Wenn der Bischof ruft
Mitte November 1994: Von einer kurzfristig erforderlichen Vertretungstätigkeit nach Passau zurückgekehrt, rechnete Rudolf Hoppe an seinem Passauer Lehrstuhl mit einem ganz normalen Arbeitstag, als sich am Telefon der Bischof von Passau, Franz Xaver Eder, meldete. Es tue ihm leid, aber er habe mit ihm, Hoppe, möglichst umgehend etwas Wichtiges zu besprechen. Der so freundlich Zitierte antwortete, er könne sofort kommen, sei aber wie üblich nicht vorschriftsmäßig gekleidet. Die Klerikertracht zu tragen, wurde damals nämlich universalkirchenamtlich wieder nachdrücklicher gefordert. Der Bischof erklärte gleichwohl, die Zivilkleidung mache gar nichts.
Im Visier der Kongregation
In der Audienz eröffnete der Diözesanbischof dem Professor, ein diesen betreffendes Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre vom 19. September (Prot.N.1/93) erhalten zu haben, und gab es ihm zu lesen. Darin erwartete der Präfekt der Kongregation, Josef Kardinal Ratzinger, Bischof Eder möge administrative Maßnahmen gegen Hoppe ergreifen, weil dieser von der kirchlichen Lehre über die Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen abgewichen sei. Papst Johannes Paul II. hatte am 24. Mai 1994 in seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ erklärt:
„Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, welche die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“
Der Papst hatte damit für alle Gläubigen offenkundig machen wollen, dass der Ausschluss der Frau von der Priesterweihe eine vom ordentlichen und universalen Lehramt des Bischofskollegiums unfehlbar vorgetragene Lehre aus dem Nahbereich der Offenbarung ist, die unbedingt und unwiderruflich anzunehmen und festzuhalten ist.
Als Grund für die Zweifel des Präfekten an der Gesinnungstüchtigkeit des Exegeten und als corpus delicti entpuppte sich ein als Kopie beigefügter unauffälliger Leserbrief von wenigen Zeilen in der „Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln“ vom 8. Juli 1994. Darin reagierte Hoppe auf einen Leitartikel von Chefredakteur Erich Läufer, der die Frage der Frauenordination endgültig entschieden sah und die dadurch entstandene Klarheit begrüßte. Hoppe schrieb:
„Die Frage des kirchlichen Amtes lässt sich sicher nicht allein von den bibeltheologischen Grundlagen her lösen. In der Ablehnung der Zulassung von Frauen zum Priesteramt stützt sich die Erklärung des Vatikans allerdings auf den vermeintlichen neutestamentlichen Befund. Die aus dem Neuen Testament abgeleiteten Begründungen sind freilich mehr als verwegen. Das Priesteramt direkt aus dem jesuanischen Zwölferkreis abzuleiten und darin die patriarchale Struktur der Kirche legitimiert zu sehen, ist exegetisch unhaltbar. Offenbar haben die Verfasser der ‚Ordinatio Sacerdotalis‘ auch Röm 16,7 übersehen, wo vermutlich eine Junia in apostolischer Funktion genannt wird.
,Von oben‘ wird sich die Diskussion um das kirchliche Amt sicherlich nicht abwürgen lassen, hier sind meines Erachtens vor allem die Theologen zum Widerstand verpflichtet. Zu durchsichtig ist auch der Zusammenhang der Erklärung mit der jüngsten Entwicklung in der anglikanischen Kirche, so dass die ganze Sache wohl doch mehr auf disziplinärer Ebene zu gewichten ist.
