Paul Glotter
Irland: Eine historische Rede

Die Rede, die der irische Premierminister Enda Kenny am 20. Juli dieses Jahres vor dem Parlament seines Landes über den wenige Tage zuvor veröffentlichten "Cloyne Report" hielt - ein Untersuchungs-Bericht aus der gleichnamigen südirischen Diözese über sexuelle Gewalt von Priestern gegen Jugendliche, wird in die Geschichte eingehen. Denn nie zuvor hat ein prominenter Politiker der Inselrepublik so unmissverständlich erklärt, dass die Zeit nun endgültig vorbei ist, wo "Soutanenträger das Gewissen und die Menschlichkeit ersticken" und wo eine allgegenwärtige Kirche eine ganze Nation nach ihrer Pfeife tanzen lässt! Dass der praktizierende Katholik Kenny mit seiner scharfen Rede sozusagen " Rom von den Beinen holen" und sowohl in irischen Kirchenkreisen wie auch im Vatikan einen gigantischen Erklärungs-Notstand auslösen würde, war nicht anders zu erwarten.

Nachdem Irlands Katholiken bereits 2009 durch die beiden Berichte "Ryan" und "Murphy" an "wahre Abgründe der Unmenschlichkeit" in kirchlichen Schulen und Werkstätten sowie in Pfarreien herangeführt worden waren, hat der "Cloyne Report" vor allem auch deshalb zu so großer Entrüstung in Irland geführt, weil in dem Bericht detailliert beschrieben wird, wie die Ortskirche unter dem ehemaligen Privatsekretär Paul VI. und Johannes Paul II., Bischof John Magee, und dessen engsten Mitarbeitern die Nachforschungen der Untersuchungs-Kommission systematisch erschwerte und es u.a. nicht für nötig erachtete, einen Großteil des "schwer belastenden Materials" aus den Bistumsarchiven an die Polizeibehörden weiterzugeben.

Bischof John Magee, der in Cloyne abtreten musste, beschuldigte seinen eigenwilligen Generalvikar Denis O´Callaghan der Geheimniskrämerei und des Alleingangs. Dieser wiederum glaubte sich an "Weisungen aus Rom" halten zu müssen, nach denen bei der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen unter allen Umständen zu prüfen sei, ob man durch allzu große Zugeständnisse an Vater Staat "kirchenrechtlich nicht in Teufels Küche komme". Ja, und schließlich waren da in Cloyne noch die Stimmen all jener, die meinten, dass Benedikt XVI. in seinem Brief an die irische Kirche im März 2010 ja eigentlich alles gesagt und außerdem klipp und klar gefordert habe, mit den Untersuchungsbehörden des Staates sach- und zweckdienlich zu kooperieren. Wieso eigentlich, so wurde allenthalben beschwichtigend zurück gefragt, die ganze Aufregung?!

Man muss Enda Kenny ein hohes Lob spenden, inmitten dieser schnöden Orgie von Schuldzuweisungen und Rechtfertigungsversuchen den klerikalen Überlebens--Künstlern nicht auf den Leim gegangen zu sein. Er sagte ihnen, dass sie die Demütigungen und Qualen hilfloser Kinder runtergespielt hätten, um die eigene Haut und das eigene Ansehen zu retten. Und wörtlich: "Ihr seid mit dem kalten Blick listiger Anwälte aufgetreten und habt die göttliche Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit vergessen, aus denen unsere Kirche geboren wurde". Kenny stellt sodann fest, dass Staat und Kirche in Irland an einer "Weggabelung" angekommen sind. Er unterstreicht deshalb, dass in der neuen Gesetzesvorlage "Children first" deutlich hervorzuheben sei, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen künftig unter einem "republikanischen Dach" gesichert werden müsse, und dass in der genannten Vorlage besonders darauf zu achten sei, ideologisch verbrämte Moralkonzepte auszuklammern - ein Hinweis vielleicht auch auf jene in unserer Kirche, die viel von Lebensschutz reden, aber sich dann doch - so wie manche deutsche Bischöfe in ihrer Silvesterpredigt 2010/2011 - beim lieben Gott dafür bedanken, dass "ein schweres Jahr zu Ende geht", und die dann natürlich hoffen und beten, dass im Neuen Jahr nicht gleich wieder eine Schar traumatisierter Opfer von pädophilen Priestern mit Forderungen vor der Tür steht! Wenn der irische Premier an zwei Stellen seiner Rede fast emphatisch die "Republik Irland 2011" beschwört, dann möchte er wohl u.a. daran erinnern, dass sich niemand in der Gesellschaft aus der Verantwortung schleichen darf. Leute, so Kenny, die künftig versuchen sollten, Informationen über Kinderschänder zurückzuhalten oder die Aufklärungsarbeit staatlicher Behörden absichtlich zu behindern, werden sich strafbar machen, d.h. müssen mit Haft rechnen.

Keinen Zweifel gibt es für Enda Kerry, dass sowohl der Staat als auch die Kirche "ihr Haus in Ordnung bringen müssen". Von seinen politischen Vorgängern weiß der Premier, dass sie sich leider nur allzu oft durch die Kirche instrumentalisieren ließen und häufig "gute Miene zum bösen Spiel machten". Und er besteht darauf: Dieses unglückselige Paktieren muss aufhören! "Wir müssen prüfen, wo es und warum es falsch gelaufen ist", sagt er, "und wir müssen unsere ganze Jugendarbeit kritisch unter die Lupe nehmen - für einen ehrlichen Neuanfang, weil ja u.a. nicht auszuschließen ist, dass demnächst auch aus anderen Bistümer Irlands Hiobsbotschaften über sexuelle Gewalt in kirchlichen Einrichtungen kommen könnten.

Transparenz und eine klare Kompetenzverteilung sind auch in der Kirche angesagt. Fürs erste wäre der gesamten Kirche gedient, wenn uns Papst Benedikt XVI. endlich sagen würde, was aus den seit 2001 an die Glaubenskongregation (damals noch unter der Führung Ratzingers) gemeldeten klerikalen Sextätern und deren Opfern geworden ist? Dankbar wären wir auch, wenn wir irgendwann in Kürze erführen, ob die Bischöfe weltweit auch künftig mit saftigen Kirchenstrafen rechnen müssen, falls sie das seit 2001 geltende Schweigegebot in Sachen Sex brechen und beispielsweise den Informationsfluss zu staatlichen Ermittlungsbehörden erleichtern? Werden wir in den kommenden Monaten auch in der Kirche ganz offen und ungehindert fragen dürfen, was sexuelle Gewalt mit kirchlichen Strukturen und mit kirchlichen Auffassungen über Sex zu tun haben? Denn soviel steht fest: Wer keine Ursachenforschung zulässt, den werden die Menschen unserer Tage schon sehr bald zu den Tätern rechnen! Schließlich soll ja "Wahrhaftigkeit" nicht nur eine leere Worthülse bleiben.


© imprimatur Oktober 2011
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