Die Glosse

Lieber Joseph,

Ich wusste ja von Kindsbeinen an, dass der Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden unfehlbar ist. Wenn der dann mit seinen Gewändern im Vatikan bleibt, kannst du das hinnehmen, weil im Vatikan alles aufgedonnert ist. Die Bischöfe in Lila, die Kardinäle in Ritzerot, der Papst in Schneeweiß, die Paläste und der Petersdom, alles bombastisch. Aber wenn der Papst dann diese Prachtwelt verlässt und sich mitten unter den gewöhnlichen Deutschen aufhält und immer noch spricht, als wie wenn er im Vatikan wär, wird dir schwindlig im Kopf. Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat es versucht, den Papst wieder auf den Boden zu holen, als der nämlich zu seiner Rede am Rednerpult vorbei ans höher gelegene Präsidentenpult wollte, ist der Lammert ihm kurzerhand auf die Soutane getreten, und wie er so gestoppt war, gabs kein Problem mehr, den Benedikt nach unten zu verweisen. Da hatte ihm ein Laie die Orientierung gegeben.

Joseph, wenn ich mich richtig erinnere, hat der Benedikt gesagt: „Selbstgemachter Glaube ist wertlos.“ Unsereiner fragt sich dann, wem unterstellt der Papst, dass er seinen Glauben selber gemacht hat? Sich selber und die Kirche meint er sicher nicht! Also macht er diesen Vorwurf anderen, dem Hans Küng etwa oder sogar dem Luther und allen Evangelischen mit ihm? Natürlich braucht er dann nicht auf die mit ihrem hausgemachten Glauben zuzugehen. Man kümmert sich ja auch sonst nicht um die Ansicht von jedem Krauter. Karamba, mich treibt der noch auf die andere Seite.

Joseph, was meint der, wenn er sagt, wir hätten „zu viel Demokratie und zu wenig Gehorsam“? Ich vermut, der hat festgestellt, in der Demokratie gilt die Frau so viel wie der Mann. Und das weiß jeder, der wo verheiratet ist, Frauen sind nicht gehorsam. Die wollen ernst genommen werden. (Wir kriegen das in der Gewerkschaft immer stärker zu spüren, vor allem, wenns um einen Posten geht, und eine Frau uns den vor der Nase wegschnappt.) Sollte bei der Aufmüpfigkeit der Frau der Has im Pfeffer liegen, und folglich dem Papst die Frauen zu gefährlich sein, um sie ins Kirchenamt zu lassen? Ich glaube er befürchtet zu recht, dass die es an Gehorsam fehlen lassen täten. Andererseits würden aber den Frauen die Priestermonturen von der Sutane bis zum Bischofsgewand besser stehen als wie uns Männern. Schließlich sind das alles rockartige Kleidungsstücke, und die gehören zu den Frauen: Der Mann trägt eine Hose mit Jacke, die Frau trägt einen Rock!

Joseph, hast Du schon einmal den Satz gehört: „Der Hl. Geist kann auch auf krummen Linien gerade schreiben.“ Das könnt z.B. heißen, es kommt alles ganz anders als wie der Papst es will. Mit den geschiedenen Wiederverheirateten, überhaupt mit den Frauen hat der Benedikt nichts am Hut, denen hält er die kompromisslosen Kirchengesetze vor und meint, das wär die Lösung. Und jetzt kommt der Heilige Geist und gibt den Fingerzeig, indem dass kaum ein junger Mann noch Priester werden will, und der Papst keine Laien, ohne dass sie sich den Zölibat aufhalsen, und schon gar keine Frauen zum Priestertum zulässt. Mit dem Rest von zölibatären Priestern werden die Pfarrverbände so groß, dass kein Pfarrer mehr alle seine Schäfchen kennt. Und der Heilige Geist denkt sich, meine ich, da kann doch jeder wiederverheiratete Geschiedene, wenn er ein bisschen gewitzt ist, zur Kommunion gehen, wenn er nur will. Die Gemeinde, die ihn natürlich kennt, freut sich darüber, dass dieses Schaf wieder mit der Herde geht. Da können der Papst, der Bischof oder der Pfarrer predigen, was sie wollen. Geradso ist es auch beim Zölibat, den wo viele Priester nicht halten. Die Gemeinde stört sich kaum noch daran (gut ein paar ganz zurückgebliebene Fromme), dass ihr Pfarrer eine Frau hat. Dem Dorf ist ein ehelich lebender Pfarrer lieber, als ein verstockter Junggeselle mit seinen Nauben, erst recht, wenn der sich dann auch noch an Kindern vergreift. Und das wirkt Dir vielleicht katastrophal, wenn das ganz oben mit dem Kardinal aus Wien anfängt und unten bei der katholischen Heimschwester endet. Im Grund sind mit den unüberschaubar großen Pfarrverbänden viele brennende Fragen gelöst, wenn wir nur selbstbewusst unserer lebenspraktischen Überzeugung folgen. Dafür können wir dem Heilige Geist dankbar sein.

