Ich sehe ihn noch vor mir, den Jungen, der in der Religionsstunde plötzlich anfing zu weinen. Nach einigem Zureden stieß er unter Schluchzen den Satz heraus: „Mein Papa ist fortgegangen.“ Das Kind verstand die Welt nicht mehr, in der doch zusammenbleiben muss, was zusammen gehört, Mutter und Vater, ein Mann und eine Frau als ein Paar.
Die Kirche lehrt die Unauflöslichkeit der Ehe, doch über Paare wird in einer klerikal und zölibatär ausgerichteten Kirche kaum gepredigt, Paare kommen im Kirchenraum nicht vor. Männer und Frauen mussten lange Zeit getrennt knien. Es gab die Frauen- und die Männerseite. Es gibt keine vorbildhaften heiligen Paare. Selbst Maria und Josef dürfen kein Paar sein, weil die Dogmatiker es so wollen. Maria steht auf dem rechten Seitenaltar, Josef auf dem linken, zwischen ihnen das breite Kirchenschiff. Der Vater, der von seiner Frau und seinem Sohn fortgegangen ist, hat als katholisch Erzogener in seiner Kirche kein Bild von einem sich liebendem Paar vor Augen gehabt, das in sein inneres Bewusstsein hätte bleibend eingehen können.
Aber wir feiern doch Weihnachten. Da werden zu Hause und in den Kirchen die Krippen aufgebaut. Und hier gibt es tatsächlich Maria und Josef als Paar. Sonst wird nur Maria allein mit dem Kind auf dem Arm verehrt. Jetzt gehört Josef dazu, weil Lukas es so erzählt von den Hirten: „So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag.“ (Lk 2, 16) Aber auch hier hat man es den beiden schwer gemacht, wirklich ein Paar zu sein. Auf vielen Darstellungen ist Maria jung, aber Josef alt und muss sich, etwas abseits stehend bei den Tieren, auf einen Stock stützen, um so nicht als Vater des Kindes in Frage zu kommen. Er sollte auch für Maria kein Süppchen kochen dürfen, weil die Gottesmutter wegen der „Jungfrauengeburt“ keine Stärkung braucht.
Maria und Josef, ein Paar, das zusammenhält
Aber der Evangelist Lukas hat die Geburtsgeschichte Jesu so wie die gesamte Kindheitsgeschichte als wirkliche Paargeschichte erzählt. Es sind sogar zwei ineinander verwobene Geschichten mit zwei Paaren, die so gelesen werden können, dass daraus Ratschläge zu entnehmen sind, wie Paare zusammenhalten.
In Zeiten besorgniserregend instabiler Paarbeziehungen wäre das eine Fragestellung, unter der die Weihnachtsgeschichte, so wie sie in die Kindheitsgeschichte eingebettet ist, heute zu lesen wäre.
Ein miteinander altgewordenes Paar, Zacharias und Elisabeth, und ein junges verlobtes Paar, Maria und Josef, schon aneinandergebunden durch ein rechtsverbindliches Eheversprechen, haben jeweils schwierige Situationen zu bestehen. Von Elisabeth und Zacharias heißt es: Beide lebten so, wie es in den Augen Gottes recht ist und hielten sich in allem streng an die Vorschriften des Herrn (Lk 1, 6). Diese Vorbildlichkeit gilt auch für die Eltern Jesu: Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen, gemäß dem Gesetz des Herrn (Lk 2, 22). In dieser traditionellen Gebundenheit an die Gesetze ihrer jüdischen Religion sind sie aber zugleich „emanzipatorische“ Paare: Die schwangergewordenen Frauen sind von prophetischem Geist beseelt und ganz auf eine neue Zukunft ausgerichtet, in der Gott durch ihre Kinder das endgültige Heil heraufführen wird. Elisabeth erkennt dabei die höhere Glaubenskraft Marias und nennt sie „Mutter meines Herrn“ (Lk 1, 43), was zugleich das erste Bekenntnis zur Nachfolge Jesu ist. Erstaunlich dass Zacharias als Priester der Zweifelnde ist und dafür mit Stummheit bestraft wird, danach aber, wie seine Frau, sich jubelnd auf das einlässt, was Gott mit diesen Kindern vor hat.
Josef dagegen ist der wortlos sorgende und fürsorglich beschützende. Es geschieht so selbstverständlich, dass er und Maria als Verlobte durch die Geburt Jesu zu einem Paar werden. Durch ihre Zuneigung und innere Verbundenheit schaffen sie einen Raum gegenseitiger Zuwendung, in dem das Kind zu seiner vollen Entfaltung heranwachsen kann. Sie bestehen gemeinsam das Ausgestoßensein in der Fremde. Sie suchen nach einem geschützten Ort für die Geburt, sie geben dem Kind Wärme und Geborgenheit. Ist das nicht alles in dem Erkennungszeichen enthalten, das die Engel den Hirten angeben: Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt. (Lk 2, 12) Ohne diese sorgenden Hände von Maria und Josef hätte der Messias nicht zur Welt kommen können.
