Norbert Sommer
Nichts geht mehr...ohne „katholische Identität“

Rom hat es geschafft. Endlich hat der Vatikan den Weltverband „Caritas Internationalis“ unter Kontrolle. Die wichtigste weltweit tätige Hilfsorganisation musste sich römischem Druck beugen und in ein Korsett Marke „Katholische Identität“ zwingen lassen. Es begann Anfang des Jahres, als die erfahrene, engagierte und erfolgreiche Generalsekretärin an der Spitze von 165 Caritasverbänden, Lesley-Anne Knight, mitgeteilt bekam, man verweigere ihr das „Nihil obstat“ für eine erneute Kandidatur bei der Generalversammlung im Mai. Lapidar hieß es in einer Erklärung dazu:“ Der Heilige Stuhl wünscht eine Änderung in der Art und Weise der Zusammenarbeit mit der Caritas, und das erfordert einen Wechsel in der Person des Generalsekretärs.“ Den üblichen Floskeln, sie habe ihre Arbeit professionell gemacht und sei sicherlich fähig, wurde gleich der Zusatz nachgeliefert, da man Strukturen ändern und sich neuen Herausforderungen wie geänderte Statuten, Stärkung der katholischen Identität und engere Beziehungen zum Vatikan stellen wolle, müsse man auch nach einer neuen Person Ausschau halten. Im übrigen habe Lesley-Anne Knight einen Vierjahresvertrag gehabt und der sei erfüllt worden. Proteste gegen das römische Vorgehen aus der Führungsriege der Caritas blieben ohne Erfolg, ja zumeist unbeantwortet.

Die treibenden Kräfte wie Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und der frühere sowie jetzige Präsident von Cor Unum, der vatikanischen Koordinierungsstelle für humanitäre Hilfe der Kirche, äußerten sich nicht zu dem skandalösen Vorgang. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, ,Peter Neher, schrieb in der Zeitschrift „neue caritas“, Gründe für das Verbot einer erneuten Kandidatur seien nicht kommuniziert worden: „Stolz bin ich auf viele Kolleginnen und Kollegen aus der weltweiten Caritas, die eine offene Debatte darüber in der Generalversammlung eingefordert hatten. Und diese fand auch statt. Die Debatte konnte zwar nicht aus der Welt schaffen, dass mit Lesley-Anne Knight eine mutige und tatkräftige Frau in diesem Amt verloren geht, die Caritas Internationalis auf gute organisatorische Füße gestellt und sich intensiv für eine theologische Profilierung von CI eingesetzt hatte. Die Debatte hat aber gezeigt, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Caritas ein solches Vorgehen durchaus kritisch hinterfragen, ohne mögliche eigene Versäumnisse zu verschweigen.“ Peter Neher selbst hat sich öffentlich gegen die Absetzung der Generalsekretärin gewehrt, doch der Vatikan reagierte auch bei ihm wie Beton. Eine kleine Genugtuung für Frau Knight: Eine von ihr ausgearbeitete Beschlussvorlage wurde einstimmig angenommen und sie wurde nach ihrer Bilanzansprache von der Generalversammlung mit Standing Ovations bedacht. Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, der CI- Präsident, kritisierte bei dieser Gelegenheit: „Die Art und Weise, wie man ihr eine zweite Kandidatur unmöglich gemacht hat, hat Schmerzen hervorgerufen – vor allem bei den vielen Frauen, die für die Caritas arbeiten und die in ihre Wahl und ihre Arbeit große Hoffnung gesetzt hatten.“ Die Vatikanvertreter schien das alles nicht zu berühren. schon gar nicht umzustimmen.

Als Frau Knight in einem Interview gefragt wurde, wie oft sie in den vier Jahren mit dem Kardinalstaatssekretär gesprochen habe, gab sie zur Antwort: „Kardinal Bertone hat niemals mit mir gesprochen. Er hat mich nie zu einem Treffen eingeladen oder gefragt, ob ich mit ihm sprechen wolle. Ich habe nur mit Leuten auf der Untersekretärs-Ebene gesprochen. Es gab auch nur minimalen Kontakt zu Cor Unum. Deshalb muss man fragen, weiß der Heilige Stuhl, der anzweifelt, ob die Caritas katholisch genug ist, überhaupt, was die Caritas tut? Der Informationsfluss ist einbahnig. Ich übermittele meine Berichte und meine Finanzen. Ich versende einen monatlichen Newsletter. Doch es gibt darauf absolut null Antworten oder Reaktionen... Die Entscheidung gegen mich kam völlig überraschend. Niemand hatte uns vorher informiert, besonders nicht Cor Unum, die an unseren Sitzungen teilnehmen und schon lange vorher Bescheid wussten.“

