Vor vierzig Jahren trat erstmals die „Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ im Würzburger Dom zusammen. In vier Jahren intensiver Arbeit verabschiedete sie 18 Beschlüsse und 6 Arbeitspapiere. Kardinal Döpfner, Präsident der Synode und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, starb einen Tag nach Unterzeichnung des Vorworts zu deren Veröffentlichung. Fast gleichzeitig erschien ein „Studienbuch für die Praxis in der Bildungs- und Gemeindearbeit“ mit dem Titel „Synode – Ende oder Anfang“, herausgegeben von D. Emeis und B. Sauermost, das die vorhandenen Befürchtungen eines folgenlosen Endes der Synode zerstreuen sollte.
Anfang Juli diesen Jahres kamen 300 von Bischofskonferenz (BK) und Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) eingeladene Männer und Frauen in Mannheim zum Auftakt eines Dialogprozesses „auf Augenhöhe“ zusammen, um über die schon zu Synodenzeiten bekannten, jetzt aber verstärkt zu Tage getretenen Probleme des Glaubens und der Kirche zu sprechen, in einer veränderten Situation endlich Lösungen zu finden und die durch den Missbrauchskandal erschütterte Glaubwürdigkeit der Kirche zurück zu gewinnen.
Auch die Synode hatte bereits die Aufgabe „in ihrem Bereich die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils zu fördern und zur Gestaltung des christlichen Lebens gemäß dem Glauben der Kirche beizutragen.“ (Statut Art. 1). Sie kam aber nicht in erster Linie durch das Konzil zustande. Vielmehr war es die kurz vor dem Essener Katholikentag 1968 veröffentlichte sog. Pillenenzyklika Paul VI. „Humanae Vitae“, die das Fass zum Überlaufen brachte und die Bischofskonferenz zu raschem Handeln zwang. Hinzu kamen die durch gesellschaftliche Umbrüche verursachten Spannungen und Polarisierungen auch in der Kirche. Bereits Anfang 1969 fasste die Bischofskonferenz den Beschluss, eine „Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland“ durchzuführen. Ausdrücklich wurde durch das Statut der Synode die Bischofskonferenz eingebunden, ohne jedoch die Autorität der Bischöfe einzuschränken. Die Form des breiten Dialogs des Niederländischen Pastoralkonzils (1966 – 1971), das auf 40.000 Gesprächsgruppen in dem kleinen Niederland aufbaute, wurde vehement abgelehnt. Ziel der Synode war es vielmehr, verbindliche Beschlüsse zu fassen und gegebenenfalls Voten an den Apostolischen Stuhl zu richten. Gegen dieses Konzept gab es zunächst heftige Kritik der kritischen Solidaritätsgruppen, die dadurch die freie Meinungsäußerung der Synode erheblich eingeschränkt sahen.
Im Folgenden sollen insbesondere einige Schwerpunkte der Synodenarbeit hervorgehoben werden, die auch heute noch relevant sind. Aber auch der Synodenprozess als solcher darf nicht unterschätzt werden, der ein einmaliges Ereignis von gemeinsamer Arbeit von Bischöfen, Priestern und Laien, Männern und Frauen, Ordensleuten, Theologen und Fachleuten aus ganz unterschiedlichen Bereichen war. Die entscheidende Frage aber ist: Was erreichte und bewirkte die Synode oder blieb sie tatsächlich folgenlos und warum. Abschließend sollen einige Schlussfolgerungen für den begonnenen Dialogprozess zur Diskussion gestellt werden.
