„Ich bin doch immer wieder aufgestanden und weitergegangen. Ich hatte immer die Erfahrung, dass ich dazu berufen war.“ Dies war das Resümee der feministischen Theologin Catharina Halkes aus Holland, wenn sie auf ihren Lebensweg zurückschaute. Ohne diese Berufungserfahrung hätte sie die vielfältigen Widerstände kaum bewältigen können, die sich ihr immer wieder in den Weg gestellt haben. Als Mitbegründerin und eine der bedeutendsten Vertreterinnen der feministischen Theologie in Europa hatte sie zwar in den 1980er und -90er Jahren weltweiten Ruhm erlangt, doch da sie noch überall die Erste war, musste sie sich ihren Platz an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Nimwegen - damals einer reinen Männerfakultät - und in einer noch immer von Männern dominierten Kirche hart erkämpfen. Auch auf der Höhe ihres Ruhmes sah sie sich immer wieder Anfeindungen ausgesetzt, z.B. von dem früheren Kölner Kardinal Joseph Höffner. Dieser hatte nach einem Referat, das sie 1982 auf dem Düsseldorfer Katholikentag gehalten hatte, ein Sprechverbot für das Bistum Köln über sie verhängt, so dass sie für schon vereinbarte Vorträge wieder ausgeladen werden „musste“. Besonders viele Konflikte gab es mit dem auch für Nimwegen zuständigen Erzbischof von Utrecht, Kardinal Adrianus Simonis, ausgehend vom Besuch von Papst Johannes Paul II. in Holland im Jahre 1985. Bei dieser Gelegenheit sollten unterschiedliche Gruppierungen die Gelegenheit erhalten, mit dem Papst zu sprechen, um die ganze Vielfalt der holländischen Kirche darzustellen. Catharina Halkes war von der katholischen Frauengemeinschaft der Niederlande einstimmig dazu gewählt worden, sie beim Papst zu vertreten, doch der Kardinal erwirkte ein Sprechverbot für sie. Bis in ihr hohes Alter schien Catharina Halkes das liebste Feindbild des seit 2007 emeritierten Kardinals darzustellen. „Wenn sich die Feministinnen von der Kirche entfernen“, wunderte sich Catharina Halkes, „dann findet das der Kardinal sehr viel besser, als wenn ich, noch innerhalb der Kirche stehend, kritische Positionen vertrete.“
Theologiestudium mit Hindernissen
1920 in der Nähe von Rotterdam geboren, wuchs Catharina Halkes als jüngste von drei Schwestern glücklich und behütet auf. Doch bald schon wurde ihr Leben durch den frühen Tod ihres Vaters und später durch Krieg und deutsche Besatzung verdunkelt. Erst 1945, mit 25 Jahren also, konnte sie ein Studium beginnen, musste da aber feststellen, dass das holländische Kirchenrecht damals Laien das Studium der katholischen Theologie nicht gestattete. So studierte sie Literaturwissenschaft, heiratete, bekam drei Kinder und arbeitete ehrenamtlich auf nationaler Ebene in der Kirche, vor allem für Ökumene, Laien und Frauen. Zweimal während der Konzilszeit war sie jeweils drei Wochen lang in Rom, um für eine holländische Tageszeitung zu berichten. Und nach dem Konzil war sie mit dabei, als das Niederländische Pastoralkonzil vorbereitet und die Weichen für die Entstehung der progressiven, lebendigen holländischen Kirche der sechziger Jahre gestellt wurden. „Ich hatte das Gefühl: Wir machen etwas. Wir sind die Laien, die Verantwortung tragen wollen, denn auch wir sind Kirche“, sagte sie rückblickend. Erst im Alter von 45 Jahren begann sie, in Nimwegen Theologie zu studieren und machte mit 50 ihr Examen. Danach wurde sie - die einzige Frau an der Fakultät - als Dozentin und Pastoralsupervisorin angestellt. Der Beginn der siebziger Jahre läutete eine schwierige Zeit für Catharina Halkes ein, da ihre Ehe unwiderruflich in die Brüche ging. Zwar hatte sie keine beruflichen Schwierigkeiten zu befürchten, doch bedeutete die Scheidung für sie persönlich eine große Krise, und sie zog sich einige Zeit zurück. Die entscheidende „Konversion“ zur feministischen Theologie geschah 1973, als sie das Buch „Beyond God the Father“ (deutsch: „Jenseits von Gottvater Sohn & Co“, München 1980) der amerikanischen Theologin Mary Daly las. Daran erinnerte sie sich später noch ganz lebhaft: „Da gab es also eine Frau, die eigentlich nur all das beschrieben hatte, was ich selber auch erfahren hatte, aber sie hat das als eine zusammenhängende Kulturfrage, als Strukturfrage gesehen. Nach der Lektüre dieses Buches war ich von einer Nacht auf die andere Feministin.“