Dass Erich Läufer in seinem Kommentar auf das Sachproblem nicht eingeht (obwohl er genau weiß, auf welch tönernen Füßen die Argumentation der Erklärung bibeltheologisch steht), wird die Fragen zumindest eines Teils der Leserschaft der Kirchenzeitung kaum verhindern.“
Die Kongregation für die Glaubenslehre ist u. a. für den Schutz der „Wahrheit des Glaubens und der Unversehrtheit der Sitten“ zuständig. Diesen „Dienst an der Wahrheit“ übt sie auch aus, indem sie ggf. erklärt, schriftliche oder mündliche Äußerungen stünden der kirchlichen Lehre entgegen, und indem sie ggf. geeignete Maßnahmen ergreift. Zwar müssen auch die Oberhirten der Teilgemeinschaften die Lehre in ihrem Sprengel überwachen, ja sie sollen der Kongregation für die Glaubenslehre alle Fragen vorlegen, die deren Eingreifen nicht erst erfordern, sondern schon angeraten sein lassen. Zudem sollen sie alles mitteilen, was sie in puncto Lehre positiv oder negativ für bedeutsam halten, und dem Apostolischen Stuhl ggf. empfehlen einzugreifen. Der Papst persönlich oder die Kongregation, kann gleichwohl jederzeit von sich aus eingreifen. Eine konkrete Rechtsgrundlage für die Intervention im Fall Hoppe wurde nicht angegeben. Über die interne Entscheidungsfindung der Kongregation können in diesem Fall nur Vermutungen angestellt werden.
Denunziation als katholische Normalität
Aktiviert wurde die Kongregation hier wahrscheinlich auf dem klassischen Weg einer gezielten Denunziation. Die Römische Kurie geht nicht so weit, dass sie systematisch Kirchenzeitungen sichtet. Zudem kursierten seit der Veröffentlichung des Apostolischen Schreibens zahlreiche nach Inhalt und Form viel gravierendere Fehleinschätzungen und Anfragen an die kirchliche Lehre über die Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen. Für eine Regelanfrage der Bildungskongregation an die Kongregation für die Glaubenslehre bestand in Bezug auf Hoppe kein Anlass.
Jede/r kann die Aufmerksamkeit der Kongregation auslösen. Solche Denunziation ist im deutschen Sprachgebrauch seit dem 19. Jahrhundert, vor allem aber durch ihren Missbrauch als politisch motivierte Falschanzeige im Dritten Reich negativ-pejorativ besetzt. Davon müssen sich katholische Gläubige frei machen. Denunziation ist kirchenrechtlich nichts Ehrenrühriges. Katholische Gläubige haben das Recht und bisweilen die Pflicht, der kirchlichen Autorität über Gemeinwohlrelevantes Mitteilung zu machen. Dazu gehören auch vermeintlich den Glauben gefährdende Äußerungen.
Eine Pflicht zur Intervention ergibt sich daraus für die Kongregation selbstverständlich nicht. In souveräner Abwägung, was ihr der Kirchenräson in concreto am ehesten dienlich erscheint, entscheidet sie, ob sie eingreift oder nicht. Wo die präventiven Mittel kirchenrechtlicher Umhegung der Kommunikation zur Gewährleistung von Lehrkonformität in Gestalt von Rechtsvorschriften zur Gesinnungsertüchtigung und -sicherung nicht erfolgreich waren oder geblieben sind, kann die Kongregation zur Repression schreiten, muss dies aber nicht. Die Interventions- und Sanktionsgefahr, in die nichtkonformes Verhalten bringt, bleibt so im Bewusstsein fortwährend präsent und kann zur gebotenen Zurückhaltung motivieren. Die Unberechenbarkeit der Kongregation kann die Gewissen zusätzlich wachsam halten.
Denunziantenschutz
Die Frage, wer denunziert hat – ob etwa Kardinal Meisner erbost darüber war, dass einer seiner Priester einen solchen Leserbrief in seinem Verkündigungsorgan platzierte, und Meldung gemacht hat oder jemand aus dem Stab der Kirchenzeitung, ob ein Kölner Mitarbeiter der Kongregation sie in Rom bezog und sich in die Pflicht zur Anzeige gerufen sah oder es Studierenden so ging –, ist müßig. Die Denunzianten bleiben systemgewollt geheim. Wo das Bleiben in der kirchenamtlich vermittelten Wahrheit heilsrelevant ist und die (wahre) Freiheit in der Bindung an eben diese Wahrheit besteht, ergibt sich die Maxime „Denunziantenschutz vor Autorenschutz“ „katho-logisch“. In amtlicher Sicht wäre ansonsten auch das „Vertrauen vieler einfacher Menschen ..., die zunächst einmal nur einfach ihre Sorge ausdrücken wollten“, gestört.
