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Rudolf Lill: Die Macht der Päpste
Der vorgehaltene Spiegel


Paul M. Müller
Rudolf Lill: Die Macht der Päpste
Butzon und Bercker, Kevelaer 2011, 308 Seiten

Rudolf Lill beschäftigt sich, wie er selbst hervorhebt, seit Jahrzehnten mit „italienischer, römischer und vatikanischer Geschichte“. „Die Macht der Päpste“ sieht er u.a. als konkrete Reaktion auf die verbreitete „Papst-Euphorie“ seit dem Tod Johannes Paul II. und der Wahl Benedikt XVI. „Nicht selten wird dabei der Eindruck erweckt, dass die Macht der Päpste in ihrem derzeitigen, einer Universalmonarchie nahekommenden Umfang, prinzipiell stets bestanden hätte und darum zum Wesen der katholischen, ja dem Anspruch nach der ganzen christlichen Kirche gehöre“. (9) Lill hält dagegen: Zur „historischen Kirchlichkeit“ gehören auch Pluralismus und konziliare Prozesse. Offenkundig hat es bei der Auswahl der Amtsträger auch in der katholischen Kirche seit langem „ortskirchliche Mitsprache“ gegeben. Der päpstliche Zentralismus wurde erst unter den konkreten, heute überholten historischen Bedingungen der „beiden letzten Jahrhunderte, durchgesetzt“.

Keine Frage, das Papsttum mit seiner heute absolutistischen Anmutung kann sich auf eine lange Tradition berufen. Aber Lills Gang durch die wechselvolle Geschichte des Papsttums führt uns in Abgründe des päpstlichen Machtstrebens, wie sie uns etwa das Fernsehen z. Z. mit Filmen über den Borgia-Papst Alexander VI. vorführt. Ohne in seiner „tour de raison“ durch die Geschichte des Papsttums die „Sternstunden“ der Kirche zu übersehen, zeigt sie deutlich, dass die heutige Macht der Päpste in hohem Maß das Ergebnis geschichtlicher und politischer Entwicklungen darstellt. Das gilt ohne Abstrich für die gesamte historische Gestaltwerdung des Papsttums. Wenn auch das Papsttum die einzige europäische Institution darstellt, die von der Spätantike bis zur Gegenwart besteht und sie „als solche erheblich zur Ausformung jener Synthesen aus Antike, Christentum und Humanismus beigetragen hat, auf denen Europas Kultur beruht“, ist es dennoch selbst in so vielem auch ein Produkt dieser Kultur. Ganz unter dieser Prämisse reagiert der Autor auf Äußerungen des derzeitigen Papstes und auf Aussagen des „Päpstlichen Jahrbuches“: „Aber wenn er schon in ersten Predigten im Mai/Juni 2005 sagte, dass seit dem Martyrium der Apostel Petrus und Paulus Rom zentraler Bezugspunkt für die ’Einheit der Lehre und der Seelsorge’ gewesen sei, dann ist das ebenso unhistorisch wie die Aussage des ’Päpstlichen Jahrbuches’ von 2011 am Beginn seiner Papstliste über Petrus: Fürst der Apostel, welcher von Jesus Christus die höchste päpstliche Gewalt zur Weitergabe an seine Nachfolger erhielt, er residierte zunächst in Antiochia und danach… 25 Jahre in Rom“. Historisch-kritisch betrachtet wuchs die Macht der Päpste langsam; sie ist, so Lill, „ein Werk der Menschen“.

Vor diesem historischen Hintergrund geht der Autor dann auch der Frage nach, die sich heute so vielen kirchlich Engagierten aufdrängt: Warum ist nach dem Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) eine neue Welle der Restauration der päpstlichen Macht in Gang gekommen. Er befasst sich in einem eigenen Kapitel „Aspekte der Restauration“ mit dieser Rückwärtsorientierung der katholischen Kirche. Im Folgenden werden exemplarische Abschnitte dieses Kapitels wiedergegeben. (227-242)

„Im Zentrum der Restauration standen und stehen die erneute Befestigung des päpstlichen Primats und die Re-Klerikalisierung der Kirche, partielle Abwehr vom ökumenischen Prozess sowie ein genereller Hierarchismus, welcher Theologen, Priester und Laien wieder, wie unter Pius XII., im Sinne aller Aussagen des päpstlichen Lehramtes zu disziplinieren sucht… Autoritäre Defensive wie vor dem Konzil. Den systematischen Beginn markiert der „Codex Juris Canonici von 1983 für die lateinische Kirche“, welcher zentrale Postulate des Konzils wie die Kollegialität der Bischöfe mit dem Papst oder ortskirchliche Eigenständigkeit in zentralistischer Richtung uminterpretiert hat. Symptomatisch war die erneute Festschreibung des päpstlichen Monopols zur Ernennung der Bischöfe (377), aber z. B. auch, dass den Laien in Can 767 wieder generell das Recht zum Predigen in der Messe abgesprochen wurde, welches einige Bischofskonferenzen ihnen nach dem Konzil gewährt hatten“.

