Sabine Demel
Die Würzburger Synode – ein unübertroffenes Vorbild für dialogische Strukturen in der katholischen Kirche

Der angekündigte Dialogprozess für die katholische Kirche in Deutschland stößt auf allgemeine Skepsis. Der ein oder andere Bischof hat bereits erklärt, mit welchen thematischen Einschränkungen von vorneherein gerechnet werde müsse und dass Themen, die die Gesamtkirche betreffen, in diesem „deutschen Dialog“ nichts zu tun haben. Gerade aber die Themen, über die die Bischöfe nicht sprechen wollen, sind die Themen der breiten Öffentlichkeit der Kirche.
Frau Prof. Dr. Sabine Demel stellt im folgenden Beitrag die Würzburger Synode vor, die als Modell für einen Dialog gelten könnte.

In den Jahren 1971 bis 1975 fand im Würzburger Dom zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der katholischen Kirche eine Synode statt, zu der sich Repräsentanten des Gottesvolkes aller Bistümer der damaligen Bundesrepublik Deutschland versammelt hatten, um gemeinsam zu beraten und Entscheidungen zu treffen. Nach ihrem Tagungsort wird diese Synode kurz „Würzburger Synode“ genannt, ihre korrekte Bezeichnung lautet: „Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“.

Umsetzung des II. Vatikanischen Konzils

Hätte es nicht das II. Vatikanische Konzil gegeben, hätte nicht die „Gemeinsame Synode“ stattgefunden. Denn die entscheidende Grundlage der Gemeinsamen Synode war die Tatsache, dass die katholische Kirche auf dem II. Vatikanischen Konzil in vielfacher Hinsicht bedeutsame Veränderungen in ihrem Selbstverständnis formuliert und verbindlich festgelegt hat. Diese mussten und müssen in der Folgezeit in den einzelnen Ortskirchen umgesetzt werden. Deshalb war es das erklärte Ziel der Synode, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils für Deutschland umzusetzen. Im Mittelpunkt stand das vom Konzil wieder entdeckte biblische Bild der Kirche als „Volk Gottes“ und die sich daraus ergebende Mitverantwortung aller Glieder für die Sendung der Kirche, also nicht nur der Kleriker, sondern auch der Laien. Dementsprechend nahmen insgesamt über 300 Personen teil, darunter 140 Laien. Die SynodalInnen wurden großenteils in den Diözesen gewählt, andernfalls von Bischofskonferenz, Zentralkomitee und den Arbeitsgemeinschaften der Männer- und Frauenorden berufen.

Kirchenrechtliches Novum

Aus kirchenrechtlicher Sicht war das Besondere dieser Synode die Tatsache, dass nicht nur die Bischöfe als die Nachfolger der Apostel die Beschlüsse gefasst haben, sondern alle Synodenmitglieder, Laien ebenso wie Kleriker gleiches Stimmrecht hatten. Daher stellt die Würzburger Synode ein – im wahrsten Sinn des Wortes „einzigartiges“ – Novum dar. Denn die dort geltenden Regelungen über die Mitglieder der Synode, ihre Beschlussfassung und Gesetzgebung waren weder im kirchlichen Recht des CIC/1917 vorgesehen und mussten deshalb eigens vom Apostolischen Stuhl approbiert werden, noch sind sie in den CIC/1983 eingegangen. Die kirchenrechtlichen Besonderheiten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:[1]

Einmütigkeit, Diskussionen und Enttäuschungen

Die Synode tagte in acht Vollversammlungen von jeweils fünf Tagen. Hinzu kamen viele Sitzungen der Organe: Präsidium, Zentralkommission (35 Sitzungen), Rechtsausschuss und Sachkommissionen (durchschnittlich 30 Sitzungen). Alle Organe wurden durch Wahlen konstituiert. In allen Organen arbeiteten Bischöfe, Priester und Laien zusammen in einem intensiven, oft kontroversen Meinungsaustausch.