Dem Professor Einsicht in das Schreiben der Kongregation zu geben, war großzügig von Bischof Eder. Ein Recht darauf gibt es nicht. Eine geeignete mündliche Mitteilung hätte aus amtlicher Sicht ausgereicht. Die Kongregation vermeidet den direkten Kontakt mit den Urhebern von in ihrer Sicht zweifelhaften Äußerungen. Selbst an diese adressierte Schreiben werden über den Ortsordinarius übermittelt. So wird der hierarchische Abstand gewahrt. Die Eigenart des Kommunikationsraums bedingt die Kommunikationsart. Die asymmetrische communicatio hierarchica spiegelt die unaufgebbare communio hierarchica.
Ermahnen reicht nicht
Der Bischof erklärte, die Angelegenheit nicht übergehen zu können. Es handle sich um einen offiziellen Vorgang. Am 27. Dezember 1994 antwortete Bischof Eder dem Kardinalpräfekt, er habe mit Hoppe „ein längeres und eindringliches Gespräch geführt“ und sei dadurch überzeugt, „dass Herr Prof. Hoppe in seinem Dienst und Auftrag als Lehrer an unserer Fakultät keine für die Disziplin und Lehre des Heiligen Vaters abträgliche Position vertreten wird.“ Er „erachte damit die Sache den Umständen entsprechend erledigt zu haben.“
Das erwies sich nach sechs Wochen als Fehleinschätzung. Inzwischen war die vom Papst festgestellte Endgültigkeit der Lehre vielfach entweder abgelehnt oder als gar nicht intendiert in Frage gestellt worden. Einige Monate später noch sah sich die Kongregation für die Glaubenslehre veranlasst, die rechtssprachlich eindeutige Synonymität des Attributs „definitiv“ mit „infallibel“ klarzustellen. Im Augenblick jedoch sorgte sich Kardinal Ratzinger weiterhin wegen des Leserbriefs. Am 15. Februar 1995 schrieb er von Neuem an Bischof Eder. Konkret nahm er Bezug auf die Behauptung Hoppes, die „ganze Sache [keine Priesterweihe für Frauen; N. L.]“ sei „doch mehr auf der disziplinären Ebene zu gewichten“. Den Ausgang des mitgeteilten Gesprächs nahm der Präfekt zur Kenntnis. Er vertraue aber
„zugleich darauf, dass Sie in Ihrer Eigenschaft als Großkanzler der genannten Fakultät Herrn Professor Hoppe eindringlich auffordern, eine öffentliche Stellungnahme abzugeben, aus der hervorgeht, dass er sich vollständig an die Lehre hält, die im genannten päpstlichen Dokument als ‚sententia ab omnibus Ecclesiae fidelibus definitive tenenda‘ dargelegt wird.“
Er hoffe, „bald über eine entsprechende Richtigstellung von Seiten Herrn Professor Hoppes unterrichtet zu werden“.
Hoppe hatte einen disziplinären Anteil in dem Apostolischen Schreiben angenommen. Der Präfekt sah den doktrinär-definitiven Charakter der Lehre als solchen bestritten. Außerdem nahm er dem Bischof weitere Überlegungen darüber ab, welche Maßnahmen geeignet sein könnten. In höflichem Kurialstil formulierte der Präfekt als Erwartung, was der Sache nach eine Anweisung an den Bischof war, nämlich von Hoppe einen öffentlichen Widerruf zu verlangen.
Solum Magisterium (Hierarchiae)
Der Präfekt steuerte direkt auf die formale Lehrautorität zu. Hatte doch der Papst zu den Zweifeln, die er mit der Feststellung der dogmatischen Endgültigkeit der Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen hatte beseitigen wollen, ausdrücklich auch die Auffassung gerechnet, diese Entscheidung der Kirche habe „lediglich eine disziplinäre Bedeutung“. Der Hinweis Hoppes auf die „disziplinäre Ebene“ konnte so wie ein Reizwort wirken und als Bestreitung der Endgültigkeit und damit der kirchlichen Lehrautorität empfunden werden.
Auf die (bibel-)theologischen Argumente des Leserbriefs ging der Präfekt nicht ein. Das ist nicht überraschend, weil systemstimmig. Nach dem Selbstverständnis des Lehramts bildet es mit den Theologen, einschließlich der Exegeten, nicht eine Diskursgemeinschaft Gleichberechtigter. Die Autorität des authentischen, d. h. in der Autorität Christi agierenden Lehramts in Glaubens- und Sittensachen ist nicht argumentationsabhängig, sondern formaler Natur. Sie gründet in der besonderen Geistbegabung seiner Träger.