Feministische Theologie
Sie war so begeistert von ihrer Entdeckung, dass sie von da an in ihrer Freizeit Vorlesungen über feministische Theologie hielt. Wegen der großen Resonanz wurde sie von der Fakultät zunächst mit einem Modellversuch für feministische Theologie beauftragt, der 1983 in einen Lehrstuhl umgewandelt wurde. Es war der weltweit erste und einzige Lehrstuhl für feministische Theologie, und er zog viele Frauen aus dem ganzen Land und den Nachbarländern an. Catharina Halkes’ Schwerpunkt lag zum einen darin, Frauen aus allen Fremdbestimmungen zu befreien, was auch die Befreiung von männlichen Definitionen über „das Wesen der Frau“ einschloss – wie sie die katholische Kirche bis heute mit Hinweis auf das „Naturrecht“ von sich gibt. Hinter unserer androzentrischen (Männer-zentrierten) Kultur sah sie einen Dualismus wirksam, der Gott, Mann, Geist, Kultur als höherwertig und unversöhnlich den Begriffen Welt, Frau, Körper, Natur gegenüberstellt und sie entwertet. Weil diese Vorstellungen seit Jahrhunderten so tief in den Köpfen der Menschen – der Männer und der Frauen – verwurzelt sind, bedeutete Frauenbefreiung für Halkes nicht einfach, dass Frauen gleichberechtigt Anteil an der – männlich geprägten – Kultur haben sollten, sondern dass die herrschende Kultur einer radikalen Kritik unterzogen werden musste. Sie drückte dies gern in einem Bild aus: „Wenn wir unsere gesamte Kultur mit einem Kuchen vergleichen, dann wollen emanzipierte Frauen die Hälfte des Kuchens für sich. Feministinnen jedoch sagen: ‚Wir wollen kein größeres Stück von dem Kuchen der Männer, denn der ist nicht gut. Wir wollen vielmehr einen ganz neuen Kuchen backen, einen Kuchen mit ganz neuen Zutaten, die wir, Männer und Frauen, gemeinsam hinein geben.’“ In direktem Zusammenhang mit der Kritik an einseitigen Frauen- und Männerbildern stand für Halkes die Entthronung rein männlicher Gottesbilder. Den Zusammenhang zwischen Gottesbild und Menschenbildern hatte bereits Mary Daly auf den Punkt gebracht, als sie sagte: „Wenn Gott männlich ist, ist das Männliche Gott.“ („Jenseits von Gottvater Sohn & Co“) . So plädierte Halkes nicht nur dafür, vergessene weibliche Gottesbilder aus der Bibel neu zu entdecken, sondern „offene Bilder“ zu gebrauchen, die auf Männliches und Weibliches hindeuten können, wie z.B. „Gott unter dem Bild der göttlichen Geduld, unter dem Bild von Zärtlichkeit, von Weisheit“ (Concilium Nr. 4/1980, 296). Dafür müsse sich auch die theologische und kirchliche Sprache öffnen, „um neuen, ursprünglichen Bildern Ausdruck zu verleihen“. Da innerhalb der christlichen Trinitäts-Vorstellung „der Vater“ und „der Sohn“ am ehesten den Eindruck erwecken, dass Gott ein Mann sei, legte Catharina Halkes besonderen Wert auf die Ruah Jahwe – „der Geist“ ist ja nur in der lateinischen und deutschen Übersetzung männlich: In der hebräischen Sprachwelt Jesu ist „ruah“ weiblich, im griechischen „pneuma“ neutral. Für sie war feministische Theologie eine vornehmlich pneumatologische Theologie, „welche die Beweglichkeit von Gottes Handeln im Geist ans Licht zu bringen trachtet, die dadurch den kommunikativen Aspekt in Gott zum Ausdruck bringt und das Gleichgewicht zwischen Gottes Transzendenz und Gottes Immanenz herstellt.“ (Concilium, a.a.O. 297) Nur drei Jahre lehrte Catharina Halkes als Professorin feministische Theologie, bis sie mit 66 Jahren aus Altersgründen emeritiert wurde. Doch war sie in Europa – vor allem auch im deutschsprachigen Raum - und den USA bereits sehr bekannt geworden: durch Publikationen, wie z.B. ihr Buch: „Gott hat nicht nur starke Söhne“ (Gütersloh 1980), sowie durch viele Vortragsreisen.
