Erhard Bertel
Ausdauer und Mut

„Ich habe in den letzten Tagen Ihre Ausgabe von imprimatur lesen können. Ich bewundere Ihre Ausdauer! Was die Männer und Frauen in dieser imprimatur-Ausgabe schreiben, kann ich nur unterstützen.
Das Problem: das römische System ändert sich nicht!!

Als Psychologe habe ich gelernt, dass man ein System nicht verändern kann, wenn man im System bleibt. Mit dem „Karnevalsverein in Rom und dessen Büttenreden“ kann man sich nicht auseinandersetzen.“

Diese Leserzuschrift hat mich in den letzten Tagen erreicht. Zunächst scheint dieser Mann Recht zu haben. Wir beobachten besonders im Zusammenhang mit dem begonnenen Dialogprozess in Mannheim (siehe dazu den Artikel auf Seite 244), wie hilflos „dieses System“ versucht, mit von Ihnen ausgesuchten Katholiken über die Situation der Kirche in Deutschland zu reden. Da ist eine Seite von vorneherein im Besitz der Wahrheit und macht auch klar, worüber man gar nicht reden kann, nämlich über alle Sachverhalte, die Frauen und Männern auf der anderen Gesprächsseite am Herzen liegen: Wiederverheiratete Geschiedene und Sakramentenempfang, Gemeindeleitung nur durch „geweihte Priester“, auch wenn die gar nicht mehr zur Verfügung stehen, der Sog der Kirchenaustritte, mehr Austritte als Taufen als letzte Nachricht, Frauen und Priesterinnenweihe, eine Struktur in der Kirche, die auch die Wahl von Bischöfen beinhaltet und vieles andere mehr. In diesem „Dialogprozess“ kann sich eine kleine ausgewählte Gruppe „Luft machen“ gegenüber den Bischöfen, die sich überhaupt nur herablassen, sich in einen Stuhlkreis mit Laien zu setzen und zuzuhören. Diejenigen Bischöfe, die sich ausschließlich im Besitz der Wahrheit wähnen, bleiben da gleich weg.

Im Hinblick auf diesen „Dialogprozess“ bieten wir Ihnen in dieser Ausgabe zwei Texte an zu „40 Jahre Gemeinsame Synode der Bistümer Deutschlands“. Was ist von dem damaligen Synodenvorgang geblieben? Eine ernüchternde Einsicht.

Also: raus aus dem System und zum Kirchenaustritt raten? Doch welches Problem wäre damit gelöst?

Diese Austritte wären dann sinnvoll, wenn es nur um das „System Kirche“ ginge. Kirche ist aber doch mehr. Das fällt dann auf, wenn man Kirchengemeinden vor Ort sieht und dann auch das Engagement bemerkt, das viele „Laien“ innerhalb ihres kirchlichen Kontextes einsetzen. Aber nicht nur die „Laien“, sondern auch ein Teil des Klerus versucht zu retten, was zu retten ist. Sie möchten aus ihrem seelsorglichen Verständnis heraus, Menschen in vielfacher Weise gerecht werden. Ein solcher „gutwilliger“ Kollege erzählt derzeit in seinem Umfeld, dass er am Wochenende sieben (!) Messen zelebriert habe, da er keine Aushilfen gefunden hat. Er wollte nicht einfach die Messen ausfallen lassen und damit die Menschen allein lassen. Natürlich ist das bei näherem Hinsehen keine sinnvolle Möglichkeit, die Sonntagsgottesdienste zu retten. Sehen muss man aber auch den Druck, der auf den derzeit amtierenden Klerikern lastet.

Andere sagen: es kommen ja gar nicht mehr viele „Gläubige“ am Sonntag, da kann man die Zahl der Messfeiern doch einfach reduzieren oder ausfallen lassen. Bei dieser Sicht geht all das verloren, was man einmal eine „missionarische Seelsorge“ nannte. Wie nahe liegt es, dass die derzeitigen Pfarrer damit auch ihren Frustrationen Raum geben und unzufrieden werden.

Da ist für mich noch ein anderer Gesichtspunkt. In der vergangenen Sommerzeit haben in Stadt und Land eine große Zahl von Festen in den Kirchengemeinden stattgefunden. Da sieht man sie, die oft belächelten „Aktivisten“, die sich einfach nicht den Mut nehmen lassen, im Stadtviertel oder im Dorf die eigene Gemeinde als einen Ort anzubieten, an dem man sich trifft und Kommunikation ermöglicht. Sie tun das trotz ihres eigenen Unbehagens gegenüber den Zusammenlegungen der Kirchengemeinden, die ein Bistum ihnen verordnet.

Da sieht man auch die Angebote der Frauengemeinschaften, den Tanzkreis, den Seniorenclub, die Kinder- und Jugendgruppen, die Lebendigkeit ausstrahlen. Es zeigt sich in diesen Bereichen, dass zwei Kirchenrealitäten nebeneinander her leben. Man kann nicht von einer Spaltung sprechen, da es sich um parallele Realitäten handelt, die kaum noch aufeinander treffen.

Im „System der Kirche“ bleiben, kann dann denen Mut machen, die sich (noch) nicht geschlagen geben und auch nicht bereit sind, Kirche nur als eine Realität zu verstehen, die eine kleine hierarchische Männerschicht ihnen vorgibt.

Beim Schreiben dieser Zeilen gehen die Bilder der „begeisterten Jugendlichen“ in Madrid über den Bildschirm. Der Papst fühlt sich als „Jugendführer“ in seinen Ansprachen. Ja, ausgewählte Jugendliche, so wird berichtet, dürfen gar bei ihm die Beichte ablegen und so einen vollkommenen Ablass gewinnen. Ob diese Jugendlichen nach bestimmten Kriterien ihrer Sünden ausgesucht werden, von Sex bis Crime? Wir wissen es nicht.

Bald wird auch bei uns in Deutschland beim Papstbesuch medial eine Kirche dargestellt, die mit den alltäglichen Realitäten wenig zu tun hat.

imprimatur und sein weiteres Erscheinen muss man in diesem Zusammenhang sehen. Wenn es nur die Begründung gäbe, dass Kirchenobere durch das Lesen kritischer Artikel etwas verändern würden, dann könnte man das Erscheinen einstellen. Wer hat derzeit überhaupt die Chance, eine Umkehr beim „System der Kirche“ herbeizuführen?

Die beachtliche Zahl der Zuschriften aus unserem Leserkreis sagt uns aber: es ist gut, dass die bei uns veröffentlichten Aussagen auch eine Chance haben, wahrgenommen zu werden. Jedes Heft mache ihm Mut, weiter in der Kirche zu bleiben, und sich nicht eine offizielle Kirchensicht verordnen zu lassen, schreibt jemand aus der Leserschaft.

Die Redaktion wünscht Ihnen, dass Sie beim Lesen nicht unbedingt nur bei der Wut oder dem Ärger über die einzelnen kirchlichen Fakten stehen bleiben, sondern auch den Mut behalten, der Sie in „Ihrer“ Sicht der Kirche stützt und Anregungen finden, das ein oder andere in „Ihrem“ Sinne umzusetzen.


© imprimatur Oktober 2011
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