Auch kritische Phasen konnten bewältigt werden, sie führten nicht zu einem Abbruch der Synode. Bei der endgültigen Festlegung der Beratungsgegenstände durch die Zentralkommission, die fast ein Jahr nach der konstituierenden Sitzung und kurz vor der zweiten Vollversammlung stattfand, verweigerte die Bischofskonferenz dem Beratungsgegenstand „viri probati“ (Weihe von verheirateten Männern zu Priestern) ihre Zustimmung, weil dies die Zuständigkeit der Kirche in Deutschland übersteige; dies führte zu einem starken Protest der Vollversammlung. Bei der ersten Lesung der ersten Synodenvorlage (über die „Laienpredigt“) erhob im letzten Augenblick eine römische Kongregation Einspruch; der Protest der Vollversammlung und der Bischöfe führte dazu, dass von da an Bedenken der römischen Kurie im Vorfeld der Beratungen abgeklärt wurden und die Vollversammlung ihre Zuständigkeit umsichtiger beachtete. Die Ablehnung der Bischofskonferenz, ein Votum an den Apostolischen Stuhl zur Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten mitzutragen, hätte um ein Haar die erforderliche Zweidrittelmehrheit zum Beschluss
„Ehe und Familie“ scheitern lassen.

Anordnungen, Empfehlungen, Voten und Arbeitspapiere

Die Vollversammlung verabschiedete 18 Beschlüsse: Unsere Hoffnung, Religionsunterricht, Laienverkündigung, Gottesdienst, Sakramentenpastoral, Jugendarbeit, Kirche und Arbeiterschaft, ausländische Arbeitnehmer, Ehe und Familie, Entwicklung und Frieden, Bildungsbereich, Orden, Dienste und Ämter, Räte und Verbände, Pastoralstrukturen, Verwaltungsgerichtsordnung, Ökumene, Missionarischer Dienst.

Den 18 verabschiedeten Beschlüssen kam unterschiedliche Verbindlichkeit zu, je nachdem ob sie Anordnungen, Empfehlungen oder Voten enthielten.

Eine Anordnung ist die höchste Verbindlichkeitsstufe mit zwingender Rechtskraft. Sie bedarf der Rekognition durch den Apostolischen Stuhl.

Empfehlungen sind nachdrücklich gutgeheißene, aber nicht rechtsverbindliche Vorschläge.

Voten sind Stellungnahmen, die über das geltende kirchliche Recht hinausgehen, also der gesamtkirchlichen Regelung vorbehalten sind und darum nur als Antrag bzw. Bitte an den Apostolischen Stuhl gerichtet werden können.

Die Beschlüsse mit ihren Anordnungen, Empfehlungen und Voten wurden in der jeweiligen Diözese dadurch in Kraft gesetzt, dass sie der zuständige Diözesanbischof im Amtsblatt veröffentlichte. Dabei war im Statut der gemeinsamen Synode explizit geregelt:

„(1) Beschlüsse der Synode werden durch den Präsidenten der Synode bekannt gegeben und in den Amtsblättern der Bistümer veröffentlicht.

(2) Beschlüsse der Synode, die Anordnungen enthalten, treten in den einzelnen Bistümern mit der Veröffentlichung im Amtsblatt des Bistums als Gesetz der Deutschen Bischofskonferenz oder – je nach Zuständigkeit – als Diözesangesetz in Kraft“ (Art. 14).[2]

Zwei Monate nach Ende der Synode erfolgte bereits die Rekognition (= Genehmigung nach erfolgter Überprüfung) aller noch ausstehender Synodenbeschlüsse durch den Apostolischen Stuhl. Im September 1976 erschien der erste Band der offiziellen Gesamtausgabe mit den Synodenbeschlüssen.[3]

Beispiele von Beschlüssen mit unterschiedlicher Verbindlichkeit

Als Anordnungen wurden z.B. beschlossen, dass Frauen der Zugang auch zu leitenden Positionen in den Diözesen zu eröffnen ist, Gemeinden sich in besonderer Weise der unvollständigen Familien annehmen sollen, in allen Diözesen ein Priesterrat, ein Diözesanpastoralrat und ein Katholikenrat mit der umschriebenen Zuständigkeit einzurichten sind.

Die Empfehlungen beinhalteten z.B. das Abfassen von Stellenbeschreibungen, einheitlichen Richtlinien und Laufbahnordnungen für die pastoralen Laiendienste, das Bemühen um eine wirksame Form der Mitgliedschaft der katholischen Kirche im Ökumenischen Rat der Kirchen, das Festsetzen von maximal drei Eucharistiefeiern pro Sonntag für einen Priester.

