Der Besuch des Papstes in seinem Heimatland hatte bei vielen, die ihn nicht kennen und von der Exotik seines Amtes fasziniert sind, Hoffnungen geweckt. Würde er ein „Gastgeschenk“ mitbringen, das die gegenwärtige miserable Situation der katholischen Kirche hierzulande auffangen könnte? Vielleicht eine Hilfe für die – auf Grund des Priestermangels – nicht mehr (und in Zukunft noch weniger) zu gewährleistende Gemeindeseelsorge, z.B. durch den Einsatz von „Laien“? Vielleicht ein wenig Verständnis für „gebrochene Lebensläufe“ und die Zulassung verheirateter Geschiedener zum Kommunionempfang? Vielleicht einen Impuls zu einem bitter notwendigen ökumenischen Aufbruch? Vielleicht eine positive Würdigung und Förderung des nicht immer einfachen Bemühens vieler engagierter Katholiken, in der heutigen pluralistischen Gesellschaft und in der Vielfalt von Sinnangeboten zurechtzukommen und sich einzubringen? Vielleicht ein nettes Wort zu denen, denen die (vom Papst in seiner Bundestagsrede als normativ hingestellten) Natur nicht die Anlage zur Heterosexualität mitgegeben hat? Usw.
Leider ist alles das nicht eingetreten. Wie gesagt, konnte man dieses Ergebnis erwarten. Aber selbst Pessimisten hätten annehmen können, dass der päpstliche Gast ein wenig verbindlicher oder auch nur höflicher hätte sprechen können.
Zwar konnten die Teilnehmer und das Fernsehpublikum durchaus einige beeindruckende Gottesdienste miterleben, auch einen Papst, der im Bundestag bella figura machte (dass Bundestagsabgeordnete der Rede fernbleiben zu müssen glaubten, ist miserabler Stil und lächerlich).
Aber in allen Problemfeldern von einiger Bedeutung hat der Papst so reagiert, dass sein Besuch eher negative Folgen haben wird. Für die Gemeinsamkeit mit den evangelischen Schwesterkirchen sind der Besuch des ehemaligen Augustinerklosters in Erfurt, ein (halbwegs) positives Wort zu Luther und eine Umarmung zu wenig. Recht unpassend war die Bemerkung, dass über Glaubensdinge nicht verhandelt werden könne (was anders ist auf allen Konzilien geschehen?), und das Insistieren auf z.B. dem ausnahmslosen Verbot der Wiederverheiratung Geschiedener; dies hinderte ihn aber nicht, kurz danach eine baldige Abendmahlsgemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen anzukündigen, obwohl sie, wie in evangelischen Kirchen, ebenfalls eine kirchliche Heirat nach einer Scheidung kennen.
Im Übrigen wiederholte der Papst katholische Topoi, wie er sie schon vor Jahrzehnten publiziert hatte und die hierzulande längst obsolet sind. Es gibt halt nicht einfach so, wie er es darstellt, ein Naturrecht, das von dieser Natur selbst für jeden einleuchtend auferlegt ist – dazu gibt es nun einmal sehr verschiedene Meinungen. Die „Vernunft“, die der Papst für die volle Gestalt des Christentums als notwendig behauptet, ist leider bei ihm ein schönes Wort und ein Etikettenschwindel, weil er unter „Vernunft“ nur die Überlegungen der antiken (und mittelalterlichen) Philosophie meint. Die historisch-kritische Vernunft, mit der wir heute leben müssen, lehnt er ab und lässt sie in seinen bisher zwei Jesusbüchern nicht zu Wort kommen.
Besonders betroffen macht der Appell an die deutsche Kirche – die katholische, aber davon wäre auch die evangelische mit betroffen -, auf ihre Privilegien zu verzichten. Hat der Mann, der mit einem Sonderflugzeug der Allitalia einschwebte und mit einem Sonderflugzeug der Lufthansa wieder davon flog, der hier zigtausend Helfer und Sicherheitsbeamte in Anspruch nahm und dessen Besuch viele Millionen gekostet hat, hat der Mann, der ja nun wirklich Privilegien in Anspruch nahm, das wirklich so gesagt? Hat er keine Scheu, den Verzicht auf die hiesigen „Privilegien“, also staatlich einzuziehende Kirchensteuer, die Einordnung der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts, den staatlich finanzierten Religionsunterricht, die ebenso staatlich finanzierten theologischen Fakultäten und ... und ... und ... nahezulegen? Er sagte tatsächlich: „Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von der Weltlichkeit der Welt zu lösen ... Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zu Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben. Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder Ähnliches – bedeutete nämlich jedes Mal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich ja dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößte und wieder ganz ihre weltliche Armut annahm ... Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christlich Weise der ganzen Welt zuwenden ...“.
Jetzt wissen die deutschen Bischöfe endlich, was sie zu tun haben. Nichts leichter, als auf Reichtümer und Privilegien zu verzichten und inmitten kleiner noch verbleibender Gruppen von Frommen ganz einen unweltlichen Glauben zu leben und sich aus der Armut heraus der Welt zuzuwenden. Man versteht, warum die Bischöfe sich darauf verständigt haben zu sagen, dass der Papst das so nicht gemeint habe.
Weil der Papst immer wieder den Glauben dem weltlichen Denken entgegensetzt, hält er diesen wohl auch für unweltlich, eben für Offenbarung. Dabei geht er darüber hinweg, dass der Glauben, wie er ihn in der gleichen Rede blumig skizziert hat, schon selbst ein Synkretismus ist von Glauben an Jesus Christus und hellenistischer Welt und ihrem Denken (oder wo soll die Vergottung Jesu oder die Trinität herkommen? Etwa von der „Offenbarung“ in Jesus?). M.a.W.: er will einen Rückzug aus der heutigen Welt in die Welt der Antike (ein wenig noch des Mittelalters). Aber so leicht entkommt man nicht der „Welt“, sie ist auch heute unsere Heimat und ebenso die unseres Glaubens. Ganz abgesehen davon, dass Armut nur Einzelne, die sich aus eigenem Antrieb dazu entschieden haben, frei machen kann, nicht aber Gemeinschaften, wie schon die Franziskaner im Spätmittelalter lernen mussten. Armut kann auch ganz radikal an die Welt und ihre Zwänge binden. Was ist das für ein Mann, der so irreal spricht?
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