Schon von der Vorbereitungskommission wurde eine Umfrage unter allen Katholiken zur Glaubenssituation, zu ihren Einstellungen, Auffassungen und ihrer Praxis durchgeführt, die ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild der kirchlichen Situation geben sollte. 15.000 Eingaben zu Inhalten der Synode richteten sich an das ZdK und an die BK. 30 Priester- und Solidaritätsgruppen schlossen sich zur AG Synode zusammen und erarbeiteten Anfang 1970 Vorschläge zum Inhalt und zur Durchführung der Synode. Die Realität des kirchlichen Lebens und Glaubens traten dadurch offen zu Tage: die Distanz einer großen Zahl von Katholiken zur Kirche, die Dissonanz zwischen persönlicher Lebensgestaltung und der kirchlichen Lehre, insbesondere in Bezug auf Sexualität und die Autorität des Papstes, der Zerfall des katholischen Milieus, aber auch die Suche nach Spiritualität gerade auch bei den politisch engagierten Christen. Auf diesem Hintergrund erstellte die Vorbereitungskommission einen Themenkatalog, der als Entwurf bereits im September 1969 veröffentlicht und aufgrund der Diskussion überarbeitet und der konstituierenden Sitzung der Synode vorgelegt wurde. Die Prioritätensetzung wurde den zehn Sachkommissionen (SK) überlassen. Die etwa 300 Synodalen konnten sich für die Mitarbeit in einer SK entscheiden. Als sich herausstellte, dass die Synode nicht alle zunächst festgelegten Themen bearbeiten konnte, wurden zweimal die Themen reduziert und einige nur als Arbeitspapiere von der zuständigen SK verabschiedet.
Einen zentralen Schwerpunkt der Synodenarbeit stellte die Gemeinde dar, die Kirche vor Ort. Ziel war es, den Übergang von der ‚versorgten Gemeinde’ zu „Gemeinden, die ihr Leben in gemeinsamer Verantwortung und im gemeinsamen Dienst“ zu gestalten. Dem sollten die Gottesdienste, die Sakramentenpastoral, die Erwachsenenkatechese sowie die Jugendarbeit, der Religionsunterricht, die verschiedenen Dienste und Ämter und die Rahmenordnung für die pastoralen Strukturen dienen. In diesen Synodenbeschlüssen wurden hohe Erwartungen an die Gemeinden zum Ausdruck gebracht und konkrete Impulse zu einzelnen Fragen gegeben. Dennoch blieb die Reform halbherzig. Die Synodalen wussten um den schon damals „katastrophalen Nachwuchsmangel der Priester“ (Prof. W. Kasper), aber dennoch durfte die Synode weder über dieses Problem beraten, noch wurde an der herausgehobenen Stellung des Pfarrers etwas geändert. Wenigstens ein Votum zur Zulassung von Frauen zum Diakonat fand breite Zustimmung. Allerdings kam darauf – wie auch auf die die übrigen Voten – nicht einmal eine Antwort vom apostolischen Stuhl. Über die Laienpredigt bzw. „Die Beteiligung der Laien an der Verkündigung“ kam es im Januar 1973 zum ersten Eklat in der Synode. Von Rom wurde der Synode untersagt, überhaupt zu dieser Frage verbindliche Aussagen zu machen, obwohl der vorgelegte Beschlussentwurf sowohl von der Sachkommission, der Bischofskonferenz und dem Präsidium gebilligt worden war!
Ein zweiter Schwerpunkt waren die Fragen von Ehe und Familie sowie von Sexualität. Hier wurden insbesondere die Fragen der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten, der Familienplanung und der vorehelichen Sexualität gerungen, die alle verheirateten Synodalen und Eltern betrafen. Hier hatte auch die Synodenumfrage die größte Dissonanz zur kirchlichen Lehre festgestellt, auch wenn die „Königsteiner Erklärung“ den Katholiken in Deutschland einen pastoralen Weg gewiesen hatte.
Eigentlich sollten die „gesellschaftlichen Aufgaben der Kirche“ (SK V) keinen besonderen Schwerpunkt bilden, da Fragen in diesem Bereich zum eigentlichen Arbeitsgebiet des ZdK gehörten. Aber gerade hier stieß die Synode immer wieder an ihre Grenzen (Prof. Karl Lehmann). Einmal gab es Konflikte mit der für die „Christliche Diakonie“ zuständige SK III. Diese sollte einen Beschluss zur Situation ausländischer Arbeitnehmer erarbeiten, was aber doch eigentlich ein gesamtgesellschaftliches und nicht nur ein karitatives Handeln erforderte. Zum anderen war die Frage „Kirche und Arbeiterschaft: ein fortwirkender Skandal“ nicht nur eine Frage des Verlusts der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert, was für P. von Nell-Breuning eine sehr frühe persönliche Verletzung seines Gerechtigkeitsbewusstseins war, sondern auch eine Frage nach der menschengerechten Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Andererseits scheiterte gerade die SKV mit der Beschlussvorlage „Zum Dienst der Kirche in der Leistungsgesellschaft“, die einzige Vorlage, die vom Präsidium der Vollversammlung nicht zur Beschlussfassung vorgelegt wurde.
