Bei aller Gegnerschaft der katholischen Kirche gegenüber der nationalsozialistischen Weltanschauung gab es doch eine Gemeinsamkeit: der Kampf gegen den Kommunismus bzw. Bolschewismus. Nach dem 30. Januar 1933 und besonders nach Hitlers Regierungserklärung vom 23. März hegten viele die Hoffnung, Hitler würde Deutschland vor dem Kommunismus retten. So kabelte der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl schon am 8. Februar: "Begrüßt wird die entschiedene Kampfansage an den Bolschewismus, dessen Überwindung eine der größten Sorgen des Heiligen Stuhles ist." Und Kardinal Faulhaber notierte nach seiner Romreise: "In Rom beurteilt man den Nationalsozialismus wie den Faschismus als die einzige Rettung vor dem Kommunismus und Bolschewismus.“ Im Hirtenwort der deutschen Bischöfe von Weihnachten 1936 hörten die Gläubigen: "Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hat den Anmarsch des Bolschewismus von weitem gesichtet und sein Sinnen und Sorgen darauf gerichtet, diese ungeheure Gefahr von unserem deutschen Volk und dem gesamten Abendland abzuwehren. Die deutschen Bischöfe halten es für ihre Pflicht, das Oberhaupt des deutschen Reiches in diesem Abwehrkampf mit allen Mitteln zu unterstützen, die ihnen aus dem Heiligtum zur Verfügung stehen..." Dass die zahlreichen Hinweise auf die Bedrohungen durch den Bolschewismus verbunden sind mit Hinweisen auf seine atheistischen Wurzeln, wurde von vielen Menschen als indirekte Kritik am Nazi-System und seinen kirchenfeindlichen Maßnahmen verstanden.
Auch zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft galt die traditionelle Lehre, dass die Gläubigen der jeweiligen Staatsführung Gehorsam schuldig waren, unabhängig davon, wer jeweils die Staatsgewalt innehatte. Das wurde besonders deutlich zu Beginn des Krieges, als fast alle deutschen Bischöfe die Gläubigen - insbesondere die Soldaten – zur angeblichen „Pflichterfüllung“ gegenüber Staats- und Wehrmachtsführung aufforderten. Opferbereitschaft, letzte Hingabe an Vaterland und Volk, Einsatz der ganzen Persönlichkeit – das waren bei katholischen Menschen uneingeschränkt fraglose Begriffe und Grundhaltungen. Sie hörten die Aufforderungen ihrer Bischöfe, die „mit der ganzen Autorität unseres heiligen Amtes“ an die Gläubigen appellierten: „Lasset euch von niemandem übertreffen an Opferwilligkeit und Einsatzbereitschaft.“ In ihrem Drang zum Heldentum und zum Opfer strebten viele junge Manschen danach, sobald wie möglich Soldaten zu werden. Sie hörten das Wort des Bischofs und beteten mit ihm: „Gott sei mit ihnen allen, die die schwere Kriegsarbeit auf sich genommen haben, und verleihe ihnen Mut und Kraft, für das teure Vaterland siegreich zu kämpfen oder mutig zu sterben.“ Die Soldaten leisteten ihren „alles umfassenden Dienst als Pflicht vor Gott, übernommen durch den Eid…. Soldatentod ist Opfertod, Opfertod ist Heldentod…“ Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz Kardinal Bertram ließ die Reichsregierung wissen: Die katholischen Bischöfe forderten „mit dem Gewicht der geistlichen Autorität die Gläubigen auf ..., für Reich und Heer sowie um einen segensreichen Sieg und Frieden zu beten.“
Mit dem Angriff auf die Sowjetunion gewann der Krieg eine neue Qualität. Im Hirtenwort des deutschen Episkopats vom 26. Juni 1941 - also vier Tage nach Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion – nehmen die Bischöfe ausführlich Stellung zum sich verschärfenden Kampf gegen die Kirche; sie schreiben aber auch: "Bei der Erfüllung der schweren Pflichten dieser Zeit, bei den harten Heimsuchungen, die im Gefolge des Krieges über Euch kommen, möge die trostvolle Gewißheit Euch stärken, daß Ihr damit nicht bloß dem Vaterlande dient, sondern zugleich dem heiligen Willen Gottes folgt, der alles Geschehen, auch das Schicksal der Völker und der einzelnen Menschen in seiner weisen Vorsehung lenkt. Auf ihn, den ewigen allmächtigen Gott, setzen wir unser Vertrauen, von ihm erflehen wir Gottes Schutz und Segen für Volk und Vaterland." Der Feldbischof der deutschen Wehrmacht Rarkowski schreibt von "deutscher Wesensart" und von "völkischen Werte(n)", von Kampf "für das Reich der Deutschen wie für das Reich Gottes", von den Deutschen als "Herzvolk Europas" und Deutschland als "Ritter und Vorkämpfer Europas". "Der Krieg gegen Rußland (ist) ein europäischer Kreuzzug". Zwar hat sich kein anderer Bischof in ähnlicher Weise geäußert wie Bischof Rarkowski, doch an ihrer Einschätzung des Bolschewismus und des Krieges gegen die Sowjetunion ließen auch andere Bischöfe keinen Zweifel. So schrieb z.B. der Bischof von Hildesheim Machens am 17. August 1941: "Gebe Gott - das ist unser Herzenswunsch - daß in diesem Kriege der Bolschewismus niedergerungen und vernichtet und so die große Ostgefahr