Über die Gründe für den erzwungenen Rücktritt gibt es zahlreiche Spekulationen. So soll man sich geärgert haben über einen kritischen Kommentar zur „vatikanischen Maschinerie“. Nestbeschmutzung also. Als verheiratete Frau wurde sie von vornherein im Vatikan als unsichere Kandidatin eingestuft. Und dann soll sie auch noch mit UN- und anderen säkularen Organisationen zusammengearbeitet haben, die Verhütungsmittel verteilen, sich im Kampf gegen AIDS engagieren, Familienplanungsprogramme durchführen und eine klare Gender-Politik betreiben. Dieses „Sündenregister“ wurde ihr offensichtlich zum Verhängnis.

Das soll nun alles anders werden. Caritas Internationalis kommt unter die direkte Kontrolle des Vatikans. Was das bedeutet, zeigte sich schon bei der Eröffnung der Generalversammlung. Der frühere Dominikaner-Chef, Timothy Radcliffe, sollte das 45-minütige Eröffnungsreferat halten, wurde aber kurzfristig daran gehindert zugunsten von Kurienmitgliedern. Papst Benedikt XVI. machte dann den neuen Kurs klar: Die Caritas, die Nächstenliebe, sei ein kirchliches Gut, die Organisation teile also die Mission der Kirche und unterscheide sich dadurch von anderen humanitären Organisationen. Dies bedeute auch, sich vom Heiligen Stuhl und den Bischöfen leiten zu lassen, und genau das sei die Stärke von Caritas Internationalis. Die Laien müssten der Kirche gemäß handeln, um das Evangelium und die Werte des Evangeliums in das gemeinschaftliche Leben zu tragen. Pflicht der Caritas sei es, ein starkes Band mit dem Lehramt der Kirche zu bewahren. Ohne ein transzendentes Fundament und ohne einen Bezug zum Schöpfergott bestehe die Gefahr, schädlichen Ideologien zu verfallen. Aufgabe des Heiligen Stuhl sei es, jede Aktivität der Caritas zu verfolgen und darüber zu wachen, dass sowohl ihr humanitäres und karitatives Wirken als auch die Inhalte der verbreiteten Dokumente in voller Harmonie mit dem Heiligen Stuhl und dem Lehramt der Kirche stünden. Nach vatikanischer Order soll Cor Unum die Caritas „beaufsichtigen und leiten“. Dabei beruht diese Anweisung auf einer fehlerhaften englischen Übersetzung seitens des Vatikans eines italienisch abgefassten Briefes von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahre 2004, in dem er sich zu Bedeutung und Stellung der Caritas äußerte. Im Originaltext heißt es, Cor Unum solle der Caritas „folgen und sie begleiten“ (seguire e accompagnare). Von „beaufsichtigen und leiten“ steht weder etwas in dem Originalbrief noch in den diversen Übersetzungen in andere Sprachen. Aber Rom richtet sich nur nach der falschen englischen Textvorlage. Die Rolle von Cor Unum soll wohl damit genau 40 Jahre nach Gründung dieses päpstlichen Rates durch Papst Paul VI. endlich aufgewertet werden, denn im Grunde blieb bisher die Koordinationsfunktion unklar und nur vage definiert. Cor Unum hat keine eigenen Mittel und führt selbst keine Projekte durch. In unrühmlicher Erinnerung ist die „feindliche Übernahme“, d.h. die Verfügungsgewalt durch Cor Unum bzw. die eigens dafür gegründete „Stiftung Johannes Paul II. für die Sahelzone“ über die 30 Millionen DM, die 1980 beim ersten Besuch von JP2 in Deutschland für die hungernde afrikanische Sahelzone gesammelt wurden. Dabei hätten die deutschen Hilfswerke Misereor und Caritas das Geld damals in bestehende und fertig geplante Projekte in der Hungerregion als Soforthilfe einsetzen können – ganz im Sinne des dringenden päpstlichen Appells während seins Besuchs in Afrika.