Schon 1976 hatte die Kongregation für die Glaubenslehre in ihrer Erklärung „Inter Insigniores“ gegen die Priesterweihe von Frauen bei der Einschätzung des Gewichts der Hauptgründe das Verhalten Christi und der Apostel und die Praxis der Kirche die entscheidende Beurteilungskompetenz beansprucht. Die „richtige Unterscheidung zwischen den wandelbaren und den unwandelbaren Elementen“ gewährleiste die Kirche mit der Stimme des Lehramts. Die normative Lehre und ihre Grundlage sollte bereits damals nicht „bewiesen“, sondern als gegeben in Erinnerung gerufen werden. Theologische Reflexionen wurden zur erläuternden Illustrierung angeführt. Das entspricht der amtlichen Auffassung von der Aufgabe der Theologen. Ihre Funktion wird als systematisierend, illustrierend und bescheiden anregende Zuarbeit für das Lehramt geschätzt. Die wissenschaftliche Theologie ist die „Ancilla Ecclesiae“ bzw. in Bezug auf die Kirchenstruktur unmittelbar „Ancilla Magisterii“. Allein das Lehramt besitzt Entscheidungskompetenz in Fragen der Lehre, d. h. die Kompetenz, sie vorzulegen und die ihnen gebührende Zustimmung zu befehlen sowie durch Sanktionierung zu sichern.
Das gilt auch und insbesondere für die Auslegung der Heiligen Schrift. Nach der Lehre des II. Vatikanums wurde die Offenbarung aus Tradition und Heiliger Schrift der Kirche anvertraut. Entsprechend ihrer unaufgebbar hierarchischen Struktur wird das Wort Gottes allein vom hierarchischen Lehramt verbindlich ausgelegt. Dabei sieht es sich nicht über, sondern unter dem Wort Gottes. Diese indikativische Selbstzuschreibung kann als wertvolle Selbstverpflichtung verstanden werden. Ihre Einhaltung wird vom Lehramt selbst und von Gott, dessen Willen es auslegt, geprüft.
Exegeten erforschen und erklären das Wort Gottes a) unter der Aufsicht des Lehramts, b) mit (nach dem Urteil des Lehramts) geeigneten Methoden, c) zum Zweck der Predigtbefähigung, über dessen Erfüllung die kirchliche Autorität befindet, sowie d) als wissenschaftliche Vorbereitung reifer kirchlicher Urteile und dies alles e) secundum sensum Ecclesiae, d. h. in jener kirchlichen Gesinnung, die kirchenamtlicher Entscheidung mehr vertraut als dem eigenen Urteil und die Papst Johannes Paul II. in umfassender Weise in strafbewehrte Rechtspflichten transformiert hat.
Von 1902 bis 1971 standen die Exegeten unter Sonderkontrolle der von Papst Leo XIII. errichteten eigenen päpstlichen Behörde der Päpstlichen Bibelkommission. Sie bestand aus Kardinälen mit wissenschaftlichen Beratern und entschied autoritativ in exegetischen Angelegenheiten. Für ihre Entscheidungen forderte der Papst absolute und vollständige Unterwerfung. Im Zuge des Kurienumbaus Papst Pauls VI. ging diese Überwachungsinstanz im Kompetenzzuwachs der Kongregation für die Glaubenslehre auf. Sie schützt seither die Glaubens- und Sittenlehre nicht nur, sondern fördert sie auch. Sie setzt orientierende und stimulierende Akzente für den theologischen Diskurs durch zusammenfassende und anwendungsorientierende Verlautbarungen zu aktuellen Lehrfragen. An diesen Wegmarken können sich die Theologen orientieren. Außerdem kann die Kongregation Kongresse organisieren, Katholische Universitäten veranlassen, ihre Kapazitäten themenzentriert einzusetzen und schließlich auf Expertisen der an sie angebundenen Beratungsgremien zurückgreifen.
