Wie die Menschen wieder mehr zum Glauben bringen? Diese Frage beschäftigt den Vorsitzenden des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück. Und diese Frage ist es auch, die Grundtenor der letzten Station der Papstreise ist oder sein soll: Papst Benedikt XVI. trifft in Freiburg Vertreter der katholischen Laien, darunter Alois Glück, und angehende Priester. Fragen nach der Zukunft der Kirche und der Neuevangelisierung sollten dabei auf den Tisch kommen.
Anne Preckel hat mit Alois Glück ein Paar Minuten vor seiner Begegnung mit Papst Benedikt XVI. gesprochen.
„Zunächst ist einmal das Wichtigste, dass wir gemeinsam die Situation unserer Kirche bedenken. Miteinander beten, aber auch miteinander beraten darüber, wie die Situation ist, welche Schlussforderungen zu ziehen sind. Und das war das Großartige in der ersten Station mit Mannheim, dass die ganze Bandbreite der Kirche und Menschen, die in den unterschiedlichsten Diensten und Lebenssituationen sind, darüber miteinander beraten haben und eine gute Gesprächskultur entsteht. Das ist schon deshalb so wichtig, damit es nicht zu einer Polarisierung kommt, die destruktiv wird.“
Es braucht also ein bestimmtes Klima der Partizipation, der Miteinander-Sprechens über Zukunft von Kirche. Was sind da die Dreh- und Angelpunkte, an denen sich Kirche heute entscheidet?
„In der Sache und im Kern gehts darum: Was müssen wir tun und was müssen wir verändern, damit wir die Botschaft des Evangeliums den Menschen in dieser Zeit und in diesen Lebenssituationen besser erschließen können, als es ganz offensichtlich gelingt. Und hier ist Kirche natürlich auch einerseits strukturell, so wird sie erlebt von den Menschen, wie sie sich darstellt. Das andere ist natürlich Frage der Inhalte. Und das ist eigentlich der Kern: Kirche ist nicht Selbstzweck, und auch dies muss in den Mittelpunkt rücken. Kirche hat einen Dienstcharakter, einen Auftrag, was die Sendung betrifft.“
Geht es bei der Zukunft der Kirche denn eher um strukturelle Veränderungen oder ist es tatsächlich so, dass die Glaubensstärke immer mehr wegbricht?
„Wir haben da einen historischen Veränderungsprozess. Ich bin zum Beispiel aufgewachsen in einer Situation, in der man in den Glauben hineingeboren wurde, der war gewissermaßen mit dem sozialen Lernen verbunden, mit Kirche, kirchlichem Leben. Es ging darum, Glaubenswahrheiten mit aufzunehmen. Heute sind wir in einer völlig anderen Situation, auch für die Verkündigung eine ganz andere Situation. Wir erleben ein Stück Traditionsaufbruch, und das ist eine historische Zäsur, die eigentlich schon zwanzig, dreißig Jahre in Bewegung ist. Jetzt kamen noch hinzu strukturelle Veränderungen und das schlimme Jahr 2010, die schlimmen Tatsachen, der Missbrauchsskandal und der Vertrauensverlust, der damit verbunden ist. Und nun gehen die Dinge ineinander; es gibt nicht eine Alternative, nach dem Motto: entweder Verinnerlichung und Gebet oder strukturelle Veränderung. Wir müssen die beiden Dinge miteinander verknüpfen. Und da gibt es natürlich kein Rezept. Im Kern geht es darum, Vertrauen zurückzugewinnen.“
Im Dialogprozess sind ja schon die ersten Schritte gemacht worden, die deutschen Bischöfe und das ZdK haben gemeinsamen Treffen initiiert, bei denen es zum Beispiel um die Zusammenarbeit von Priestern und Laien gehen soll. Sind schon erste Erfolge erzielt oder sind das nur zage erste Schritte?
„Ja, es muss natürlich noch viel mehr getan werden. Es muss ein Prozess werden, in dem dann auch Veränderungen erfolgen, damit gemeinsame Ziele erreicht werden können.“
Welche ganz konkret?