Auch um das herausragende Grundsatzdokument der Synode „Unsere Hoffnung – ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit“ wurde in der Synode hart gerungen, bevor es breite Zustimmung fand. Es waren nicht die Glaubensfragen als solche, die die Christen bedrängten. Vielmehr war es die Verbindung des Glaubens mit den alltäglichen Lebensfragen, die zu Schwierigkeiten führten. Die Antwort musste daher dann auch eine politisch-theologische sein, formuliert mit der besonderen Sprachkompetenz von Prof. J. B. Metz. „Unsere Hoffnung“ war Bekenntnis und zugleich Anspruch an die Kirche in Deutschland wie an jeden einzelnen Christen, die Nachfolge des gekreuzigten und auferstandenen Jesus in dieser Zeit und in dieser Gesellschaft zu leben. Es ging darum, „die Glaubenswahrheiten in ihrem Bezug zur eigenen Situation, in ihrer Tragfähigkeit für die konkrete Lebensbewältigung“ (Prof. Th. Schneider) zu sehen und anzusprechen.
Schon dieser äußerst knappe und unvollständige Rückblick auf das Ringen der Synode zeigt, dass den Synodalen ein hohes Problembewusstsein nicht abgesprochen werden kann, dass die Diskussionen von einer Vielfalt von Erfahrungen geprägt waren, dass aber auch Unterschiede in Perspektiven und Bewertungen zum Ausdruck kamen. Die Bischofskonferenz gab als solche Stellungnahmen zu den vorgelegten Entwürfen ab, obwohl einzelne Bischöfe durchaus auch eigene Positionen vertraten. Eine Gruppe von etwa 70 Synodalen hatte sich auf Initiative von Pfr. Hans Werners (Münster) gleich nach der ersten Vollversammlung als Kontaktkreis Synode (KKS) zusammengefunden und sich aus dem Geist des Konzils zu engagierter Synodenarbeit verpflichtet, da eine kritische Begleitung von außen, wie es die AG Synode plante, wenig wirksam werden konnte. Da die Synodalen im KKS aus allen Sachkommissionen kamen, sowie einer der Sekretärekonferenz und Pfr. Werners als Vorsitzender der SK I „Glaubensverkündigung heute“ der Zentralkommission angehörte, war der KKS die informierteste Gruppe der Synode. Vor jeder Vollversammlung gab es ein Vorbereitungstreffen, auf dem die zu beratenden Entwürfe diskutiert, Anträge und Stellungnahmen erarbeitet wurden. Zu Beginn jeder Vollversammlung wurden alle Synodalen zu einem Informationsabend eingeladen, denn viele einzelne Synodale waren rein zeitlich gar nicht in der Lage, die Vorlagen anderer Sachkommissionen zu bearbeiten. Am Ende der Synode fand Kardinal Döpfner anerkennende Worte auch für die Arbeit der kritischen Synodalen. Ihm war es ein Anliegen, die Synode als „geistliches Ereignis“ zu vermitteln durch Gebet und Gottesdienste, aber auch durch die Art und Weise der Durchführung, gerade auch in schwierigen Diskussionen und Konflikten in den Sachkommissionen wie im Plenum.