Kardinal Bertone präzisierte auf der Generalversammlung, die Caritas habe immer auch eine missionarische Funktion zu erfüllen: Wie alle Aktivitäten der Caritas und generell die der ganzen Kirche „wie jene von Christus sind, dürfen sie sich nie allein auf die materielle Unterstützung der Menschen begrenzen, auch wenn sie oftmals dringend notwendig ist.“ Er wies darauf hin, dass „eine humanitäre Hilfe, die von einer christlichen Identität absehen und einen Stil annehmen würde, der als 'neutral’ bezeichnet werden könnte, eine Art des Handelns, die allen gefallen möchte, riskieren würde, auch wenn ihr Ziel sofort erreicht worden wäre, dass dem Menschen kein guter Dienst erwiesen worden wäre, weil er ihn nicht in seiner ganzen Würde gesehen hat...Auf diese Weise, ohne es zu wollen, könnte in den Personen, denen geholfen worden ist, eine materialistische Mentalität wachsen, die sich auswirken würde auf ihre sozialen Beziehungen und bei der Bewältigung der sozialen Probleme.“ Immer wieder wurde betont, die Caritas müsse ihre Hilfe mit Missionsarbeit verknüpfen. Kardinal Sarah, der Präsident von Cor Unum, schließlich verstieg sich zu der Behauptung: „Nicht die gesellschaftliche Hilfeleistung durch die Gläubigen, sondern das Zeugnis für Gott muss im Mittelpunkt der christlichen Liebestätigkeit stehen.“ Für Peter Neher ein großes Problem. Radio Vatikan sagte er u.a.: „Was für mich eine gewisse Schwierigkeit ist, ist der Eindruck, dass wir in der Gefahr sind, eine gewisse Reklerikalisierung zu betreiben. Das heißt, dass im Grunde sehr stark hierarchisch gedacht wird und meinem Eindruck nach zu wenig aufgenommen wird, dass Gottes Geist und Gegenwart auch in der sich versammelnden Gemeinde ist. Das heißt, Gottes Geist ist auch wahrnehmbar in den Menschen, in den Mitarbeitenden in der Caritas und der Kirche und nicht nur in der Hierarchie von oben nach unten. Die Frage wird sein, welche kirchenrechtlichen Folgen sich aus der theologischen Verankerung der Caritas in der Kirche ableiten. Und vor allem: Was hat das für weitere Konsequenzen für die nationalen und diözesanen Caritasorganisationen?

Lesley-Anne Knight machte auf eine weitere Konsequenz aufmerksam. Die vielen Millionen Dollar, die die Caritas z.B. von den Regierungen in Großbritannien, Schwe-den, Deutschland und Kanada erhält, könnten wegfallen, wenn die Organisation, wie jetzt von Rom befohlen, zu ausdrücklich katholisch auftritt mit missionarischem Auftrag: „Bisher geben diese Regierungen die Millionen an die Caritas, weil sie den Wert der Arbeit, die wir für die Armen leisten, kennen und schätzen. Es ist nicht, weil sie zeigen wollen, dass sie eine katholische Organisation unterstützen.“

Noch eine weitere internationale katholische Organisation bekam einen Strafzettel aus Rom, und zwar einen des Päpstlichen Laienrates mit einschneidenden Folgen. Die Weltunion der katholischen Presse (UCIP) müsse ab sofort – so hieß es im Mai - aus ihrem Namen den Begriff „katholisch“ streichen, weil sie angeblich die vom Vatikan genehmigten Statuten über einen längeren Zeitraum nicht eingehalten habe. So sei z.B. der angemahnte Wechsel im Präsidium nicht ausreichend umgesetzt worden. Im Verband fehle es zudem an Transparenz und Kommunikation Im Blick auf die von Lesley-Anne Knight erwähnte Kommunikationsverweigerung im Vatikan eine besonders interessante und pikante Begründung. Und was die erwähnte Wahl betrifft: Die reguläre Wahl der Südafrikanerin Else Marie Strivens im Juni 2007 und ihre Wiederwahl Mitte Dezember 2008 wurde vom Präsidenten des Päpstlichen Laienrates , Kardinal Stanislaw Rylko, nicht anerkannt... Die jetzige Aberkennung des „katholisch“ im Namen erfolgte übrigens unter Berufung auf Kanon 300 des Kirchenrechts, wonach sich kein Verein ohne Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität die Bezeichnung „katholisch“ zulegen darf. Aber selbst nachdem sich die katholischen Presseleute dem römischen Diktat gebeugt hatten, gab Rom keine Ruhe. Mit scharfer Kritik reagierte man auf die Neugründung mit Namen „Internationale Organisation der Katholiken in den Medien (ICOM)“. Diese habe sich „unrechtmäßig des intellektuellen, ökonomischen und historischen Erbes der UCIP“ bemächtigt. Gleichzeitig rief der Vatikan dazu auf, nach neuen möglichen Formen eines Zusammenschlusses für jene Journalisten zu suchen, „die in Gemeinschaft mit der katholischen Kirche bleiben wollen“. Schon im Juni 2008 hatten der Päpstliche Rat für Soziale Kommunikation 130 katholische Radiomacher nach Rom eingeladen, um die Frage zu klären, was sie unternehmen müssten, um das Etikett „Katholisches Radio“ zu erhalten.