Moderne Kirchenmutter
Sie hatte eine große Ausstrahlung und konnte Menschen – selbst in überfüllten Vortragssälen – mitreißen. Für unzählige Frauen der 1980er und -90er Jahre wurde sie zur Leitfigur der Frauenbewegung, ja, zur modernen Kirchenmutter, wie es auch in vielen Nachrufen niederländischer Tageszeitungen im April 2011 hieß. Um die älter werdende Catharina Halkes war es in den letzten Jahren immer ruhiger geworden – obwohl sie in den Niederlanden hin und wieder noch publizierte oder von Fernseh-Journalisten befragt wurde. Sie hatte viele körperliche Krankheiten und Behinderungen zu ertragen sowie Schicksalsschläge wie den frühen Tod ihres jüngsten Sohnes Caspar. Trotz allem blieb sie sich treu und hat ihren tiefen Glauben – vor allem an die Verwandlungskraft der Heiligen Ruah – nie verloren. Das zeigte sie in ihrer letzten öffentlichen Rede anlässlich der Feier ihres 90. Geburtstags im September 2010, aber auch in der Art, wie sie im April dieses Jahres mit wachem Sinn und Einverständnis ihrem Sterben entgegenging, bei dem sie zuletzt ihre Tochter Margriet-Marie und ihr Sohn Andries begleiteten.
Was ist geblieben? Die Zeiten haben sich geändert, und der große Aufschwung der Frauenbewegung ist längst abgeebbt. Die spezialisierten wissenschaftlichen Texte der feministischen Theologinnen erreichen die Basis der Frauen kaum mehr – so wie Theologie generell ein Akzeptanz-Problem hat. Der Backlash gegen den Feminismus führte dazu, dass dieser in Verruf geriet und sich junge Frauen nicht mehr damit identifizieren. Rom und katholische Bischöfe haben ihre Polemik nicht aufgegeben, sodass sich junge Theologinnen – aus Angst vor einer Verweigerung des „Nihil obstat“ - zum Stillschweigen veranlasst sehen. Die Kirche wird von den meisten intellektuellen jungen Frauen nicht mehr ernst genommen und verlassen. Auch in den Niederlanden arbeiten fast alle feministischen Theologinnen auf anderen Themenfeldern, meist außerhalb der Kirchen. Doch hier ist es bis heute für alle Theologie Studierenden – ob Priesteramtskandidaten oder „Laientheologen“ – Pflicht, Grundkurse für feministische Theologie zu hören. Die Gedanken von Catharina Halkes und ihren Kolleginnen sind also nicht tot, sondern werden weitergetragen. Zudem hatte bereits Halkes dafür gesorgt, dass die Frauen in dem kleinen Land gut vernetzt sind und sich gegenseitig fördern und stärken können. Auch in anderen europäischen Ländern gibt es Netzwerke, in Osteuropa sind sie im Entstehen begriffen. Als übergreifende Organisation hatte Catharina Halkes die Europäische Gesellschaft zur Theologischen Forschung von Frauen (engl. Abkürzung: ESWTR) mit initiiert. Mit ihrem Tod – das spürten alle, die bei ihrer Beerdigung anwesend waren – ist eine ganze Epoche zu Ende gegangen. Es muss sich nun zeigen, wie eine neue Generation von Theologinnen mit ihrem Erbe umgeht und welche Visionen sie für die Zukunft entwerfen.
(Zur Autorin: geboren 1944, Studium der Germanistik und katholischen Theologie in Münster und Freiburg, höherer Schuldienst. Seit 1978 freie Journalistin für Hörfunk, Printmedien und (bis 1995) Fernsehen. Buchpublikationen. Schwerpunkte Frauen, feministische Theologie, Eine Welt.)
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