Norbert Sommer
Assisi – Placebo

Der Vatikan ist zufrieden. Der 27. Oktober wird allein schon wegen der großen Beteiligung, aber auch wegen des Ablaufs zum großen Erfolg deklariert. Doch als Papst Benedikt XVI. Anfang des Jahres ein erneutes Friedensgebet der Religionen in Assisi ankündigte, sprach selbst Radio Vatikan von „allgemeiner Überraschung“. Außerdem wurde daran erinnert, dass das erste Treffen dieser Art im Oktober 1986 sowie das zweite 2002 zwar auf Anregung von Papst Johannes Paul II. stattfanden, aber keineswegs uneingeschränkt von allen im Vatikan begrüßt und unterstützt wurden. Besonders der damalige Kardinal Joseph Ratzinger soll erhebliche Vorbehalte gehabt haben .Als Papst schickte Ratzinger dann seiner Einladung anlässlich des 25. Jahrestages des spektakulären Ereignisses die Bemerkung voraus, er wolle damit an die historische Geste seines Vorgängers erinnern. Eingeladen seien „alle christlichen Brüder (!) der verschiedenen Konfessionen, Vertreter der religiösen Traditionen der Welt und ideell alle Menschen guten Willens“. Konkret heißt das, dass auch fünf Nichtglaubende eingeladen wurden, denn schließlich hätten sie Glaubenden auch etwas zu geben und seien mit ihnen auf dem gleichen Weg.

Dieser neue Akzent ist aber leider auch das einzig wirklich Erwähnenswerte im Blick auf das diesjährige Treffen. Ansonsten blieb nämlich nicht viel übrig von der ursprünglichen Idee und Durchführung. Das Sperrfeuer aus den Reihen der Piusbruderschaft und anderer erzkonservativer christlichen Gruppen gegen das – wie sie es nennen - interreligiöse Assisi - Gräuel zeigte offensichtlich Wirkung. Mit tausend Sühnemessen und einer eigenen Pilgerfahrt nach Assisi Anfang September wollten sie das erneute Treffen noch verhindern. Das erinnert an den massiven Widerstand des Gründers der Piusbruderschaft, Erzbischof Lefebvre, der nach dem Weltgebetstreffen von 1986 den endgültigen Bruch mit Rom vollzog und anschließend die unerlaubten Bischofsweihen vornahm. Er sprach damals von „heiliger Empörung“, weil die „Ehre des einzigen wahren Gottes, Unseres Herrn Jesus Christus“ geschändet werde. Damals wie heute die gleichen Argumente: Das Konzil mit seinen Aussagen zur Ökumene und zur Würdigung der anderen Religionen habe den schlimmsten Irrtum gefördert. Dadurch werde die Mission der Kirche verhindert. Die Katholiken verfielen in Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Glauben. Mit anderen Worten: Der Alleinvertretungsanspruch der Katholischen Kirche nach dem Motto „Außerhalb der Kirche kein Heil“ werde in Frage gestellt. Auf Assisi bezogen fügten sie hinzu: Ohne Christus handele es sich nur um einen falschen Frieden.

Diese Angst vor Synkretismus, also einer Vermischung der Religionen, und damit vor Relativismus trieb wohl Kardinal Ratzinger schon vor 25 Jahren um. Abgelegt hat er sie bis heute nicht, auch wenn er die radikale unversöhnliche Haltung der Traditionalisten sicherlich so nicht teilt. Aufschlussreich ist jedenfalls seine schriftliche Antwort auf eine kritische Anfrage des evangelischen Missionstheologen Peter Beyerhaus, der ebenfalls seine Besorgnis über das neue Assisi – Treffen geäußert hatte. Benedikt XVI. teilte ihm mit, die Initiative für diese Jubiläumsveranstaltung sei nicht von ihm ausgegangen. Er werde jedoch hingehen und versuchen, die Richtung des Ganzen zu bestimmen und alles tun, damit eine synkretistische oder relativistische Auslegung des Vorgangs unmöglich wird.

Und das sah dann so aus: Aus dem Weltgebetstreffen der Religionen für den Frieden wurde ein Weltfriedenstreffen der Religionen. Es war eigentlich kein Gebetstreffen, sondern eine „gemeinsame Pilgerreise“ ganz in Stille und in persönlicher Betrachtung. Selbst mit den anderen christlichen Kirchen oder mit den anderen monotheistischen Religionen gab es kein gemeinsames Gebet. Und einer der fünf Nichtglaubenden, der Brite Anthony C. Grailing, sagte seine Teilnahme kurzfristig wieder ab. Er habe eine Diskussion über die Bedeutung von Religion in der Gesellschaft erwartet. Doch der Papst brauche nur „Gäste, die ihn auf einem Pilgerweg begleiten“. Aus vatikanischen Kreisen hieß es, diesmal sollte besonders dem Fundamentalismus in den Religionen der „Kampf“ angesagt werden. Doch ausgerechnet der Einladende, Benedikt XVI., bemühte sich, den katholischen Fundamentalisten und ihren Forderungen nachzukommen. Doch selbst damit waren diese nicht zufrieden. Er habe ein schändliches Gedächtnis gefeiert und erneut versäumt, die Gäste aus den christlichen Kirchen und den Weltreligionen von der wahren Religion und Kirche zu überzeugen. Stattdessen habe es nur allseits bekannte Appelle für den Frieden gegeben. Dennoch können eigentlich am ehesten die Piusbrüder und ihre Sympathisanten das diesjährige Treffen als „Erfolg“ für sich verbuchen, während es für Papst und Vatikan ein Armutszeugnis und eine Kapitulation war.


© imprimatur Januar 2012
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