Ferdinand Kerstiens
Nachdenkliches zur Seligsprechung von Johannes Paul II

Seligsprechungen sind immer ein kirchenpolitischer Akt. Deswegen wurde jetzt Johannes Paul II selig gesprochen, aber Oscar Romero oder Helder Camara nicht. Das irritiert mich. Damit werden sein Leben und seine Taten in ein besonderes Licht gestellt und zur Verehrung des Seligen eingeladen. Da kann ich nicht folgen, denn viele seiner Taten sehe ich als schädlich für die Kirche und für die Menschen an.

Doch zunächst die positiven Seiten seines Pontifikates:

Er hat schon als Kardinal in Krakau den Versöhnungsbrief an die deutschen Bischöfe mit initiiert. Schon damals hatte er Kontakt mit pax christi. Er hat gerade als polnischer Papst durch seine Autorität und sein Auftreten mit zum Sturz des menschenmordenden Systems des russischen Kommunismus in Polen beigetragen und damit zugleich vielen Völkern zu Eigenständigkeit und zu einer neuen Freiheit verholfen. Dasselbe gilt auch von Paraguay, wo er durch seinen Besuch die Kräfte gegen den Diktator Strössner stärkte.

Er hat sich mitten in der heftigen Diskussion gegen den Irakkrieg gewandt und ihn verurteilt. Von ihm stammt in diesem Zusammenhang das Wort, auf das wir uns als pax christi gerne und mit Recht berufen: „Krieg ist niemals ein unabwendbares Schicksal. Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit.“

Er hat ein neues Verhältnis zu den Juden gesucht und sie als die „älteren Brüder unseres Glaubens“ begrüßt. Er hat auch die römische Synagoge und als erster Papst Auschwitz besucht und sich nachdrücklich für die Erinnerung an die Shoa eingesetzt.

Er hat im Jubiläumsjahr 2000 gegen den Widerstand aus dem Vatikan ein großes Schuldbekenntnis der Kirche über ihre vielfältige Schuld in Geschichte und Gegenwart durchgesetzt und öffentlich abgelegt. Er ist auch für soziale Gerechtigkeit eingetreten z.B. gegen den Skandal der unverschuldeten Arbeitslosigkeit und für die
Überwindung von Hunger und Armut.

All das sind friedenspolitisch gute Initiativen, über deren „Seligsprechung“ wir uns freuen dürfen. Doch können und dürfen wir dabei die andere Seite seines Wirkens nicht übersehen, wenn wir als Katholische Friedensbewegung glaubwürdig sein wollen in der Kirche und vor aller Welt.

Sein Kampf gegen die Befreiungstheologie und die Verdächtigungen der Befreiungstheologinnen und –theologen hat der Kirche in Lateinamerika schwer geschadet und ihren nachkonziliaren Aufbruch gebremst. Die neue Glaubwürdigkeit der Kirche auf der Seite der Armen wurde dadurch beschädigt. Dem diente auch die Ernennung reaktionärer Bischöfe, vielfach Mitglieder von Opus Dei, besonders in Lateinamerika. Opus Dei hatte auch seine Minister in vielen Militärdiktaturen Lateinamerikas und vorher Francos. Der Papst wusste sich mit den Militärdiktatoren und mit der US-amerikanischen Politik einig im Kampf gegen die Befreiungstheologie. Damit gerieten viele engagierte Frauen und Männer, die im Sinne der Befreiungstheologie für eine umfassende Befreiung der Menschen eintraten (z.B. Oscar Romero), und viele Partnerschaftsprojekte von pax christi in Bedrängnis, die insbesondere durch unsere Kommission „Solidaritätsfonds“ unterstützt wurden.

Dagegen förderte Johannes Paul II geistliche Bewegungen, die vielfach politisch abstinent erscheinen, in Wirklichkeit aber die jeweils Mächtigen unterstützen, indem sie die Armen vertrösten, statt sie zu stärken in ihrem Kampf um Würde und Gerechtigkeit, um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dazu gehört auch die Liaison des Papstes mit den Legionären Christi und ihrem Gründer Maciel, den er auch dann noch der Jugend als Vorbild hinstellte, als die Berichte über sein sexuell ausschweifendes Leben und den Missbrauch von Abhängigen bekannt wurden.

Er verweigerte die Auseinandersetzung mit nötigen und vom Kirchenvolk vielfach erhobenen Forderungen: z.B. die Kommunion für Geschiedene und Wiederverheiratete, für evangelische Christen selbst in einer konfessionsverbindenden Ehe; er verweigerte eine Änderung der Zulassungsbedingungen für das Priesteramt (Zölibat, Priesterweihe für Frauen) und nahm dadurch vielen Gemeinden weltweit die Feier der Eucharistie; er verweigerte vielen Theologen, insbesondere vielen Theologinnen, die Lehrerlaubnis.