Auch in zahlreichen anderen Fällen wird die „katholische Identität“ immer mehr als Kriterium angewandt. Der neu ernannte Erzbischof von Philadelphia, Charles Joseph Chaput, hatte schon 2009 erklärt: „Wir dürfen unsere katholische Identität nicht durch Appelle an einen falschen Dialog prostituieren, der einen Verzicht auf unser moralisches Zeugnis verdeckt.“ Er war es übrigens auch, der als Apostolischer Visitator zur Überprüfung dieser Identität des australischen Bischofs William Morris geschickt wurde und darüber einen Bericht verfasste, dessen Inhalt der „Angeklagte“ nie erfahren hat. Erzbischof Chaput war es schließlich, der ebenfalls 2009 die Nationale Konferenz der katholischen Sozialarbeit zur katholischen Identität verdonnerte. Die Arbeit dieser Organisation müsse „ausdrücklich katholisch“ sein. Und das bedeutete in einem konkreten Fall, wie der frühere Direktor der Caritas in San Francisco kürzlich beklagte, dass eine vorher vom zuständigen Bischof gebilligte Praxis ein abruptes Ende fand: Aufgrund von Bitten mehrerer homosexueller und lesbischer Paare war ihnen damals die Adoption ansonsten schwer vermittelbarer, weil schwieriger Kinder ermöglicht worden. Da die Glaubenskongregation dann in einer Stellungnahme zu homosexuellen Partnerschaften solche Adoptionen als „Gewaltanwendung“ gegenüber Kindern einstufte, musste dieses bis dahin problemlos gelaufene Experiment, da es nicht der katholischen Identität entsprach, unverzüglich beendet werden.

Während der neue Bischof von Berlin, Rainer Maria Woelki, meint, man solle „einfach katholisch sein“, erklärte der Regensburger Bischof Müller: „Nur wer die Offenbarung voll und ganz anerkennt und die Glaubenslehre und die Autorität des von Christus eingesetzten Lehramtes als Kriterium annimmt, kann sich katholisch nennen.“ Und Benedikt XVI. erklärte gegenüber einer Delegation der Marianischen Männerkongregation aus Regensburg, „dass Katholizität ohne marianische Besinnung nicht sein kann“.

Ein katholisches Krankenhaus in Phoenix/USA geriet ebenfalls ins Visier der Fahnder nach „Vergehen“ gegen die katholische Identität. Die Ordensfrau Margaret Mary McBride wurde dort exkommuniziert und dem Krankenhaus die Bezeichnung „katholisch“ aberkannt, weil sie als Mitglied des Ethikrates der Einrichtung dem Abbruch einer Schwangerschaft zugestimmt hatte. Dabei stand eindeutig fest, dass das Kind wegen einer Krankheit der Mutter sterben werde. Ohne Abbruch wären aber Mutter und Kind gestorben. Die katholische Identität wurde dabei gebrochen, so der zuständige Bischof ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände.

Da zu dieser katholischen Identität auch die angeblich „endgültige“ Entscheidung gegen die Frauenordination gehört, bekamen in letzter Zeit u.a. Bischof William Morris aus Australien, der Patriarch von Lissabon, Jose da Cruz Policarpo sowie Pater Roy Bourgeois in den USA die Macht aus Rom zu spüren. Der eine wurde amtsenthoben, der nächste nach Castel Gandolfo zitiert und der dritte exkommuniziert und aus dem Maryknoll-Orden entlassen. Es ist eben gar nicht so einfach, einfach katholisch zu sein, auch wenn der „rechtsgläubige“, immer wieder für Furore zugunsten der Tradition und gegen die „Altliberalen“ und kritischen Geister in der Kirche sorgende Medienstar-Journalist Matthias Matussek als Rezept für alle Katholiken sein eigenes selbstbewusstes Bekenntnis empfiehlt: „Ich denke katholisch, ich fühle und lache und wüte katholisch, ich sündige, ich beichte, ich schaue katholisch auf die Welt.“


© imprimatur Oktober 2011
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