„Zum Beispiel im Rahmen der Verkündigung: wie gelingt es uns, die Menschen besser zu erreichen. Es geht aber auch um gegenwärtig dringende Fragen: Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem jetzt konkret spürbaren und zunehmenden Priestermangel. Wir sind in großer Sorge, dass große Seelsorgeeinheiten gemacht werden und damit aber kirchliche Gemeinschaft verloren wird, der Glaube nicht mehr im eigenen Umkreis als Gemeinschaft erlebt wird. Das sind Themen, die uns momentan sehr beschäftigen und umtreiben. Dann gibt es natürlich ganz dringende Fragen wie die der Geschiedenen und dann wiederverheirateten Menschen, konfessionsverschiedene Ehen. Es geht nicht darum, hier kirchliche Grundsätze in Frage zu stellen, aber wie können wir mit Menschen hier lebensnäher und im Sinne des Gebotes der Liebe, das letztlich immer über dem Gesetz steht, besser, gerechter, einfühlsamer umgehen?“
Hat der Papst in diese Richtung auf seiner Deutschlandreise zum jetzigen Zeitpunkt schon Zeichen gesetzt?
„Nein..., er hat eigentlich mehr zu den grundsätzlichen Fragen Stellung genommen, zum Thema Glauben in einer säkularisierten Welt. Aber ich denke, das sind auch wichtige Grundlagen für eine Konkretisierung dann in den anderen Bereichen.“
Sie haben immer wieder die wichtige Rolle der Frauen in der Kirche betont. Was erhoffen Sie sich hier für Schritte?
„Wenn es der Kirche und uns nicht gelingt, die heutige Frauengenerationen, die auch in einer anderen gesellschaftlichen Wirklichkeit leben und in anderen Rollen als früher, auch in das Leben der Kirche stärker mit einzubeziehen bis in Leitungsfunktionen, dann werden wir erleben, dass nach der Jugend auch die Frauen immer weniger von der Kirche erreicht werden. Ich betone ausdrücklich, es geht uns nicht um die Frage Frauenpriestertum. Aber es ist uns nicht vollkommen einsichtig, warum das Diakonat, das ja mittlerweile auch eine ganz selbständige Rolle bekommen hat und kein Durchgangsstadium ist zur Priesterweihe, warum nicht Frauen auch diesen Auftrag bekommen können und damit auch in Lebenswelten hineinkommen können mit ihrem Verständnis, die wir Männer nur schwer erreichen. Und es gibt da keine zwingenden theologischen Gründe, soweit ich jedenfalls die Diskussion kenne. Nun ist sicherlich die Situation innerhalb der Weltkirche unterschiedlich. Das ist in Afrika oder Indien oder in einer anderen gesellschaftlichen Situation sicherlich anders. Und von daher wird man auch bei solchen Fragen, wo es ja nicht um Dogmen geht oder um Grundsatzfragen des Glaubens, vielleicht mehr differenzierte Lösungen finden müssen.“
Inwiefern kann der Papstbesuch die Laien stärken und vielleicht Menschen, die sich in der letzten Zeit von der Kirche entfernt haben, wieder heranbringen?
„Ich wünsche mir, dass in unserer Kirche Wirklichkeit wird, was Papst Benedikt bei der Eröffnung der römischen Pastoralsynode formuliert hat, wo er damals sagte: Wir brauchen eine Entwicklung, dass die Laien nicht nur Mitarbeiter des Klerus sind, sondern Mitverantwortliche für die Sendung und das Handeln der Kirche. In diesem Sinne empfinden wir das auch als Ermutigung, und ich hoffe, dass das auch vom Besuch so ausgeht.“
Und das hat der Papst dann einige Minuten später
dem ZdK gesagt:
Die Papstrede an das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken
Liebe Brüder und Schwestern! Ich bin dankbar für die Gelegenheit, mit Ihnen, den Präsidiumsmitgliedern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hier in Freiburg zusammenzukommen. Gerne bekunde ich Ihnen meine Wertschätzung für Ihr Engagement, mit dem Sie die Anliegen der Katholiken in der Öffentlichkeit vertreten und Anregungen für das apostolische Wirken der Kirche und der Katholiken in der Gesellschaft geben. Zugleich danke ich dem Präsidenten des ZdK, Herrn Alois Glück, für die freundliche Begrüßung.
Liebe Freunde! Seit Jahren gibt es in der Entwicklungshilfe die sogenannten exposure-Programme. Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Kirche leben eine gewisse Zeit in Afrika, Asien oder Lateinamerika mit den Armen und teilen ihren konkreten Alltag. Sie setzen sich der Lebenssituation dieser Menschen aus, um die Welt mit deren Augen zu sehen und daraus für das eigene solidarische Handeln zu lernen.
