Aus Bayrischzell am Karsamstag 2011
Lieber Joseph, lieber Sozi-Sepp,
die feurigen Stammtischdiskussionen mit Euch fehlen mir, Eurem alten Apotheker. Ich muss wieder öfters nach Rauschheim kommen, um am Donnerstag-Stammtisch mit Euch über Gott und die Welt zu debattieren. Mit meinem heutigen Brief will ich Euch schon sagen, worüber wir dann die erste Diskussion führen sollten.
Also mich hat das umgehauen, wie ich in der „Welt“ gelesen hab, dass der Bischof Müller aus Regensburg gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Oktober 2010 Widerruf eingelegt hat.
Worum gehts? Das Gericht hat dem Bischof Müller verboten, weiterhin wie im Fall von dem Philosophen Michael Schmidt-Salomon, „wahrheitswidrige Verleumdungen“ von der Kanzel herunter dem gläubigen Volk einzutrichtern. Dagegen stellt sich der Bischof auf den Standpunkt: das tät gegen „die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, wie sie das Grundgesetz garantiert“, verstoßen und lässt durch seine Juristen erklären: „Es könnte damit jeder Bürger, gegen jede in einer Predigt verbreitete Behauptung rechtlich und notfalls gerichtlich vorgehen, wenn er nur hiervon selbst betroffen ist“. Die unglaubliche Schlussfolgerung lautet: „Eine freie Predigt ist damit“ – also ohne „wahrheitswidrige Verleumdungen“ – „nicht mehr möglich.“
Was das Gericht entschieden hat, nämlich, dass der Müller nicht „wahrheitswidrig“ gegen seine Feinde vom Leder ziehen darf, entspricht doch unserer Auffassung total, aber der Müller erklärt die Zurechtweisung als Zumutung, als Bruch des Grundgesetzes und fordert, dass diese Pflicht zur Wahrhaftigkeit für den Prediger nicht gelten darf, also dass das Diffamieren als unanfechtbare Praxis, insbesondere wenn sie sich gegen Atheisten richtet, auf der katholischen Kanzel gestattet bleiben muss!
Sepp, Du müsstest Dich als Sozi noch an die Adenauerzeit erinnern, wie damals vor Wahlen ihr Sozis, also auch Du, als Schreckgespenster für das katholische Kirchenvolk und unsere Demokratie mit übelsten Nachreden überzogen wurdet. Diese infame Tradition will der Müller auf Teufel komm raus erhalten wissen. Wer von uns, der nur eine Spur von Rechtsempfinden im Bauch hat, empört sich nicht über einen solchen vom Müller geforderten Persilschein für die gezielte üble Nachrede von der Kanzel herunter. Joseph, Dich als CSUler, hat das damals wegen der Wahlerfolge womöglich irgendwie schadenfroh gemacht. Ich hoffe aber zu Deinen Gunsten, Dir ist die damalige Kanzel-Wahl-Propaganda inzwischen auch peinlich.
Mir stehen die Haar zu Berg, wenn ich bedenk, was der Müller sich an Unfairness herausnimmt. Auch einem ehrlichen Protestanten wie mir geht es gegen den Strich, wenn ein katholischer Oberhirte die Kirche in einen solchen Verruf bei allen rechtlich gesonnenen Leuten bringt. Ihr wisst das ja selbst, wir Protestanten kriegen einfach, weil wir auch Christen sind, unser Fett von dem müllerschen Kanzelmissbrauch ab, mag es noch so himmelschreiend ungerecht sein.
Also, ich sehe in dem müllerschen Treiben eine schlimmere Form des Missbrauchs, eine die den meisten weher tut als damals eine, sagen wir mal, Backpfeife durch Mixa. Obendrein legt der Müller Wert darauf, dass der Diffamierte sich nicht wehren kann, schon gar nicht vor Gericht. Das ist dieselbe Rollenverteilung wie bei den Missbrauchsfällen, der eine muss ohnmächtig stillhalten, der andere quält nach Herzenslust.
Bis zum Donnerstag
Euer Apotheker Jakob
PS: Sepp, Du hast kürzlich an den Joseph geschrieben, es wären im vergangenen Jahr 750 000 aus der Katholischen Kirche Bayerns wegen großer Unzufriedenheit mit dem Betrieb ausgetreten. Ich muss Dich korrigieren, so viele waren es 2010 dann doch nicht, aber wer weiß, ob Du nicht die Zahl für dieses Jahr vorausgeahnt hast.
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