Was hat nun die Synode erreicht? Hat sie überhaupt etwas erreicht? War all die Arbeit der Mühe wert? Mit dieser Frage befassen sich erst seit wenigen Jahren die Kirchenhistoriker und Kirchenhistorikerinnen, z.B. im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgesellschaft „Modernisierung des Glaubens“ oder der Arbeit der AGENDA-Theologinnen, die dies unter dem Stichwort „Diversität als Horizont einer Theologie der Welt“ tun. Aus meiner Sicht möchte ich einige Bemerkungen machen. Viele Gemeinden sind durch die Synode ermutigt worden, in der Liturgie und im Gemeindeleben, in ihrem Engagement sich zu öffnen und selbstverantwortlich die Anliegen der Menschen aufzugreifen und dem in ihrem Gemeindeleben Raum zu geben. So hat z.B. die Diözese Aachen sich besonders den Fragen der Arbeit, der Armut, der Arbeitslosen und der Alleinerziehenden ganz konkret zugewandt und den alten Volksverein in Mönchengladbach zum Träger einer Beschäftigungsgesellschaft gemacht. Auch von der Beteiligung der Laien in den Räten auf allen kirchlichen Ebenen sind Impulse ausgegangen, allerdings in Abhängigkeit von der Bereitschaft und Fähigkeit der jeweiligen kirchlichen Autoritäten. Aber die derzeitige Ausrichtung der Pfarreien an der Zahl der Priester und ihre Zusammenlegung zu XXL-Pfarreien entspricht sicher nicht dem Anliegen der Synode damals und dem Wunsch der Gemeindeglieder heute und den pastoralen Bedürfnissen vieler. Die Kluft zwischen der pastoralen Praxis und der kirchlichen Lehre hat sich seit der Synode eher vergrößert als dass sie sich verkleinert hätte. Durch die Einbeziehung der Diözesan-Laienräte in das ZdK hat sich auch dieses gewandelt und befasst sich zu recht nicht nur mit gesellschaftlich-politischen Fragen - und inzwischen auch aus unterschiedlichen (partei)politischen Perspektiven -, sondern auch mit kirchlich-pastoralen Fragen. Die Aufspaltung: hier der Weltdienst für die Laien und da der Heilsdienst für die Bischöfe/Priester, führt auch heute noch immer wieder zu Konflikten. Die Gemeinsame Konferenz von Bischofskonferenz und ZdK, die anstelle der von der Synode geforderten Fortsetzung der Synode in regelmäßigen Abständen eingerichtet wurde, hat dagegen kaum eine öffentliche Wirksamkeit erlangt.
Ohne die Mitarbeit gerade der Frauen würden das Gemeindeleben und die karitativen Dienste nicht möglich sein. Hinzu kommt die große Zahl theologisch und spirituell qualifizierter Frauen in vielen Bereichen, die in Theologie, geistlicher Begleitung, Gottesdienstgestaltung und Sakramentenpastoral wichtige Impulse geben. Obwohl viele von ihnen Dienste übernehmen, die früher Priestern vorbehalten waren, sind sie weder zum Diakonat noch zur Ordination zugelassen. Die Forderung nach der Diakonatsweihe für Frauen findet heute nicht nur in Deutschland breite Zustimmung. Sie steht an der Spitze der Forderungen, die die Frauen im ZdK zur Erinnerung an das vor 30 Jahren von der Bischofskonferenz veröffentlichte Pastorale Wort „Zur Situation der Frauen in Gesellschaft und Kirche“ 1981 erheben. Der Synode war zwar bewusst, dass Frauen nicht nur durch das Kirchenrecht diskriminiert wurden und sich durch Bildung und zunehmende Erwerbsarbeit der Frauen sowie durch neue Möglichkeiten der Familienplanung das Selbstbewusstsein der Frauen und ihre Stellung in der Gesellschaft tiefgreifend veränderten. Trotzdem war das Thema nicht Gegenstand eines eigenen Beschlusses, sondern nur eine „durchlaufende Perspektive“.
Nicht nur dieses Pastorale Wort von 1981, sondern auch das Gemeinsame Wort der Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“, das 1997 nach einem breiten Dialogprozess zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland erschien, wäre m. E. ohne die synodalen Erfahrungen so nicht denkbar gewesen. In über 45.000 Zuschriften von Einzelnen und Gruppen, von den unterschiedlichsten Verbänden und Gewerkschaften sowie den Parteien wurden Besorgnisse und Ängste geäußert, notwendige Maßnahmen und Regelungen vorgeschlagen, durch die die unterschiedlichen Akteure im öffentlichen Raum zum Handeln aufgefordert wurden, einschließlich der Kirchen selbst. Der Partizipation so vieler und unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure entsprechend groß war das Echo in der Öffentlichkeit. Lassen sich aus den Erfahrungen mit der Synode und solchen Dialogprozessen Schlussfolgerungen ableiten, die für ein Gelingen des jetzt begonnenen Dialogprozesses maßgeblich sein können?