Ein Paar, wie Gott es am Anfang gewollt hat
Bei der Auslegung der lukanischen Weihnachtsgeschichte steht bis heute vor allem die gottgewirkte Geburt des Kindes im Vordergrund. Dabei wird die menschliche Dimension als Voraussetzung für göttliches Handeln oft gänzlich zum Verschwinden gebracht. Das Kind wird nicht Josef geboren. Es wird allen als ein von Gottes Odem neu geschaffener Mensch geboren (wörtlich göttliches Pneuma (Hauch, Leben) wird über dich kommen Lk 1, 35). Doch die Zusammengehörigkeit des Paares ist dadurch nicht geschmälert. In Überbietung zu Elisabeth und Zacharias ist nicht nur ihr Kind von größerer, nämlich welterlösender Bedeutung. Die Eltern leben in neuer Verbundenheit, wie die Einheit von Mann und Frau bei der Schöpfung gewollt war. Einer spürt die Angst des andern (Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht. Lk 2, 48). Schließlich sind sie diejenigen, denen Jesus gehorsam war. Im Griechischen und Lateinischen ist die wörtliche Bedeutung von „gehorsam“ unterstellt und untergeben. Als Paar werden sie also gewürdigt, dass unter ihrem Einfluss und ihrer Fürsorge der Retter heranwächst, der dem ganzen Volk zu eine(r) große(n) Freude werden soll (Lk 2, 10). Wenn Jesus später zum Dienen statt zum Herrschen aufruft, so sind das wohl Verhaltensweisen, die ihm seine Eltern vorgelebt haben, sind sie doch im Magnifikat Maria in den Mund gelegt. Eine Theologie des Paares als Liebes- und Elternpaar gibt es gleichwohl bis heute nicht.
Gottgesegnete Frauen in polygamen Ehen
Die Art der Zusammengehörigkeit von Maria und Josef als Paar tritt besonders deutlich hervor, wenn man weiß, dass unter der Verkündigungs- und Geburtserzählung des Lukas palimpsestartig mehrere alttestamentliche Paargeschichten verborgen liegen und im Wortlaut anklingen. Sie wollen Gottes Handeln an Paaren aus polygamen Ehen miterinnern. Lukas ist der Evangelist für die gebildeten Heidenchristen. Die römische Familie beruhte auf der Einehe, vertrat aber, ähnlich dem jüdischen polygamen Eherecht, die Dominanz des Mannes. In dem von den alttestamentlichen Erzählern gewählten Muster der Geburtsverkündigung durch einen Boten Gottes, das von Lukas übernommen wird, handelt Gott gnädig an den Frauen und spricht in feierlicher Sprache zu ihnen, nicht zum Ehemann. Der von Abraham verstoßenen Nebenfrau Hagar wird ein Sohn (Ismael) verheißen (Gen 16, 11), der Frau Manoachs, die nach patriarchalischer Art nicht einmal mit ihrem Namen genannt wird, die Geburt Simsons (Ri 13, 3.5), und Hanna, die von Elkana geliebte Hauptfrau, singt das erste Magnifikat (1 Sam 2, 1-11). Schon in all diesen Paargeschichten ist mit der Aufwertung der Frau ein Gottesbild verknüpft, bei dem Jahwe der Anwalt der Schwachen und Zurückgesetzten wird gegen die Selbstbehauptung der heldenhaft Starken und Mächtigen (Der Bogen der Helden wird zerbrochen (1 Sam, 2, 4) und Den Schwachen hebt er empor aus dem Staub / und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt (1 Sam 2, 8). Die göttliche Parteinahme für die Schwachen verändert auch das Männerbild.
Ende der männerprivilegierten polygamen Ehe
Die Dogmatiker haben durch die Überbetonung der Christus- und Mariendogmen Josef zum Pflegevater abgestuft und ihn in den Hintergrund gedrängt. Wenn Lukas die Namen der Eltern des Neugeborenen nennt, steht der Name der Mutter an erster Stelle. Josef gehört von der Verkündigungsgeschichte an zu Maria (Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Hause Davids stammte). Maria ist nicht ungebunden, sie ist durch ihr Eheversprechen mit Josef zu einem Paar geworden, und so ist Jesus von davidischer Abstammung. Bei Lukas sind sie die gesamte Kindheitsgeschichte hindurch immer ein Paar, zuerst als verlobtes Paar, dann sofort als Elternpaar in der Geburtsnacht in Betlehem, beim Besuch der Hirten, bei der Darstellung im Tempel, bei der dreitägigen Suche nach dem Knaben unter den Jerusalempilgern und zuletzt als Familie in Nazaret. Es lässt sich sagen, dass für Lukas mit der Paarschaft von Maria und Josef als den Eltern Jesus für Christen die polygame Ehe ihr Ende gefunden hat. In Lk 16, 18 spricht Jesus den Männern das Recht auf Scheidung und Wiederverheiratung ab: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch. Unter den Bedingungen des Reiches Gottes sollen eheliche Liebe und Treue zum Widerschein göttlicher Liebe werden.
Zur Zeit der nazarenischen Malerei im 19. Jahrhundert haben Maler gelegentlich die Trennung von Maria und Josef in den Kirchen nicht mitgemacht. So gibt es auf dem Josefsaltar die heilige Familie bei der häuslichen Arbeit zu sehen.
Auf heutigen Weihnachtskarten legt Josef sogar seinen Arm um Marias Schultern. Der Evangelist Lukas hätte seine Freude daran.
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