Voten wurden z.B. für die Zulassung von Frauen zum Diakonat, für eine kirchliche Trauung von wiederverheirateten Geschiedenen und für die Durchführung einer Gemeinsamen Synode alle zehn Jahre abgegeben.

Außer den 18 Beschlüssen hat die Synode sechs Arbeitspapiere erstellt, die laut Beschluss der Zentralkommission bei der Festlegung der Beratungsgegenstände in die Verantwortung einzelner Sachkommissionen gestellt wurden und nicht der Zustimmung der Vollversammlung bedurften: Katechetisches Wirken, Not der Gegenwart, menschliche Sexualität, Kirche – Staat – Gesellschaft, Kirche – Kommunikation, Deutsches Pastoralinstitut. Die Arbeitspapiere wurden 1977 als zweiter Band der offiziellen Gesamtausgabe veröffentlicht.[4]

Umsetzung, Weiterentwicklung und Stagnation

Etliche Synodenbeschlüsse haben bis heute tragfähige Grundlagen geschaffen: Begründung und Konzept des schulischen Religionsunterrichts (bedeutsam auch für die evangelischen Landeskirchen) oder die Neukonzeption der kirchlichen Jugendarbeit (nach langjährigen Querelen zwischen Bischofskonferenz und Jugendverbänden). Der Beschluss über Dienste und Ämter wurde von der Bischofskonferenz weiterentwickelt durch die Verabschiedung von Statuten und Ausbildungsordnungen für die pastoralen Dienste von Priestern, Diakonen, Pastoral- und GemeindereferentInnen. Der Beschluss über die pastoralen Strukturen wurde mehr oder weniger in den Diözesen umgesetzt durch die Einrichtung von Diözesan-, Priester- und Pastoralräten auf Bistumsebene. Die bis ins Detail ausgearbeitete Ordnung der Verwaltungsgerichte der Bistümer wurde allerdings bis heute von keinem Bischof in Kraft gesetzt, obwohl dies immer wieder angemahnt wird. Das Pastoralinstitut auf Nationalebene, zu dessen Gründung ein Arbeitspapier mit einem ausgearbeiteten Konzept vorlag, fand ebenfalls nicht die Zustimmung der Bischofskonferenz. Auf die zahlreichen Voten an den Apostolischen Stuhl erfolgte keine Antwort.

Bleibende Aktualität

In der Konzeption der Würzburger Synode war durch die Anzahl der Laien wie auch durch deren Stimmrecht eine wirkliche Teilhabe des ganzen Gottesvolkes am Leitungsamt der Kirche ebenso gewährleistet wie die besondere Verantwortung der Bischöfe gewahrt war, da letztere ein eigenes Vetorecht hatten. Es spricht vieles für die These, dass vielleicht gerade wegen dieser Regelungen viele Beschlüsse entstanden sind, die auch heute noch hochaktuell sind, weil sich in ihnen die Lebens- und Glaubensfragen des ganzen Gottesvolkes spiegeln.

(Der Beitrag ist dem lesenswerten Buch entnommen: Sabine Demel, Handbuch Kirchenrecht. Grundbegriffe für Studium und Praxis, Freiburg i.Br. 2010, S. 240 – 244.)

Prof. Dr. Sabine Demel hat den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Universität Regensburg.


© imprimatur Oktober 2011
Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und schon hat uns Ihre Post erreicht.

Zuerst Ihre Adresse (wir nehmen keine anonyme Post an!!):
Name:

Straße:

PLZ/Ort:

E-Mail-Adresse:

So und jetzt können Sie endlich Ihre Meinung loswerden:


[1]Vgl. dazu Statut der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland und Bestätigung des Statuts durch den Heiligen Stuhl, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe, Bd. I, Freiburg i.Br. 1976 (=GSyn I), 856-862.
[2]Ebd., 860.
[3]GSyn I.
[4]Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Offizielle Gesamtausgabe, Bd.II: Arbeitspapiere der Sachkommissionen, Freiburg i.Br. 1977.