(1.) Im Hinblick auf das Ziel, verbindliche Beschlüsse zu kritischen Fragen zu fassen, ist die Synode gescheitert. Das Format einer Synode von Bischöfen, Klerikern und Laien hat in dem neuen Kirchenrecht von 1983 keinen Niederschlag gefunden. Jetzt scheint das niederländische Modell eines Dialogs von Bischöfen, Klerikern und Laien der Ausweg einer gemeinsamen Beratung zu sein, der aus einer kritischen Situation herausführen kann. Vorausgesetzt, der Dialog wird von allen Seiten ernst genommen, und das schließt eine aus dem Dialogprozess selbst erwachsende Verbindlichkeit für alle Beteiligten ein. Hinzu kommen muss eine weitgehende Transparenz, auch für die Öffentlichkeit.
(2.) Das durch die Geschichte pilgernde Volk Gottes hat vielfältige Gaben und Charismen, die dem Wohl aller Menschen dienen sollen. Dafür ist das Konzil auch heute noch immer die für unsere Zeit geschenkte Orientierung. Das allgemeine Priestertum der Glaubenden, der Männer und Frauen, ist kein Theologumenon, sondern ist mit Leben zu füllen, zu entfalten und zu stärken. Daraus kann sich dann auch das besondere Priestertum für Männer und Frauen zu einer neuen Form und Gestalt entwickeln.
(3.) In einer komplexen Gesellschaft, wie es Deutschland immer mehr ist, aber auch in anderen Gesellschaften, die sich in einem grundlegenden Wandlungsprozess vorfinden, ist der einzelne Christ mehr denn je auf die Entscheidungen seines Gewissens angewiesen. Die Anerkennung der Gewissensfreiheit jedes Christen und jeder Christin in allen Bereichen des Lebens, auch in der Kirche, ist von hoher Bedeutung.
(4.) Jeder Christ und jede Christin, aber auch die Kirche als ganze ist immer wieder zur Umkehr gerufen, damit ihr Zeugnis von der barmherzigen Liebe Gottes zu jedem Menschen glaubwürdig ist. Die Versöhnungsbereitschaft der Kirche muss sich heute vor allem gegenüber den wiederverheirateten Geschiedenen, aber auch in der Überwindung konfessioneller Abgrenzungen bewähren, damit die in der Taufe grundgelegte Einheit der Christen auch am Tisch des Herrn und im Alltag verwirklicht werden kann.
(5.) Als Kirche in Deutschland sind wir Teil der Weltkirche mit unserer Geschichte und unseren Erfahrungen, mit unseren Stärken und unseren Schwächen. Die Kirchen in anderen Ländern und Kulturen stehen teils vor ähnlichen Problemen des Glaubenslebens wie wir, teils werden sie aber auch von anderen Fragen bedrängt. Diese lebendige Vielfalt darf nicht aus Angst um die Einheit begrenzt werden, sondern vielmehr die Chance zur Entfaltung und gegenseitigen Bereicherung, zu Solidarität und Gerechtigkeit haben. Jede Kirche vor Ort ist Teil der einen Kirche. Diese darf den Geist nicht durch Zentralisierung auslöschen, weder bei uns noch in den anderen Ländern, weder durch Engführung in der Lehre noch durch Bischofsernennungen ohne Beteiligung des jeweiligen Volkes Gottes. So kann jede Kirche vor Ort authentische und glaubwürdige Zeugin der befreienden Botschaft des Evangeliums werden.
Der Synodentext „Unsere Hoffnung“ hat hierzu auch heute noch Gültiges zu sagen, er ist noch heute Anspruch und Orientierung – auch für den Dialogprozess.
(Dr. rer.pol., Dr. theol. hc. Marita Estor wurde 1971 zunächst als Beraterin, 1972 als Synodalin vom ZdK berufen. Sie arbeitete in der Sachkommission V „Gesellschaftliche Aufgaben der Kirche“ und im Kontaktkreis Synode mit. Beruflich war sie zur Synodenzeit Hilfsreferentin im Grundsatzreferat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung tätig. Seit 1954 gehört sie der Internationalen Bewegung christlicher Frauen-Gral an.)
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