Eines von ihnen hatte Papst Paul VI. 1971 unter dem alten Namen „Päpstliche Bibelkommission“ neu geordnet. Die Mitglieder der nun nicht mehr selbstständigen und rein beratenden Kommission sind vom Papst auch wegen ihrer vorbildlichen Treue zum Lehramt, ihrer Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit berufene Wissenschaftler und tagen einmal jährlich unter dem Vorsitz des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre zu von ihm oder dem Papst vorgegebenen Themen. Die Mitglieder sind unter Strafandrohung an das päpstliche Geheimnis gebunden. Sie dürfen über ihre Beratungen und die Kommunikation innerhalb der Kommission wie mit der Kongregation nicht ohne Erlaubnis sprechen. Ihre Ergebnisse stehen zur alleinigen Disposition des Apostolischen Stuhls und dürfen nur mit Erlaubnis des Papstes oder des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre publiziert werden. Im Übrigen verhält sich das Lehramt beim Gebrauch der Heiligen Schrift in seinen Verlautbarungen vollkommen souverän gegenüber Erkenntnissen der historisch-kritischen Exegese.
Ob und inwieweit die Kongregation die Mitglieder der Bibelkommission auch nutzt, um einen Ein- und Überblick über die personelle Szene der Disziplin zu erhalten, kann aufgrund der Geheimhaltungspflicht weder pauschal unterstellt noch ausgeschlossen werden. Als Geheimnisträger, d. h. jedenfalls Mitwisser der Kongregation und Mehrwisser gegenüber ihren Kollegen, sind sie Träger einer innerhalb der scientific community möglicherweise eher desintegrierenden Auszeichnung. Hinzu kommt: Dass „‚Auftragsforschung‘ und gezielte ‚wissenschaftliche‘ Kongresse ausgerechnet in der Hand der Überwachungsbehörde“ institutionalisiert sind, gehört zu den nicht immer leicht vermittelbaren Besonderheiten der Theologie als Wissenschaft. Dabei sind die Kriterien wissenschaftlicher Exzellenz und Gesinnungstüchtigkeit im Falle der Theologie nur inadäquat verschieden, weil letztere zur Theologie als kirchlich gebundener Wissenschaft per definitionem gehört.
Erläuterungen und Beziehungen
Rudolf Hoppe war in der für ihn als Kölner typischen rheinischen Kombination aus Gelassenheit und Freimut nicht zu einem schlichten öffentlichen Widerruf bereit. Denn: Was er widerrufen sollte, hatte er seines Erachtens nicht geäußert. Statt der geforderten retractatio versuchte er es auf Anregung von Bischof Eder mit einer Kombination aus explicatio und deprecatio, d. h. einer fürspracheflankierten Erklärung an die Kongregation.
In einem Brief an Bischof Eder bat er über diesen die Kongregation, seine erneuten „klärenden Bemerkungen“ zu dem Vorgang „positiv zu würdigen“ und „von der Forderung einer öffentlichen Stellungnahme abzusehen“. Zum einen enthalte sein Leserbrief weder einen Hinweis auf seinen priesterlichen Stand noch auf sein Amt als Theologieprofessor. Er war damit formal von anderen Leserzuschriften nicht abgehoben und konnte so besondere Irritationen nicht hervorrufen. Zum anderen und wichtiger sei es ihm,
„mit der gebotenen Höflichkeit und mit der zur Vermeidung von Missverständnissen ebenfalls gebotenen Klarheit ... festzustellen, dass ich nicht behauptet habe und behaupte, der Ausschluß der Frauenordination besitze nur eine disziplinäre Bedeutung. Da ich diese in dem päpstlichen Schreiben zurückgewiesene Lehrmeinung aber weder vertreten habe noch wiederholt habe, entfallen nach meiner Ansicht auch die von der Kongregation gemachten Schlußfolgerungen, nämlich, dass ich eine Richtigstellung und eine Erklärung zu veröffentlichen habe. Ich müßte es als unangemessen empfinden, wenn auf Grund eines nicht existierenden Tatbestandes mir ohne Begründung jene Auflagen gemacht werden.“
Wichtig sei daher der
„Hinweis, dass es nicht richtig ist, dass an dieser Stelle der Lehrinhalt des päpstlichen Schreibens Gegenstand meines Urteils ist; vielmehr ist im Zusammenhang der Leserzuschrift nicht vom Inhalt des päpstlichen Schreibens die Rede, sondern von seiner Entstehung und der äußeren Veranlassung. Es heißt in dem Leserbrief, dass das päpstliche Schreiben mit Rücksicht auf die jüngste Entwicklung der Anglikanischen Kirche entstand und demnach die Sache doch mehr auf disziplinärer Ebene zu gewichten sei.