für Christentum und christliche Kultur endlich beseitigt werde. Möge dann das Christentum in Deutschland und in Europa ohne die Bedrohung vom Osten her zu neuer Blüte aufsteigen. Möge die Blüte um so größer und dauernder sein, je deutlicher wir die furchtbaren Folgen des Unglaubens gesehen haben." Der Bischof von Ermland Kaller verfügte im April 1942, dass nach der stillen heiligen Messe anstelle der sonst vorgeschriebenen Gebete eine Fürbitte verrichtet werde, die u.a. die Sätze enthielt: "Schütze alle Angehörigen unserer Wehrmacht und erhalte sie in Deiner Gnade. Laß ihre Waffen siegreich sein im Kampfe gegen den gottlosen Bolschewismus..." Der Bischof von Eichstätt nannte den Krieg gegen die Sowjetunion „einen Kreuzzug, einen heiligen Krieg für Christus und sein hochheiliges Kreuz“. Der Erzbischof von Paderborn deutete am Tag seiner Bischofsweihe den Krieg als „Bewahrung des Christentums in unserem Vaterland, für die Errettung der Kirche aus der Bedrohung durch den antichristlichen Bolschewismus“. Und im Fastenhirtenbrief 1942 schrieb er: „Ist jenes arme, unglückliche Land nicht der Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und ihren Christushaß fast zu Tieren entartet sind?“
Beim Beginn des Krieges hatte der Feldgeneralvikar Georg Werthmann im kleinen Kreis geäußert, dass die gesamte Arbeit der Militärseelsorge "im Dienst des deutschen Siegeswillens stehen" müsse. Wenige Wochen nach dem Ende des Krieges schrieb er während seiner Internierung in einer fiktiven Ansprache an seine gefallenen Mitbrüder: "Ihr habt Euch geirrt wie wir; Ihr habt Eure Soldatenpflicht aufgewandt für Phantome, die Euch vorgespiegelt waren. Aber Ihr habt geirrt in bestem Glauben und in reiner Meinung. Wir dagegen müssen noch geläutert werden, und mit der aufdämmernden Erkenntnis von einigen Tagen und Wochen ist es da nicht getan; in harten Entbehrungen müssen wir die Armut im Geiste wieder lernen..." Und am 19. Juli notierte er: "Wir haben alle Deutungen der allein Gott zustehenden Hoheit des Gerichts an uns zu reißen versucht und gingen in vermessener Selbstgerechtigkeit an die äußere Vernichtung des Bolschewismus. Mit den Waffen wollten wir ein Gericht abhalten über die Macht im Osten und haben dabei alle bolschewistischen Methoden bejaht, dadurch - was noch schlimmer ist - alle antibolschewistischen Glaubensinhalte - Christentum, Volk, Persönlichkeit, Freiheit - den Dämonen des bolschewistischen Weltempfindens ausgeliefert..." Am Anfang also die Überzeugung, in treuer Pflichterfüllung für den deutschen Sieg kämpfen zu müssen; am Ende die beklemmende Einsicht, einem ungeheuren Irrtum erlegen und Opfer von Phantomen geworden zu sein, in vermessener Selbstgerechtigkeit gehandelt und sich faktisch bolschewistischen Methoden angepasst zu haben.
An dieser Phantombildung haben viele Amtsträger der Kirche kräftig mitgewirkt. Es müsste ihre vordringliche Aufgabe sein, an der Auflösung dieser "Phantome" mitzuarbeiten. Doch nach dem Krieg hat sich kein Bischof zu jenen Stellungnahmen geäußert, die er in den Jahren zuvor abgegeben hatte. Bis heute gab es keine Erklärung der deutschen Bischöfe zu ihrem und ihrer Vorgänger Verhalten im Krieg. Kein katholischer Kirchenhistoriker hat das Verhalten der Bischöfe im Krieg zum Thema einer Untersuchung gemacht. Die 1962 von den Bischöfen gegründete Kommission für Zeitgeschichte hat in ihren seitdem herausgegeben über 170 Bänden zwar alle möglichen Probleme des Verhältnisses der Kirche zum Nationalsozialismus behandelt, doch das Problemfeld Kirche und Krieg wurde sorgfältig vermieden. Das peinliche Verhalten deutscher Bischöfe während des Hitlerkriegs wurde über Jahrzehnte tabuisiert.
In seinem von einer großen katholischen Wochenzeitung als „sensationell“ bezeichneten Referat „Zukunft der Kirche – Kirche für die Zukunft“ hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, am 20. September 2010 gesagt: „Wir werden ungeschminkt ausleuchten, wie wir als Kirche in Wort und Tat mit dem Vorwurf umgehen müssen, es gebe in ihr zu wenig Transparenz und zu viele Denk- und Diskussionsverbote.“ Das gilt nicht nur für das beim bischöflichen Referat im Hintergrund stehende Thema der Ausübung sexueller Übergriffe und Gewalt. „Es gibt für uns keinen anderen Weg als den der Offenheit.“ Wer „die bohrende Frage nach der Glaubwürdigkeit unserer Kirche in Deutschland“ spürt und die Bereitschaft zu einer „Offenheit in der Reflexion“ (Zollitsch) fordert, darf das Thema Kirche und Zweiter Weltkrieg nicht ausklammern. Wenn jedoch die Bischöfe dieses verhängnisvolle Kapitel der deutschen Kirchengeschichte weiterhin hartnäckig verschweigen und verdrängen, dann bleiben alle Reden über die neue Offenheit in der Kirche leere Worte.
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