Drei Jahre, nachdem der Kölner Kirchenfürst, Joachim Kardinal Meisner, in der Priesterschmiede des Opus Dei einen Vortrag halten durfte, kam dort auch sein geistlicher „Ziehsohn“ zu Ehren: Rainer Maria Woelki erlangte in der Pontificia Universitá della Santa Croce, der Universität des „Gotteswerkes“ in Rom, den Doktortitel. Als neu ernannter Erzbischof von Berlin konnte Woelki (54) bei seinem ersten Auftritt in der deutschen Hauptstadt nur „Gutes„ über das Opus Dei berichten. Ja, es habe ihm „schon ein bisschen wehgetan“, wie das „Werk Gottes“ von seinen Kritikern diffamiert werde. Die katholische Kirche sei „ein lebendiger, verzweigter Verein“, in den sich das Opus Dei gut eingefunden habe.
Kritiker dagegen sehen in der erzkonservativen Prälatur die mächtigste katholische Organisation, die nicht zuletzt wegen ihres Kapitals starken Einfluß auf die katholische Kirchenpolitik ausübe. In der Tat hat sie unter den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. wie kein anderer Trupp in der vatikanischen Zentrale Schlüsselposten besetzen können. Selbst ansonsten brave katholische Gläubige meinen außerdem, sie schade ihrer Kirche wegen eines skandalösen Sündenregisters: Geheimniskrämerei; rigides Innenleben, dubiose Werbemethoden, Indoktrination Minderjähriger; Nähe zum Faschismus, Freundschaft des spanischen Gründers, des heiligen Josemaría Escrivá, mit dem Diktator Franco; Verwicklung finanziell versierter Mitglieder des Gotteswerkes, das im spanischen Ursprungsland auch „Santa Mafia“ genannt wird, in kriminelle Geschäfte.
Für den neuen Berliner Oberhirten, einen über seine Erzdiözese Köln hinaus kaum bekannten Weihbischof, basiert solche Kritik auf „Romaninhalten“. Den wohl bekanntesten dieser Krimis hat der amerikanische Thrillerkönig Dan Brown millionenfach auf den Markt geworfen. Das Opus Dei, das im Mittelpunkt seines Da Vinci-Code stand, schreckte darin selbst vor Mord nicht zurück. In Browns Romantopf wirft der Opus-Apologet Woelki, der bald ins kardinale Oberhaus aufrücken dürfte, offenbar auch diejenigen, die akribisch eherne Gesetze und goldene Netze enthüllen – manchmal sogar mit kriminalistischem Spürsinn.
Der war beispielsweise notwendig, um Woelkis „Dissertation“ nachzujagen. Der Titel war in Deutschland weder in der Nationalbibliothek noch in Universitätsbibliotheken, sondern nur in der Kölner Diözesanbibliothek zu entdecken: „Die Pfarrei: Ein Beitrag zu ihrer ekklesiologischen Ortsbestimmung“. In dem schmalen Bändchen schildert Woelki die Pfarrei als Teil einer autoritär gelenkten männlichen Priesterkirche, in der die Frauen in den Kniebänken verbleiben sollten – ein Klerikalismus, den er auch als Regionalbischof beibehielt: als eine Pfarrei in Wuppertal, das zu seinem Pastoralbezirk gehört, zu einem Gottesdienst mit ihm auch Messdienerinnen eingeteilt hatte, wurden sie gebeten, ihre langen Haare nach hinten zu kämmen. „Wir sollten wie Jungen aussehen“, klagte hinterher eine 16jährige Gymnasiastin.
Woelki war an einem Wochenende zum Erzbischof ernannt worden, und nach ihrer Öffnung am folgenden Montag teilte die Bibliothek mit, seine „Dissertation“ sei ausleihbar. Aber drei Stunden später war sie „irgendwo im Haus“ verschwunden. „Zwei bis drei Wochen“ müsse der Kunde gewiss warten, orakelte ein Bibliothekar. Nachdem tags darauf „Spiegel“-Detektive in der römischen Opus-Universität ein weiteres Exemplar aufgespürt hatten, war nach einigen Stunden auch das Kölner Büchlein wieder da. Es wird aber nicht mehr ausgeliehen, sondern ist nur an Ort und Stelle im Lesesaal einsehbar – angeblich weil die Nachfrage so stark sei.