Ich will gerne einräumen, dass trotz dieser Aussageabsicht durch das Weglassen des Zusammenhangs und durch das Hervorheben jenes Satzteiles ein Mißverständnis entstehen konnte, aufgrund dessen die Kongregation zu der meines Erachtens unangemessenen und überhöhten Aufforderung gelangt ist. Aber ich muss gleichzeitig beklagen, dass durch das verschlimmernde Weglassen des Gesamtsatzes in dem Schreiben der Kongregation meine Aussage in einer für mich ungünstigen Weise ausgelegt wird. Ich meine aber, ich dürfte das Recht für mich in Anspruch nehmen (in dubio pro reo), dass meine Aussage, auch eine eventuell missverständliche, in der von mir gemeinten für mich günstigeren Weise ausgelegt wird.
Hinsichtlich des Inhalts der Lehraussage des päpstlichen Schreibens habe ich selbstverständlich zur Kenntnis genommen, dass sie Endgültigkeitscharakter beansprucht und sich infolgedessen alle Gläubigen der Kirche verbindlich daran zu halten haben. ...
Ich habe durch Klarstellung des Zusammenhangs gesagt, dass ich an jener Stelle von der Veranlassung und Entstehung des päpstlichen Schreibens sprach, nicht aber von dessen Lehrinhalt. Diese Klarstellung und Richtigstellung im Sinne einer Darlegung meiner Aussageabsicht bitte ich Sie, Herrn Kardinal Ratzinger zu übermitteln.
Sehr geehrter Herr Bischof, gewiss haben Sie mich in Ihrem beharrlichen Nachfragen davon überzeugt, dass es notwendig war, dass ich mich mit den Argumentationen der Römischen Kongregation auseinandersetzte, auch wenn sie auf einem Missverständnis beruhen. Sie wissen, dass ich Bibelwissenschaftler an der Universität Passau bin. Der Exeget fällt nach seinem Selbstverständnis keine dogmatischen Urteile. Ich habe mich in dem Leserbrief zwar nicht als Exeget geäußert, aber vielleicht ist es doch kein Zufall, dass mein Gedankengang historisch strukturiert war. Der Exeget kann und soll qua Exegese keine Glaubensentscheidungen fällen, sondern er kann nur auf den biblischen Texten beruhende Einsichten dem innerkirchlichen Dialog zuführen. Diese Begrenzung sehe ich sehr wohl, glaube sie auch in meinem nun wirklich sehr kurzen Schreiben eingehalten zu haben. Daher gilt auch für mich die aus Can 218 CIC ersichtliche Bindung des Theologen an das kirchliche Lehramt.