Joseph, meinem Freund Stefan ist seine Frau nach einer Kur mit ihrem Kurschatten durchgebrannt. Plötzlich und unvorbereitet sitzt der da mit drei kleinen Kindern. Zum Glück hilft ihm die Gertrud von gegenüber, die wo er schon lang kennt. In die hat er sich jetzt auch noch verliebt, und er tät sie gern heiraten, aber sobald er das macht, ist er seine Stelle los. Er schafft nämlich hier im Katholischen Krankenhaus. Der Stefan hat mich gefragt, „Sepp hat er gesagt, Du bist Gewerkschafter und hast Ahnung von Kündigungen und wie man sich dagegen wehren kann, könntest Du mit mir ins Generalvikariat gehen, um meine Sache zu vertreten. Ich selber seh nur noch den Ausweg, dass ich einfach mit der Gertrud zusammenzieh ohne zu heiraten. Dann wär die aber rechtlich nicht meine Frau mit all den Konsequenzen.“ Eine Heirat wär in seinem Fall die einzig ehrliche Lösung. Joseph, wir sind dort hin ins Generalvikariat. In einem Palais sitzt vor uns ein Prälat im Talar mit seiner Lilapaspelierung. Du, mir, der in Gewerkschafterkreisen als arbeitsrechtlicher Haudegen gilt, hats die Sprache verschlagen, wie der uns, ohne den Steffen angehört zu haben, abfertigte. Dem hats gereicht, nur grad Wind davon bekommen zu haben, dass es um eine Wiederverheiratung geht. Wie ein Automat hat der den katholischen Standpunkt heruntergespult und Schluss, er müsst zum Gottesdienst in den Dom. Dabei merkst Du, was es heißt, wenn der Papst predigt: wir hätten zu viel Demokratie und zu wenig Gehorsam. In seinem Betrieb herrscht Gehorsam oder Du wirst gefeuert, gnadenlos.

Lieber Joseph, das sind für mich alten Messdiener schwere Zeiten!

Es grüßt Dich ziemlich deprimiert Sepp,
der einer der letzten Gewerkschafter im Bezirk ist, der sich in den Kantinengesprächen noch für die Kirche ins Zeug legt.

P.S.: Also unter den katholischen Gewerkschaftern hier im Bezirk stehts um unsere Kirche mau. Mit den Missbrauchsfällen gings los, mit dem Papstbesuch wurds noch schlimmer. Seitdem gibt es bei Kirchenthemen in unserer Gewerkschaftskantine bei den einen Aggression und den anderen Verdrossenheit, wie ich das hier noch nicht erlebt hab. Das ist so, weil der Benedikt sich allem entzogen hat, was in unseren Augen mit seiner Kirche im Argen liegt. - Weißt Du was? Ich komm am Sonntag nach Rauschheim ins Hochamt. Dort singt der Kirchenchor verstärkt mit guten Sängern aus der Umgebung die Deutsche Messe von Schubert, in der wo das erste Lied beginnt: „Wohin soll ich mich wenden?“. Ich glaub dabei kann ich dem Benedikt seinen Besuch vergessen, zum Umdenken bringt unsereiner einen Papst ja nicht! Kommst Du auch? Sollten wir nicht auch unsere Frauen mitholen!


© imprimatur Dezember 2011
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