Kirche ohne Bekenntnis?
Eingangsstatement von Christa und Heinz Schade auf dem Abendforum des Evangelischen Forums Berlin-Brandenburg mit Pröpstin Friederike von Kirchbach am 9. Juni 2011 (AUSZUG)

Glaubensbekenntnis als Pflichtübung?

Es geht um eine Diskrepanz, die uns schon länger beschäftigt, um die Diskrepanz zwischen dem Bedeutungsverlust der überlieferten kirchlichen Lehre in Glauben und Verkündigung einerseits und dem Festhalten an dieser Lehre vor allem in der Liturgie andererseits. Wir wollen das an zwei Beispielen darstellen, am Glaubensbekenntnis und am Abendmahl.

In den meisten Gottesdiensten unserer Kirche (EKBO) wird Sonntag für Sonntag das Apostolische Glaubensbekenntnis gesprochen, womöglich eingeleitet mit den Worten: „Lasst uns unseren christlichen Glauben bekennen!“ Aber für immer weniger unter den Gottesdienstbesuchern dürften die Aussagen dieses Bekenntnisses Ausdruck seines persönlichen Glaubens sein, nicht einmal bei den Pfarrerinnen und Pfarrern, von den vielen Gemeindegliedern ganz zu schweigen, die normalerweise nicht an den Gottesdiensten teilnehmen; wer nach dem Inhalt seines christlichen Glaubens gefragt wird, wird etwas anderes sagen. Unser Eindruck ist, dass dieses Phänomen in unserer Kirche nicht thematisiert wird. Eine Äußerung wie die von Martin Dolde, Präsident des Kirchentages 2001 in Frankfurt am Main, ist eine absolute Ausnahme. Er sagte: „Wie komme ich dazu, ausgerechnet im Gottesdienst beim Sprechen des Glaubensbekenntnisses vor allen Leuten regelmäßig zu lügen? Ich kann doch nicht glauben, dass Jesus vom Heiligen Geist gezeugt wurde. Ich kann nicht glauben, dass Maria Jesus als Jungfrau zur Welt gebracht hat. Ich kann nicht glauben, dass Jesus nach drei Tagen körperlich auferstanden ist“.[1]

Erst in der Bekennenden Kirche kam bekanntlich die Praxis auf, dass das Apostolikum nicht nur vom Pfarrer für die Gemeinde, sondern von der ganzen Gemeinde gemeinsam gesprochen wurde. Was in der damaligen Situation der Verfolgung eine geistliche Stärkung war, hat nach dem Kriege das Problem für viele Gemeindeglieder verschärft; denn natürlich ist es ein Unterschied, ob das Bekenntnis vom Pfarrer für die Gemeinde gesprochen wird, oder ob ich aufgefordert werde, es, noch dazu im Singular („ich glaube ...“), selber zu sprechen. Eine Folge waren die vielen modernen Glaubensbekenntnisse vor allem in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts; von denen konnte sich aber keines durchsetzen – zu verschieden waren die inhaltlichen Vorstellungen der einzelnen Menschen, und natürlich hatte auch keiner dieser Texte das Gewicht der Tradition und der Ökumene hinter sich.

Theologisch wie soziologisch ist die sichtbare Kirche die Gemeinschaft derer, die sich zu ihr halten, und so muss man wohl feststellen, dass unsere Kirche kein gemeinsames Bekenntnis mehr hat.

Das im Jahre 1999 erschienene Evangelische Gottesdienstbuch ignoriert dieses Phänomen. In der Einführung des Gottesdienstbuches stehen zwar „maßgebliche Kriterien ... für das Verstehen und Gestalten des Gottesdienstes“. Dort heißt es u.a. „Bewährte Texte aus der Tradition und neue Texte aus dem Gemeindeleben der Gegenwart erhalten den gleichen Stellenwert“. In klarem Gegensatz dazu steht dann aber weiter hinten zu den „neuen Glaubenszeugnissen“, die schon terminologisch von den „kirchlichen Glaubensbekenntnissen“ unterschieden werden, dass sie „kein Ersatz für das gemeinsame kirchliche Glaubensbekenntnis, sondern Hilfen zum besseren Verständnis des überlieferten Glaubens“ sind; immerhin können sie auch nach dem Gottesdienstbuch „gelegentlich und aus besonderem Anlass“ im Gottesdienst verwendet werden.

Immer wieder wird vorgeschlagen, das Problem zu lösen, indem man erklärt, wie das Apostolikum entstanden ist, welche Vorstellungen mit seinen Aussagen ursprünglich geweckt werden sollten und welche abgewehrt werden sollten. Für uns ist das keine Lösung. Natürlich kann sich heute jeder Interessierte über die Entstehung und den zeitgeschichtlichen Hintergrund des Apostolikums unterrichten, aber einmal werden das nur wenige tun, und die Öffentlichkeit erreicht man damit schon gar nicht, vor allem aber werden diese Lehren auch dann nicht zu meinem Bekenntnis, wenn ich ihren ursprünglichen Sinn kenne und vielleicht sogar bejahe. Am Beispiel: Auch wenn ich weiß und sogar bejahe, welche Vorstellungen durch die Lehre von der Zeugung Jesu durch den Geist Gottes vermittelt oder abgewehrt werden sollten, glaube ich noch nicht in der heutigen Bedeutung der Worte, dass Jesus vom Heiligen Geist empfangen wurde.

Viele von uns werden in der Wochenzeitung „Die Kirche“ vom 16. Januar 2011 gelesen haben, dass der Schweizerische Evangelische Kirchenbund der reformierten Kantonskirchen, der unserer EKD entspricht, seinen 1049 Gemeinden ein Glaubensbekenntnis zur Verwendung im Gottesdienst vorgeschlagen hat, das auf ein Gedicht des Pfarrers und Dichters Kurt Marti zurückgeht. (vgl. www.ref-credo.ch ) (…)

Der Kirchenbund hat an seine Gemeinden einen neunseitigen Fragebogen versandt und um Antwort bis Juni 2011 gebeten: Welche Bedeutung wird Bekenntnissen zugemessen? Sollen sie im Gottesdienst verwendet werden? Und soll das neue Bekenntnis reformiertes Bekenntnis werden? Zumindest gegen die Verwendung des Bekenntnisses im Gottesdienst gibt es offenbar erheblichen Widerstand, da ein Bekenntnis im Gottesdienst bisher in den meisten Schweizer reformierten Gemeinden nicht üblich war. Für uns ergeben sich aus dieser Situation zwei Fragen:

Immerhin kennt das deutschsprachige Luthertum bekanntlich zwei verschiedene Traditionen des Hauptgottesdienstes, die sich im Gottesdienstbuch als Grundform I und Grundform II wiederfinden. Die Grundform II, die auf den spätmittelalterlichen Predigtgottesdienst zurückgeht und den Gottesdienst der Evangelischen Landeskirche in Württemberg bis heute prägt, kennt seit der Reformation bis in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts kein Glaubensbekenntnis im Gottesdienst. (…)


© imprimatur Januar 2012
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[1]zitiert nach Franz von Kutschera: Was vom Christentum bleibt, S. 13. Mentis, Paderborn 2008.