Mit Dank für Ihre Geduld und Ihrem Verständnis für mich als
seit kurzer Zeit in Passau lehrenden Theologen, der sich nicht aufgrund von
Missverständnissen zu Erklärungen oder Äußerungen genötigt
sehen will, die ohne die dafür erforderliche Rechtfertigung sind, verbleibe
ich mit brüderlichen Grüßen
Ihr Rudolf Hoppe.“
Wo Grundrechte fehlen, müssen Beziehung und Fürsprache helfen. So bat Bischof Eder den emeritierten Kollegen der Regensburger Universität Franz Mußner um flankierende Vermittlung bei dessen langjährigem Freund Kardinal Ratzinger. Mußner kam dieser Bitte mit folgenden Worten nach, die er aus einem Brief an den Kardinal vom 20. Juni 1995 Hoppe und Bischof Eder zur Kenntnis brachte. Er schrieb:
„Prof. Hoppe wandte sich vor kurzem an mich in der Sache, die Du ja kennst. Ich sagte ihm gleich: ,Mit Ihrer Leserzuschrift haben Sie eine große Dummheit begangen‘. Er meinte, er habe ja nur mit Rudolf Hoppe unterschrieben. Auch mit Bischof Franz habe ich über die Angelegenheit gesprochen. Ich meine, Du solltest sie nicht so tragisch nehmen, und grundsätzlich meine ich, dass in der Kirche, die ein öffentliches ,Anwesen‘ ist, über jedes Thema offen diskutiert werden darf, auch wenn es zu ihm Äußerungen des Papstes gibt. Was die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe angeht, so denke ich darüber wie Du und der Papst darüber denken. Aber der Dialog darüber darf nicht zwangsweise unterbunden werden (genausowenig wie über den ,Pflichtzölibat‘). Mich regen andere Dinge in der Kirche ganz anders auf, z. B. das konstante Schweigen des Kardinals Groer, das der Kirche viel mehr schadet als nutzt (zumal: qui tacet, consentiri videtur!), oder bestimmte Bischofsernennungen (wie in Chur und anderswo). Eine Leserzuschrift wie die von Hoppe ist im Vergleich damit eine Bagatelle. Übrigens ist Prof. Hoppe ein kirchlich und priesterlich sehr engagierter Mann; er wird sicher aus der Affäre lernen; ich mag ihn gern. Wer hat ihn eigentlich angezeigt? Dr. Moll[2] ? Cardinal Meisner?“
Wachsame Milde
Unter der Protokoll-Nummer 1/93-00990 antwortete der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre am 13. September 1995 auf die Eingabe des Bischofs von Passau im Fall Hoppe:
„Mit Brief vom 16. August 1995 übersandten Sie dieser Kongregation
die Antwort von Herrn Prof. Dr. Rudolf Hoppe bezüglich des endgültigen
Charakters der Lehre, die das Apostolische (sic!) Schreiben ,Ordinatio Sacerdotalis‘
festhält.
Indem dieses Dikasterium die Klarstellung wie auch die Zustimmung des obengenannten
Dozenten zur Unwiderruflichkeit der Lehre des erwähnten Dokumentes zur
Kenntnis nimmt, dankt es Ihnen, Exzellenz, für Ihr rasches Einschreiten
und vertraut auf Ihre auch künftige Wachsamkeit hinsichtlich der Aktivitäten
von Prof. Hoppe.“
Diese Antwort war ebenso wenig vorhersagbar wie selbstverständlich. Die Kongregation sanktioniert, um die Glaubenslehre klar- oder richtigzustellen und „irrige und gefährliche Meinungen zurück[zu]weisen, zu denen der Leser unabhängig von der Absicht des Autors, auf Grund zweideutiger Formulierungen oder unzureichender Erklärungen ... gelangen kann“. Es geht mithin nicht darum, was ein Theologe hat ausdrücken wollen, sondern wie die Formulierung in der Sicht der Kongregation schädlich hätte verstanden werden können. Nicht was gemeint war, ist entscheidend, sondern welchen schädlichen Einfluss auf die Geschlossenheit der Kirche gezeitigt werden kann, nicht die vom Autor intendierte Gefährdung, sondern die von der Kongregation geschätzte.
In diesem Fall zeigte der Präfekt sich nachsichtig. Er akzeptierte die Anerkennung des Anspruchs der Lehre als Zustimmung zu ihr und verzichtete auf die Durchsetzung eines öffentlichen Widerrufs. Das ist nicht zu verwechseln mit einer Rehabilitierung.
Sie ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Allenfalls wird ein Verfahren eingestellt, wenn der Kongregation eine Antwort als ausreichend gilt. Was am Autor „hängen bleibt“, ist als Kollateralschaden des kapitalen Sicherheitsgewinns für die einfachen Gläubigen hinzunehmen. Das Gefühl, noch einmal davon gekommen zu sein, kann zudem theologischer Selbstzufriedenheit vorbeugen. So galten auch bei Rudolf Hoppe erneute Fehltritte nicht als ausgeschlossen. Denn: Weiterhin sei bei ihm Wachsamkeit geboten. Er wurde gnädig behandelt, nicht wieder in Gnaden gestellt.
(Fortsetzung zu „Spätfolgen“ und „Die Lektion“ folgt in der nächsten Nummer. Dazu drei Originaldokumente zu diesem Vorgang)
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