Ein weiteres bedenkliches Unternehmen, auf das Lill in aller Deutlichkeit hinweist: „1985 wurde in Rom ein Studienzentrum des Opus Dei gegründet und schon 1993 zur päpstlichen Universität erhoben… Die kirchliche Öffentlichkeit erfuhr nur wenig von solchen Präferenzen (und z.B. gar nichts davon, dass Kardinal Höffner die römische Hochschule des Opus Dei aus den reichen Mitteln seiner Diözese kräftig mitfinanzierte)… Alle Katholiken (aber) konnten in dem 1992 von Johannes Paul II. präsentierten „Katechismus der katholischen Kirche“ lesen, dass ihnen erneut ein formalistisches und mehr am kirchlichen Lehramt als am Evangelium ausgerichtetes ’Regelwerk’ an die Hand gegeben wurde, welches mit der auf dem Konzil postulierten mündigen Christlichkeit nur wenig zu tun hatte. Nicht wenige Theologen haben dieses bloße Regelwerk kritisiert, aber die kirchliche Öffentlichkeit hat sich wenig darum gekümmert“.

„Im Mai 1990 ist seitens der Glaubenskongregation eine ausführliche ’Instruktion über die kirchliche Berufung der Theologen’ gefolgt: Sie äußert zwar Verständnis für die theologische Forschung und auch für mögliche Konflikte zwischen intellektuellen Einsichten von Theologen und dem Lehramt, von dem jedoch gesagt wird, dass es den definitiven Charakter des Glaubensgutes vor Abweichungen und Irrtümern zu schützen hat“.

„Von Pauls VI. Enzyklika Sacerdotalis Caelibatus wurde schon gesagt, dass sie ein von den Traditionalisten im Vatikan erwirkter Machtspruch war, welcher die im Umkreis des Konzils geführte Debatte um Pflichtzölibat oder Priesterehe autoritativ zu beenden suchte. Insgesamt hat die vatikanische Restauration seit 1980er-Jahren eine erneute Selbst-Ghettoisierung der katholischen Amtskirche eingeleitet, welche Benedikt XVI. noch entschiedener fortsetzt“.

Insgesamt versteht Rudolf Lill „Die Macht der Päpste“ als historisches Plädoyer für ein Christentum, das seine ganze Geschichte reflektiert und Einheit in den Kernfragen mit der Vielfalt des Glaubens zu verbinden weiß. Seine Publikation ist lesenswert, nicht zuletzt deshalb, weil es mit kritischer Vernunft vor allem den kirchlichen Glauben an den Papst nach seiner historischen Bedingtheit befragt ohne ihn allerdings darauf reduzieren zu wollen. Das Buch führt ein umfangreiches Register erhellender Anmerkungen (259-303) und einen Anhang mit der Auflistung der Karrieren der Päpste und der Kardinalstaatssekretäre seit 1800. (304-308)
Rudolf Lill war von 1961 bis 1974 Mitglied des Deutschen Historischen Instituts in Rom, von 1974 bis 2000 Professor für Neue Kirchengeschichte in Köln, Passau und Karlsruhe, außerdem Gastprofessor an den Universitäten Rom, Florenz, Pavia und Dresden. Von 1996 bis 2006 Lehrbeauftragter für italienische Geschichte an der Universität Bonn. Lill ist bekannt durch zahlreiche Veröffentlichungen u.a. auch zur Geschichte des Papsttums.

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Benno Rech
Der vorgehaltene Spiegel
Betrachtungen des kirchlichen Lebens mit den Methoden des Gesellschaftswissenschaftlers

Massing, emeritierter Politikwissenschaftler und Soziologe der Universität Hannover, sammelt hier seine Studien zum Verhältnis von Kirche und Staat aus einem langen Forscherleben. Die erste Untersuchung stammt aus dem Jahr 1968, die letzte von 2006. Verblüffend ist, wie wenig sich in der Katholischen Kirche geändert hat, wenn man auf ihre Struktur oder Lehre schaut. Dagegen hat eine große Zahl der Gläubigen unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Entwicklungen ihre Gesinnungen, auch ihre Glaubenspraxis einschneidend gewandelt. Weil diese Studien genau in der Beobachtung, einsichtig in ihren Deutungen sind, haben selbst die ältesten keine Patina angesetzt. Von heute her gesehen ermöglichen sie anregende Vergleichsmöglichkeiten: „Ja, so war es!“ „Im Kern hat sich nichts verändert!“ denkt man beim Lesen. Und man wundert sich, wie die Institution mit ihrem starren Korsett, dem hierarchischen Apparat, jede offene Auseinandersetzung verweigert, obwohl sie sieht, wie die Gläubigen sich von ihr entfernen. In dieser Beharrung verrät sie ihren jesuanischen Auftrag. In der Demokratie verliert ein Gehorsamkeitssystem seine Legitimation, gilt das Wort Hierarchie als Anmaßung.