Gewiss ließen sich weitere Exemplare für die Ausleihe anschaffen, aber dann würde man es argwöhnischen Ermittlern wohl zu leicht machen. Denn in Deutschland ist es ja eine Art Volkssport geworden, Doktorarbeiten zu durchforsten, seitdem Plagiatoren wie der Bundesminister von und zu Guttenberg enttarnt werden. Allerdings: Doktortitel, die beim Opus Dei erworben wurden, verblassen vor deutschen wissenschaftlichen Normen. Der englische Priester Vladimir Felzmann, ein Vertrauter Escrivás, der selber einen solchen Titel vor seinem Namen trägt, gestand nach seinem Austritt aus dem Opus Dei: „Es ist heute also im Opus Dei möglich, einen Doktortitel zu bekommen, der so etwas wie Kosmetik ist.“ Das Werk habe nämlich einen strikten „Index verbotener Autoren“, der auch an seinen Universitäten gelte. So sei es möglich, „Doktor zu werden in Philosophie und Theologie, ohne daß man die sozusagen bösen, schlechten Autoren gelesen hat“, die man an den üblichen Universitäten nicht „umgehen“ könne.
Wer darüber Bescheid weiß und den Doktortitel des neuen Erzbischofs unter die Lupe nehmen möchte, würde freilich vergebens nach Köln reisen. Das im Schatten Meisners einsehbare Exemplar ist nämlich gar nicht Woelkis „Dissertation“ – auch wenn der Einbandtitel es so etikettiert. Sondern es ist lediglich ein „Exzerpt“. Kürzungen verändern das Original bekanntlich, und es ist nicht festzustellen, inwieweit der Auszug auch inhaltlich vom Original abweicht. Statt der tatsächlichen ca. 450 hat die angebliche „Dissertation“, die mit der kirchlichen Druckerlaubnis, dem Imprimatur, des Kölner Weihbischofs Klaus Dick erschienen ist, nur 304 Seiten. Kosmetik oder Zensur? Was darf der Leser nicht erfahren? Auf welchem wissenschaftlichen Fundament stehen Woelkis Doktorarbeit und sein Titel überhaupt?
An das krude Opus-Regelwerk sind ja auch Universitätslehrer gehalten, zu denen u.a. Georg Gänswein, Papst Benedikts Sekretär, gehörte. Als Dozent unterrichtete er klerikale Opus-Novizen - nicht nur künftige Opus-Priester, sondern auch Diözesankleriker, die nicht mehr Mitglieder des Werkes werden, aber seiner Priestergesellschaft beitreten können und dann insgeheim für das Opus Dei wirken.
Der Vorläufer der römischen Universität befand sich an der Opus-Universität im spanischen Pamplona. Dort hat Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt, die theologische Ehrendoktorwürde erhalten. Vater Escrivá, so die ehemalige spanische Opus-Leiterin Maria Angustias Moreno, habe einst programmiert, dass seine Werkskinder möglichst viele „Universitätslehrstühle“ errichten oder erwerben sollten: „So sind wir imstande, unseren Leuten, ohne daß sie Prüfungen abgelegt haben, Karrieren, Titel, Doktorgrade und viele Orden zu verschaffen, die viele Menschen zu unserem Apostolat locken werden.“
Bei seinem Besuch in der deutschen Hauptstadt wird Dr.h.c. Ratzinger, heute Papst Benedikt, mit Dr. Woelki, assistiert vom Dozenten a.D. Gänswein, den Katholizismus repräsentieren. Ob die drei Geistlichen der Opus-Priestergesellschaft angehören oder anderweitig im Sinne des heiligen Escrivá seinem Apostolat dienen, wird im Dunkeln bleiben. Denn während die Opus-Priester als solche öffentlich geweiht werden und schon deshalb bekannt sind, bleiben die Namen der Diözesanpriester, die sich der Priestergesellschaft anschließen, in der Regel geheim. Woelki jedoch hat nur dementiert, dass er Mitglied des Opus Dei sei – was ohnehin nicht möglich wäre, da er Diözesanpriester ist. Ob er aber dem Opus Dei über dessen Priestergesellschaft angebunden ist, bleibt hinter dem Schleier undurchsichtiger Wolken.
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