des Seligen lässt sich trefflich pilgern, dort lässt sich inständig beten, dort ist der fromme Besucher einer großen Gestalt der Geschichte so nah wie nirgends sonst.

Dass römische Hoteliers, Gastwirte und Devotionalienhändler an diesem Bedürfnis verdienen werden, ist allenfalls ein Nebeneffekt. Entscheidend für Benedikt ist das innerkirchliche Signal: Unter seiner Führung bleibt das Schiff der Kirche strikt auf Kurs. Benedikt enthebt ihn gleichsam aller witterungsbedingten Zufälle, taucht ihn zusammen mit dem Steuermann in den Glanz der Heiligkeit und erklärt ihn zur Norm.

Der deutsche Papst erweist sich tatsächlich als der Mann des regungslosen Übergangs, für den ihn die Reformscheuen im Kardinalskollegium gewählt haben. Noch hat Benedikt in sechs Jahren keinen Akzent gesetzt, mit dem er auf Jahr und Tag im Gedächtnis bliebe. Stattdessen sakralisiert er drei Jahrzehnte Kirchengeschichte, die ein anderer geschrieben hat. Vom Konzept einer stets reformbedürftigen Gemeinschaft (Ecclesia semper reformanda), wie sie das Zweite Vatikanische Konzil postuliert hat, ist die Kirche des seligen Johannes Paul und des unglückseligen Benedikt so weit entfernt wie die ersten Jünger Jesu am See Genezareth vom vatikanischen Palast.

Aus: Frankfurter Rundschau vom 30.04.2011
Joachim Frank ist dort Chefredakteur

Selig ist er!



© imprimatur Juni 2011
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