Seine Sicht der Sexualität war verengt auf den Zeugungsakt. Die weitere Sicht des Konzils auf die Sexualität als vielfältiges Beziehungsgeschehen zwischen Menschen fand bei ihm keinen Platz. Hierhin gehört auch die Ablehnung der verantwortlichen Geburtenkontrolle durch die Paare und die generelle Ablehnung von Kondomen. Sein Verbot der Schwangerenkonfliktberatung im Rahmen der deutschen Gesetze gehört zu seiner Deutung des Lebensschutzes. Aber es verweigert den in Not geratenen Frauen die ihnen mögliche Nähe und Hilfe. Schwule und Lesben fühlten sich mit Recht durch die Äußerungen des Papstes zur Homosexualität in ihrer Würde und ihrem Menschsein diskreditiert. Im Blick auf den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen reagierte er in Sorge für das Ansehen der Kirche vor allem mit Verschweigen und Verdrängen und nicht mit Solidarität mit den Opfern.

Er verschärfte mit dem Kirchenrecht die zentralistische Struktur der Kirche. Alles war auf den Papst als letzte Instanz ausgerichtet. Das Bischofsamt, wie es das Konzil als eigenes Amt neu ins Licht gerückt hatte, die regionalen Bischofskonferenzen als legitime Äußerung des Lehramtes vor Ort, die Bischofssynoden als vom Konzil geforderte Fortsetzung wurden zurückgestuft auf reine Beratung. Die Stimme des Volkes Gottes, das das Konzil als fundamentale Größe der Kirche neu entdeckt und ausführlich gewürdigt hatte, wurde nicht gehört. Demokratische Auflockerungen des strikt hierarchischen Systems lehnte er ab. Kritik am Lehramt der Kirche oder an konkreten Entscheidungen galt als mangelnde Kirchlichkeit.

Damals stand hinter vielen dieser Entscheidungen Kardinal Ratzinger, der als Chef der Glaubenskongregation seinen Einfluss auf Johannes Paul II geltend machte. Jetzt will er als Benedikt XVI seinen Vorgänger selig sprechen. Das macht mich sehr nachdenklich. Das ist für mich und für viele Katholikinnen und Katholiken kein Dienst an der Frohen Botschaft Jesu für die Menschen, stiftet keine Hoffnung, lässt die Fülle des Lebens, die Jesus bringen wollte, nicht aufleuchten. Als Mitglied von pax christi und der Friedensbewegung, als Engagierter in der Partnerschaft mit vielen Projekten der armgemachten Menschen und Völker kann ich darin auch keinen Friedensdienst erkennen. Die umfassende Verheißung des Schalom für alle Menschen und Völker, die die Propheten verkündet und die Jesus aufgegriffen und sich zu eigen gemacht hat, spricht eine andere Sprache.

Wichtig ist, dass wir an einem umfassenden Begriff vom Schalom festhalten, der sich nicht auf Kriegsverhinderung und Gewaltverminderung verkürzen lässt, sondern das Leben, die Würde und Freiheit aller meint, vor allem der Armgemachten und Ausgegrenzten, das Miteinander in gegenseitiger Achtung auf Augenhöhe, den Respekt vor den Menschen anderer Ausrichtung, anderer Konfession und Religion, die Aufnahme anthropologischer und soziologischer Erkenntnisse über das Zusammenleben von Menschen.

Klar ist, dass kein Mensch, auch kein heilig oder selig gesprochener Mensch in jeder Hinsicht vollkommen ist. Deswegen bedarf es einer differenzierten Stellungnahme, gerade angesichts der einseitigen kirchenpolitischen Auswahl der Seligsprechungen. Pax Christi Münster stand vor einer ähnlichen Entscheidung anlässlich der Seligsprechung von Kardinal Clemens August, dem Löwen von Münster. Wir haben sein Eintreten gegen die menschenverachtende Euthanasie gewürdigt, uns aber von seiner Kriegsbefürwortung bis zum Kriegsende, von seiner Gehorsamsforderung für die Soldaten distanziert. Die Diözesanleitung hat nicht darauf reagiert. Aber die Diskussion über unsere Erklärung wurde intensiv geführt und wir erfuhren Widerspruch, aber auch Zustimmung vieler engagierter Katholikinnen und Katholiken.
Ich meine, trotz der erfolgten Seligsprechung muss eine intensive Diskussion über die Seligsprechung von Johannes Paul II weitergehen.


© imprimatur November 2011
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