Ein Gesellschaftswissenschaftler, der die Kirche über Jahrzehnte mit wachem Auge beobachtet, bemerkt Anderes als jemand der beruflich durch die Theologenbrille auf sie schaut. Der kirchlich nicht gebundene Forscher ist kaum gehemmt, etwa schädigende Wirkungen von Amtsträgern auf das Selbstverständnis der Gläubigen eindeutig zur Sprache zu bringen. Er konstatiert sie, macht sie bewusst und setzt sie demokratischen Wertungen aus.

Einige von Massings Beobachtungen: Die Hierarchen lassen aus ihrem Verständnis des Hirtenamtes von vornherein keine Chance der pastoralen Mitwirkung für freie phantasiebegabte Köpfe zu. In ihren Augen gilt: „Jede kirchenkritische Basisaktivität stellt … eine latent bestandsbedrohende Herausforderung des kirchlich administrativen Systems und seiner Repräsentanten dar“ (12).

Er sieht „die Informationsstruktur“ der Kirche „pyramidenförmig angelegt, nicht netzartig, weshalb das Mittel der Zensur als ultima ratio nachgerade sytemgerecht ist. Innovatorische Energien, die sich ständig vor den traditionalen Zurechnungsformen und Vermeidungsstrategien zu rechtfertigen haben, werden auf diese Weise systematisch entmutigt, was zur Folge hat, dass die beharrenden Kräfte das Selbstverständnis der kirchlichen Leitungsinstanzen kumulieren und optimieren et v. v.“ (54)

Eine fortschreitende Klerikalisierung bedeute: „Anmaßung inkompetenter Stellen“ (58f) am störendsten in Bereichen, in denen die Gläubigen ihre eigenen Erfahrungen machen, z.B. in der Sexualmoral. Besonders „die mangelhafte Mitbestimmung von Frauen in allen Belangen der Kirchengemeinden erscheint Gläubigen und Ungläubigen wie ein Anachronismus innerhalb des dem Prinzip der Öffentlichkeit verpflichteten profanen Lebens“ (118). Der Effekt ist die Entfremdung der Gläubigen von ihrer Kirche.

Massing untersucht eingehend die Bistumspresse und stellt fest, dass sie in Entsprechung zum Kirchenapparat mit „provinzialistischen“ und antizivilisatorischen“ Ressentiments durchsetzt ist. Als Einstellung bei den Schreibern diagnostiziert er: „Mangelnde Informiertheit gilt es durch Gesinnung wettzumachen“ (19). Kirchenpolitisch spricht er von einer „autistischen Selbstdarstellung“ (20) und in lebenspraktischen Fragen nehme man sich „Bevormundungsrechte“ (21) heraus, erwarte „Unterwerfung“ (27). „Strukturell bedingte Konflikte“ (77) wie z. B. das Thema Frauenpriestertum dürfen in der Kirchenpresse nicht einmal verhandelt werden. Auf diese Weise wirke die Bistumspresse wider Willen mit an der Zerstörung kirchlicher Gesinnung.

Er anerkennt hingegen die einstigen Anstrengungen des „Rheinischen Merkur“ oder von „Publik“ aus dem „katholischen Ghetto“ herauszukommen. In der „Herderkorrespondenz“, den „Stimmen der Zeit“ auch „Hochland“ sieht er „hervorragende wissenschaftliche, kulturelle und theologische Fachzeitschriften“ (37).

Eine Reihe von Untersuchungen befassen sich generell mit der Rolle der Katholiken in der Gesellschaft, und z. B. mit dem im Vergleich zu den Protestanten zurückgebliebenen Bildungsstand der Katholiken, ihrem selteneren Aufstieg im Beruf. Solche und ähnliche Einsichten werden durch die Methoden der politischen Psychologie gewonnen.

Eine ausführliche Studie hat den Titel: „Der (europäische) Präambelgott“ (139). Die technokratische Wortzusammensetzung „Präambelgott“ dürfte jeden normalgläubigen Bürger schon wegen ihres kalten, unpersönlichen, schnoddrigen Tons schockieren. An diesen „Präambelgott“ würden uneinlösbare Forderungen gestellt: Er müsste für alle Bürger Europas, also für Christen jeder Couleur, für alle Muslime, aber auch Agnostiker, gar Atheisten akzeptabel, zumindest tolerierbar sein. Also fragt Massing, „Welches Bild, welche Vorstellung sollte sich eine säkulare Staatsverfassung … überhaupt von dem ’Gott’ machen, der es verdiente, ihr eingeschrieben zu werden?“ (167) Er kündet Konfessionsstreitigkeiten an, die sich an den unterschiedlichen Gottesvorstellungen entzünden könnten.

Massing betrachtet die Kirche ohne gläubiges Vorverständnis, aber auch ohne vorgefasste Aversion. Er hält der Katholischen Kirche den Spiegel vor. Sie könnte sich darin im Lichte aufgeklärter Betrachtung selber einschätzen und erkennen, wie sehr ihr Erscheinungsbild der Botschaft des
Evangeliums im Weg steht.

Otwin Massing: Kirchengebundene Religiosität und säkulare Gesellschaft. Studien zu ihrer politischen Psychologie. Sammelband. GRIN Verlag 2008

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© imprimatur März 2012


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