Stellen wir uns vor, ein solches exposure-Programm fände hier in Deutschland statt. Experten aus einem fernen Land würden sich aufmachen, um eine Woche bei einer deutschen Durchschnittsfamilie zu leben. Sie würden vieles hier bewundern, z. B. den Wohlstand, die Ordnung und die Effizienz. Aber sie würden mit unvoreingenommenem Blick auch viel Armut feststellen: Armut, was die menschlichen Beziehungen betrifft, und Armut im religiösen Bereich.
Wir leben in einer Zeit, die weithin durch einen unterschwelligen, alle Lebensbereiche durchdringenden Relativismus gekennzeichnet ist. Manchmal wird dieser Relativismus kämpferisch, wenn er sich gegen Menschen wendet, die behaupten, sie wüssten, wo die Wahrheit oder der Sinn des Lebens zu finden ist.
Und wir beobachten, wie dieser Relativismus immer mehr Einfluss auf die menschlichen Beziehungen und auf die Gesellschaft ausübt. Dies schlägt sich auch in der Unbeständigkeit und Sprunghaftigkeit vieler Menschen und einem übersteigerten Individualismus nieder. Mancher scheint überhaupt keinen Verzicht mehr leisten oder ein Opfer für andere auf sich nehmen zu können. Auch das selbstlose Engagement für das Gemeinwohl, im sozialen und kulturellen Bereich oder für Bedürftige nimmt ab. Andere sind überhaupt nicht mehr in der Lage, sich uneingeschränkt an einen Partner zu binden. Man findet kaum noch den Mut zu versprechen, ein Leben lang treu zu sein; sich das Herz zu nehmen und zu sagen, ich gehöre jetzt ganz dir, oder entschlossen für Treue und Wahrhaftigkeit einzustehen und aufrichtig die Lösung von Problemen zu suchen.
Liebe Freunde! Im exposure-Programm folgt auf die Analyse die gemeinsame Reflexion. Diese Auswertung muss das Ganze der menschlichen Person im Blick haben, und dazu gehört – nicht nur implizit, sondern ganz ausdrücklich – ihre Beziehung zum Schöpfer.
Wir sehen, dass in unserer reichen westlichen Welt Mangel herrscht. Vielen Menschen mangelt es an der Erfahrung der Güte Gottes. Zu den etablierten Kirchen mit ihren überkommenen Strukturen finden sie keinen Kontakt. Warum eigentlich? Ich denke, dies ist eine Frage, über die wir sehr ernsthaft nachdenken müssen. Sich um sie zu kümmern, ist die Hauptaufgabe des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung. Aber sie geht natürlich uns alle an. Lassen Sie mich hier einen Punkt der spezifischen Situation in Deutschland ansprechen. In Deutschland ist die Kirche bestens organisiert. Aber steht hinter den Strukturen auch die entsprechende geistige Kraft – Kraft des Glaubens an einen lebendigen Gott? Ehrlicherweise müssen wir doch sagen, daß es bei uns einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist gibt. Ich füge hinzu: Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine Krise des Glaubens. Wenn wir nicht zu einer wirklichen Erneuerung des Glaubens finden, wird alle strukturelle Reform wirkungslos bleiben.
Kommen wir zurück zu den Menschen, denen die Erfahrung der Güte Gottes fehlt. Sie brauchen Orte, wo sie ihr inneres Heimweh zur Sprache bringen können. Hier sind wir gerufen, neue Wege der Evangelisierung zu suchen. Ein solcher Weg können kleine Gemeinschaften sein, wo Freundschaften gelebt und in der regelmäßigen gemeinsamen Anbetung vor Gott vertieft werden. Da sind Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz und im Verbund von Familie und Bekanntenkreis von diesen kleinen Glaubenserfahrungen erzählen und so eine neue Nähe der Kirche zur Gesellschaft bezeugen. Ihnen zeigt sich dann auch immer deutlicher, dass alle dieser Nahrung der Liebe bedürfen, der konkreten Freundschaft untereinander und mit dem Herrn. Wichtig bleibt die Rückbindung an den Kraftstrom der Eucharistie, denn getrennt von Christus können wir nichts vollbringen (vgl. Joh 15,5). Liebe Brüder und Schwestern, möge der Herr uns stets den Weg weisen, gemeinsam Lichter in der Welt zu sein und unseren Mitmenschen den Weg zur Quelle zu zeigen, wo sie ihr tiefstes Verlangen nach Leben erfüllen können.
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